Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach SGB II; Leistungen für Unterkunft und Heizung bei einer Gutschrift aus einem Betriebskostenguthaben
Gründe:
I
Streitig ist die teilweise Aufhebung der Bewilligung von Unterkunftskosten nach dem SGB II für Dezember 2009.
Die laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II beziehenden Kläger zu 1 bis 3 wohnten bis zum 31.10.2008 in einer Wohnung im O weg in K . Am 1.11.2008 zogen sie ohne vorherige
Zustimmung des Beklagten in ihre derzeitige Wohnung im Ö weg um. Für den Zeitraum vom 1.7.2009 bis 31.12.2009 bewilligte der
Beklagte SGB II-Leistungen in Höhe von 1212 Euro monatlich (Bescheid vom 12.6.2009). Hierin enthalten war nur ein von dem Beklagten für Kosten
der Unterkunft als angemessen angesehener Betrag in Höhe von 485 Euro (je Kläger 161,66 Euro), nicht die tatsächlichen Unterkunftskosten
in Höhe von 600 Euro monatlich.
Aus einer für den Zeitraum 1.1.2008 bis 31.12.2008 erstellten Betriebskostenabrechnung des früheren Vermieters vom 2.10.2009,
dem Beklagten zugegangen am 6.10.2009, ergab sich ein Guthaben in Höhe von 1006,78 Euro. Der Vermieter informierte den Beklagten
am 16.10.2009 darüber, dass der Betrag aufgrund diverser Mietschulden nicht ausgezahlt werde. Dem Kläger zu 2 teilte er mit,
wegen "aufgelaufener, noch ausstehender Mietrückstände" werde das Guthaben in voller Höhe "verrechnet" (Schreiben vom 11.11.2009).
Der Beklagte errechnete ein Betriebskostenguthaben der Kläger für den Teilzeitraum vom 1.1.2008 bis 31.10.2008 in Höhe von
838,99 Euro; hiervon entfielen nach seiner Ansicht 785,40 Euro auf die aktuelle Bedarfsgemeinschaft, weil zeitweise auch mehr
Personen im Haushalt gelebt hätten. Dies berücksichtigend bewilligte der Beklagte den Klägern für Dezember 2009 lediglich
die Regelleistungen in Höhe von 727 Euro, weil hinsichtlich der Kosten der Unterkunft das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung
in Höhe von 485 Euro bedarfsmindernd anzurechnen sei (Bescheid vom 23.11.2009). Gleichzeitig hob er mit weiteren Bescheiden
vom 23.11.2009 die Leistungsbewilligungen ab 1.12.2009 teilweise in Höhe von 161,66 Euro bei dem Kläger zu 2, gegenüber der
Klägerin zu 1 in Höhe von 161,68 Euro und hinsichtlich der Klägerin zu 3 in Höhe von 161,66 Euro (Gesamthöhe von 485 Euro)
gemäß § 22 Abs 1 S 4 SGB II auf. Das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung sei im Dezember 2009 in Höhe eines Betrages von 485 Euro und im Januar
2010 in Höhe von 300,40 Euro bedarfsmindernd auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung anzurechnen, weil nicht nur faktische
Rückzahlungen, sondern bereits Guthaben die nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift entstandenen Aufwendungen des
Leistungsberechtigen minderten (Bescheide vom 23.11.2009; Widerspruchsbescheid vom 2.2.2010).
Das SG hat die Bescheide vom 23.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.2.2010 aufgehoben (Urteil vom 17.2.2011).
