Vergütung vertragsärztlicher Leistungen; Erhöhung der Fallpunktzahl eines Chirurgen für von ihm durchgeführte proktologische
Untersuchungen
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Zuerkennung einer Erhöhung des Regelleistungsvolumens (RLV) für die Quartale II/2005 bis
II/2006.
Die Klägerin ist eine Gemeinschaftspraxis mit Sitz in P. im Kreis G. (Enddarmzentrum Mittelhessen). Dres. L., B. und K. sind
zur Teilnahme an der fachärztlichen Versorgung für das Fachgebiet Chirurgie zugelassen, Dr. S. als Facharzt für Allgemeinmedizin.
Nach dem Honorarverteilungsvertrag (HVV), den die beklagte Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) mit den Krankenkassen geschlossen
hatte, ist die Klägerin der Honoraruntergruppe der Fachärzte für Chirurgie, B 2.3, zugeordnet.
Anträge der Klägerin auf Erhöhung der Fallpunktzahlen für das RLV wegen ihres proktologischen Praxisschwerpunkts lehnte die
Beklagte mit Bescheiden vom 25.9.2006 und 8.1.2007 ab, weil Sonderanträge zur Bildung der Regelleistungsvolumina nach einer
Festlegung des Vorstands nur noch in Einzelfällen bei Vorliegen einer Sicherstellungsproblematik erfolgen könnten. Dabei sei
ein "Sicherstellungsradius" von 50 km festgelegt, dh Patienten werde zugemutet, in diesem Umkreis fachärztliche Leistungen
in Anspruch zu nehmen. Im Planungsbereich G. seien weitere Fachärzte niedergelassen, die proktologische Leistungen erbrächten.
Im Übrigen sei es in den Quartalen II und III/2005 zu Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV gekommen.
Den Widerspruch hiergegen wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.5.2007 zurück. Nach dem HVV seien für die Praxis
folgende fachgruppenspezifische Fallpunktzahlen festgelegt worden:
|
Ersatzkassen:
|
Primärkassen:
|
Altersgruppe
|
0-5
|
6 - 59
|
> 60
|
0-5
|
6 - 59
|
> 60
|
Fallpunktzahl
|
663
|
871
|
1188
|
592
|
775
|
1013
|
Die Nrn 30600, 30610 und 30611 EBM-Ä hätten im streitbefangenen Zeitraum zwischen 19,9 % und 25,5 % am Gesamtpunktzahlvolumen
der Klägerin ausgemacht. Die über dem RLV abgerechneten Leistungen seien zu einem unteren Punktwert bewertet worden. Der Bewertungsausschuss
habe in seinem Beschluss vom 29.10.2004 für die Leistungen der Nrn 30600, 30610 und 30611 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs
für ärztliche Leistungen (EBM) 2005 keine Zuordnung zu den Leistungsbereichen für extrabudgetäre oder vorab zu vergütende
Leistungen vorgesehen. Proktologische Leistungen könnten durchaus mit den durchschnittlichen Fallpunktzahlen erbracht werden.
Besondere Sicherstellungsgesichtspunkte lägen nicht vor. Bei der Klägerin greife zudem die Regelung der Ziffer 7.5 HVV, wonach
Fallwertverluste von mehr als 5 % im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresquartal auszugleichen seien. Diese Ausgleichsregelung
habe bei der Klägerin in den Quartalen III/2005 bis I/2006 zu Auffüllbeträgen in Höhe von 28 484,35 Euro, 9306,06 Euro und
38 222,69 Euro geführt. Der Vorstand habe beschlossen, dass Ausnahmeregelungen zum RLV nicht zugestimmt werden könne, wenn
Honorarverwerfungen bedingt durch die Einführung des EBM-Ä 2005 bereits durch die Ausgleichsregelung Berücksichtigung gefunden
hätten.
Das SG hat mit Urteil vom 6.2.2008 die angefochtenen Bescheide der Beklagten aufgehoben und sie zur Neubescheidung verurteilt. Die
Beklagte habe verkannt, dass bei der Klägerin ein Fall vorliege, in dem der Vorstand der Beklagten aus Gründen der Sicherstellung
der vertragsärztlichen Versorgung Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen vornehmen müsse. Dies sei unabhängig
von der Honorarhöhe oder eventuellen Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV zu beurteilen. Bei der Feststellung der Sicherstellungsgründe
komme es nicht allein auf die Versorgung im Umkreis der Praxis an, sondern auf den Versorgungsschwerpunkt der Praxis. Ein
zu berücksichtigender Ausnahmefall liege bei einer Schwerpunktpraxis wie im Fall der auf proktologische Leistungen spezialisierten
Klägerin vor.
