Festsetzung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft im sozialgerichtlichen Verfahren im Wege der Vollstreckung wegen Verstoßes
einer Krankenkasse gegen ein Werbeverbot
Gründe:
I. Der Antragsteller begehrt im Wege der Vollstreckung die Festsetzung von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft gegen die Antragsgegnerin
wegen Zuwiderhandlung gegen den Beschluss des Senats vom 23. Dezember 2009 - Az.: L 6 KR 331/09 ER, den Beteiligten zugestellt am 13. Januar 2010. Dort untersagte der Senat der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen
Anordnung unter Androhung eines Ordnungsgelds von bis zu 250.000,00 Euro für jeden Fall des Zuwiderhandelns, ersatzweise von
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im geschäftlichen Verkehr ihre im Freistaat Thüringen wohnhaften Mitglieder durch schriftliche
Werbung wie im Schreiben vom 9. Juni 2008 dahingehend zu beeinflussen, dass diese ihre zu Lasten der Antragsgegnerin verordneten
Medikamente über die E. beziehen.
Am 8. März 2012 hat der Antragsteller beim Thüringer Landessozialgericht beantragt, die Antragsgegnerin zu einem Ordnungsgeld
bzw. zu Ordnungshaft zu verurteilen. Sie habe Anfang Februar 2012 an ihre Versicherten auch in Thüringen einen Infobrief mit
der Überschrift "Unser Vertragspartner: Die E." versandt und darauf hingewiesen, dass beim Bezug von Arzneimitteln über die
E. Einsparvorteile genutzt werden könnten. Damit habe die Antragsgegnerin gegen den Beschluss vom 23. Dezember 2009, der immer
noch gelte, weil das Hauptsacheverfahren - Az.: L 6 KR 151/09 noch nicht abgeschlossen sei, verstoßen. Er hat zwei Schreiben der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2012 an Versicherte überreicht.
Mit Beschluss vom 17. April 2012 (Az.: L 6 KR 387/12) hat der Senat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten an das funktionell zuständige Sozialgericht Gotha zur Entscheidung
verwiesen.
Mit Urteil vom 27. November 2012 hat der Senat in der Hauptsache Az.: L 6 KR 151/09 die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 20. Januar 2009 zurückgewiesen.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Beschluss vom 8. Januar 2013 den Antrag auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes bzw. Ordnungshaft abgelehnt. Der Bestrafungsanspruch
des Antragstellers sei jedenfalls nach Art. 9 des Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch (EGStGB), der über §
890 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) i.V.m. §
198 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) Anwendung finde, verjährt. Die Verjährungsfrist betrage zwei Jahre und beginne, sobald die Handlung beendet sei. Die Verjährung
schließe die Festsetzung von Ordnungsgeld und Ordnungshaft aus. Die Verjährungsfrist für die der Antragsgegnerin untersagte
Werbehandlung durch ihre Mitgliederinformationen mit Schreiben vom 9. Juni 2008 sei damit am 9. Juni 2010 abgelaufen. Insofern
bestehe angesichts der behaupteten Zuwiderhandlung im Februar 2012 wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung kein Bestrafungsanspruch
mehr.
Hiergegen hat der Antragsteller am 11. Februar 2013 Beschwerde eingelegt. Die Verfolgungsverjährung habe erst nach dem Schreiben
der Antragsgegnerin vom 2. Februar 2012 beginnen können und sei somit noch nicht eingetreten. Die Entscheidung in der Hauptsache
stehe einer Vollstreckung aus dem Beschluss des Senats vom 23. Dezember 2009 nicht entgegen. Aus der einstweiligen Anordnung
könne nach §
199 Abs.
1 Nr.
2 SGG vollstreckt werden. Durch das rechtskräftige Urteil in der Hauptsache ende die zeitliche Geltung der einstweiligen Anordnung.
Diese habe also vom Zeitpunkt ihrer Zustellung am 13. Januar 2010 bis zum Berufungsurteil vom 27. November 2012 gegolten.
In dieser Zeit falle die Zuwiderhandlung der Antragsgegnerin von Anfang Februar 2012.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 8. Januar 2013 aufzuheben und gegen die Antragsgegnerin ein Ordnungsgeld, ersatzweise
Ordnungshaft festzusetzen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Nach ihrer Ansicht ist der Tenor des Senatsbeschlusses vom 23. Dezember 2009 nicht hinreichend bestimmt und deshalb nicht
vollstreckbar. Im Übrigen sei der Antrag unbegründet. Sie habe durch das Schreiben vom 2. Februar 2012 gerade nicht gegen
die einstweilige Anordnung mit Beschluss vom 23. Dezember 2009 verstoßen, sondern nur allgemein auf ihre Kooperation mit der
E. A. V. B.V. hingewiesen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Prozess- und der Gerichtsakten der Verfahren
Az.: L 6 KR 387/12, Az.: L 6 KR 331/09 ER und Az.: L 6 KR 151/09 Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidung gewesen ist.
II. Die Beschwerde ist unbegründet.
Der Antrag beim SG auf Festsetzung eines Ordnungsgeldes bzw. Ordnungshaft wegen Verstoßes der Antragsgegnerin gegen den Beschluss vom 23. Dezember
2009 - Az.: L 6 KR 331/09 ER war unzulässig, weil es nach §
929 Abs.
2 ZPO an der Vollziehung des Unterlassungsgebotes fehlt. Die einstweilige Anordnung ist ein Vollstreckungstitel nach §
199 Nr. 2
SGG und ist - wie die einstweilige Verfügung nach §§
935,
940 ZPO - ohne besonderen Ausspruch vorläufig vollstreckbar. Enthält die einstweilige Anordnung ein Unterlassungsgebot, wird sie
nach §
198 SGG i.V.m. §
890 ZPO vollstreckt. Dies geschieht nicht von Amts wegen, sondern - wie im Zivilprozess - auf Betreiben des Gläubigers. Dies folgt
aus der Verweisung in §
198 SGG auf die zivilprozessualen Vorschriften (vgl. Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 22. Oktober 1992 - Az.: IX ZR 36/92 m.w.N., nach juris).
