Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Pflicht der Beklagten zur Versorgung der Klägerin mit einem Therapiefahrrad einschließlich
Zubehör streitig.
Die im Jahr 1987 geborene Klägerin leidet an einer komplexen Mehrfachbehinderung in Folge einer Hämophilus-Meningitis, an
einer schweren Intelligenzminderung vom Grad einer geistigen Behinderung, an einer symptomatischen Epilepsie sowie an Adipositas.
Im März 2004 beantragte die Mutter der Klägerin als deren gesetzliche Vertreterin bei der Beklagten die Versorgung mit einem
Dreirad-Tandem "Duo-Novum", 26 Zoll, der W. GmbH G. nebst Zubehör (Rückenlehne, Fußstütze mit Fixierung). Dem Antrag war eine
entsprechende ärztliche Verordnung von Dr. B. vom 17. Februar 2004 und ein Kostenvoranschlag der J. Orthopädie KG über 3.571,52
Euro beigefügt.
Mit Bescheid vom 6. April 2004 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, dass eine Hilfsmittelversorgung mit Fahr-
oder Dreirädern für Jugendliche ab dem vollendeten 15. Lebensjahr und für Erwachsene nicht in Betracht komme, da hier die
Spezialräder primär der Fortbewegung dienten, ohne dass derartige Hilfsmittel die hohen therapeutischen Anforderungen wie
bei einem Kind erfüllten. Die frühkindliche Entwicklung der Klägerin sei bereits abgeschlossen und zur Therapie der Erkrankung
stünden "andere zielgerichtetere und wirtschaftlichere Behandlungsmaßnahmen zur Verfügung (z.B. Maßnahmen der physikalischen
oder Ergo -Therapie)".
Den Widerspruch vom 15. Mai 2004 begründete die gesetzliche Vertreterin der Klägerin im Wesentlichen damit, dass das beantragte
Rad zur körperlichen Bewegung benutzt werden soll. Dies sei als Vorbeugemaßnahme "hinsichtlich eines möglichen Herz-Kreislaufleidens"
förderlich für die Gesundheit der Klägerin. Der gewünschte Effekt, Gewicht und Körperfülle zu verlieren, sei bislang noch
nicht eingetreten. Eine alleinige Ernährungsumstellung könne im Falle der Klägerin nicht zum Erfolg führen. Mit Schreiben
vom 25. Mai 2004 bat Dr. B. die Beklagte um eine Ausnahmeregelung, da die Klägerin zu dem Personenkreis gehöre, für die das
Therapiedreirad der Vergrößerung ihres Aktionsraumes diene und die Möglichkeit eröffne, auch räumliche Erfahrungen und weitere
Sinneseindrücke zu sammeln. Vor allem biete es die Chance, die als träge einzuschätzende Klägerin zu motivieren, sich körperlich
über die begleitenden Therapiemaßnahmen hinaus zu aktivieren, und einer weiteren Adipositasentwicklung mit den daraus resultierenden
Folgeerkrankungen entgegen zu wirken.
Die Beklagte holte daraufhin ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung e.V. (MDK) vom 2. Juli 2004
ein. Dort wurde eingeschätzt, dass ein Therapiedreirad kein geeignetes Mittel sei, um eine psychomotorische Antriebsminderung
einerseits und das Übergewicht andererseits wirksam beeinflussen zu können. Alternativ könne ein wirklicher Therapieansatz
nur in Form der medikamentösen Behandlung des Anfallsleidens mit geringeren oder keinen Auswirkungen auf den psychomotorischen
Antrieb und/oder einer Antrieb steigernden medikamentösen Behandlung bestehen. Eine Gewichtsreduktion bzw. Verhinderung einer
weiteren Gewichtszunahme könne nur unter konsequent fortgesetzter und kontrollierter Diät und regelmäßiger Ernährungsberatung
von Erfolg sein. Mit Bescheid vom 20. Juli 2004 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme erneut unter Bezugnahme
auf das eingeholte MDK-Gutachten ab.