Das LSG hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 17.3.2010 zurückgewiesen. Die Beklagte habe es zu Unrecht abgelehnt,
gemäß Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen Versorgung praxisbezogene Änderungen an
den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen vorzunehmen. Sie habe ihren Beurteilungsspielraum verkannt, indem sie davon ausgegangen
sei, dass die Versorgung der Versicherten sichergestellt sei, weil diese auf andere Ärzte in einem Umkreis von 50 km Entfernung
verwiesen werden könnten. Von einer Sicherstellung der ärztlichen Versorgung könne nur ausgegangen werden, wenn es für die
Versicherten unter Berücksichtigung der festgestellten Nachfrage entweder im Planungsbereich selbst oder zumindest in den
unmittelbar angrenzenden Planungsbereichen eine in zumutbarer Zeit erreichbare ausreichende Zahl von Behandlern gebe, die
in der Lage seien, die notwendige Versorgung mit proktologischen Leistungen zeitnah sicherzustellen. Insoweit stelle sich
die Situation in einem hochverdichteten Ballungsraum wie etwa dem Rhein-Main-Gebiet mit guten Verkehrsanbindungen und breitem
Arztangebot anders dar als im ländlichen Raum mit geringerer Arztdichte und schlechteren Verkehrsverbindungen. Die Beklagte
habe insoweit keine ausreichenden Feststellungen getroffen. Die vorgelegten Daten wiesen darauf hin, dass sich die ärztliche
Versorgung mit proktologischen Leistungen schwerpunktmäßig auf die Praxis der Klägerin und die in gleicher Weise spezialisierte
Praxis ihrer Kooperationspartner in M. konzentriere. So habe die Klägerin die maßgeblichen Nrn 30600, 30610 und 30611 EBM-Ä
2005 in den streitbefangenen Quartalen in erheblich höherem Umfang abgerechnet als alle übrigen Praxen zusammengenommen, die
diese Leistungen anbieten. Die Beklagte hätte in ihrer Beurteilung auch die Frage einbeziehen müssen, wie sich die Sicherstellungsproblematik
bei einem Wegfall oder zumindest erheblicher Einschränkung des Leistungsangebots der Klägerin darstellen würde.
Sollte die Beklagte auch bei einer erneuten Überprüfung zu dem Ergebnis kommen, dass eine Sicherstellungsproblematik nicht
bestehe, müsse sie das Begehren der Klägerin weiter unter dem Gesichtspunkt einer allgemeinen Härtefallregelung prüfen. Art
12 Abs
1 iVm Art
3 Abs
1 GG fordere eine Ausnahme vom RLV außer für den im HVV geregelten Fall einer Sicherstellungsproblematik auch dort, wo sich innerhalb
einer Arztgruppe bereits vor Inkrafttreten der Regelung über die RLV Ärzte mit Leistungen in zulässiger Weise spezialisiert
hätten und dieses spezifische Leistungsangebot durch das RLV der Fachgruppe nicht leistungsangemessen abgedeckt werde. Für
die Frage, wann eine solche Spezialisierung vorliege, könne an die Rechtsprechung des BSG zu ähnlichen Problemlagen angeknüpft
werden. Zum Merkmal der Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs als Voraussetzung für die Erweiterung eines Zusatzbudgets
nach dem EBM-Ä 1997 habe das BSG ausgeführt, dies setze eine von der Typik der Arztgruppe nachhaltig abweichende Praxisausrichtung,
einen besonderen Behandlungsschwerpunkt bzw eine Konzentration auf die Erbringung von Leistungen aus einem Teilbereich des
Fachgebiets voraus, für das der Arzt zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sei. Indizien für eine solche Spezialisierung
seien ein gegenüber dem Durchschnitt der Fachgruppe signifikant erhöhter Anteil der auf den Spezialisierungsbereich entfallenden
Leistungen am Gesamtpunktzahlvolumen in der Vergangenheit sowie eine im Leistungsangebot bzw in der Behandlungsausrichtung
der Praxis tatsächlich zum Ausdruck kommende Spezialisierung. Im Fall der Klägerin liege ein Härtefall vor, weil das ihr zuerkannte
RLV ihre besondere, vom Durchschnitt der Arztgruppe deutlich abweichende Praxisstruktur nicht berücksichtige. Bei ihr bestehe
eine eindeutige Spezialisierung auf proktologische Leistungen. Bei einem Anteil der proktologischen Leistungen am Gesamtpunktzahlvolumen
von durchschnittlich 23 % in den streitigen Quartalen sei ein Versorgungsschwerpunkt offensichtlich. Das Fehlen einer Härtefallregelung
werde auch nicht durch Ziffer 7.5 HVV ausgeglichen und sei auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung
unbeachtlich.
Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten. Bei der Feststellung der Sicherstellungsgründe im Sinne der Ziffer 6.3
letzter Absatz HVV sei nicht auf alle atypischen Sonderfälle abzustellen, zu berücksichtigen sei vielmehr nur die konkrete
Versorgungssituation im Umkreis der Praxis. Es könne nur darauf abgehoben werden, ob auch ohne das schwerpunktmäßige Leistungsangebot
der zu beurteilenden Praxis die zu dem Versorgungsschwerpunkt gehörenden und prägenden Leistungen weiterhin erbracht werden
könnten. Im Fall der Klägerin sei die Versorgungssituation im Planungsbereich G. umfassend überprüft worden. Im Umkreis von
50 Kilometern sei eine große Zahl weiterer Fachärzte niedergelassen, die proktologische Leistungen abrechneten. Soweit das
LSG weitere Ermittlungen fordere, verkenne es den Beurteilungsspielraum der Beklagten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass
es sich bei der von der Klägerin erbrachten Leistung nach Nr 30600 EBM-Ä 2005 um eine fachgruppentypische Leistung handele,
die von über 50 % der Ärzte der Fachgruppe erbracht werde. Der HVV enthalte mit den Ziffern 6.3 letzter Absatz und 7.5 bereits
Härteregelungen. Die Klägerin habe hiervon durch Ausgleichszahlungen in Höhe von insgesamt 109 475,41 Euro im streitbefangenen
Zeitraum profitiert.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17.3.2010 und das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 6.2.2008 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und
die Beklagte zur Neubescheidung verurteilt. Da der Senat diese Verpflichtung der beklagten KÄV aber aus anderen Gründen als
das LSG bejaht, weist er die Revision mit der Maßgabe zurück, dass die Beklagte bei der Neubescheidung die Rechtsauffassung
des erkennenden Senats zu beachten hat.
1. Das LSG hat zutreffend ausgeführt, dass eine Beiladung der Krankenkassenverbände als Vertragspartner im Rahmen der Honorarverteilung
nicht notwendig gewesen ist. Der Senat hat bereits entschieden, dass es sich bei der Beiladung der Krankenkassenverbände als
Vertragspartner im Rahmen der Honorarverteilung um einen Fall der einfachen Beiladung nach §
75 Abs
1 SGG handelt, die im Ermessen des Gerichts steht (stRspr, vgl zuletzt BSG SozR 4-2500 § 75 Nr 8 RdNr 12). Allein der Gesichtspunkt,
dass es in einem Rechtsstreit auf den Inhalt, die Auslegung oder die Wirksamkeit einer (Honorarverteilungs-)Regelung ankommt,
führt nicht dazu, dass die Entscheidung gegenüber den an der Normsetzung Beteiligten nur einheitlich ergehen kann und deren
Beiladung in jedem Vergütungsrechtsstreit deshalb notwendig wird (vgl BSG SozR 3-2500 § 115 Nr 1 S 3 für die Gesamtvertragspartner;
BSGE 78, 98, 99 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 12 S 35 für die Bundesmantelvertragspartner; ebenso BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 5 RdNr 6 für den
EKV-Z; BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 6 KA 2/10 R - RdNr 11 für die Vertragspartner des EBM-Ä, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Die vom Gesetzgeber mit der Neufassung
des §
85 Abs
4 Satz 2
SGB V durch Art 1 Nr 64 Buchst h des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2190) beabsichtigte Einbindung der Verbände der Krankenkassen
in die Mitverantwortung für eine leistungsgerechte Honorarverteilung (BT-Drucks 15/1525 S 101 zu Art 1 Nr 64 Buchst h [§ 85])
ändert nichts daran, dass im Honorarstreitverfahren primär über den Anspruch eines Leistungserbringers auf vertragsärztliches
Honorar und nur inzident (auch) über die Geltung von Vorschriften des HVV gestritten wird. Das Unterlassen auch einer sachgerechten
und naheliegenden einfachen Beiladung ist kein sachentscheidungshindernder Verfahrensmangel (vgl BSGE 95, 141 RdNr 6 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 14; BSG Urteil vom 23.3.2011 - B 6 KA 8/10 R - RdNr 11, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), und eine solche Beiladung kann gemäß §