Nach §
928 ZPO sind auf die Vollziehung des Arrestes die Vorschriften über die Zwangsvollstreckung entsprechend anzuwenden, soweit die nachfolgenden
Paragrafen keine abweichenden Vorschriften enthalten. Für einstweilige Anordnungen gilt dies entsprechend. Nach §
929 Abs.
2 ZPO ist die Vollziehung des Arrestbefehls unstatthaft, wenn seit dem Tage, an dem der Befehl verkündet oder der Partei, auf deren
Gesuch er erging, zugestellt ist, ein Monat verstrichen ist. Das Gesetz bestimmt nicht, was im Einzelfall Vollziehung ist.
Es ist zu unterscheiden zwischen der Vollziehung des Arrestbefehls und der einer einstweiligen Verfügung. Darüber hinaus ist
der Sprachgebrauch insofern uneinheitlich, als bei der Fristwahrung nach §
929 Abs.
2 ZPO von Vollziehung auch schon dann gesprochen wird, wenn der Gläubiger die erstrebte Sicherung noch nicht erreicht hat. Für
die Vollziehung ist jedoch ein eigenes Tätigwerden des Gläubigers Wesensmerkmal, sein passives Verhalten kann nicht als Vollziehung
angesehen werden.
Auch Unterlassungsgebote - wie hier - sind der Vollziehung fähig. Sie lassen sich nicht durch unmittelbaren Zwang durchsetzen.
Die Anordnung kann nur durch Wohlverhalten erfüllt oder durch Nichtbeachtung verletzt werden. Durch Verhängung von Ordnungsmittel
nach einer Zuwiderhandlung wird diese geahndet und zugleich versucht, künftiges Wohlverhalten zu erzwingen. Indem er mittelbaren
Zwang anwendet, macht der Antragsteller von dem Titel Gebrauch und bringt damit zum Ausdruck, dass er eine Nichtbeachtung
nicht hinnehmen wird (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992, aaO.).
Vollziehung ist nicht die von Amts wegen vorgenommene Zustellung der einstweiligen Anordnung am 13. Januar 2012. Im zivilprozessualen
Bereich werden Beschlussverfügungen, wie sich aus §§
936,
922 Abs.
2 ZPO ergibt, dem Antragsgegner im Parteibetrieb zugestellt; damit werden sie wirksam. Normalerweise stellt die nach §
922 Abs.
2 ZPO gebotene Wirksamkeitszustellung zugleich die Vollziehungszustellung im Sinne des §
929 Abs.
2 ZPO dar. Anders ist es jedoch, wenn - wie im Verwaltungsgerichts- und im Sozialgerichtsprozess - Beschluss-"Verfügungen" von
Amts wegen zugestellt werden. Hier bleibt der Zustellung die Funktion, das Unterlassungsgebot dem Gegner gegenüber wirksam
werden zu lassen (und die Vollstreckungsvoraussetzung nach §
750 Abs.
1 ZPO zu schaffen); damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob die Zustellung auch die Vollziehung bewirkt. Dies ist nicht der
Fall. Die Amtszustellung als Wirksamkeitserfordernis der nicht verkündeten einstweiligen Anordnung kann nicht zugleich zu
deren Vollziehung dienen. Zudem fehlt ihr - weil sie vom Gericht veranlasst wird - das "spezifisch vollstreckungsrechtliche
Element", dass der Gläubiger tätig wird und seinen Willen kund gibt, von dem Titel Gebrauch zu machen. Der Amtszustellung
ist nicht die Aufgabe zugedacht, die Vollstreckung aus dem zuzustellenden Titel einzuleiten und dem Gläubiger insofern die
Herrschaft über das Vollstreckungsverfahren aus der Hand zu nehmen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Oktober 1992, aaO.). Einen Wertungswiderspruch
dahingehend, dass der Antragsgegner jedenfalls seit der Amtszustellung das Urteil/den Beschluss beachten muss, der Antragsteller
hingegen vor Schadensersatzansprüchen geschützt ist, hat der BGH verneint.
In Anwendung dieser Grundsätze kann der Senat im vorliegenden Fall kein eigenes Tätigwerden des Antragstellers innerhalb der
Monatsfrist des §
929 Abs.
2 ZPO im Sinne der Vollziehung des gerichtlich verfügten Unterlassungsgebots vom 23. Dezember 2009 feststellen, so dass eine Festsetzung
von Ordnungsgeld bzw. Ordnungshaft, wie vom Antragsteller begehrt, nicht möglich ist.
Eine Streitwertfestsetzung hat nicht zu erfolgen. Nach § 3 des Gerichtskostengesetzes (GKG) richten sich die Gebühren nach dem Wert des Streitgegenstands (Streitwert), soweit nichts anderes bestimmt ist (Absatz 1);
Kosten werden nach dem Kostenverzeichnis (KV) der Anlage 1 zu diesem Gesetz erhoben (Absatz 2). Voraussetzung für die Festsetzung eines Streitwertes ist u.a. dass
die in Betracht kommende Gebühr nach ihm überhaupt von einem Kostenstreitwert abhängt. Dies ist nicht der Fall, soweit das
Kostenverzeichnis eine Festgebühr nennt (vgl. Hartmann, Kostengesetze, 42. Auflage 2012, § 63 GKG Rdnr. 8), wie hier für das Beschwerdeverfahren (Nr. 7504 KV).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).