Vergütung von Krankentransportleistungen durch die gesetzliche Krankenversicherung; Vergütung von Liegendfahrten in Thüringen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, mit dem Kläger eine Zusatzvereinbarung über die Vergütung
von Liegendfahrten für Versicherte der Beklagten abzuschließen.
Der Kläger bietet als privater Unternehmer Fahrten für Behinderte und Kranke mit Mietwagen an. Die Stadt G. genehmigte als
untere Verkehrsbehörde am 24. Oktober 2006 den Verkehr mit Mietwagen nach § 49 des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG). In zwei Nachträgen vom 22. Januar 2008 genehmigte die Stadtverwaltung G. den Einsatz der Fahrzeuge mit den amtlichen Kennzeichen
G-CX 774 und G-CX 813.
Der Kläger schloss 1998 mit der Beklagten eine Vereinbarung zur Durchführung von Krankenfahrten für Behinderte ab. Nach §
1 Nr. 1 ist Gegenstand der Vereinbarung die Benutzung eines behindertengerechten Fahrzeugs für Krankenfahrten für schwerbehinderte
Rollstuhlfahrer mit einem entsprechenden Nachweis. Der Kläger führte für die Beklagte aufgrund dieser Vereinbarung Transporte
von schwerbehinderten Rollstuhlfahrern durch. Darüber hinaus transportierte er auch Versicherte der Beklagten, die nicht auf
einen Rollstuhl angewiesen waren, aber liegend transportiert werden mussten, hier insbesondere Dialysepatienten. Bis zum Jahr
2008 zahlte die Beklagte dem Kläger auch für diese Fahrten eine entsprechende Vergütung.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, anlässlich einer Tiefenprüfung sei festgestellt worden,
dass er wiederkehrend und in erheblichem Maße ärztlich verordnete Krankentransporte durchgeführt habe, obwohl er nur eine
Genehmigung zur Personenbeförderung besitze. Die Durchführung von Krankentransporten sei hiervon nicht erfasst; diese dürften
nur durchgeführt werden, wenn eine Genehmigung nach dem Thüringer Rettungsdienstgesetz (ThürRettG) vorliege, was bei dem Kläger
nicht der Fall sei. Dieser wurde darauf hingewiesen, dass Abrechnungen zurückgewiesen werden, wenn er weiterhin Versicherte
der Beklagten transportiere, denen eine Beförderung in einem Krankentransportwagen, eine liegende Beförderung und/oder eine
fachliche Betreuung verordnet wurden. Mit Schreiben vom 24. September 2008 begehrte der Kläger von der Beklagten eine Ergänzung
der Vereinbarung zur Durchführung von Krankenfahrten für Behinderte, insbesondere zur Durchführung von Liegendfahrten, was
die Beklagte aber ablehnte.
Der Kläger hat am 19. Januar 2009 Klage erhoben und die Feststellung begehrt, dass die Beklagte zum Abschluss einer Zusatzvereinbarung
zur Durchführung von Liegendfahrten verpflichtet sei. Er hat ein Schreiben der Stadt G. vom 3. Dezember 2009 vorgelegt, in
dem ausgeführt wird, dass die Beförderung Liegender mit Mietwagen im PBefG nicht weiter geregelt sei. Es erfordere keine weitere Genehmigung, lediglich der Eintrag im Fahrzeugschein sowie die Hauptuntersuchung
seien nachzuweisen. Er hat die Fahrzeugscheine für die Fahrzeuge mit dem Kennzeichen G- ... und G. eingereicht. Im Fahrzeugschein
G ... ist unter anderem vermerkt:
"1 LIEGEPLATZ [...] AUSN GEN. ERT. DURCG REG. PRÄSIDIUM BADEN-WÜRRTEMBERG ABWEICHEND V. § 35 ABS. 5 STVZO".
Nach einem Bescheid des Regierungspräsidiums S. vom 18. Dezember 2007 über die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach §
70 der Straßenverkehrszulassungsverordnung (StVZO) für das Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen G-CX 774 darf von der Vorschrift des § 35 a Abs. 5 StVZO abgewichen werden.
Das Sozialgericht hat mit Urteil vom 22. Juli 2010 festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, mit dem Kläger einen
Vertrag über die Vergütung von Liegendfahrten außerhalb des Anwendungsbereichs des ThürRettG zu schließen. Dies ergebe sich
aus §
133 Abs.
3 i.V.m. Abs.
1 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V). Der Kläger sei als geeignet anzusehen, weil die ihm erteilte Genehmigung nach § 49 PBefG auch die Beförderung im Liegen umfasse. Die von ihm angebotenen Liegendfahrten stellten keinen qualifizierten Krankentransport
im Sinne des ThürRettG dar.
Mit ihrer am 3. September 2010 eingegangenen Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Entscheidung des Sozialgerichts.