Den Klägern stünden auch für Dezember 2009 die Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in der festgesetzten Höhe
zu, weil keine wesentliche Änderung in den rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen eingetreten sei. § 22 Abs 1 S 4 SGB II könne nur angewandt werden, wenn dem Hilfebedürftigen eine Rückzahlung oder ein Guthaben zufließe, über das er tatsächlich
verfügen könne. Nach dem Wortlaut der Norm sei zwar davon auszugehen, dass eine faktische "Rückzahlung" an den Berechtigten
nicht erforderlich sei. Ausreichend sei vielmehr ein positiver Saldo, dh eine Forderung, die gegenüber einem anderen geltend
gemacht werden könne, bzw allein eine schriftliche Fixierung bzw Eintragung des Guthabens. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift
komme eine Minderung jedoch nur in Betracht, wenn dem Hilfebedürftigen tatsächlich Mittel zur Verfügung stünden, mit denen
er seinen Lebensunterhalt bestreiten könne, weil ansonsten eine Bedarfsunterdeckung bestehe. Gerade weil den Klägern die Disposition
über das Guthaben entzogen gewesen sei, liege keine Schuldentilgung vor. Die Kläger hätten nicht über das Guthaben verfügen
können und auch keinen Einfluss auf die Entscheidung des Vermieters gehabt, das Guthaben mit bestehenden Schulden zu verrechnen.
Mit seiner Sprungrevision rügt der Beklagte eine Verletzung von § 22 Abs 1 S 4 SGB II. Die Vorschrift sei auch anzuwenden, wenn die Gutschrift aus einem Betriebskostenguthaben dem Leistungsempfänger tatsächlich
nicht zur Verfügung stehe. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, weil das Wort "Gutschrift" keine Zahlung
beinhalte, sondern allein die schriftliche Fixierung bzw Eintragung eines Guthabens als bestehenden Anspruch eines Anderen
beinhalte. Der Umstand, dass die Gutschrift als Einkommen des Leistungsberechtigten angesehen werde und nach § 22 Abs 1 S 4 SGB II nur einer besonderen Anrechnungsform auf die Leistung unterliege, spreche ebenfalls dafür, dass auch die Rückerstattung,
die zur Schuldentilgung verwandt werde, seinen Leistungsanspruch mindere. Der Sicherungsauftrag des SGB II beinhalte nicht, dass der Leistungsberechtigte in jedem Leistungsmonat auch den vollen Leistungsbetrag zu erhalten habe;
vielmehr müssten Leistungsempfänger private Schulden aus der Regelleistung finanzieren. Allerdings ergebe sich - entgegen
den Berechnungen in den Bescheiden vom 23.11.2009 - im November ein Minderungsbetrag in Höhe von 485 Euro und - im streitgegenständlichen
Monat Dezember 2009 - nur ein solcher in Höhe von 300,40 Euro, weshalb die Bewilligung nur in dieser Höhe aufzuheben sei.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Altenburg vom 17. Februar 2011 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision des Beklagten zurückzuweisen.
Die Kläger machen geltend, das Guthaben dürfe nicht angerechnet werden, weil es nicht zugeflossen sei. Sie hätten auch kein
Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Verwendung des Guthabens gehabt. Im streitgegenständlichen Bewilligungszeitraum
sei ihr Bedarf gleich geblieben.
II
Die Revision des Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des SG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§
170 Abs
2 S 2
SGG). Ob und in welcher Höhe der Beklagte die Kosten der Unterkunft der Kläger im Dezember 2009 aufheben durfte, kann nicht abschließend
entschieden werden. Hierzu fehlen ausreichende tatsächliche Feststellungen (§
163 SGG) des SG, die es dem Senat ermöglichen würden, Grund und Höhe der Aufhebungsentscheidung zu überprüfen.
1. Das beklagte Jobcenter ist gemäß §
70 Nr 1
SGG beteiligtenfähig. Die beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG gehen in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass Jobcenter (§ 6d SGB II idF des Gesetzes vom 3.8.2010, BGBl I 1112) mit Wirkung vom 1.1.2011 als Rechtsnachfolgerin kraft Gesetzes an die Stelle
der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft (vgl § 76 Abs 3 S 1 SGB II) getreten sind. Dieser kraft Gesetzes eingetretene Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung des SGB II stellt keine im Revisionsverfahren unzulässige Klageänderung dar. Das Passivrubrum war daher von Amts wegen zu berichtigen.
Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Vorschrift des § 44b SGB II bestehen nicht, weil der Gesetzgeber sich bei der einfach-gesetzlichen Ausgestaltung innerhalb des von Art
91e Abs
1 und
3 GG eröffneten Gestaltungsspielraum bewegt (BSG SozR 4-4200 § 37 Nr 5).
2. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Sprungrevision bestehen nicht. Nachdem der Beklagte - nach Zustellung des Urteils am
28.2.2011 bzw 4.3.2011 - am 9.3.2011 die Zulassung der Sprungrevision beantragt und die Kläger mit Schriftsatz vom 24.3.2011,
welcher am selben Tag zur Gerichtsakte gelangte, der beantragten Zulassung der Sprungrevision zugestimmt hatten, hat das SG diese zugelassen (Beschluss vom 29.3.2011). Eine nach Zustellung des vollständigen Urteils abgegebene Erklärung ist regelmäßig
als Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision zu werten (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10. Aufl 2012, § 161 RdNr 4 mwN). Das BSG ist an die Zulassung durch das SG gebunden (§
161 Abs
2 S 2
SGG).
3. Gegenstand des Verfahrens sind die Bescheide des Beklagten vom 23.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
2.2.2010, mit denen er die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für den Monat Dezember 2009 teilweise aufgehoben hat. Die Kläger haben die Bescheide zu Recht mit der Anfechtungsklage (§
54 Abs
1 SGG) angegriffen.
Mit ihren in der Vorinstanz gestellten Anträgen, die Bescheide vom 23.11.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom
2.2.2010 aufzuheben, haben die Kläger den Streitstoff ausdrücklich auf die Aufhebung der mit Bescheid vom 12.6.2009 (auch)
für Dezember 2009 bereits bewilligten Kosten für Unterkunft durch den Beklagten in einer Gesamthöhe von 485 Euro beschränkt.
Der Höhe nach ist die Prüfung im Revisionsverfahren darauf begrenzt, ob der Beklagte berechtigt war, diese Leistungen aufzuheben.
An der Möglichkeit eines isolierten Rechtsstreits allein über die Kosten der Unterkunft und Heizung hat sich durch die Neufassung
des § 19 Abs 1 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453), das insofern zum 1.1.2011 in Kraft getreten ist, zumindest für das laufende Verfahren über vorher
abgeschlossene Bewilligungsabschnitte nichts geändert (zur Zulässigkeit einer derartigen Beschränkung: BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18; BSG Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, juris RdNr 11). Das SG wird allerdings zu berücksichtigen haben, dass der Beklagte im Revisionsverfahren anerkannt hat, dass die mit Bescheid vom
12.6.2009 bewilligten Unterkunftskosten (ohnehin) nur in Höhe von 300,40 Euro aufzuheben sind und insofern ein Teilanerkenntnis
vorliegt (Schriftsatz vom 6.7.2011; vgl zum Vorrang des normativen Anrechnungszeitraums vor dem sonst geltenden Zuflussprinzip
nach § 22 Abs 1 S 4 SGB II: Urteil des Senats vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 15 ff).
4. Die materielle Rechtmäßigkeit der Bescheide vom 23.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 2.2.2010 beurteilt
sich nach § 40 SGB II iVm § 48 Abs 1 S 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 12.6.2007, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs 1 S 2 Nr 3 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsakts
Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde. Wegen §
40 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB II iVm §
330 Abs
3 S 1
SGB III ist diese Rechtsfolge zwingend. Bei der Beurteilung der Wesentlichkeit der Änderung durch das Betriebskostenguthaben und
dessen Berücksichtigung sind hier auch weitere, den Grund und die Höhe der bewilligten Unterkunftskosten beeinflussende Berechnungsfaktoren
einzubeziehen (siehe hierzu unter 8). Auch insofern sind noch weitere Feststellungen des SG erforderlich.
