Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren; Ermittlung des Umfangs der anwaltlichen Tätigkeit und der Bedeutung
der Angelegenheit
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der Rechtsanwaltsgebühren für ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht Altenburg (SG) streitig (S 20 AS 1584/11). Dort hatten sich die von der Beschwerdeführerin vertretenen vier Kläger gegen den Widerspruchsbescheid des beklagten vom
28. März 2011 gewandt. In der Hauptsache ging es um die Ermittlung der Kosten der Unterkunft. Die Beschwerdeführerin kündigte
eine Klagebegründung an, nahm Akteneinsicht und erklärte mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2011 hinsichtlich des Klägers zu
2) die Klagerücknahme. Mit Beschluss vom 16. Januar 2012 gewährte das SG den restlichen drei Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) ab 30. Mai 2011 und ordnete die Beschwerdeführerin bei. Nach einer Aufforderung
des SG vom 25. April 2012, die für die Kläger beschwerenden Tatsachen und Beweismittel zu bezeichnen, nahm die Beschwerdeführerin
die Klage am 31. Mai 2012 zurück.
Unter dem 23. Januar 2013 machte die Beschwerdeführerin für das Verfahren Gebühren in Höhe von 737,80 Euro geltend:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG
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375,00 Euro
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Erhöhung für 2 weitere Auftraggeber nach Nr. 1008 VV-RVG
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225,00 Euro
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Post- und Telekommunikation
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20,00 Euro
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Zwischensumme
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620,00 Euro
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Umsatzsteuer
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117,80 Euro
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Gesamtbetrag
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737,80 Euro
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Mit Beschluss vom 8. März 2013 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (UdG) die Rechtsanwaltsgebühren auf 499,80 Euro
fest und berücksichtigte die Verfahrensgebühr in Höhe der Mittelgebühr (250,00 Euro), erhöht um 150,00 Euro. Zur Begründung
gab sie an, aus den Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass es sich um eine schwierige Materie gehandelt habe. Zudem habe die
Beschwerdeführerin die erhöhte Gebühr nicht begründet.
Mit ihrer Erinnerung hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, die Erarbeitung des Sachverhalts sei mit einem hohen Arbeitsaufwand
verbunden gewesen. Die Berechnung der Kosten der Unterkunft hätte die Sichtung umfangreicher Unterlagen erfordert. Der Beschwerdegegner
hat sich der Berechnung der UdG angeschlossen.
Mit Beschluss vom 13. November 2014 hat das SG Altenburg die Erinnerung zurückgewiesen und die zu erstattenden Gebühren und
Auslagen auf 499,80 Euro festgesetzt. Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien durchschnittlich gewesen.
Der von der Beschwerdeführerin vorgetragene hohe Aufwand sei den Akten nicht zu entnehmen. Die Bedeutung der Klage für die
Kläger sei durchschnittlich, deren Einkommens- und Vermögensverhältnisse unterdurchschnittlich gewesen.
Gegen den am 19. November 2014 zugestellten Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 3. Dezember 2014 beim SG Altenburg Beschwerde
eingelegt und vorgetragen, Umfang und Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit seien überdurchschnittlich gewesen. Bei den
Klägern habe es sich um eine Bedarfsgemeinschaft mit wechselnden Anspruchsgrundlagen gehandelt. Sie habe die aus drei Bänden
bestehende Veraltungsakte mit 905 Blatt durcharbeiten und inzident auch die Heizkosten von 2009 überprüfen müssen. Die Bedeutung
für die Kläger sei hoch gewesen, denn es habe sich um laufende Leistungen zuzüglich Heizkosten als Einmalbedarf gehandelt.
Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund zu sehen, dass im November 2010 Heizkosten entstanden und der Winter vor der Tür
stand. Die Einkommensverhältnisse der Kläger seien nicht unterdurchschnittlich gewesen. Der in der Hausgemeinschaft lebende
Ehemann habe Einkommen aus Rente, die Kläger seien Eigentümer eines Eigenheims. Die in Bedarfsgemeinschaft lebende Tochter
habe eigenes Einkommen gehabt.
Der Beschwerdegegner ist dem entgegengetreten und hat zur Begründung auf den Beschluss der Vorinstanz verwiesen.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen (Verfügung vom 5. Dezember 2014) und sie dem Thüringer Landessozialgericht
vorgelegt. Mit Beschluss vom 30. Januar 2014 hat der Senatsvorsitzende das Verfahren dem Senat übertragen.
II.
Anzuwenden ist das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) in der Fassung bis zum 31. Juli 2013 (a.F.), denn Auftragserteilung und Beiordnung erfolgten vor diesem Zeitpunkt (§ 60 Abs. 1 S. 1 RVG).
