Bindungswirkung von Verwaltungsakten über die Beitragsbemessung hauptberuflich selbständig Erwerbstätiger in der freiwilligen
Krankenversicherung
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung in dem Zeitraum vom 1. Januar 2006
bis 30. Juni 2007 streitig.
Die 1951 geborene Klägerin übt seit dem 1. September 2005 eine selbstständige Tätigkeit aus. Die Bundesagentur für Arbeit
bewilligte ihr mit Bescheid vom 15. August 2005 für die Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit ab dem 1. September 2005 bis
26. Februar 2006 ein Überbrückungsgeld in Höhe von 1.788,79 Euro monatlich als Zuschuss.
Die Klägerin beantragte bei der Beklagten die Aufnahme als freiwilliges Mitglied. Mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 teilte
diese ihr u.a. mit: "Ihre Mitgliedschaft beginnt am 1. September 2005. Die Beiträge richten sich nach der jeweils gültigen
Beitragsbemessungsgrenze (3.525,00 Euro im Jahr 2005). Taunus BKK. Ihre monatlichen Beiträge wurden ab dem 1. September 2005
wie folgt festgesetzt: zur Krankenversicherung 237,27 Euro zur Pflegeversicherung 30,79 Euro insgesamt 268,06 Euro Sollten
die monatlichen Einkünfte die Beitragsbemessungsgrenze unterschreiten, so können Sie eine einkommensabhängige Beitragsberechnung
beantragen. Senden Sie uns die beiliegende Einkommenserklärung zurück und fügen Sie die entsprechenden Nachweise bei. Die
Bemessung der Beiträge für unsere freiwilligen Mitglieder richtet sich nach ihrer gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird bestimmt durch alle Einnahmen und Geldmittel, die das Mitglied zum Lebensunterhalt
verbraucht oder verbrauchen könnte, ohne Rücksicht auf ihre steuerliche Behandlung. Jährliche Einkünfte, z. B. Zinsen, sind
monatlich mit 1/12 zu berücksichtigen. Die Beiträge berechnen sich nach Ihren Einnahmen zur Bestreitung Ihres Lebensunterhalts,
jedoch mindestens aus 75 % der monatlichen Bezugsgröße (Bezugsgröße im Jahr 2500 EUR 2.415,00 davon 75 % EUR 1.811,25) Als
Nachweis der Einkünfte aus ihrer selbstständigen Tätigkeit dürfen wir nur die Einkünfte aus ihrem letzten vorliegenden Steuerbescheid
anerkennen. Bei niedrigeren Einnahmen wird eine Beitragsherabsetzung mit Beginn des Folgemonats nach Eingang des Nachweises
bei der Krankenkasse wirksam (§
240 Abs.
4 Satz 3
SGB V) Bei höheren Einkünften mit Beginn des Folgemonats, in dem der Steuerbescheid erstellt wurde. Achten Sie daher in Ihrem Interesse
darauf, und Änderung unverzüglich mitzuteilen. Für Existenzgründer besteht die Möglichkeit, die Einkünfte zu schätzen und
die Beiträge bis zur Erstellung des ersten Steuerbescheides vorläufig festzusetzen. Als Nachweis benötigen wir eine Kopie
Ihrer Gewerbeanmeldung und des Bewilligungsbescheides Ihres Arbeitsamts, wenn sie Leistungen erhalten. Sobald der aktuelle
Einkommensteuerbescheid vorliegt werden wir die bisher festgesetzten Beiträge prüfen. Beiträge können für den vergangenen
Zeitraum nacherhoben werden. Wir behalten uns vor, den Beitragsbescheid zu widerrufen, wenn sich rechtliche Änderungen oder
Änderungen in ihren Einkommensverhältnissen ergeben, § 32 Absatz 2 Nummer 3 des Sozialgesetzbuch (SGB) zehntes Buch (X). Die
Beitragseinstufung richtet sich nach ihren Einkommensverhältnissen. Aus diesem Grund sind sie dazu verpflichtet, uns ihre
Einkommensveränderungen - auch im laufenden Jahr - unverzüglich mitzuteilen (§
206 Absatz
1 Nummer
2 SGB V). Üben Sie eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit aus, senden Sie uns bitte Ihren aktuellen Einkommensteuerbescheid
(in Kopie) zu. "Nach dem am 18. Oktober 2006 bei der Beklagten eingegangenen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2005 vom