Auch gegen diesen Bescheid legte die gesetzliche Vertreterin der Klägerin mit Schreiben vom 1. August 2004 Widerspruch ein,
den sie u.a. damit begründete, eine Medikamentenumstellung sei nicht möglich.
Die Beklagte wies die Widersprüche mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2004 zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen
aus, die Klägerin sei 17 Jahre alt und habe somit - ebenso wie ein Erwachsener - keinen Anspruch auf Versorgung mit einem
Thrapiefahrrad. Das Radfahren sei bei Jugendlichen im Alter von 17 Jahren nicht mehr erforderlich, um in den Kreis Gleichaltriger
integriert zu werden.
Mit der am 17. Januar 2005 vor dem Sozialgericht Gotha (SG) erhobenen Klage hat die Mutter und nunmehrige Betreuerin der Klägerin geltend gemacht, die Klägerin sei zwar vom Alter her
als Erwachsene anzusehen, leide aber unter einer schweren geistigen Behinderung und sei daher nach wie vor einem Kind gleich
zu stellen. Das beantragte Spezialrad diene nicht primär der Fortbewegung, sondern in erster Linie der Bewegungsentwicklung
und der Unterstützung der krankengymnastischen Behandlung. In der Vergangenheit sei der Klägerin ein Therapierad zur Probe
zur Verfügung gestellt worden. Unter Aufsicht habe sie motiviert werden können, das Therapierad zu nutzen. Es könnten räumliche
Erfahrungen und Sinneseindrücke gesammelt werden, außerdem könne damit zu körperlicher Aktivität motiviert werden, was Folgeerkrankungen
entgegenwirke.
Dem ist die Beklagte entgegengetreten und hat die Auffassung geäußert, dass alternative Methoden zur Gewichtsabnahme existierten.
Die Bereitstellung eines kostenintensiven Therapiefahrrades übersteige das Maß des Notwendigen, zumal beim Fahrradfahren offensichtlich
weniger Kalorien verbraucht würden als beim Gehen. Darüber hinaus sei das Radfahren nur in einem begrenzten Umfeld möglich
und die ständige Anwesenheit einer Begleitperson sei notwendig. Unter diesen Gesichtspunkten seien regelmäßige Spaziergänge
effizienter als Radfahren.
Das SG hat einen Befundbericht von Dr. B. vom 7. Juni 2005 eingeholt, dem mehrere Epikrisen der H. Klinik E. des Epilepsiezentrums
Kork, des M. A., der FSU J. sowie der Reha-Entlassungsbericht der Klinik B. Z. vom 8. Oktober 2004 beigefügt waren. Außerdem
hat das SG Dr. M. mit der Erstellung eines neurologischen Gutachtens beauftragt. Er hat in seinem Gutachten vom 16. April 2007 bei der
Klägerin einen Zustand nach einer entzündlichen Erkrankung des Gehirns diagnostiziert, wobei infolge dieser Erkrankung sowohl
die Fähigkeiten des Gehirns, intellektuelle Leistungen zu vollbringen als auch motorisch koordinativ zu handeln, deutlich
eingeschränkt seien. Zusätzlich bestehe eine Anfallserkrankung mit kleinen und großen Anfällen, wobei die großen Anfälle in
den letzten Monaten nicht mehr auftreten würden. Hinsichtlich der Steuerung der Nahrungsaufnahme sei nur durch äußere Zwänge
eine ausreichende Steuerung der Kalorienzufuhr zu erreichen. Dies sei im Zusammenhang mit der zerebralen Funktionsstörung
als Einschränkung des Sättigungsgefühls und der Fähigkeit, sich im sozialen Kontext auch in Bezug auf die eigene Gesundheitssituation
reflektierend zu verhalten, zu sehen. Es sei mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln der Adipositasentwicklung entgegenzuwirken.
