Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende, Leistungsausschluss bei Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich
angeordneter Freiheitsentziehung
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten, mit dem diese die Bewilligung
von Arbeitslosengeld II (ALG II) wegen eines Aufenthaltes des Klägers in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe
rückwirkend aufgehoben und überzahlte Leistungen in Höhe von 514,48 EUR zurückgefordert hat.
Der 1971 geborene Kläger bezog von der Beklagten seit Oktober 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Zuletzt bewilligte die Beklagte ihm mit Änderungsbescheid
vom 06.06.2009 ALG II für den Bewilligungszeitraum von 01.07. bis 31.10.2009. Durch eine Aufnahmemitteilung der JVA H. vom 29.09.2009 erhielt
die Beklagte davon Kenntnis, dass der Kläger am 27.09.2009 zur Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufgenommen worden
war. Nach Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafe im geschlossenen Vollzug wurde der Kläger am 02.11.2009 entlassen. Nach vorheriger
Anhörung (Schreiben vom 06.10.2009) erteilte die Beklagte den angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.11.2009,
mit dem sie den Bewilligungsbescheid vom 06.06.2009 mit Wirkung ab dem 27.09.2009 rückwirkend aufhob und überzahlte Leistungen
für den Zeitraum vom 27.09. bis 31.10.2009 in Höhe von 629,28 EUR zurückforderte. Zur Begründung gab sie an, der Kläger habe
während seines Haftaufenthaltes keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gehabt. Er habe gewusst bzw. hätte wissen müssen,
dass der ihm zuerkannte Anspruch weggefallen sei (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren
[SGB X]). Dem hiergegen erhobenen Widerspruch half die Beklagte insoweit ab, als sie den Erstattungsbetrag im Hinblick auf
§ 40 Abs. 2 S. 1 SGB II auf 514,48 EUR reduzierte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück.
Mit seiner am 17.11.2009 erhobenen Klage hat der Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, der Ausschlusstatbestand des § 7
Abs. 4 S. 2 SGB II greife in seinem Fall nicht ein. Es fehle an einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung, da für
die Anordnung der Ersatzfreiheitsstrafe die Vollstreckungsbehörde zuständig sei.
Mit Gerichtsbescheid vom 20.01.2010 hat das Sozialgericht (SG) Bremen die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben, da diese nicht berechtigt gewesen sei, die Leistungsbewilligung
nach dem SGB II wegen der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufzuheben. Insoweit hat das SG auf einen Beschluss der 26. Kammer des SG vom 26.06.2009 (S 26 AS 1118/09 ER) und einen Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Bremen vom 08.04.2009 (S3 K 2721/07) Bezug genommen.
Mit ihrer vom Senat (Beschluss vom 25.03.2010) zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, es erscheine
nicht schlüssig, im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II zwischen Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen zu unterscheiden.
Auch die Ersatzfreiheitsstrafe stelle eine echte Freiheitsstrafe dar und bedürfe wie jede Art der Freiheitsentziehung gemäß
Art.
104 Abs.
2 Grundgesetz (
GG) einer richterlichen Entscheidung. Eine solche richterliche Entscheidung werde stets gleichzeitig mit der Verhängung einer
Geldstrafe nach Tagessätzen getroffen, denn damit werde zugleich über die Zulässigkeit der Freiheitsstrafe entschieden, falls
die Geldstrafe nicht eingebracht werden könne (§
43 Strafgesetzbuch -
StGB). Die regelmäßig nur kurze Dauer von Ersatzfreiheitsstrafen rechtfertige keine anders lautende Entscheidung, da Grundsicherungsleistungen
mit Ausnahme von Krankenhausaufenthalten während des Aufenthaltes in stationären Einrichtungen unabhängig von dessen Dauer
ausgeschlossen seien. Soweit die Ersatzfreiheitsstrafe in der Gesetzesbegründung (Bundestagsdrucksache 16/1410, Seite 20)
nicht erwähnt werde, ergebe sich aus den dortigen Formulierungen, dass die Aufzählung nicht abschließend sei.
Die Beklagte beantragt,
den Gerichtsbescheid des SG Bremen vom 20.01.2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und bezieht sich zur Begründung auf aktuelle Beschlüsse des SG Bremen vom 11.03.2010
(S 21 AS 313/10 ER) und vom 13.04.2010 (S 22 AS 673/10 ER).
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die den Kläger betreffenden Leistungsakten der Beklagten
sowie die Gerichtsakte verwiesen. Diese sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 03.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 12.11.2009
ist rechtmäßig und unterliegt damit entgegen der Auffassung des SG nicht der Aufhebung.