13. September 2006 erzielte die Klägerin Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 12.415,00 Euro.
Mit Bescheid vom 19. Oktober 2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, der bisherige Beitragsbescheid werde nach § 48 SGB X aufgehoben. Aufgrund der nachgewiesenen Einkünfte erfolge eine Festsetzung der monatlichen Beiträge ab dem 1. September 2005
zur Krankenversicherung auf 461,78 Euro zur Pflegeversicherung auf 52,93 Euro insgesamt auf 521,71 Euro ab dem 1. März 2006
zur Krankenversicherung auf 406,59 Euro zur Pflegeversicherung auf 52,76 Euro insgesamt auf 459,35 Euro und forderte eine
Beitragsnachzahlung in Höhe von 2.837,00 Euro.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, sie habe im Jahr 2005 Gesamteinnahmen aus Gewerbebetrieb in Höhe
von 12.415,00 Euro erzielt. Dies entspreche monatlich 1.034,58 Euro. Im Jahr 2006 würden ihre Einkünfte maximal 22.000,00
Euro betragen, so dass der bisher gezahlte Beitrag in Höhe von 271,95 Euro mehr als angemessen sei. Mit Schreiben vom 25.
Oktober 2006 erläuterte die Beklagte der Klägerin die Beitragsberechnung, woraufhin diese am 24. November 2006 ihren Widerspruch
gegen die Beitragsberechnung für das Jahr 2005 zurücknahm und eine betriebswirtschaftliche Auswertung des Steuerberaters Zink
vom 13. November 2006 für den Zeitraum bis 31. Oktober 2006 einreichte. Mit Bescheid vom 29. Januar 2007 setzte die Beklagte
ab dem 1. Januar 2007 den Beitrag zur Krankenversicherung in Höhe von 425,21 Euro, zur Pflegeversicherung in Höhe von 52,76
Euro, insgesamt 477,97 Euro fest. Grundlage hierfür ist laut Mitteilung der Beklagten eine Erhöhung des allgemeinen Beitragssatzes
von 13,10 v.H. auf 13,80 v.H. sowie ein zusätzlich gesetzlich vorgeschriebener Beitragssatz für alle Mitglieder in Höhe von
0,9 v.H ... Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 14. Februar 2007 Widerspruch. Mit Widerspruchsbescheid vom 26. April 2007
wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Beitragsbescheid vom 19. Oktober 2006 zurück.
Im Klageverfahren hat die Klägerin vorgetragen, sie habe zwischenzeitlich nachgewiesen, dass ihr Einkommen im Jahr 2006 nicht
so hoch gewesen sei. Sie habe dementsprechend die Beiträge einkommensgerecht entrichtet. Mit Gerichtsbescheid vom 14. Januar
2008 hat das Sozialgericht (SG) die Bescheide der Beklagten vom 19. Oktober 2006 und 29. Januar 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April
2007 insoweit aufgehoben, als mit den Bescheiden höhere Beiträge zur Pflegeversicherung ab Januar 2006 festgesetzt wurden
und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, die Beklagte habe keine Bescheide über die Beitragshöhe
in der sozialen Pflegeversicherung erteilen dürfen. Hierfür sei die Pflegekasse zuständig. Der mit dem angefochtenen Bescheid
vom 19. Oktober 2006 erfolgten Beitragsfestsetzung für die Zeit ab 1. September 2005 stehe der Bescheid vom 26. Oktober 2005
nicht entgegen. Dieser Bescheid habe keine endgültige Regelung hinsichtlich der Beitragshöhe enthalten, sondern diese nur
vorläufig geregelt und entfalte insoweit keine Bindungswirkung. Niedrigere Einnahmen seien nach §
240 des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) erst dann zu berücksichtigen, wenn diese durch Steuerbescheid nachgewiesen würden.
