Kein Anordnungsgrund im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im sozialgerichtlichen Verfahren bei Leistungen für die
Vergangenheit
Gründe:
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Beschwerdegegner ab dem 11. November 2013 Anspruch auf Krankengeld hat.
Der 1982 geborene Beschwerdegegner bewohnt mit seiner Ehefrau und zwei gemeinsamen Kindern ein Haus in T., dessen Miteigentümer
er ist. Er war selbständig tätig und gab nach einer Aktennotiz in einem Telefongespräch am 8. Januar 2014 gegenüber der Beschwerdeführerin
an, dass sein Gewerbe bis Ende 2014 ruhe, Betriebsvermögen und Grundbesitz seien aber vorhanden. Er habe aus diesem Grund
kein Arbeitslosengeld II beantragt.
Ab 2. September 2013 schloss er mit A. G., Inhaber der lederhosenreinigung.de, einen Arbeitsvertrag. Die Gemeinschaftspraxis
Dipl.-Med. K. und Dr. R.-F. bestätigten am 27. September 2013 ab 13. September 2013 Arbeitsunfähigkeit. Die letzte Feststellung
erstreckt sich bis 4. März 2014. Ab dann soll er zur weiteren Behandlung in das Bezirksklinikum R. für die Dauer von vier
bis sechs Wochen eingewiesen werden.
Die Beschwerdeführerin stellte mit Bescheid vom 4. November 2013 fest, dass für den Beschwerdegegner ab 2. September 2013
Versicherungspflicht zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie zur Arbeitsförderung als Arbeitnehmer der lederhosenreinigung.de
besteht. Mit Schreiben vom 5. November 2013 wies sie den Beschwerdegegner darauf hin, dass er nach dem Ende der gesetzlichen
Entgeltfortzahlung für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit Entgeltersatzleistungen erhalten könne, die Auszahlscheine seien hierfür
vorzulegen.
Die Beschwerdeführerin zahlte ab 11. November 2013 kein Krankengeld. Mit Schriftsatz vom 17. Dezember 2013, eingegangen am
19. Dezember 2013, hat der Beschwerdegegner beim Sozialgericht Altenburg im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt, die
Beschwerdeführerin zur Zahlung von Krankengeld ab dem 11. November 2013 zu verpflichten. Die Beschwerdeführerin hob mit Bescheid
vom 20. Dezember 2013 den Bescheid vom 4. November 2013 hinsichtlich der Versicherungspflicht nach § 45 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) auf und lehnte die Zahlung von Krankengeld ab 11. November 2013 ab. Gleichzeitig hörte sie den Beschwerdegegner zur geplanten
Aufhebung der Krankengeldbewilligung und Rückforderung für den Zeitraum 14. bis 29. September 2013 an. Sie gehe davon aus,
dass es sich um einen Scheinarbeitsvertrag handle. Gegen diesen Bescheid legte der Beschwerdegegner unter dem 2. Januar 2014
Widerspruch ein, über den noch nicht entschieden wurde.
Das Sozialgericht hat die Beschwerdeführerin mit Beschluss vom 14. Januar 2014 für die Zeit vom 11. November 2013 bis 14.
Januar 2014 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, Krankengeld zu gewähren. Ein Anordnungsanspruch ergebe sich
bereits daraus, dass die Beschwerdeführerin den Beschwerdegegner vor Erlass des Bescheides vom 20. Dezember 2013 nicht ordnungsgemäß
angehört habe. Ein Anordnungsgrund liege vor, weil der Beschwerdegegner nicht auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende
verwiesen werden könne.
Am 21. Januar 2014 hat die Beschwerdeführerin Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, dass weder ein Anordnungsanspruch
noch ein Anordnungsgrund gegeben sind. Sie habe den Beschwerdegegner auf dessen Wunsch per E-Mail am 9. Dezember 2013 angehört.
Dieser habe einen Scheinarbeitsvertrag abgeschlossen nur um einen Krankengeldanspruch zu erlangen. Ein Anordnungsgrund bestehe
keinesfalls für Zeiten vor Eingang des Antrags beim Sozialgericht; auch danach sei keine Eilbedürftigkeit gegeben, weil der
Beschwerdegegner auf die vorhandenen finanziellen Mittel sowie das Vermögen verwiesen werden könne. Es sei im Übrigen allenfalls
von einer Bedürftigkeit von 315,54 EUR auszugehen. Krankenversicherungsschutz sei über die Familienversicherung gewährleistet.
Die Beschwerdeführerin beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Januar 2014 aufzuheben und den Antrag des Beschwerdegegners auf Gewährung
von Krankengeld vom 19. November 2013 bis zum 14. Januar 2014 abzulehnen, hilfsweise die Höhe der vorläufigen Krankengeldzahlung
auf 315,54 EUR zu begrenzen und von einer Sicherheitsleistung abhängig machen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen und der Beschwerdeführerin aufzugeben, ihm Krankengeld für die Zeit vom 11. November 2013 bis
zum 4. März 2014 bzw. darüber hinaus bis zur Entlassung aus der Bezirksklinik R. zu gewähren.