Allein durch ernährungstechnische Maßnahmen sei dies nicht zu erreichen. Sinnvoll seien begleitende Maßnahmen, insbesondere
auch physische Belastungssituationen, die mit dem angestrebten Therapiefahrrad deutlich aktiviert werden könnten.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 25. September 2007 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, das Therapierad
sei nicht erforderlich, um eine Behinderung auszugleichen. Die Klägerin sei in der Lage, zu Fuß zu gehen. Sie könne sich in
der Wohnung bewegen und diese auch z.B. für Spaziergänge verlassen. Zur Teilnahme an Aktivitäten anderen Jugendlicher und
damit zur Integration in die Gruppe Gleichaltriger sei das Therapierad nicht geeignet. Nach den Feststellungen des gerichtlichen
Sachverständigen sei die Klägerin lediglich in der Lage, mit einer Begleitperson in einem beschränkten Umfeld oder überschaubaren
Bereich und nicht im öffentlichen Verkehr auf einem Therapierad zu agieren. Das Dreirad sei der Klägerin vor allem deshalb
ärztlich verordnet worden, um der Adipositasentwicklung entgegen zu wirken. Damit überschreite das Therapierad das Maß des
Notwendigen und sei nicht wirtschaftlich. Zwar sei nach den Feststellungen des Sachverständigen eine Gewichtsreduktion durch
ernährungstechnische Maßnahmen allein nicht zu erreichen. Sinnvoll seien vielmehr begleitende Maßnahmen, insbesondere auch
physische Belastungssituationen, die auch mit dem angestrebten Therapierad aktiviert werden könnten. Jedoch sei ein vergleichbarer
therapeutischer Erfolg auch durch andere ärztliche oder krankengymnastische Behandlungsmaßnahmen sowie durch Spazierengehen
kostengünstiger zu erreichen. Die Klägerin sei augrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht in der Lage allein und schnell
mit dem Fahrrad zu fahren. Der Kalorienverbrauch beim langsamen Radfahren sei aber niedriger als beim Gehen. Es gebe zudem
verschiedene sportliche Betätigungen, wie Schwimmen, Wassergymnastik oder auch die Übungen der Physiotherapie, die mehr Kalorien
verbrauchten als das Radfahren.
Gegen das dem Bevollmächtigten der Klägerin am 25. Oktober 2007 zugestellte Urteil hat die Betreuerin der Klägerin am 1. November
2007 Berufung einlegen und zur Begründung über das im Verwaltungs- und im erstinstanzlichen Verfahren Geltendgemachte hinaus
im Wesentlichen vortragen lassen, dass beim Fahrradfahren mit einer Geschwindigkeit von 20 km/h, die "auch für einen völlig
ungeübten Fahrer ohne weiteres erreichbar" sei, mehr Kalorien verbraucht würden, als beim Gehen. Der Bevollmächtigte hat außerdem
eine Stellungnahme der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. vom 1. Juli 2008 übersandt, wonach das Therapierad
als Motivationshilfe diene, damit sich die Klägerin freiwillig bewege. Eine Physiotherapie sei dazu im Vergleich weniger geeignet.
Zudem könne die Klägerin mit dem Therapierad ihre sozialen Phobien beüben. Außerdem trage dieses zur weiteren Stabilisierung
der Koordination der Bewegung bei und trainiere die Ausdauer. Schließlich hat der Bevollmächtigte auf ein Verfahren vor dem
Sozialgericht Meiningen verwiesen, das mit einer Verurteilung der dort beklagten Krankenkasse zur Versorgung ihres klagenden
Versicherten mit einem Therapiedreirad endete.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 25. September 2007 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung
ihrer Bescheide vom 6. April und vom 20. Juli 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 2004 zu verurteilen,
sie mit einem Therapiedreirad-Tandem "Duo-Novum", 26 Zoll, der W. GmbH G. nebst Zubehör (Rückenlehne, Fußstütze mit Fixierung)
zu versorgen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung stützt sie sich auf das angefochtene Urteil und verweist auf die ergänzende Stellungnahme des Dr. M. vom 10.