Im Berufungsverfahren wiederholt die Klägerin ihr Vorbringen im erstinstanzlichen Verfahren und führt ergänzend aus, die Beklagte
habe ihre Einkünfte aus nur vier Monaten des Jahres 2005 zur Basis ihrer Berechnungen für den Zeitraum von September 2005
bis Juni 2007 gemacht. Bei dem mit dem Steuerbescheid vom 13. September 2006 nachgewiesenen Einkommen habe es sich aber um
ein Jahreseinkommen gehandelt. Wäre die Festsetzung nur für einen zukünftigen Zeitraum erfolgt, hätten sich die von September
2005 bis Februar 2006 zu wenig gezahlten Beiträge mit künftig zu viel bezahlten Beiträgen ausgeglichen. Da aber gleichzeitig
rückwirkend und zukünftig festgesetzt worden sei, trete auch über einen längeren Zeitraum kein Ausgleich für zu viel gezahlte
Beiträge ein. Den Steuerbescheid vom 13. September 2006 habe sie erst im Oktober 2006 bei der Beklagten eingereicht, weil
sie bei Erhalt des Steuerbescheides im September 2006 in Urlaub gewesen sei und wohl erst im Oktober 2006 zurückgekehrt sei.
Die Klage gegen den Bescheid vom 29. Januar 2007 nehme sie zurück.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gotha vom 14. Januar 2008 teilweise aufzuheben und den Bescheid der Beklagten vom
19. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. April 2007 insoweit aufzuheben als dort für die Zeit ab
dem 1. Januar 2006 Beiträge zur freiwilligen Krankenversicherung festgesetzt wurden.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie vertritt die Ansicht, die Beiträge seien im Einklang mit den gesetzlichen
Vorschriften festgesetzt worden. Insbesondere seien die Einkommensteuerbescheide der Klägerin bei der Beitragsberechnung zu
berücksichtigen. Sie habe durch den Bescheid vom 26. Oktober 2005 lediglich eine vorläufige Regelung getroffen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird im Übrigen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der
beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Streitgegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 19. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26. April 2007 soweit die Beklagte höhere Krankenversicherungsbeiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 30. September
nachfordert und ab dem 1. Oktober 2006 Beiträge in Höhe von monatlich 406,59 EUR unter Berücksichtigung eines monatlichen
Einkommens in Höhe von 3.103,75 EUR fordert. Der Bescheid vom 29. Januar 2007 ist nicht nach §
86 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden, weil er gegenüber dem angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2006 nur eine
eingeschränkte Regelung enthält. Grundlage für die dort mitgeteilte Beitragserhöhung war die allgemeine Erhöhung des Beitragssatzes
der Beklagten, nicht eine Änderung der der Beitragsberechnung zu Grunde liegenden Bemessungsgrundlage.
Die für die Zeit vom 1. Januar bis 30. September 2006 mit dem angefochtenen Bescheid vom 19. Oktober 2006 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 27. April 2007 geltend gemachte Nachforderung von Beiträgen ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin
in ihren Rechten. Soweit für die Zeit ab dem 1. November 2006 eine Beitragszahlung unter Berücksichtigung eines Einkommens
in Höhe von 3.103,75 EUR gefordert wird, ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Der rückwirkenden Erhöhung der Beiträge steht der Bescheid vom 26. Oktober 2005 entgegen. Er enthält entgegen der Auffassung
der Beklagten und des SG eine endgültige Regelung, die für die Beteiligten in der Sache nach §
77 SGG bindend geworden war und grundsätzlich nur dann abgeändert werden darf, wenn sich die Beklagte entweder darin rechtmäßig
deren Rücknahme, Widerruf oder Abänderung vorbehalten hätte oder aber dazu nach den §§ 44 ff des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) oder durch Spezialvorschriften gesetzlich ermächtigt wäre (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22. März 2006 - Az.: B 12 KR 14/05 R m.w.N., nach juris).