Die Beschwerde gegen die Festsetzung der Rechtsanwaltsgebühren ist nach §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 3 S. 1 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) statthaft (ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 14. Februar 2011 - L 6 SF 1376/10 B m.w.N.) und zulässig. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,00 Euro und die Beschwerde ist innerhalb der Zwei-Wochen-Frist
der §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 3 RVG eingelegt worden.
Die Beschwerde ist unbegründet.
Nach § 3 Abs. 1 S. 1 RVG entstehen in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen das Gerichtskostengesetz (GKG) nicht anzuwenden ist, Beitragsrahmengebühren, die dem im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt aus der
Landeskasse zu erstatten sind (§ 45 Abs. 1 RVG). Das SG hatte den Klägern mit Beschluss vom 16. Januar 2012 PKH gewährt. An diese Entscheidung ist der Senat gebunden. Es hat nicht
zu überprüfen, ob die PKH-Gewährung ohne jegliche Substantiierung der Klage, d.h. ohne Schilderung des Sachverhalts und ohne
Klagebegründung (vgl. Geimer in Zöller,
ZPO, 30. Auflage 2014, §
118 Rdnr. 11f.) hätte erfolgen dürfen. Die Kläger waren kostenprivilegierte Beteiligte i.S.d. §
183 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) und die Anwendung des GKG scheidet aus (§
197a Abs.
1 S. 1
SGG).
Die Höhe der Vergütung errechnet sich nach dem Vergütungsverzeichnis (VV) der Anlage 1 zum RVG. Die Höhe der Rahmengebühr bestimmt nach § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen
Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem
Ermessen (Satz 1); bei Rahmengebühren ist das Haftungsrisiko zu berücksichtigen (Satz 3). Ist die Gebühr von einem Dritten
zu ersetzen, ist die von dem Rechtsanwalt getroffene Bestimmung nicht verbindlich, wenn sie unbillig ist (Satz 4), wobei ihm
nach allgemeiner Meinung ein Spielraum (sogenannte Toleranzgrenze) von 20 v.H. zusteht (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - Az.: B 4 AS 21/09 R m.w.N., nach juris; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u.a. Beschluss vom 26. November 2008 - Az.: L 6 B 130/08 SF). Unbilligkeit liegt vor, wenn der Rechtsanwalt die Kriterien des § 14 Abs. 1 S. 1 RVG unter Beachtung des Beurteilungsspielraums objektiv nicht hinreichend beachtet (vgl. Senatsbeschluss 14. Februar 2011 - Az.:
L 6 SF 1376/10 B); dann erfolgt - wie hier - eine Festsetzung nur in Höhe der angemessenen Gebühren.
Die Beschwerdeführerin hat keinen Anspruch auf eine höhere als die zuerkannte Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG. Tatsächlich stand ihr nur die Hälfte zwischen Mindest- und Mittelgebühr (145,00 Euro) zu. Dies ergibt sich aus Folgendem:
1. Der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit war im Vergleich mit den übrigen sozialgerichtlichen Verfahren (vgl. Senatsbeschluss
vom 18. August 2011 - L 6 SF 872/11 B) unterdurchschnittlich. Zu berücksichtigen ist dabei der zeitliche Aufwand, den der Rechtsanwalt tatsächlich in der Sache
betrieben hat und objektiv verwenden musste (vgl. BSG, Urteil vom 1. Juli 2009 - B 4 AS 21/09 R, nach juris). Der durchschnittliche Umfang orientiert sich am Leitbild der zugehörigen Verfahrensordnung am Ablauf eines
Verfahrens (vgl. Hartmann in Kostengesetze, 43. Auflage 2013, § 14 RVG Rdnr. 3), jeweils bezogen auf das in der jeweiligen Gebührenziffer umschriebene Tätigkeitsfeld. Mit der Verfahrensgebühr
in Klageverfahren vor dem Sozialgericht wird der Aufwand für Besprechung und Beratung des Mandanten, das Anfordern und die
Sichtung von beigezogenen und eingeholten Unterlagen, die Rechtsprechungs- und Literaturrecherche, der Schriftverkehr mit
dem Mandanten und dem Gericht sowie alle Tätigkeiten, für die mangels entsprechender Gebührenvorschriften nicht eine besondere
Gebühr angesetzt werden kann, vergütet. Durchschnittlich umfangreich ist eine anwaltlichen Tätigkeit, bei der die Klage erhoben,
Akteneinsicht genommen, die Klage begründet und zu den Ermittlungen des Gerichts Stellung genommen wird (vgl. Pankatz in Riedel/Sußbauer,
Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, 10. Auflage 2015, § 3 Rdnr. 15). Wird eine Klage nicht begründet, ist der Umfang der anwaltlichen Tätigkeit grundsätzlich als unterdurchschnittlich
einzuschätzen. Ein denkbarer Ausnahmefall ist hier angesichts der wenigen kurzen Schriftsätze, in denen die Beschwerdeführerin
Klage erhob, Unterlagen zur PKH einreichte, um Fristverlängerung bat und die Klage zurücknahm, nicht ersichtlich. Er ist auch
nicht mit dem vorgetragenen hohen Aufwand durch die Akteneinsicht zu begründen. Nachdem im Hauptsacheverfahren nur der Leistungsabschnitt
Januar bis Juni 2010 streitgegenständlich war, erschließt sich nicht, dass die Beschwerdeführerin - wie vorgetragen - "inzident"
das "komplette Jahr 2009" überprüfen sowie die gesamten Verwaltungsakten durchsehen und einscannen musste. Die der Beschwerdebegründung
beigefügte Tabelle belegt ebenfalls nicht den vorgetragenen hohen Aufwand.