Sie ist der Ansicht, dass sie nicht verpflichtet ist, einen Vertrag über die Vergütung von Liegendtransporten mit dem Kläger
abzuschließen. Krankentransporte in Form der vom Kläger durchgeführten Liegendtransporte unterfielen dem ThürRettG, sodass
auch eine entsprechende Genehmigung erforderlich sei, die der Kläger nicht besitze. Die Genehmigung nach dem PBefG reiche nicht aus, da dieses nur Fahrten im Sitzen umfasse. Die Beklagte verweist insoweit auf die Gesetzesmaterialien (BT-Drs.
11/4224 S. 6). Darüber hinaus sei der Transport liegender Personen nach Auffassung des Kraftfahrtbundesamtes und des Sächsischen
Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr nach den Bestimmungen der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) und der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht gestattet.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 22. Juli 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach seiner Ansicht hat das Sozialgericht zu Recht festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet sei, mit ihm einen Vertrag
über Liegendtransporte abzuschließen, wie er sie im Übrigen auch mit anderen namhaften Krankenkassen geschlossen habe. Er
hat diesbezüglich Vereinbarungen mit der Knappschaft und der DAK vorgelegt.
Ausweislich eines am 15. Januar 2013 gefertigten und den Beteiligten mitgeteilten Aktenvermerks hat die Grundsatzabteilung
des Kraftfahrtbundesamtes auf telefonische Nachfrage dem Senat mitgeteilt, dass die zuständigen Länderbehörden Ausnahmegenehmigungen
immer im Einzelfall erteilen können, wie dies offenbar bei der Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums S. vom 18. Dezember
2007 der Fall gewesen sei. Ebenfalls auf telefonische Nachfrage hat das Regierungspräsidium S. angegeben, dass die Ausnahmegenehmigung
nicht nur für den Krankentransport im Sinne des Rettungsdienstgesetzes erteilt worden sei. Die Formulierung Krankentransportwagen
greife nicht die Begrifflichkeiten des Rettungsdienstgesetzes oder des PBefG auf, sondern sei allein für den Geltungsbereich der StVZO gewählt worden. Mit Schreiben vom 10. Dezember 2012 hat das Regierungspräsidium S. nochmals diese Angaben bestätigt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat zu Recht festgestellt, dass die Beklagte zum Abschluss einer
Zusatzvereinbarung über die Vergütung von Liegendfahrten verpflichtet ist. Zur Begründung nimmt der Senat nach §
153 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auf die Ausführungen des Sozialgerichts im Urteil vom 22. Juli 2010 Bezug. Klarstellend wird im Hinblick auf das Vorbringen
im Berufungsverfahren auf Folgendes hingewiesen:
Das Sozialgericht geht zu Recht davon aus, dass die Genehmigung des Klägers nach § 49 BPefG für die in Frage stehenden Liegendfahrten
ausreichend ist. Eine Genehmigung nach § 23 ThürRettG ist nicht erforderlich, weil der Anwendungsbereich des ThürRettG nicht
eröffnet ist.
Das ThürRettG gilt nicht für Krankenfahrten (§ 2 Nr. 1 ThürRettG). Krankenfahrt ist die Beförderung von kranken Personen,
die nach ärztlicher Beurteilung weder einer fachgerechten Betreuung und Hilfeleistung noch einer Beförderung in einem Rettungsmittel
bedürfen (§ 3 Abs. 1 ThürRettG). Hiervon ist der Krankentransport zu unterscheiden. Krankentransport ist die Beförderung sonstiger
kranker, verletzter oder hilfsbedürftiger Personen, die nach ärztlicher Beurteilung während des Transports der fachgerechten
medizinischen Betreuung oder eines besonders ausgestatteten Rettungsmittels bedürfen oder bei denen dies aufgrund ihres Zustands
zu erwarten ist (§ 3 Abs. 4 ThürRettG). Im Gegensatz zu Krankenfahrten findet auf Krankentransporte nur das ThürRettG, nicht
aber das PBefG Anwendung, da es nicht für Beförderungen mit Krankenkraftwagen gilt, wenn damit kranke, verletzte oder sonstige hilfsbedürftige
Personen befördert werden, die während der Fahrt einer medizinisch fachlichen Betreuung oder der besonderen Einrichtung des
Krankenkraftwagens bedürfen oder bei denen solches auf Grund ihres Zustandes zu erwarten ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 PBefG).
Das entscheidende Kriterium bei dem Transport einer kranken oder hilfsbedürftigen Person und bei der Frage, ob dieser mit
einem Krankentransportwagen (im rettungsrechtlichen Sinne) erfolgen muss oder mit einem nach dem PBefG genehmigten Mietwagen durchgeführt werden kann, ist demnach, ob die zu transportierende Person einer medizinisch fachlichen
Betreuung bedarf oder möglicherweise bedarf (vgl. Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. April 2008
- Az.: 13 A 2457/05; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Juli 2010 - Az.: 7 A 10489/10, jeweils nach juris). Diese Betreuung muss entweder durch entsprechend qualifiziertes Personal oder durch die besondere Einrichtung
des Krankenkraftwagens bzw. des Rettungsmittels erfolgen.