Nach §
77 SGG ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend, soweit durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist, wenn der
gegen ihn gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Der Bescheid ist bindend, weil die Klägerin dagegen keinen
Rechtsbehelf eingelegt hat und der ihm beigefügte Vorbehalt des Widerrufs keine gesetzliche Regelung im Sinne des §
77 SGG ist. Die Bindungswirkung besteht darin, dass die Klägerin ab dem 1. September 2005 Beiträge zur Krankenversicherung in Höhe
von 237,27 EUR zu zahlen hat.
Dies ergibt sich nicht allein schon daraus, dass der Bescheid vom 26. Oktober 2005 bindend geworden ist. Er hat keine einstweilige
Regelung getroffen hat, auf deren dauerhaften Bestand die Klägerin nicht hätte vertrauen dürfen und welche die Beklagte ohnehin
durch eine endgültige Entscheidung hätte ersetzen müssen. Sowohl bei abschließenden als auch bei einstweiligen Verwaltungsakten
wird immer nur der jeweilige bekannt gegebene Inhalt der in dem Bescheid getroffenen Regelung wirksam und bindend (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Zum bekanntzugebenden Inhalt einstweiliger Verwaltungsakte gehört aber notwendig, dass sie nur für eine Übergangszeit Rechtswirkungen
haben sollen. Deswegen können einstweilige Regelungen schutzwürdiges Vertrauen des Bescheidadressaten grundsätzlich nur für
die Dauer des Verwaltungsverfahrens bis zum Erlass des abschließenden Verwaltungsaktes begründen, durch die sie sich erledigen.
Für ihre - nur bis zum endgültigen Abschluss des Verwaltungsverfahrens bestehende - Bindungswirkung ist also im Sinne von
§
77 SGG "durch Gesetz" etwas anderes bestimmt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990 - Az.: 4 RA 57/89 m.w.N., nach juris).
Die Auslegung ergibt hier, dass keine einstweilige Regelung, sondern eine abschließende Regelung bezüglich der von der Klägerin
zu entrichtenden Beiträge getroffen wurde. Maßstab der Auslegung des Verwaltungsaktes ist der "Empfängerhorizont" eines verständigen
Beteiligten, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§
133 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (
BGB)) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat. Hat die Beklagte die Wirkungen des Verwaltungsaktes durch Zusätze einschränken
wollen, müssen diese inhaltlich bestimmt, klar, verständlich und widerspruchsfrei sein; Unklarheiten gehen zu Lasten der Beklagten.
Lassen die Zusätze mehrere Auslegungen zu, muss sich die Beklagte diejenige entgegenhalten lassen, die der Bescheidempfänger
vernünftigerweise zugrunde legen darf, ohne die Unbestimmtheit oder Unvollständigkeit des Bescheides willkürlich zu seinen
Gunsten auszunutzen. Soll ein Verwaltungsakt nur einstweilig wirken (§ 39 Abs. 1 Satz 2 SGB X) müssen dem Adressaten Inhalt und Umfang der Vorläufigkeit hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X) mitgeteilt werden, das heißt, es muss für ihn ersichtlich sein, dass der Bescheid nur vorläufig und nur für eine Übergangszeit
gilt (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990, aaO., m.w.N.).