März 2008, dem eindeutig zu entnehmen sei, dass andere Behandlungsmaßnahmen in Bezug auf den Kalorienverbrauch besser geeignet
seien, der Adipositas entgegen zu wirken. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; z.B. Beschluss vom 27. Juli
2006 - Az.: B 3 KR 11/06 B sowie Urteile vom 21. November 2002 - Az.: B 3 KR 8/02 R und vom 5. Oktober 2010 - Az.: B 3 KR 5/10 R) gelte der Grundsatz, dass eine fachgerechte Krankengymnastik in der Regel nicht nur ausreichend sei, sondern sogar gezielter
und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung des Behinderten, einschließlich
der Stärkung von Muskulatur, Herz-Kreislauf-System, Lungenfunktion, Körperkoordination und Balancegefühl erreiche. Eine Ausnahme
von diesem Grundsatz lasse das BSG nur dann zu, wenn ein vergleichbarer therapeutischer Erfolg weder durch ärztliche oder
krankengymnastische Behandlungsmaßnahmen, noch durch ein anderes Gerät günstiger zu erreichen sei. Soweit die Klägerin beabsichtige,
das Therapierad für kürzere, im Nahbereich ihrer Wohnung liegende Strecken zu benutzen, scheitere der Anspruch an der fehlenden
Erforderlichkeit der Versorgung, da die Klägerin ausweislich des Gutachtens des Dr. M. ausreichend gehfähig sei. Im Übrigen
sei das Radfahren als spezielle Art der Fortbewegung mit den damit verbundenen Effekten hinsichtlich Geschwindigkeit und sportlicher
Betätigung nicht als Grundbedürfnis anerkannt. Außerdem sei zu bezweifeln, dass das Radfahren eine sichere Alternative sei,
da Dr. M. darauf hinweise, dass die Fähigkeit der Klägerin, selbständig zu gehen oder mit Angehörigen Spaziergänge zu unternehmen,
reduziert sei, zumal auch ein Anfallsleiden und somit die Gefahr von plötzlich auftretenden Bewusstseinsstörungen bestünde.
Zur Vorbeugung einer drohenden Behinderung sei das Therapierad ebenfalls nicht geeignet, da es nicht ausreiche, dass aus einer
vorhandenen Krankheit irgendwann in der Zukunft möglicherweise eine Behinderung entstehe oder sich verschlimmere. Zudem fehle
es der beabsichtigten Benutzung des Therapierades im Falle der Klägerin an einem spezifischen Bezug zur ärztlich verordneten
Krankenbehandlung. Schließlich sei der vom Sozialgericht Meinigen entschiedene Fall mit dem vorliegenden nicht vergleichbar,
da die Klägerin hier nur mit einer Begleitperson agieren könne.
In zwei ergänzenden Stellungnahmen vom 10. März und vom 29. Oktober 2008 hat der erstinstanzlich beauftragte Sachverständige
Dr. M. ausgeführt, dass bei der Klägerin ausreichend Eigeninitiative nicht zu erreichen sei, sondern des äußeren Anstoßes
und der Führung bedürfe. Das Gehen sei für die Klägerin deutlich schwerer zu realisieren, als die Nutzung eines Therapierades.