Die Beklagte war berechtigt, ihren Bewilligungsbescheid vom 06.06.2009 für die Zeit ab dem 27.09.2009 wegen Änderung der Verhältnisse
nach § 48 SGB X aufzuheben.
§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB X trifft folgende Regelung: Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsakts
vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Liegen
die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X vor, soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden.
Mit der Aufnahme des Klägers in die JVA am 27.09.2009 war eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen i.
S. d. § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X eingetreten, da sein Leistungsanspruch nach dem SGB II von diesem Zeitpunkt an entfallen war. Nach § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II
erhält Leistungen nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung
steht nach S. 2 der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleich. Nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteile vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 16/07 R, Rn 16 und vom 07.05.2009 - B 14 AS 16/08 R, Rn 14) ist die Unterbringung in einer stationären Einrichtung i. S. d. § 7 Abs. 4 SGB II als gesetzliche Fiktion der Erwerbsunfähigkeit
ausgestaltet worden. Diese Fiktion kann nur mit der Aufnahme einer mindestens 15 Wochenstunden umfassenden Erwerbsarbeit zu
regulären Arbeitsmarktbedingungen widerlegt werden. Die Zuweisung von Hilfebedürftigen zum System des SGB II oder zum System
des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII) entscheidet sich im Rahmen des § 7 Abs. 4 SGB II mithin nicht
anhand der individuellen Leistungsfähigkeit bzw. Erwerbsfähigkeit des Hilfebedürftigen. Es kommt ausschließlich auf die objektive
Struktur und Art der Einrichtung an. Ist die Einrichtung so strukturiert und gestaltet, dass es dem dort Untergebrachten nicht
möglich ist, aus der Einrichtung heraus eine Erwerbstätigkeit auszuüben, die den zeitlichen Kriterien des § 8 SGB II genügt,
so ist der Hilfebedürftige dem SGB XII zugewiesen. Tragender Gesichtspunkt für eine solche Systementscheidung ist nach der
Rechtsprechung des BSG die Annahme, dass der in einer Einrichtung Verweilende aufgrund der Vollversorgung und aufgrund seiner
Einbindung in die Tagesabläufe der Einrichtung räumlich und zeitlich so weitgehend fremdbestimmt ist, dass er für die für
das SGB II im Vordergrund stehenden Integrationsbemühungen zur Eingliederung in Arbeit (§ 14 ff. SGB II) nicht oder nicht
ausreichend zur Verfügung steht. Im Kontext der Abgrenzung von SGB II und SGB XII ist der Begriff der Einrichtung i. S. d.
§ 7 Abs. 4 SGB II mithin danach zu bestimmen, ob durch die Unterbringung in der Einrichtung die Fähigkeit zur Aufnahme einer
mindestens dreistündigen täglichen Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeschlossen ist. Davon ausgehend hat
das BSG entschieden, dass der Aufenthalt in einer JVA jedenfalls im sog. Regelvollzug (kein Freigang) auch nach dem Rechtszustand
vor dem 01.08.2006 (zu diesem Zeitpunkt erfolgte die Gleichstellung der JVA mit der stationären Einrichtung durch § 7 Abs.
4 SGB II n. F.) eine Leistungen nach SGB II ausschließende Unterbringung in einer stationären Einrichtung war (BSG, Urteile
vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 16/07 R, Rn 18 und B 14/7b AS 60/06 R, Rn 16; Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 9/08 R, Rn 14 [Ersatzfreiheitsstrafe]). In der zuletzt genannten Entscheidung, die noch zu der früheren Fassung des § 7 Abs. 4
SGB II ergangen ist, hat das BSG die Anwendung des Leistungsausschlusses - in Kenntnis der zum 01.08.2006 in Kraft getretenen
klarstellenden Regelung des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II - nicht bereits daran scheitern lassen, dass sich der dortige Kläger lediglich
zur Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe in der JVA befunden hatte. Vielmehr hat es den JVA-Aufenthalt allein deshalb als
anspruchsunschädlich angesehen, weil die nach damaligem Recht noch erforderliche Aufenthaltsdauer von mindestens sechs Monaten
nicht erreicht war.
Nach den dargestellten Maßstäben unterlag der Kläger dem Leistungsausschluss, da es ihm aufgrund seiner Unterbringung in der
JVA nicht möglich war, eine mindestens dreistündige tägliche Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt aufzunehmen.