Dies ist hier nicht der Fall. Der Bescheid vom 26. Oktober 2005 enthält einen vollständigen Verfügungssatz über die monatlichen
Beiträge ab dem 1. September 2005 ohne hinreichend bestimmt zu verdeutlichen, der dort festgesetzte Beitragssatz solle nur
vorläufig gelten. Die Beklagte führt zunächst aus, dass sich die Beiträge nach der jeweils gültigen Beitragsbemessungsgrenze
richten und dass diese monatlich ab dem 1. September 2005 "festgesetzt" werden. Danach folgen Ausführungen für den Fall eines
Unterschreitens der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze, zur Bemessung der Beiträge nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit,
zur Bemessung der Beiträge nach der monatlichen Bezugsgröße, zum Nachweis der Einkünfte durch den Steuerbescheid, zur Berücksichtigung
niedrigerer Einnahmen ab Vorlage des Steuerbescheides, der Möglichkeit bei Existenzgründern die Einkünfte zu schätzen und
dazu vorzulegender Nachweise. Sieht man vom ersten Satz - der Beitragsbemessung aufgrund der Beitragsbemessungsgrenze - ab,
wonach die Beklagte die Beitragsbemessung allerdings tatsächlich nicht vorgenommen hat, enthält der Bescheid keine konkrete
Aussage, auf welcher Grundlage die Beitragsbemessung im Falle der Klägerin erfolgt ist. Auch durch den Zusatz der Prüfung
der bisher festgesetzten Beiträge nach Vorlage des aktuellen Einkommenssteuerbescheides und der Möglichkeit der Nacherhebung
von Beiträgen für den vergangenen Zeitraum wird nicht hinreichend verdeutlicht, dass es sich bei der Festsetzung der Beiträge
ab dem 1. September 2005 lediglich um eine einstweilige Regelung handeln sollte. Die Beklagte hätte dies hinreichend deutlich
zum Ausdruck bringen können, in dem sie den Bescheid eindeutig als "vorläufig" oder "unter Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung"
erlassen und konkret mitgeteilt hätte, wie die Beitragsbemessung aufgrund des noch fehlenden Nachweises über das Einkommen
erfolgt ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 22. März 2006 - Az.: B 12 KR 14/05 R, Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. Januar 2011 - Az.: L 16 KR 176/09, nach juris). Ebenso bleibt unklar, ab welchem Zeitpunkt eine Prüfung bzw. Nacherhebung der Beiträge erfolgen könnte.
Bei dem weiteren Zusatz, dem Vorbehalt, den Beitragsbescheid zu widerrufen, wenn sich rechtliche Änderungen oder Änderung
in den Einkommensverhältnissen ergeben (§ 32 Abs. 2 Nr. 3 SGB X) ist bereits zweifelhaft, ob es sich hierbei um einen Rücknahmevorbehalt oder lediglich einen Vorbehalt des Widerrufs für
die Zukunft entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 48 Abs. 1 SGB X handeln sollte. Derartige Zusätze können den behördlichen Willen, nur eine einstweilige Regelung zu treffen, aus allgemeinen
Gründen nicht hinreichend bestimmt verlautbaren. Sie zeigen nämlich allenfalls an, dass die Verwaltung - hier die Beklagte
- die Sache für sich noch nicht als in jeder Hinsicht endgültig abgeschlossen erachtet. Eindeutig gesagt wird nur, dass die
Behörde möglicherweise auf die Angelegenheit zurückkommen und ihre Entscheidung revidieren will. Daher wird eine endgültige
Entscheidung verlautbart und nur die Möglichkeit eines Eingriffs in die Wirksamkeit oder den Regelungsinhalt des Bescheides
in Aussicht gestellt, die in den gesetzlich geregelten Fällen ohnehin auch immer besteht, ohne dass deswegen die abschließende
Natur des Bewilligungsbescheides fraglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990 aaO., m.w.N.).