5. Das in der Betriebskostenabrechnung vom 2.10.2009 ausgewiesene Guthaben ist grundsätzlich als Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB II iVm mit der Sonderregelung des § 22 Abs 1 S 4 SGB II und nicht als Vermögen zu berücksichtigen. Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II ist nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG grundsätzlich alles, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen, was er bereits vor Antragstellung
hatte. Dabei ist nach § 11 SGB II im Falle der Erfüllung einer (Geld-)Forderung grundsätzlich nicht ihr Schicksal von Bedeutung, sondern es ist allein die
Erzielung von Einnahmen in Geld oder Geldeswert maßgebend. Auch für Rückerstattungen von Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen
ist nicht von dieser Maßgeblichkeit des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen
abzuweichen (vgl zuletzt BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 16 mwN; BSG SozR 4-4200 § 9 Nr 5, RdNr 37; s aber BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 42, RdNr 12 zur Stromkostenerstattung und BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 16, RdNr 17 für den Ausnahmefall, dass mit bereits erlangten Einkünften Vermögen angespart wurde).
Nach der Sonderregelung zur Einkommensanrechnung von Rückzahlungen und Guthaben des § 22 Abs 1 S 4 SGB II (in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006,
BGBl I 1706; nunmehr - in geringfügig veränderter Fassung des § 22 Abs 3 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011) mindern Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, die nach dem
Monat der Rückzahlung oder Gutschrift entstandenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung
oder der Gutschrift. Mit der unklaren Formulierung "mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung" wird zum Ausdruck
gebracht, dass eine unmittelbare Anrechnung der Guthaben auf die Kosten der Unterkunft und Heizung und ohne Berücksichtigung
der Absetzbeträge des § 11 Abs 2 SGB II, nicht jedoch eine abweichende individuelle Bedarfsfestsetzung bei den Kosten der Unterkunft und Heizung des Folgemonats,
erfolgen soll. § 22 Abs 1 S 4 SGB II ist eine Sonderregelung zur Anrechnung von Einkommen iS des § 11 SGB II, die eingeführt wurde, um den mit der Einkommensberücksichtigung nach § 11 SGB II häufig einhergehenden Abzug der Versicherungspauschale zu vermeiden und zugleich die Anrechnung des Guthabens dem kommunalen
Träger zugute kommen zu lassen (BT-Drucks 16/1696 S 26). § 22 Abs 1 S 4 SGB II verändert für Rückzahlungen und Guthaben, die den Kosten der Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, lediglich die in § 19 S 3 SGB II (idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006, BGBl I 1706) bestimmte Reihenfolge
der Berücksichtigung von Einkommen und modifiziert den Zeitpunkt der Anrechnung in Bezug auf die Zuflusstheorie und - durch
die ausdrückliche gesetzliche Zuordnung zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung - die Regelungen des § 11 Abs 2 SGB II (vgl BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 17 ff; s auch Urteil des Senats vom 16.5.2012 - B 4 AS 159/11 R).
Es handelt sich hier um ein Guthaben, das dem Bedarf für Unterkunft und Heizung iS des § 22 Abs 1 S 4 SGB II zuzuordnen ist. § 22 Abs 1 S 4 SGB II ist auch nicht einschränkend dahin auszulegen, dass ein Guthaben nur dann (im Folgemonat) zu berücksichtigen ist, wenn es
sich (aufgrund mietvertraglicher Vereinbarungen oÄ) im Monat der Gutschrift oder später tatsächlich auf die Kosten der Unterkunft
und Heizung ausgewirkt hat (so LSG Hamburg Urteil vom 16.7.2009 - L 5 AS 81/08 - NZS 2010, 230, juris RdNr 26). Zwar könnte hierfür die Fassung des Gesetzes sprechen ("mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung"
anstelle "sind als Einkommen bei der Höhe der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen"). Eine derart weitgehende
Ankoppelung der Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens als Einkommen an Vereinbarungen und ein tatsächliches Handeln
des Vermieters und/oder des Leistungsberechtigten ist mit dieser Regelung jedoch nicht verbunden. Es ist nicht erkennbar,
dass der Gesetzgeber insoweit vom Einkommensbegriff des § 11 SGB II abweichen und Einkommen nur dann berücksichtigen wollte, wenn der Vermieter oder der Leistungsberechtigte dieses Guthaben
auch für einen bestimmten Zweck tatsächlich verwenden.