Der Kläger hat insbesondere nicht vorgetragen, dass er über Vollzugslockerungen verfügte, die ihm die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit
erlaubten, oder dass er gar tatsächlich eine Erwerbstätigkeit ausübt. Hierfür liegen auch keinerlei Anhaltspunkte vor.
Entgegen der Auffassung des SG steht dem Leistungsausschluss nicht entgegen, dass es sich bei einer Ersatzfreiheitsstrafe nicht um eine richterlich angeordnete
Freiheitsentziehung handelt. Auf diese Frage kommt es von vornherein nicht an, da nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB
II maßgeblich ist, ob ein Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung vorliegt.
Danach reicht es aus, dass die fragliche stationäre Einrichtung allgemein (auch) dem Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung
dient. Dies ist bei der JVA H., in der sich der Kläger aufgehalten hat, unzweifelhaft der Fall. Allerdings würde sich selbst
dann, wenn darauf abzustellen wäre, ob die Freiheitsentziehung im Einzelfall richterlich angeordnet wurde, keine andere Beurteilung
ergeben. Das LSG Baden-Württemberg hat in seinem Urteil vom 07.10.2009 (L 3 AS 668/09; Revision anhängig beim BSG unter dem Az. B 14 AS 81/09 R) zutreffend darauf hingewiesen, dass die Geldstrafe nach §
40 Abs.
1 StGB in Tagessätzen verhängt wird und nach Abs.
4 dieser Vorschrift in der Entscheidung Zahl und Höhe der Tagessätze anzugeben sind. Anstelle einer uneinbringlichen Geldstrafe
tritt gem. §
43 StGB kraft Gesetzes die Freiheitsstrafe, wobei ein Tag Freiheitsstrafe einem Tagessatz entspricht. Mit der Verhängung der Geldstrafe
nach Tagessätzen ist damit zugleich die Ersatzfreiheitsstrafe richterlich verfügt (so auch Fahlbusch in: Beck scher Online-Kommentar,
Stand: 01.03.2010, § 7 SGB II, Rn 20). Unter Zugrundelegung der anderslautenden Auffassung des SG müsste die Ersatzfreiheitsstrafe konsequenterweise als verfassungswidrig angesehen werden, da nach Art.
104 Abs.
2 S. 1
GG über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung nur der Richter zu entscheiden hat. Die Ersatzfreiheitsstrafe
tritt indes als echte Strafe ohne rechtsgestaltenden Akt an die Stelle der Geldstrafe (Bundesverfassungsgericht, Beschluss
vom 24.08.2006 - 2 BvR 1552/06, Rn 7 unter Hinweis auf BGHSt 20, 13, 16). Bei einer Ersatzfreiheitsstrafe hat daher die Freiheitsbeschränkung nicht ihre Grundlage in der Anordnung der Vollstreckungsbehörde
nach §
459 e Abs.
1 Strafprozessordnung (
StPO), sondern in dem zu vollstreckenden Strafausspruch (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 03.03.2005 - 3 VAs 1/05, Leitsatz 4). Auch die Ersatzfreiheitsstrafe ist damit "richterlich angeordnet" i. S. d. § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II.
Das Argument, § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II wäre überflüssig, wenn jeder Freiheitsentzug bereits als stationärer Aufenthalt i. S.
d. § 7 Abs. 4 S. 1 SGB II anzusehen wäre, überzeugt nicht. Denn § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II hat ohnehin lediglich klarstellende
Funktion, da in Rechtsprechung und Literatur die Frage des Einrichtungscharakters der JVA kontrovers diskutiert worden war
(vgl. BSG, Urteil vom 06.09.07 - B 14/7 b AS 60/06 R, Rn 16). Soweit die Ersatzfreiheitsstrafe in der Gesetzesbegründung zur Neufassung des § 7 Abs. 4 SGB II (BT-Drucksache
16/1410, S. 19f) nicht ausdrücklich erwähnt wird und auch nicht unter den dort genannten Begriff der "Strafhaft" subsumiert
werden könnte, ließe dies nicht den Schluss zu, der Gesetzgeber habe einen Leistungsausschluss für diesen Fall nicht normieren
wollen. Es handelt sich, wie die Verwendung der Formulierung "insbesondere" zeigt, lediglich um eine beispielhafte Aufzählung.
