Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren
Bemessung der Terminsgebühr
Berücksichtigung von Schwierigkeiten der anwaltlichen Tätigkeit
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Altenburg (S
14 R 3462/07 ZVW) streitig.
Mit Bescheid vom 20. April 2005 lehnte die Rechtsvorgängerin der Beklagten (Bahnversicherungsanstalt) die Weitergewährung
der dem Kläger bis Ende März 2005 gewährten Rente wegen voller Erwerbsminderung nach Einholung eines unfallchirurgischen Gutachtens
des Prof. Dr. Dr. H. vom 20. März 2005 ab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2005 nach Einholung
eines internistischen Gutachtens des Dr. F. vom 26. Mai 2005 zurück. Der von dem Beschwerdeführer vertretene Kläger erhob
am 8. September 2005 Klage (S 14 KN 2548/05 R) vor dem Sozialgericht Altenburg (SG). Mit Gerichtsbescheid vom 21. Septemberc2006 wies dieses die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, die Klagefrist
sei nicht eingehalten worden. Auf die Berufung hob der 2. Senat des Thüringer Landessozialgerichts den Gerichtsbescheid mit
Urteil vom 13. September 2007 (L 2 R 1007/06) auf und verwies den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das SG zurück. Die wegen fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung einschlägige Jahresfrist nach §
66 Abs.
2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) habe der Kläger gewahrt. Das SG bewilligte dem Kläger mit Beschluss vom 17. April 2008 unter Beiordnung des Beschwerdeführers Prozesskostenhilfe (S 14 R 3462/07 ZVW), zog diverse medizinische Unterlagen bei und holte von Dr. K. ein unfallchirurgisches Gutachten vom 28. April 2009,
von Dr. K. ein internistisches Gutachten vom 22. Oktober 2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme vom 11. August 2010, von
Dr. F. ein arbeitsmedizinisches Gutachten vom 9. Juni 2010 und von Prof. Dr. P. ein internistisches Gutachten vom 31. Januar
2011 ein. Auf die laut Niederschrift 36 Minuten dauernde mündliche Verhandlung vom 9. Juni 2011 verurteilte das SG die Beklagte, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Dauer von drei Jahren ab 1. Juni 2005 sowie eine Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. Juni 2005 zu gewähren; die Beklagte trage zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten
des Klägers.
In seiner Kostenrechnung vom 22. Juni 2011 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung von 1.143,17 Euro. Unter Berücksichtigung
einer Vorschusszahlung von 321,30 Euro betrage der Restbetrag 821,87 Euro:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG
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460,00 Euro
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Terminsgebühr Nr. 3106 VV-RVG
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380,00 Euro
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Kopien Nr. 7000 Abs. 1 VV-RVG
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36,85 Euro
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Fahrtkosten Nr. 7003 VV-RVG
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43,80 Euro
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Tage- und Abwesenheitsgeld Nr. 7005 VV-RVG
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20,00 Euro
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Post- und Telekommunikation Nr. 7002 VV-RVG
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20,00 Euro
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Umsatzsteuer Nr. 7008 VV-RVG
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182,52 Euro
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Abzüglich Vorschuss
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321,30 Euro
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Gesamtsumme
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821,87 Euro
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Unter dem 28. Juni 2011 wies die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UKB) 607,67 Euro an und führte aus, bei der Terminsgebühr
sei nur die Mittelgebühr (200 Euro) anzusetzen. Sie und die Verfahrensgebühr seien stets differenziert zu betrachten. Die
Dauer des Termins von 36 Minuten rechtfertige keinesfalls die höchste Gebühr.
Auf die Erinnerung des Beschwerdegegners hat das SG mit Beschluss vom 14. Januar 2013 die "zu zahlende Vergütung" auf 607,67 Euro festgesetzt und ausgeführt, bei der Bewertung
der Terminsgebühr sei die Dauer des Termins das wesentliche Kriterium. Damit werde der relevante Aufwand des Rechtsanwalts
in zeitlicher Hinsicht unmittelbar erfasst (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Dezember 2009 - L 19 B 180/09 AS; SG Berlin, Beschluss vom 17. Februar 2011 - S 180 SF 3212/10 E). Bei einer Terminsdauer von 36 Minuten sei nur die Mittelgebühr
gerechtfertigt. Der Beschluss sei unanfechtbar.
Gegen den am 24 Januar 2013 zugestellten Beschluss hat der Beschwerdeführer am 29. Januar 2013 Beschwerde eingelegt und vorgetragen,
das Gericht hätte berücksichtigen müssen, dass die Klage bereits am 7. September 2005 erhoben wurde. Bereits die erste Entscheidung
mit Gerichtsbescheid habe zur Verwirklichung einer Terminsgebühr geführt. Dies und die Tatsachen, dass angesichts der Sachverständigengutachten
in einem Rentenverfahren die Schwierigkeit der Feststellung und die Bedeutung weit überdurchschnittlich seien, rechtfertigten
die Höchstgebühr.
Der Beschwerdeführer beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Altenburg vom 14. Januar 2013 aufzuheben und die seine Gebühren auf 1.143,17 Euro festzusetzen.
Der Beschwerdegegner beantragt,
die Erinnerung zurückzuweisen.
Zur Begründung bezieht er sich auf die Ausführungen im Beschluss der Vorinstanz.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 25. Februar 2013) und sie dem Thüringer Landessozialgericht
vorgelegt.
II.
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 26. Juni 2013 - L 6 SF 654/13 B, 10. April 2013 - L 6 SF 471/13 B, 15. März 2011 - L 6 SF 975/10 B, 25 Oktober 2010 - L 6 SF 652/10 B). Nachdem die Vorinstanz zur Begründung ihrer Ansicht nur abweichende Entscheidungen anderer Gerichte ohne eigene Erörterungzitiert,
erübrigen sich weitere Ausführungen. Die Beschwerde ist auch zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00
Euro.