Ist - wie hier - ein endgültiger (begünstigender) Bescheid ergangen, darf er wegen einer im Zeitpunkt seines Erlasses (Bekanntgabe)
objektiv vorliegenden Rechtswidrigkeit nur dann zurückgenommen werden, wenn die Voraussetzungen des § 45 SGB X vorliegen, so dass für einen Vorbehalt zur Korrektur möglicher anfänglicher Fehler des Verwaltungsaktes (Rücknahmevorbehalt
als Unterfall des Widerrufsvorbehalts) kein Raum ist. Gleiches gilt für einen Vorbehalt, den Bescheid wegen nach seinem Erlass
objektiv eingetretener Änderungen aufzuheben oder abzuändern, im Blick auf § 48 Abs. 1 SGB X, wonach jede für den Verfügungssatz eines Bescheides rechtserhebliche ("wesentliche") nachträgliche Änderung der Sach- oder
Rechtslage nur insoweit zu dessen Aufhebung (Abänderung) für die Zukunft (Satz 1) und nur unter den abschließend aufgeführten
Voraussetzungen für die Vergangenheit (Satz 2) führt. Bei endgültigen Beitragsbescheiden ist auch kein Raum für einen Widerrufsvorbehalt
(§§ 32 Abs. 2 Nr. 3, 47 Abs. 1 Nr. 1 Regelung 2 SGB X). Er könnte zum Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsaktes nur mit Wirkung für die Zukunft dienen, wofür es - solange der
Bescheid rechtmäßig ist - keinen Grund geben kann. Wird der Verwaltungsakt wegen einer Änderung der Verhältnisse nachträglich
rechtswidrig, gilt § 48 SGB X (vgl. BSG, Urteil vom 28. Juni 1990, aaO., m.w.N.). Danach waren die dem Bescheid vom 26. Oktober 2005 beigefügten Vorbehalte rechtswidrig
und berechtigen die Beklagte nicht, ihn zurückzunehmen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheides vom 26. Oktober
2005 liegen nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ab dem 1. November 2006 vor, die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheides für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31.
Oktober 2006 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht.
Nach § 48 Abs. 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben (Satz 1).
Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit (1) die Änderung
zu Gunsten des Betroffenen erfolgt, (2) der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung
wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, (3)
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur
Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder (4) der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt
in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen
gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (Satz 2). Der Bescheid der Beklagten vom 26. Oktober 2005 ist jedenfalls
soweit die Beitragsbemessungsgrundlage für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 30. Juni 2007 streitig ist, durch das Ergehen
des Einkommenssteuerbescheides vom 13. September 2006 für das Jahr 2005 und dessen Vorlage bei der Beklagten und damit der
Möglichkeit, die Beitragsbemessung unter Berücksichtigung der erzielten Einkünfte vorzunehmen, nachträglich wegen Änderung
der tatsächlichen Sachlage rechtswidrig geworden. Mit der Vorlage des Einkommensteuerbescheides war zu überprüfen, ob die
Beiträge den tatsächlich erzielten Einnahmen entsprechen.
Maßgebend für die mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 erfolgte Beitragsfestsetzung war §
240 SGB V in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung. Danach wird die Beitragsbemessung für freiwillige Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherung durch die Satzung geregelt (Abs. 1 Satz 1), wobei sicherzustellen ist, dass die gesamte wirtschaftliche
Leistungsfähigkeit des Mitglieds berücksichtigt wird (Abs. 1 Satz 2). Der in Absatz 4 Satz 2 genannte Existenzgründungszuschuss
darf nicht berücksichtigt werden (Satz 3). Die Satzung der Krankenkasse muss mindestens die Einnahmen des freiwilligen Mitglieds
berücksichtigen, die bei einem vergleichbaren versicherungspflichtigen Beschäftigten der Beitragsbemessung zugrunde zu legen
sind (Abs. 2 Satz 1). Für freiwillige Mitglieder, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind, gilt als beitragspflichtige
Einnahmen für den Kalendertag der dreißigste Teil der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze (§ 223), bei Nachweis niedrigerer
Einnahmen jedoch mindestens der vierzigste, für freiwillige Mitglieder, die Anspruch auf einen monatlichen Existenzgründungszuschuss
nach §
421 l des
Dritten Buches oder eine entsprechende Leistung nach § 16 des Zweiten Buches haben, der sechzigste Teil der monatlichen Bezugsgröße. Veränderungen der Beitragsbemessung aufgrund eines vom Versicherten
geführten Nachweises nach Satz 2 können nur zum ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam
werden.