Er bestreitet das Vorliegen eines Scheinarbeitsvertrags. Daher stehe ihm der Anspruch auf Krankengeld zu. Eilbedürftigkeit
sei gegeben. Die Verwertung des Betriebsvermögens aus dem ruhenden Gewerbe sei aus rechtlichen Gründen nicht möglich, da er
hierfür wieder unternehmerisch aktiv werden müsste. Dies sei einer Arbeitsaufnahme gleichzusetzten, die ihm gesundheitlich
nicht möglich sei. Auch sei der Krankenversicherungsschutz gefährdet: Die Voraussetzungen einer Familienversicherung lägen
nicht vor.
Der Beschwerdegegner hat im Beschwerdeverfahren weitere Auszahlscheine vorgelegt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird ergänzend auf den Inhalt der Beschwerdeakte und der beigezogenen
Verwaltungsakte der Beschwerdegegnerin Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist nach §§
172 Abs.
1,
173 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässig und begründet. Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung lagen zum Zeitpunkt der Entscheidung
des Sozialgerichts nicht vor, denn es fehlt jedenfalls an einem Anordnungsgrund. Hinsichtlich des Zeitraums ab 15. Januar
2014 ist der Antrag des Beschwerdegegners als Antragserweiterung auszulegen, da ohne Änderung des Antragsgrundes der Antrag
hinsichtlich des Zeitraums erweitert wird. In entsprechender Anwendung des §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG ist hierfür weder die Einwilligung der übrigen Beteiligten noch die Sachdienlichkeit erforderlich. Für den Beschwerdegegner
ist eine solche Antragserweiterung nur im Wege einer Anschlussbeschwerde nach §
202 SGG i.V.m. §
567 Abs.
3 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) möglich (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, vor §
172 Rn. 4a). Der sinnentsprechend auszulegende Antrag des Beschwerdegegners ist unbegründet, weil es auch insoweit an einem Anordnungsgrund
fehlt.
Nach §
86 b Absatz
2 Satz 2
SGG in der ab dem 2. Januar 2002 gültigen Fassung kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug
auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung
eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind
auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung
zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2).
Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §§
920 Abs.
2,
294 Abs.
1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§
103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren
streitige materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, wenn es für
den Beschwerdeführer unzumutbar erscheint, auf den rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden.
Ist die Klage offensichtlich zulässig und begründet, vermindern sich die Anforderungen an den Anordnungsgrund, ohne dass auf
ihn aber verzichtet werden kann (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
86b Rn. 29). Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist eine umfassende Interessenabwägung erforderlich, wobei die Intensität
einer drohenden Verletzung von Grundrechten, die wirtschaftlichen Verhältnisse, unbillige Härten und die Mitverantwortung
des Antragstellers einzubeziehen sind (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
86b Rn. 29a).
Der Ausgang des Hauptsacheverfahrens ist offen. Ob der Beschwerdegegner einen Anspruch auf Krankengeld hat, kann noch nicht
festgestellt werden. Hierfür ist eine umfassende Beweisaufnahme durch Beiziehung aller relevanten Unterlagen sowie ggf. der
Vernehmung des Arbeitgebers erforderlich. Weiterhin ist entgegen der Auffassung des Sozialgerichts noch ungeklärt, ob eine
wirksame Anhörung erforderlich war und ob sie nicht bereits durch die E-Mail vom 9. Dezember 2013 bzw. im Rahmen des Widerspruchsverfahrens
durchgeführt wurde. Die bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens notwendige umfassende Interessenabwägung führt hier dazu,
dass dem Beschwerdegegner ein Zuwarten bis zur Entscheidung in der Hauptsache zugemutet werden kann.
Ein Anordnungsgrund kommt keinesfalls für die Zeit vom 11. November 2013 bis 18. Dezember 2013 in Betracht. Sinn der einstweiligen
Anordnung ist es, für die Zukunft eine Regelung zu treffen, bei Geldleistungen für die Vergangenheit, also für Zeiten vor
Eingang des Antrags bei Gericht, fehlt deshalb in aller Regel der Anordnungsgrund (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, §
86b Rn. 29a). Ausnahmen kommen nur in Betracht, wenn ein Nachholbedarf erkennbar ist (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 7. Mai
2009 - L 9 AS 763/08 ER), was hier nicht der Fall ist.
Auch für die Zeit ab 19. Dezember 2013 ist ein Anordnungsgrund nicht gegeben. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass bereits
nach den eigenen Angaben des Beschwerdegegners Vermögen vorhanden ist, was ihn davon abgehalten hat, Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitssuchende zu beantragen. Es ist nicht ersichtlich, warum ihm eine Verwertung rechtlich oder tatsächlich nicht möglich
sein soll. Selbst wenn er krankheitsbedingt eine Verwertung nicht selbst vornehmen könnte, bestünde die Möglichkeit, einen
Dritten zu beauftragen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Verwertung eine besondere Härte darstellen würde. Schon der
lange Zeitraum des Ruhens spricht dagegen, dass in absehbarer Zeit eine Wiederaufnahme des Gewerbes erfolgen wird.
Ein Anordnungsgrund ergibt sich letztlich auch nicht aus einem fehlenden Krankenversicherungsschutz. Die Beschwerdeführerin
erkennt selbst das Vorliegen der Voraussetzungen einer Familienversicherung an. Damit ist eine Krankenbehandlung gewährleistet.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).