"Natürlich" seien "andere Behandlungsmaßnahmen in Bezug auf den Verbrauch von Energie besser geeignet, der Adipositas entgegen
zu wirken". Zu berücksichtigen bleibe aber die spezielle individuelle Situation der Klägerin, weshalb hier Maßnahmen zum Einsatz
kommen müssten, die über die Regelbehandlung hinausgingen. Eine solche Behandlungsmaßnahme könne der Einsatz eines Therapierades
darstellen, weshalb dies aus nervenärztlicher Sicht dringend erforderlich erscheine. Das Therapierad sei letztlich nicht allein
Instrument der Aktivitätsanregung zur Minderung der Adipositas, sondern diene gleichzeitig als Instrument zu einer, wenn auch
beschränkten Teilhabe an gesellschaftlichen, im familiären Rahmen durchzuführenden Aktivitäten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, denn ihre Klage ist unbegründet und damit abzuweisen. Sie hat keinen
Anspruch gegen die Beklagte auf Versorgung mit dem begehrten Therapiedreirad.
Maßgebende Vorschrift für die behauptete Leistungspflicht der Beklagten im Bereich der Hilfsmittelversorgung ist §
33 Abs.
1 Satz 1 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V). Danach haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln,
die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg einer Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen
oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens
anzusehen oder nach §
34 Abs.
4 SGB V ausgeschlossen sind. Dabei besteht ein Anspruch auf Versorgung im Hinblick auf "die Erforderlichkeit im Einzelfall" nur,
soweit das begehrte Hilfsmittel geeignet, ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich ist und das Maß des Notwendigen nicht
überschreitet; darüber hinausgehende Leistungen darf die Krankenkasse gemäß §
12 Abs.
1 SGB V nicht bewilligen. Dagegen ist weder die vertragsärztliche Verordnung (§
73 Abs.
2 Satz 1 Nr.
7 SGB V) des begehrten Hilfsmittels noch seine Listung im Hilfsmittelverzeichnis (§
139 SGB V) Voraussetzung für die Leistungspflicht der beklagten Krankenkasse (ständige Rspr. des Bundessozialgerichts [BSG], vgl. zuletzt
Urteile vom 18. Mai 2011 - Az.: B 3 KR 12/10 R und B 3 KR 7/10 R, jeweils nach juris und m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze besteht ein gegen die Beklagte gerichteter Anspruch auf Versorgung mit einem Therapiedreirad
als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung weder unter dem Gesichtspunkt des Behinderungsausgleichs (vgl. unter
b), noch der Vorbeugung einer drohenden Behinderung (s.u. c), noch der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung (dazu
unter a).
Einem Therapiedreirad kann in Bezug auf erwachsene Versicherte allerdings nicht bereits die Eigenschaft als Hilfsmittel i.S.
von §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V abgesprochen werden. Die dort genannten und oben zitierten Voraussetzungen erfüllt das Therapiedreirad grundsätzlich, denn
die Hilfsmitteleigenschaft wird allein nach objektiven Kriterien bestimmt. Personenbezogene Merkmale, wie z.B. das Alter des
Versicherten, sind hierfür nicht maßgebend (vgl. BSG, Urteile vom 18. Mai 2011, aaO.). Fraglich ist im vorliegenden Fall indes,
ob das Therapiedreirad-Tandem nicht bereits deshalb als Hilfsmittel ausscheidet, weil es als allgemeiner Gebrauchsgegenstand
des täglichen Lebens anzusehen sein könnte, der dem Versicherten eine Mobilität ermöglicht, die über den durch Leistungen
der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewährleistenden Bereich der medizinischen Rehabilitation hinausgeht.
a) Jedenfalls aber ist das von der Klägerin begehrte Therapiedreirad als Hilfsmittel zum einen nicht zur Sicherung des Erfolges
einer Krankenbehandlung (§
33 Abs.
1 Satz 1 Alt. 1
SGB V) erforderlich.
Der Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung dient ein sächliches Mittel, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich
verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen. Dabei kommt nur solchen Maßnahmen zur körperlichen
Mobilisation ein Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung i.S. von §
27 SGB V zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche
oder ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung i.S. der Behandlungsziele des §
27 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Diese Voraussetzungen liegen bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung vor, wenn der Versicherte
aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der physikalischen Therapie hat und die durch das beanspruchte
Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz
infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010 - Az.: B 3 KR 7/10 R, nach juris).