Unter Beachtung dieser Grundsätze bietet der Kläger für die Versicherten der Beklagten Krankenfahrten und keine Krankentransporte
an. Er will ersichtlich nur Personen transportieren, die während des Transports keiner medizinisch fachlichen Betreuung durch
entsprechend qualifiziertes Personal bedürfen. Es ist nicht erkennbar, dass für sie die besondere Einrichtung eines Krankenkraftwagens
erforderlich ist. Eine besondere Einrichtung liegt nur dann vor, wenn sie ausschließlich in Krankenkraftwagen bzw. Rettungsmitteln
vorhanden ist und medizinischen fachlichen Zwecken dient. Der Unterschied zur ersten Alternative besteht also darin, dass
die medizinische Betreuung nicht durch besonders qualifiziertes Personal, sondern durch die Einrichtung des Fahrzeugs selbst
erfolgt. Die einzige Besonderheit in den Fahrzeugen des Klägers ist aber nur der Umstand, dass eine Liege vorhanden ist. Das
bloße Vorhandensein einer Liege dient aber nicht der medizinischen Betreuung und erfüllt auch sonst keinen medizinisch fachlichen
Zweck. Es handelt sich nur um eine besondere Transportform.
Entgegen der Auffassung der Beklagten führt allein der Liegendtransport noch nicht dazu, von einem Krankentransport im Sinne
des ThürRettG auszugehen. Zwar findet sich in den Gesetzesmaterialen (BT-Drs. 11/4224 S. 6) tatsächlich der Hinweis, dass
Patientenfahrten im Sitzen auch künftig unter das PBefG fallen sollen. Ein Hinweis darauf, dass im Umkehrschluss Patientenfahrten im Liegen nicht vom PBefG erfasst sein sollen, lässt sich den Gesetzesmaterialen jedoch nicht entnehmen. Auch im Gesetzestext hat die Unterscheidung
zwischen Fahrten im Sitzen und Fahrten im Liegen keinen Niederschlag gefunden. Nach diesem bleiben für den Bereich der Mietwagenfahrten
die Fahrten, bei denen die beförderte Person nicht in irgendeiner Weise auf medizinisch fachliche Betreuung angewiesen ist
und/oder der besonderen Einrichtungen eines Krankentransportwagens bedarf, die Transporteinrichtungen des Fahrzeugs also praktisch
ohne fremde Hilfe und ohne Betreuung (durch ausgebildetes Rettungspersonal) (be-)nutzen kann. Sobald nach ärztlicher Anordnung
bei einem Transport eine Betreuung der zu befördernden Person durch ärztliches oder anderes im Rettungsdienst mit medizinischer
Tätigkeit betrautes Personal erforderlich oder möglicherweise erforderlich ist, muss der Transport mit einem Krankenkraftwagen
im rettungsrechtlichen Sinne und entsprechendem Rettungspersonal erfolgen und ist ein Transport mit einem Mietwagen, bei dem
rettungsrechtlich geschultes Fahrerpersonal regelmäßig nicht eingesetzt wird, gesetzlich ausgeschlossen und damit unzulässig.
Die Unterscheidung bei den Beförderungsarten nach "Liegend-Transport" (für Krankentransporte mit Krankenkraftwagen) und "Sitzend-Transport"
(für Krankenbeförderungen mit Taxi oder Mietwagen) ist kein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen qualifizierten Krankentransport
und Transporten mit Mietwagen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. April 2008 - Az.: 13 A 2457/05, nach juris).
Die Beklagte kann auch im Hinblick auf die straßenverkehrsrechtliche Zulässigkeit einen Vertragschluss nicht verweigern. Zwar
kann dem Kraftfahrtbundesamt bzw. dem Sächsischen Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr zugestimmt werden,
dass Fahrzeuge wie die des Klägers grundsätzlich nicht zugelassen werden dürfen. Nach § 70 Abs. 1 Nr. 2 StVZO können die zuständigen obersten Landesbehörden oder die von ihnen bestimmten oder nach Landesrecht zuständigen Stellen aber
von allen Vorschriften der StVZO Ausnahmen genehmigen, wie dies im Fall des Fahrzeugs G-CX 774 wohl auch geschehen ist. Von der Möglichkeit einer Ausnahmegenehmigung
geht im Übrigen auch das Kraftfahrtbundesamt aus. Es bleibt der Beklagten unbenommen, in einer Vergütungsvereinbarung mit
dem Kläger festzulegen, dass abrechenbare Fahrten nur mit entsprechend zugelassen Fahrzeugen erfolgen dürfen. Auf diese Weise
ist hinreichend sichergestellt, dass Verstöße gegen das Straßenverkehrsrecht ausgeschlossen sind. Eine grundsätzliche Ablehnung
des Vertragschlusses mit dem Kläger ist dagegen unverhältnismäßig.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.