Die Klägerin ist im Sinne dieser Vorschrift und im Sinne des §
5 Abs.
5 SGB hauptberuflich selbstständig erwerbstätig. Aus §
240 Abs.
4 SGB VI ergibt sich, dass nicht bereits die Erzielung des Einkommens - sei es im Hinblick auf die Höhe der zu zahlenden Beiträge
zu Lasten oder zu Gunsten des Versicherten - eine Änderung der Beitragsbemessungsgrundlage herbeiführt, sondern ein Nachweis
der erzielten Einkünfte vorliegen muss, wobei eine Änderung der Beitragsbemessung aufgrund niedrigerer Einnahmen erst zum
ersten Tag des auf die Vorlage dieses Nachweises folgenden Monats wirksam wird. Für den Fall der verspäteten Vorlage des Nachweises
und sich hieraus ergebender höherer Einnahmen als der Beitragsbemessung zu Grunde gelegt, ist dagegen eine rückwirkende Aufhebung
nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X zu prüfen. Der Nachweis über die erzielten Einkünfte kann nur durch Vorlage des Einkommensteuerbescheides geführt werden
(vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 - Az.: B 12 KR 21/08 R, nach juris).
Die Klägerin hat den Einkommensteuerbescheid vom 13. September 2006 am 18. Oktober 2006 bei der Beklagten vorgelegt. Danach
hat sie in dem Zeitraum vom 1. September 2005 - dem Tag der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit - bis 31. Dezember 2005,
Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 12.415 Euro erzielt. Hieraus ergibt sich, wie die Beklagte zu Recht ausführt, ein
monatliches Einkommen in Höhe von 3.103,75 EUR und eine hieraus resultierende Beitragsforderung zur Krankenversicherung nach
dem seit dem 1. Januar 2006 gültigen Beitragssatz in Höhe von 406,59 Euro. Insoweit ist jedenfalls eine wesentliche Änderung
gegenüber den tatsächlich im Bescheid vom 26. Oktober 2005 zu Grunde gelegten Verhältnissen - einem Einkommen in Höhe von
1.811,25 EUR und einer daraus resultierenden Beitragsforderung zur Krankenversicherung in Höhe von 237,27 EUR - eingetreten
und eine Aufhebung für die Zukunft, d.h. für die Zeit nach Bekanntgabe des Bescheides vom 19. Oktober 2006 gerechtfertigt.
Die mit dem Steuerbescheid vom 13. September 2006 nachgewiesenen Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit sind dann als laufende
Einnahmen solange bei der Beitragsfestsetzung zu berücksichtigten, bis ein neuer Einkommensnachweis vorliegt. Auf einen längeren
Zeitraum gesehen wird die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zutreffend berücksichtigt, denn es erfolgt ein Ausgleich der
wechselnden Einnahmen, indem sowohl die nachgewiesene Erhöhung der Einnahmen als auch deren nachgewiesene Verringerung für
die zukünftige Beitragsfestsetzung jeweils bis zum Nachweis einer Änderung berücksichtigt wird (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009, aaO., m.w.N.).
Die Aufhebung der mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 erfolgten Beitragsfestsetzung mit Wirkung vom 1. November 2006 ist auch
nicht deshalb rechtswidrig, weil die Beklagte fälschlicherweise davon ausgegangen ist, dass sie diesen Verwaltungsakt ohne
Bindung an die Voraussetzungen des § 48 SGB X ändern kann. Die Sozialgerichte haben die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen.