2. Fehlt eine Klagebegründung, kann nicht festgestellt werden, ob die anwaltliche Tätigkeit tatsächlich durchschnittlich schwierig
war. Die nachträgliche Behauptung der Beschwerdeführerin genügt hierfür nicht.
3. Der Senat kann auch keine durchschnittliche Bedeutung der Angelegenheit für die Kläger feststellen, nachdem mit der Klage
nicht die Höhe des geltend gemachten Anspruchs beziffert wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juni 2012 - L 6 SF 601/12 B) und er sich auch nicht aus anderen Umständen (z.B. aus dem Inhalt eines angenommenen Vergleichs oder einem Anerkenntnis,
vgl. Senatsbeschluss vom 5. Dezember 2013 - L 6 SF 792/13 B) ergab. Dann besteht im Festsetzungsverfahren kein Anlass, hierzu Ermittlungen anzustellen oder eine durchschnittliche
oder sogar überdurchschnittliche Bedeutung zu unterstellen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 8. Mai 2012 - Az.: L 6 SF 466/12 B und 18. März 2011 - Az.: L 6 SF 1418/10 B). Insofern ist es unerheblich, dass um laufende Leistungen für die Kläger einschließlich Heizkosten gestritten wurde und
der Winter unmittelbar vor der Tür stand.
4. Angesichts der Tatsache, dass die Kläger Leistungen nach dem SGB II bezogen, waren ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse weit unterdurchschnittlich. Es kann dahingestellt bleiben, ob Vergleichsparameter
das Durchschnittseinkommen und -vermögen der Gesamtbevölkerung ist (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage 2013 § 14 RVG Anm. 95; 2009: 2.000 Euro) oder ob davon noch ein Abschlag vorzunehmen ist, weil das Durchschnittseinkommen die Personenkreise
vernachlässigt, die kein eigenes Einkommen haben (vgl. Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 21. Auflage 2013, § 14 Rdnr 18: dann 1.500,00 Euro). Das Einkommen der Kläger lag jedenfalls deutlich unter beiden Beträgen. Unerheblich ist damit
auch, dass der Ehemann der Klägerin nach eigenen Angaben Einkommen aus einer Rente wegen Erwerbsminderung in Höhe von 645,14
Euro hatte. Es gibt auch keine Anhaltspunkte für durchschnittliche Vermögensverhältnisse. Zwar waren die Klägerin und ihr
Ehemann nach eigenen Angaben Eigentümer eines Eigenheims, dessen Wert sie im Rahmen der PKH-Gewährung mit ca. 100.000,00 Euro
bezifferten. Dem standen aber Belastungen in Höhe von ca. 95.000,00 Euro gegenüber.
5. Ein besonderes Haftungsrisiko ist nicht ersichtlich.
Danach errechnen sich die Gebühren der Beschwerdeführerin wie folgt:
Verfahrensgebühr Nr. 3102 VV-RVG
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145,00 Euro
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erhöht nach Nr. 1008 VV-RVG
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232,00 Euro
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Post- und Telekommunikation
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20,00 Euro
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Zwischensumme
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252,00 Euro
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Umsatzsteuer
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47,88 Euro
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Gesamtbetrag
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297,88 Euro
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Allerdings steht der Herabsetzung der Rechtsanwaltsvergütung um 201,92 Euro (499,80 Euro./. 297,88 Euro) das Verschlechterungsverbot
("reformatio in peius") entgegen. Im Erinnerungsverfahren hatte sich der Beschwerdegegner nicht gegen die Festsetzung der
UdG gewandt.
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S 2 und 3 RVG).
Eine Beschwerde an das Bundessozialgericht findet nicht statt (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 4 S. 3 RVG).