Der Anwendung des § 22 Abs 1 S 4 SGB II steht auch nicht entgegen, dass das Betriebskostenguthaben aus einem früheren Mietverhältnis stammt. Eine in diesem Sinne
einschränkende Auslegung ergibt sich aus dem Wortlaut des § 22 Abs 1 S 4 SGB II nicht. Insofern gilt der allgemeine Grundsatz, dass während der Hilfebedürftigkeit zugeflossenes Einkommen zur Bedarfsdeckung
heranzuziehen ist und bei der Anrechnung von Einkommen regelmäßig auf den Zeitraum des Erzielens von Einkommen in Geld oder
Geldeswert und nicht auf den Zeitpunkt abzustellen ist, in dem es "erwirtschaftet" wurde (BSGE 101, 291 = SozR 4-4200 § 11 Nr 15, jeweils RdNr 18; BSG SozR 4-4200 § 11 Nr 17, RdNr 23 ff). Über die in der Literatur diskutierte Frage, ob das Guthaben von vornherein nur teilweise berücksichtigt
werden kann, weil die Ansparung aus einer Zeit stammt, in welcher der Leistungsträger nicht die tatsächlichen, sondern nur
die aus seiner Sicht angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung übernommen hat (vgl hierzu zB Berlit in LPK-SGB II, 4. Aufl 2011, § 22 RdNr 116), musste der Senat nicht entscheiden, weil der Beklagte - nach Aktenlage - im Jahre 2008 die Kosten für Unterkunft
und Heizung in tatsächlicher Höhe übernommen hat.
6. Der Senat kann aber nicht abschließend beurteilen, ob - wie das SG und die Kläger meinen - das Betriebskostenguthaben nach Maßgabe des § 11 Abs 1 SGB II iVm § 22 Abs 1 S 4 SGB II deshalb nicht zu berücksichtigen ist, weil der Betrag den Klägern nicht direkt zugewandt, sondern von dem früheren Vermieter
"wegen aufgelaufener, noch ausstehender Mietrückstände verrechnet" worden ist.
Auch insofern handelt es sich - nach den allgemeinen Grundsätzen zum Begriff und zur Berücksichtigung von Einkommen - grundsätzlich
um zugeflossenes Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB II. Zwar enthält § 11 Abs 1 S 1 SGB II keine weitergehende Definition dessen, was als Einkommen gilt. Eine Betriebskostenrückzahlung, die dem Hilfebedürftigen nicht
ausgezahlt wird, sondern mit aufgelaufenen oder künftigen Mietforderungen des Vermieters von diesem verrechnet wird, bewirkt
aber bei ihm einen "wertmäßigen Zuwachs", weil sie wegen der damit ggf verbundenen Schuldbefreiung oder Verringerung anderweitiger
Verbindlichkeiten aus der Vergangenheit oder Zukunft einen bestimmten, in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt
(s BSGE 74, 287 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33, S 68 f zur Aufrechnung mit Arbeitsentgeltansprüchen; vgl BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2 zu gepfändeten Einkommensteilen; zu einem von der Vermieterin verrechneten Betriebs- und Heizkostenguthaben
mit zukünftigen Mietzahlungen: BSG Urteil vom 22.3.2012 - B 4 AS 139/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 55, RdNr 16).