Im Falle der Klägerin fehlt der Versorgung mit dem Therapiedreirad-Tandem bereits der erforderliche Bezug zu einer ärztlich
verantworteten Krankenbehandlung, da die Verordnung nicht in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen
Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche oder ärztlich angeleitete Leistungserbringer steht und für die gezielte
Versorgung i.S. der Behandlungsziele des §
27 SGB V als erforderlich anzusehen ist. Die Verordnung des Therapiedreirad-Tandems steht gerade nicht in einem solchen engen Zusammenhang
zur Behandlung des bestehenden Zustands der Klägerin nach einer entzündlichen Erkrankung ihres Gehirns im Sinne einer deutlichen
Einschränkung der Fähigkeiten, intellektuelle Leistungen zu vollbringen und auch motorisch koordinativ zu handeln. Sie soll
nach entsprechender Auskunft des verschreibenden Arztes vielmehr neben der Vergrößerung des Aktionsraumes und der Eröffnung
der Möglichkeit, räumliche Erfahrungen und weitere Sinneseindrücke zu sammeln, der Verhinderung der weiteren Adipositasentwicklung
mit den daraus resultierenden Folgeerkrankungen dienen.
Damit soll das verordnete Hilfsmittel einer weiteren Erkrankung vorbeugen, nicht aber eine vorhandene Erkrankung behandeln
helfen. Lediglich ergänzend ist hier anzumerken, dass in Übereinstimmung mit der Beklagten selbst die mit dem Therapiedreirad-Tandem
bezweckte Vorbeugung fraglich ist. Ob die durch die Klägerin bei dem einmaligen Probegebrauch eines Therapiedreirades gezeigte
Motivation sich zu bewegen, nachhaltig ist, oder nach mehrmaligem Gebrauch infolge Gewöhnung wieder schwindet, ist völlig
offen. Aber selbst wenn die Motivation nachhaltig sein sollte, so stellt sich angesichts der Witterungsabhängigkeit des Gebrauchs
des Therapiedreirad-Tandems die weitere Frage der Wirksamkeit im Sinne des bezweckten Aufhaltens der Adipositasentwicklung.
Nach Überzeugung des Senats kann in der begehrten Nutzung des Therapiedreirad-Tandems allenfalls ein - untergeordneter - Beitrag
zu dem Bemühen gesehen werden, die weitere Adipositasentwicklung mit den daraus resultierenden Folgeerkrankungen zu verhindern.
Dem Einwand der Klägerseite, dass beim Fahrradfahren mehr Kalorien verbraucht würden, als beim Gehen, kann der Senat nicht
in der Allgemeingültigkeit zustimmen. Dies hängt in erster Linie von der Intensität der Nutzung des Fahrrades ab. Bei der
Klägerin ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass sie das Therapiedreirad-Tandem nicht allein, sondern nur unter
Aufsicht nutzen kann, so dass bei einer Begleitung auf dem Tandem der Trainingseffekt und auch der Kalorienverbrauch bei der
Klägerin wesentlich vom körperlichen Einsatz der Begleit- bzw. Aufsichtsperson abhängt. Der Senat verweist in diesem Zusammenhang
zudem auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. M., wonach "natürlich (...) andere Behandlungsmaßnahmen in Bezug auf den
Verbrauch von Energie besser geeignet (seien), der Adipositas entgegen zu wirken". Letztlich steht die (bessere) Eignung des
Therapiedreirad-Tandems in Übereinstimmung mit der Beklagten auch deshalb in Frage, weil, wie Dr. M. in seiner ergänzenden
Stellungnahme vom 10. März 2008 betont, aufgrund des Anfallsleidens der Klägerin "natürlich die Gefahr von plötzlich auftretenden
Bewusstseinsstörungen" bestehe. Ob dieser Gefahr und den hieraus zu befürchtenden Folgen bei einer intensiven Nutzung des
Therapiedreirad-Tandems adäquat begegnet werden kann, bezweifelt der Senat. Dass das Therapiedreirad-Tandem, wie die Fachärztin
für Neurologie und Psychiatrie Dr. K. in ihrem Schreiben vom 1. Juli 2008 meint, zur weiteren Stabilisierung der Koordination
der Bewegung beitrage, die Ausdauer trainiere und die sozialen Phobien der Klägerin beüben helfe, ist hier nicht von Belang,
da dies allenfalls Nebenfolgen einer Nutzung des Hilfsmittels sind, nicht aber den Hauptzweck dessen Verordnung darstellen.