Die Beschwerde ist begründet.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Betragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der Landeskasse
zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Der Kläger, dem PKH gewährt worden war, ist kostenprivilegierter Beteiligter i.S.d. §
183 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG). Damit scheidet die Anwendung des GKG aus (§
197a Abs.
1 S. 1
SGG). Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten
zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm
nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschlüsse vom 19. März 2012 - L 6 SF 1983/11 B und 17. Dezember 2010 - L 6 SF 808/10 B; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Auflage 2012, § 73a Rdnr. 13 f.; Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, § 14 Rdnr. 12). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss vom 17. Dezember 2010
- L 6 SF 808/10 B; LSG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 12. September 2006 - L 1 B 320/05 SF SK, nach juris); dann erfolgt eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Vorab weist der Senat darauf hin, dass nach dem Wortlaut des § 55 Abs. 1 S. 1 RVG die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung festzusetzen hat. Insofern hätte die
Vorinstanz im Tenor der Erinnerungsentscheidung die Höhe der Vergütung und nicht die "noch zu zahlende Vergütung" festsetzen
müssen.
Im Ergebnis zu Recht hat die Urkundsbeamtin die Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG in Höhe der Höchstgebühr festgesetzt. Dies steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit und entspricht auch der Senatsrechtsprechung
(vgl. Senatsbeschluss vom 14. März 2001 - L 6 B 3/01 SF).
Zu Unrecht haben die Urkundsbeamtin und die Vorinstanz allerdings die Terminsgebühr Nr. 3106 VVRVG nur in Höhe der Mittelgebühr
festgesetzt. Es handelt sich unzweifelhaft um eine Rahmengebühr, für die die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG Anwendung finden. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit ist nur eine von mehreren hier zu prüfenden Kriterien. Die Ansicht,
(allein) wesentliches Bemessungskriterium dieser Gebühr sei die Dauer des Termins, widerspricht dem klaren Wortlaut des Gesetzes
(vgl. Senatsbeschluss vom 10. April 2013 - L 6 SF 471/13 B). Die von der Vorinstanz zitierten Beschlüsse des LSG Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2009 - L 19 B 180/09 AS und SG Berlin vom 17. Februar 2011 - S 180 SF 3212/10 E stellen dies nicht in Frage.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann die fiktive Terminsgebühr aus dem Verfahren S 14 KN 2548/05 nicht zur Begründung eines höheren Umfangs der relevanten anwaltlichen Tätigkeit herangezogen werden. Die Bewilligung der
Prozesskostenhilfe erfolgt nach §
119 Abs.
1 S. 1 der
Zivilprozessordnung für jeden Rechtszug besonders. Die neue Bewilligung vom 17. April 2008 wirkte nicht auf das abgeschlossene Klageverfahren
zurück, in dem keine Prozesskostenhilfe bewilligt worden war. Nach § 21 Abs. 1 RVG handelt es sich bei dem neuen Verfahren um einen neuen Rechtszug im Sinne des § 15 Abs. 2 S. 2 RVG, es entstehen neue Gebühren und auch die Terminsgebühr kann erneut berechnet werden (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Auflage 2010, Rdnr. 7).
Zwar liegt im vorliegenden Fall der Umfang der Tätigkeit im Termin mit 36 Minuten Dauer im durchschnittlichen Bereich (vgl.
Senatsbeschluss vom 24. August 2010 - L 6 SF 562/10 B; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 18. Mai 2012 - L 18 KN 224/11 B, nach juris). Allerdings überwogen die Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit und die Bedeutung der Angelegenheit für
den Kläger alle anderen Gesichtspunkte. Dies rechtfertigt die Höchstgebühr von 380,00 Euro.Unter Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit wird die Intensität der Arbeit verstanden (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Das zugrunde liegenden Verfahren und damit auch die Wahrnehmung des Termins beinhaltete angesichts
der hier notwendigen intensiven Auseinandersetzung mit sechs medizinischen Fachgutachten, davon vier im Klageverfahren, sowie
die Auseinandersetzung mit Berufsschutz und zumutbaren Verweisungstätigkeiten erheblich überdurchschnittliche tatsächliche
Schwierigkeiten (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Erheblich überdurchschnittlich war auch die Bedeutung der Angelegenheit für den Kläger. Abgestellt
wird auf die unmittelbare tatsächliche, ideelle, gesellschaftliche, wirtschaftliche oder rechtliche Bedeutung für den Auftraggeber,
nicht aber für die Allgemeinheit (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris). Bei Streitigkeiten über eine Dauerrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ist immer eine erheblich
überdurchschnittliche Bedeutung anzunehmen, wenn durch sie - wie hier - das Einkommen in der Hauptsache bestritten werden
soll (vgl. Senatsbeschlüsse vom 12. Juli 2004 - L 6 B 41/04 SF, 14. März 2001 - L 6 B 3/01 SF, 3. April 2000 - Az.: L 6 B 1/00 SF). Angesichts dieser Umstände fallen die unterdurchschnittlichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und das allenfalls
geringe Haftungsrisiko nicht ins Gewicht.
Nicht im Streit zwischen den Beteiligten stehen die übrigen Gebühren. Der Senat hat keine Bedenken gegen die Ansätze. Die
bereits geleistete Vorschusszahlung ist von der festgestellten Vergütung abzuziehen, sodass der Beschwerdeführer noch einen
Anspruch in Höhe von 821,87 Euro hat.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).