Auch der Hinweis des SG, dass es angesichts der regelmäßig nur kurzen Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe sinnvoll sei, einen Trägerwechsel zu vermeiden,
rechtfertigt keine anderslautende Beurteilung. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 4 S. 1 u. 2 SGB II greift seit der Neufassung
des Gesetzes zum 01.08.2006 vom ersten Tag der Aufnahme in eine Einrichtung ein. Die nach früherem Recht erforderliche Prognoseentscheidung
hinsichtlich der Dauer des Aufenthalts ist entfallen. Damit ist die Unterbringung in einer stationären Einrichtung i. S. d.
§ 7 Abs. 4 SGB II noch deutlicher als gesetzliche Fiktion der Erwerbsunfähigkeit ausgestaltet worden (vgl. BSG, Urteil vom
16.09.2007 - B 14/7b AS 16/07 R, Rn 16). Die Dauer des Aufenthalts ist nach dem eindeutigen Wortlaut des § 7 Abs. 4 S. 3 Nr. 1 SGB II n. F. nur bei einem
Aufenthalt in einem Krankenhaus erheblich. Der mit dem Wegfall des Leistungsanspruchs nach dem SGB II verbundene Trägerwechsel
ist notwendige Konsequenz des Regelungskonzepts des SGB II, das in Abgrenzung zum SGB XII nur diejenigen Hilfebedürftigen
erfassen soll, die erwerbsfähig sind. Im Übrigen kann es auch nicht maßgeblich darauf ankommen, dass eine Ersatzfreiheitsstrafe
sofort durch Zahlung der Geldstrafe beendet werden kann. Auch bei Aufenthalten in anderen stationären Einrichtungen kann es
der Hilfebedürftige in der Hand haben, den Aufenthalt einseitig zu beenden, etwa durch den Abbruch einer (voraussichtlich
mindestens sechs Monate dauernden) stationären Entwöhnungsbehandlung gegen ärztlichen Rat. Maßgeblich kann danach nur sein,
dass der Hilfebedürftige dem Arbeitsmarkt tatsächlich nicht zur Verfügung steht, solange der stationäre Aufenthalt andauert.
Der von Klägerseite hervorgehobene Umstand der unterschiedlichen Ausgestaltung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe in den
einzelnen Bundesländern rechtfertigt keine anders lautende Beurteilung. Insbesondere ist Artikel
3 Abs.
1 GG nicht verletzt, da die vom Senat vertretene Auslegung des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II nicht zu einer durch sachliche Gründe nicht gedeckten Ungleichbehandlung von Strafgefangenen, die zur
Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe inhaftiert sind, führt. Es ist eine notwendige Konsequenz des Regelungskonzepts des
SGB II als steuerfinanziertem Leistungssystem für erwerbsfähige Hilfebedürftige, dass im Einzelfall darauf abzustellen ist,
ob es dem Hilfebedürftigen aufgrund der Struktur der Einrichtung möglich ist, drei Stunden täglich einer Erwerbstätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nachzugehen. Sollte dies dazu führen, dass je nach Ausgestaltung des Vollzugs in dem einen
Bundesland ein Leistungsanspruch nach dem SGB II fortbesteht, in einem anderen dagegen nicht, liegt ein sachlicher Grund für
die Ungleichbehandlung vor. Die Frage, ob die unterschiedliche Ausgestaltung des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafe in den
einzelnen Bundesländern ihrerseits durch sachliche Gründe gerechtfertigt ist, ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich.
Dieses wäre im Rechtsverhältnis zwischen dem Strafgefangenen und der Vollstreckungsbehörde zu klären.
Die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 SGB X für eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides sind gegeben. Zwar kann entgegen der Feststellung in dem angefochtenen
Bescheid vom 03.11.2009 nicht davon ausgegangen werde, dass der Kläger wusste oder hätte wissen müssen, dass sein Leistungsanspruch
mit dem Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe weggefallen war (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 SGB X). Für eine solche Annahme ist im Hinblick auf die Rechtsprechung verschiedener Kammern des SG Bremen, wonach die Verbüßung
einer Ersatzfreiheitsstrafe nicht zu einem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II führt, kein Raum. Dem Kläger als
juristischem Laien kann kaum vorgeworfen werden, dass er bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt zu einer anders lautenden Rechtsauffassung
hätte gelangen müssen.
Es ist allerdings der Tatbestand des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X erfüllt. Der Kläger ist einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger
Änderungen der Verhältnisse zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Er war als Leistungsempfänger nach dem SGB II gemäß
§
60 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (
SGB I) verpflichtet, Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistungen erheblich waren, unverzüglich mitzuteilen. Die Aufnahme
in die JVA war aus den dargestellten Gründen eine solche für die Leistungen nach dem SGB II erhebliche Änderung. Der danach
gegebenen Mitteilungspflicht ist der Kläger grob fahrlässig nicht nachgekommen. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Von einem solchen Sachverhalt
ist hier auszugehen. Es liegt auf der Hand, dass Anschriftenänderungen dem Träger der Grundsicherung umgehend mitzuteilen
sind, um die postalische Erreichbarkeit etwa für Vermittlungsangebote und die Übersendung von Bescheiden etc. zu gewährleisten.