Handelt es sich demnach um grundsätzlich zu berücksichtigendes Einkommen, wird das SG noch zu prüfen haben, ob die Kläger das Guthaben aus der Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2008 - auch wenn es (zunächst)
an einer "tatsächlichen Verfügungsgewalt" fehlte - auch aus Rechtsgründen überhaupt nicht oder nicht ohne Weiteres realisieren
konnten. Nur wenn dies festgestellt worden ist, standen den Klägern bereite Mittel zur Bedarfsdeckung nicht zur Verfügung
und muss - in gleicher Weise wie bei gepfändeten Teilen des Alg II - die mögliche Folge einer Tilgung von Mietschulden aus
der Vergangenheit durch Rückzahlungen aus Betriebskostenabrechnungen hingenommen werden (vgl zur Pfändung BSGE 108, 144 = SozR 4-5870 § 6a Nr 2 mwN; Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, § 11 RdNr 100 f; Söhngen in jurisPK-SGB II, 3. Aufl 2012, § 11 RdNr 41). Diese Prüfung ist erforderlich, obwohl das Betriebskostenguthaben mit Kosten der Unterkunft und Heizung "verrechnet"
worden ist. Zwar sind Aufwendungen der Kosten der Unterkunft und Heizung von dem SGB II-Träger zu übernehmen, wenn sie auf einer mit dem Vermieter getroffenen Vereinbarung beruhen und tatsächlich gezahlt werden
(BSGE 104, 179 = SozR 4-4200 § 22 Nr 24, RdNr 16 zum Staffelmietvertrag; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 47, RdNr 14). Der hier von dem Vermieter vorgenommenen Einbehaltung des Betriebskostenguthabens liegt jedoch keine Vereinbarung
zwischen den Klägern und ihrem Vermieter zugrunde, sondern sie ist als Aufrechnungserklärung iS des §
388 BGB die bloße Ausübung eines Gestaltungsrechts des Vermieters. Die ungeprüfte Akzeptanz des allein tatsächlichen Vermieterhandelns
käme - so der Beklagte zu Recht - der im SGB II grundsätzlich nicht möglichen "freiwilligen" Schuldentilgung gleich. Insofern haben die beiden für die Grundsicherung nach
dem SGB II zuständigen Senate des BSG bereits in anderem Zusammenhang darauf verwiesen, dass bei der Abgrenzung der als Zuschuss übernahmefähigen Aufwendungen
nach § 22 Abs 1 S 1 SGB II von den Schulden iS von § 22 Abs 5 SGB II ausgehend von dem Zweck der Leistungen nach dem SGB II danach zu unterscheiden ist, ob es sich um einen tatsächlich eingetretenen, bisher noch nicht von dem SGB II-Träger gedeckten Bedarf handelt oder nicht (zur Übernahme einer Heizkostennachforderung des Vermieters nach § 22 Abs 1 SGB II: BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 38, RdNr 17; BSG Urteil vom 24.11.2011 - B 14 AS 121/10 R - RdNr 15, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die Regelung des § 22 Abs 5 SGB II verdeutlicht, dass - auch im Bereich der Unterkunftskosten - Schulden nur dann und auch nur als Darlehen übernommen werden
sollen, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist.
7. Bei den vor diesem Hintergrund noch erforderlichen Feststellungen zur Realisierbarkeit des Einkommens aus der Betriebskostenabrechnung
des ehemaligen Vermieters wird zu berücksichtigen sein, dass eine Aufrechnungserklärung nach §
388 BGB ein Erlöschen der Forderung des Klägers aus der Betriebskostenabrechnung bewirken kann (§
389 BGB). Ihre Wirksamkeit setzt jedoch ua die hinreichende Bestimmtheit auch der Gegen- bzw Passivforderung, dh hier der vom Vermieter
behaupteten Mietrückstände (vgl allgemein zB Grüneberg in Palandt,
BGB, 67. Aufl 2008, §
388 RdNr 1; Wenzel in Münchner Kommentar,
BGB, 5. Aufl 2007, §
366 BGB RdNr 2, 10; BGH Urteil vom 6.11.1990 - XI ZR 262/89 - NJW-RR 1991, 169 f; BGH Urteil vom 17.9.2001 - II ZR 275/99 - NJW 2001, 3781 f; vgl zu Verrechnungsregelungen in Mietverträgen zB BGH Urteil vom 20.6.1984 - VIII ZR 337/82 - NJW 1984, 2404 ff) sowie deren Fälligkeit (vgl zB BSGE 74, 287 = SozR 3-1300 § 48 Nr 33 S 67) voraus.