b) Des Weiteren ist das begehrte Therapiedreirad auch nicht zum Ausgleich einer Behinderung (§
33 Abs.
1 Satz 1 Alt. 3
SGB V) erforderlich.
Der Behinderungsausgleich hat grundsätzlich zwei Zielrichtungen: Im Vordergrund steht der Ausgleich der ausgefallenen oder
beeinträchtigten Körperfunktion selbst. Bei diesem sog unmittelbaren Behinderungsausgleich gilt das Gebot eines möglichst
weitgehenden Ausgleichs des Funktionsdefizits, und zwar unter Berücksichtigung des aktuellen Stands des medizinischen und
technischen Fortschritts. Daneben können Hilfsmittel den Zweck haben, die direkten und indirekten Folgen der Behinderung auszugleichen.
Im Rahmen dieses sog. mittelbaren Behinderungsausgleichs geht es nicht um einen Ausgleich im Sinne des vollständigen Gleichziehens
mit den Möglichkeiten eines nicht behinderten Menschen, da Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung in allen Fällen allein
die medizinische Rehabilitation ist (vgl. §
1 SGB V, §
6 Abs.
1 Nr.
1 i.V.m. §
5 Nr. 1 und 3 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch [SGB IX]), also die möglichst weitgehende Wiederherstellung der Gesundheit
und der Organfunktionen einschließlich der Sicherung des Behandlungserfolges, um ein selbstständiges Leben führen und die
Anforderungen des Alltags meistern zu können. Eine darüber hinausgehende berufliche oder soziale Rehabilitation ist hingegen
Aufgabe anderer Sozialleistungssysteme. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist daher von der gesetzlichen
Krankenversicherung nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert
und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens, wie z.B. das Gehen, Stehen, Sitzen, Liegen, Greifen, Sehen,
Hören, Nahrungsaufnehmen, Ausscheiden, die elementare Körperpflege, das selbstständige Wohnen sowie die Erschließung eines
gewissen körperlichen und geistigen Freiraums, betrifft (ständige Rspr. des BSG, zuletzt: Urteile vom Urteile vom 18. Mai
2011, aaO., und vom 10. März 2011 - Az.: B 3 KR 9/10 R, jeweils m.w.N.).
In Anwendung dieser Grundsätze könnte es sich bei der von der Klägerin begehrten Versorgung mit dem Therapiedreirad-Tandem
nur um eine Maßnahme des mittelbaren Behinderungsausgleichs handeln. Jedoch ist die Klägerin nach sämtlichen vorliegenden
medizinischen Stellungnahmen, insbesondere dem Sachverständigengutachten des Dr. M., "ausreichend gehfähig", weshalb das Therapiedreirad-Tandem
auch hauptsächlich dazu dienen soll, die Klägerin zu körperlichen Aktivitäten zu motivieren. Damit betrifft die Versorgung
der Klägerin mit dem Therapiedreirad-Tandem aber ersichtlich kein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens im oben
genannten Sinne, da das Gehen bzw. das Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums bei der Klägerin nicht unmittelbar
durch ihre Behinderung in entscheidungserheblichem Maße eingeschränkt, sondern im Wesentlichen davon beeinflusst wird, wie
sie hierzu motiviert werden kann. Soweit von Klägerseite darüber hinaus vorgetragen wird, dass das Therapiedreirad-Tandem
außerdem die Möglichkeit eröffne, räumliche Erfahrungen und neue Sinneseindrücke zu sammeln, sowie gleichzeitig als Instrument
zu einer, wenn auch beschränkten Teilhabe an gesellschaftlichen, im familiären Rahmen durchzuführenden Aktivitäten diene,
gilt auch hierfür das oben Gesagt entsprechend, denn auch diese Bedürfnisse, soweit man sie überhaupt zu den allgemeinen Grundbedürfnissen
des täglichen Lebens zählen will, werden nicht durch die Behinderung der Klägerin, sondern von deren Motivationsfähigkeit
limitiert.