Hinzu kommt, dass der Kläger ausweislich der vorliegenden Leistungsakten mit seinen Unterschriften unter diverse Leistungsanträge,
zuletzt mit Datum vom 15.03.2009, bestätigt hat, das Merkblatt "SGB II - Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld
II/Sozialgeld)" erhalten zu haben und dessen Inhalt zu kennen. In diesem Merkblatt (sowohl in der damaligen Fassung - Stand:
Februar 2009 - als auch in aktuellen Fassung) heißt es auf Seite 5 unter der Überschrift "Das Wichtigste vorweg", der Leistungsempfänger
müsse an jedem Werktag für seine Ansprechpartnerin/seinen Ansprechpartner unter der von ihm angegebenen Anschrift erreichbar
sein und den zuständigen Träger täglich aufsuchen können. Eine Änderung der Adresse müsse unverzüglich angezeigt werden. Auf
Seite 56 ("Grundpflichten und Folgen von Pflichtverletzungen") heißt es hierzu ergänzend: "Sollten Sie beabsichtigen, sich
vorübergehend unter einer anderen Anschrift aufzuhalten, so sind Sie verpflichtet, Ihre Ansprechpartnerin/Ihren Ansprechpartner
zu informieren". Auf Seite 64 ("Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten") wird nochmals auf die Verpflichtung zur sofortigen
Mitteilung einer Anschriftenänderung hingewiesen. Ferner hat der Kläger in dem Antragsvordruck "Anlage KDU" mit Datum vom
14.12.2008 Angaben zu seinen Wohnverhältnissen gemacht und sich mit seiner Unterschrift verpflichtet, künftige Änderungen
unaufgefordert und unverzüglich mitzuteilen.
Aufgrund dieser unmissverständlichen Hinweise war es für den Kläger eine naheliegende Überlegung, der Beklagten den bevorstehenden
Haftantritt zumindest vorsorglich mitzuteilen. Dies gilt unabhängig davon, dass er subjektiv möglicherweise der Auffassung
war, weiterhin einen Anspruch auf ALG II zu haben. Denn die Mitteilungspflicht soll dem Leistungsträger lediglich ermöglichen, die rechtliche Erheblichkeit der
Änderung für den Leistungsanspruch zu prüfen. Im Rahmen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X ist es gerade nicht erforderlich, dass dem Leistungsempfänger der Wegfall der Leistungsanspruchs positiv bekannt war oder
ihm jedenfalls hätte bekannt sein müssen (vgl. Steinwedel in: Kass. Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 48 SGB X Rn. 43).
Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger aufgrund intellektueller oder geistiger Defizite gehindert gewesen sein könnte, seiner
Mitteilungspflicht nachzukommen ist, sind nicht vorhanden. Dies ist insbesondere auch in der mündlichen Verhandlung, in der
die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X erörtert worden sind, von Klägerseite nicht geltend gemacht worden.
Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 S. 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X hat die Beklagte eingehalten. Ermessen war gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II i. V. m. §
330 Abs.
3 S. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (
SGB III) nicht auszuüben.
Die Verpflichtung zur Erstattung der in dem Zeitraum vom 27.09. bis 31.10.2009 überzahlten Leistungen ergibt sich aus § 40
Abs. 1 S. 1 SGB II i. V. m. § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X. Die in diesem Zeitraum dem Kläger gewährten Leistungen hat die Beklagte in ihrem Bescheid vom 03.11.2009 im Einzelnen aufgeführt.
Berechnungsfehler sind insoweit nicht ersichtlich und vom Kläger auch nicht geltend gemacht worden. Soweit die Beklagte in
ihrem Widerspruchsbescheid zugunsten des Klägers die Vorschrift des § 40 Abs. 2 S. 1 SGB II angewendet und den Erstattungsbetrag
um 56% der gewährten Kosten der Unterkunft auf 514,48 EUR reduziert hat, wäre diese Reduzierung hier gemäß S. 2 der Vorschrift
nicht vorzunehmen gewesen, da - wie ausgeführt - ein Fall des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X vorlag.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Der Senat hat gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Revision an das Bundessozialgericht zugelassen.