Ein Nachschieben von Gründen durch andere Rechtsgrundlagen, die dieselbe Regelung rechtfertigen, ist zulässig, soweit der
Verwaltungsakt dadurch nicht in seinem Regelungsumfang oder seinem Wesensgehalt verändert oder die Rechtsverteidigung des
Betroffenen nicht beeinträchtigt oder erschwert wird. Das Auswechseln der Rechtsgrundlage für die Aufhebung ist hier unbedenklich,
weil dies auf dieselbe Rechtsfolge (Beseitigung eines Verwaltungsakts) gerichtet ist. Der Verwaltungsakt wird weder in seinem
Wesensgehalt verändert noch der Klägerin die Rechtsverteidigung erschwert. Denn das bloße, vom Wunsch der Vermeidung des tatsächlichen
Eintritts einer Belastung getragene Interesse des Betroffenen daran, dass ein belastender VA nicht nachträglich auf eine ihn
- hier zumindest teilweise - tragende Rechtsgrundlage gestützt wird, ist rechtlich nicht geschützt. Der Schutz des Betroffenen
ist insoweit darauf beschränkt, dass die Rechtsfolgen für ihn nicht ungünstiger sein dürfen als diejenigen des fehlerhaft
begründeten Verwaltungsaktes (BSG, Urteil vom 25. April 2002 - Az.: B 11 AL 69/01 R m.w.N., nach juris).
Der Bescheid der Beklagten vom 19. Oktober 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. April 2007 ist auch nicht
deshalb rechtswidrig, weil die Klägerin nicht ordnungsgemäß angehört wurde (§ 24 SGB X). Ein derartiger Verfahrensfehler wäre jedenfalls während des Widerspruchsverfahrens durch Nachholung geheilt worden (§ 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X). Das Schreiben vom 25. Oktober 2006 enthält diejenigen Tatsachen, die nach Ansicht der Beklagten entscheidungserheblich
im Sinne des § 24 Abs. 1 SGB X waren. Dass die Beitragsforderung nicht mit der Aufhebung des Bescheids vom 26. Oktober 2005 nach § 48 SGB X begründet worden ist, ist demgegenüber unerheblich. Beurteilungsmaßstab für die Entscheidungserheblichkeit i.S.d. § 24 SGB X ist nämlich die Rechtsauffassung der Behörde (vgl: BSG, Urteil vom 22. Oktober 1998 - Az.: B 7 AL 106/97 R m.w.N., nach juris). Die Verwaltung kann den Bürger nur zu solchen Umständen hören, die sie selbst als entscheidungserheblich
betrachtet und auf die sie ihre Entscheidung zu stützen gedenkt; ob die Rechtsauffassung der Behörde richtig ist, ist hierbei
ohne Bedeutung.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Bescheids vom 26. Oktober 2005 mit Wirkung für die Vergangenheit, d.h. hier eine
Aufhebung der Beitragsfestsetzung ab 1. Januar bis 31. Oktober 2006 nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X liegen allerdings nicht vor. Wie bereits ausgeführt, ist eine wesentliche Änderung erst mit Nachweis der tatsächlich erzielten
Einkünfte durch die Vorlage des Einkommensteuerbescheides eingetreten. Insoweit käme eine rückwirkende Aufhebung des die Klägerin
begünstigenden Verwaltungsaktes dann in Betracht, wenn sie den Einkommensteuerbescheid, aus dem sich höhere Einnahmen als
die der Beitragsbemessung zu Grunde gelegten ergeben, vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht bzw. nicht unverzüglich der Beklagten
vorgelegt hat (§ 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X). Die verspätete Vorlage des Einkommensteuerbescheides vom 13. September 2006 ist hier nur, soweit die rückwirkende Aufhebung
der mit Bescheid vom 26. Oktober 2005 festgesetzten Beiträge für den Monat Oktober 2006 in Frage steht, zu prüfen. Nach dem
nachvollziehbaren Vortrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 28. Februar 2012, dass sie im September 2006 in Urlaub
war und keine Kenntnis davon hatte, dass der Einkommensteuerbescheid in diesem Monat ergehen würde, hat der Senat keine Anhaltspunkte
dafür, dass sie ihrer Verpflichtung nach §
206 Abs.
1 Nr.
1 SGB V, den Einkommensteuerbescheid unverzüglich nach Erhalt der Beklagten vorzulegen, vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt
hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 Nr.1, 2
SGG).