c) Schließlich dient das begehrte Therapiedreirad nicht der Vorbeugung gegen eine drohende Behinderung (2. Alternative des
§
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V). Es reicht zur Erfüllung der Voraussetzungen dieser Alternative nämlich nicht aus, dass eine vorhandene Krankheit irgendwann
einmal in der Zukunft zu einer Behinderung führen, sich also ein abstrakt-theoretisches Behinderungsrisiko verwirklichen könnte.
Vielmehr muss hierbei ein konkretes Behinderungsrisiko bestehen. Dies setzt voraus, dass nicht irgendeine Form einer Behinderung
denkbar erscheint, sondern eine ganz bestimmte Art der Behinderung zu erwarten ist, die bei einer bestimmten Erkrankung typischerweise
als Folge eintreten kann (sachliche Komponente). Diese Folge muss auch "drohen" (zeitliche Komponente). Eine Behinderung "droht"
erst, wenn ein bestimmtes Krankheitsbild bei natürlichem Verlauf in absehbarer Zeit unter den Gegebenheiten des Einzelfalls
mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Dauerzustand in Form einer sonst nicht mehr behebbaren konkreten Funktionseinschränkung
führen kann. Ärztliche Maßnahmen jeder Art, die diesen natürlichen Verlauf verhindern können, dienen der Vorbeugung gegen
eine drohende Behinderung. (vgl. BSG, Urteil vom 22. April 2009 - Az.: B 3 KR 11/07 R).
Im Falle der Klägerin droht nach Überzeugung des Senats keine Behinderung in dem genannten Sinne, der durch das Therapiedreirad-Tandem
vorgebeugt werden könnte. So ist der Beklagten zuzustimmen, dass derzeit konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt einer Behinderung
durch die bestehende Adipositas der Klägerin in absehbarer Zeit nicht ersichtlich sind. Zwar teilt der Senat die Auffassung
des verordnenden Arztes Dr. B., dass der Adipositasentwicklung bei der Klägerin mit den daraus resultierenden Folgeerkrankungen
entgegen gewirkt werden muss. Doch zum einen steht noch gar nicht fest, welche Folgeerkrankungen bei der Klägerin dann tatsächlich
eintreten und wann dies der Fall sein wird. Außerdem ist es für den Senat fraglich, ob das begehrte Therapiedreirad-Tandem
das geeignete Mittel für diesen Zweck darstellt. Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die entsprechenden
Ausführungen oben unter a) und b) Bezug genommen.
Letztlich verhilft auch der mit der Berufung erfolgte Verweis auf ein Verfahren vor dem Sozialgericht Meiningen, das mit einer
Verurteilung der dort beklagten Krankenkasse zur Versorgung ihres klagenden Versicherten mit einem Therapiedreirad endete,
nicht zum Erfolg der Berufung der Klägerin, da die Frage der Erforderlichkeit der Hilfsmittelversorgung von der jeweiligen
konkreten Situation des Versicherten abhängt. Allein die Vergleichbarkeit des Hilfsmittels in beiden Fällen begründet noch
nicht die Notwendigkeit der Versorgung hiermit.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 Nr.1, 2
SGG).