Allerdings dürfen an die Realisierungsmöglichkeiten zur Auszahlung des Guthabens keine überhöhten Anforderungen gestellt werden,
ein Zusammenwirken von Vermieter und Leistungsberechtigten zum Ausgleich von Mietschulden ist aber zu vermeiden. Ggf hat der
SGB II-Träger den Leistungsberechtigten bei der Verfolgung berechtigter Ansprüche gegenüber dem ehemaligen Vermieter zu unterstützen
(vgl hierzu Urteil des 14. Senats vom 24.11.2011 - B 14 AS 15/11 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 53, RdNr 16 ff). Besteht kein (zivilrechtlicher) Anspruch des Klägers gegen den früheren Vermieter
auf Auszahlung des Guthabens an ihn oder ist dieser nicht ohne weiteres zu realisieren, kann der Bewilligungsbescheid vom
12.6.2009 nicht aus diesem Grund aufgehoben werden. Entgegen der Ansicht des Beklagten rechtfertigt § 22 Abs 1 S 4 SGB II und das mögliche Ergebnis einer Schuldentilgung dann keine - die Grundsätze der Berücksichtigung von Einkommen und den Bedarfsdeckungsgrundsatz
außer Acht lassende - Kürzung der existenznotwendigen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung.
8. Kommt das SG zu einer Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens als Einkommen, wird es ggf auch die - von seinem rechtlichen Standpunkt
nachvollziehbar - bisher unterlassenen Feststellungen zum Anteil des in dem Guthaben enthaltenen Betrags für Haushaltsenergie
nachzuholen haben, die nicht zu den Bedarfen für Unterkunft und Heizung zählen (§ 22 Abs 1 S 4, 2. Halbs SGB II).
Wesentlich iS des § 48 Abs 1 SGB X sind weiter nur Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt
- hier den Bescheid vom 12.6.2009 nicht hätte erlassen dürfen (vgl zB BSG SozR 1300 § 48 Nr 22, S 50; vgl auch BSGE 102, 295 ff = SozR 4-4200 § 11 Nr 24, RdNr 10; BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 38, RdNr 15). Grundsätzlich sind daher bei der Prüfung, ob bzw inwieweit eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse
dazu führt, dass der bindende Ursprungsbescheid - hier also der Bescheid vom 12.6.2009 - in der festgesetzten Höhe zu Lasten
des Leistungsberechtigten aufgehoben werden durfte, neben der Berücksichtigung des Betriebskostenguthabens auch die weiteren,
den Grund und die Höhe beeinflussenden Berechnungsfaktoren der bereits bewilligten Leistungen - unter Berücksichtigung des
§ 44 SGB X - einzubeziehen, soweit Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit dargetan oder ersichtlich sind (vgl auch BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23; vgl Steinwedel in Kasseler Komm § 48 SGB X RdNr 28). Insofern wird das SG auch zu beachten haben, dass der Beklagte im Aufhebungsmonat Dezember 2009 nicht die tatsächlichen Unterkunftskosten, sondern
nur deutlich geringere, von ihm als angemessen angesehenen Kosten der Unterkunft übernommen und seine damalige Praxis nach
eigenen Angaben im Verhandlungstermin vor dem Senat zwischenzeitlich geändert hat.
Das SG wird ggf auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.