168 Satz 1
SGG in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden (BSG SozR 4-2500 §
75 Nr 8 RdNr 13; BSG Urteil vom 11.5.2011 - B 6 KA 2/10 R - RdNr 11 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
2. Der in den streitbefangenen Quartalen geltende HVV entsprach mit der Einführung von RLV den Vorgaben des Bewertungsausschusses,
die dieser - gemäß der ihm nach §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz
SGB V übertragenen Aufgabe - am 29.10.2004 mit Wirkung für die Zeit ab 1.1.2005 beschlossen hatte (DÄ 2004, A 3129). Gemäß Teil
III Nr 2.1 iVm Nr 3 dieses Beschlusses waren die KÄVen verpflichtet, in der Honorarverteilung RLV in der Weise festzulegen,
dass arztgruppeneinheitliche Fallpunktzahlen vorzusehen waren, aus denen durch Multiplikation mit individuellen Behandlungsfallzahlen
praxisindividuelle Grenzwerte zu errechnen waren, in deren Rahmen die Vergütung nach einem festen Punktwert (sogenannter Regelleistungspunktwert)
zu erfolgen hatte. In der Anlage 1 zum Teil III des Beschlusses waren tabellarisch die erfassten Arztgruppen aufgeführt, die
dem RLV unterlagen. Hierzu zählen auch die Fachärzte für Chirurgie.
Kernpunkte der gesetzlichen Neuregelung sind, wie der Senat in seinem Urteil vom 17.3.2010 (BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 §
85 Nr
54, RdNr
14 ff) dargelegt hat, nach §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V (idF des GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190) zwei Vorgaben, nämlich die Festlegung arztgruppenspezifischer Grenzwerte und fester
Punktwerte, sowie - gemäß §
85 Abs
4 Satz 8
SGB V - für darüber hinausgehende Leistungen abgestaffelte Punktwerte. Dementsprechend sah der hier maßgebliche HVV, den die Beklagte
und die Krankenkassen zum 1.4.2005 geschlossen hatten, in Ziffer 6.3 die Bildung fallzahlabhängiger praxisindividueller RLV
auf der Grundlage arztgruppenspezifischer Fallpunktzahlen sowie in Ziffer 6.4 HVV die Bewertung der innerhalb des RLV liegenden
Honorarforderungen mit einem festen Punktwert von 4,0 Cent vor. Der Senat hat bereits entschieden, dass dem Erfordernis arztgruppenspezifischer
Grenzwerte auch eine Regelung genügt, die eine arztgruppeneinheitliche Festlegung nur bei den Fallpunktzahlen vorgibt, dann
deren Multiplikation mit den individuellen Behandlungsfallzahlen vorsieht und so zu praxisindividuellen Grenzwerten führt
(so im Übrigen die Regelung in Teil III Nr 3 des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004; vgl BSG aaO, RdNr 15). Der Punktwert
unterlag nach Punkt 2.2 der Anlage zu Ziffer 6.3 HVV einer Quotierung, soweit der zur Verfügung stehende Anteil am Verteilungsbetrag
in einer Honorar(unter)gruppe zur Honorierung der angeforderten Leistungen nicht ausreichte. Die über das praxisindividuelle
RLV hinausgehenden Honorarforderungen waren nach Ziffer 6.4 HVV mit einem Punktwert von mindestens 0,51 Cent zu bewerten.
3. Das LSG hat im Ergebnis zu Recht die Beklagte zur erneuten Entscheidung über den Antrag der Klägerin auf Erhöhung ihres
RLV verurteilt. Als Rechtsgrundlage für eine Erhöhung des RLV kommt Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV in Betracht.
a. Diese Regelung enthält keinen allgemeinen (Auffang-)Tatbestand für alle denkbaren Ausnahmefälle, sondern lässt Anpassungen
nur zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen Versorgung zu. Das ergibt sich bereits hinreichend deutlich aus dem
Wortlaut der Bestimmung (vgl zur Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsregelungen im EBM-Ä BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr
10), wonach der Vorstand ermächtigt ist, "aus Gründen der Sicherstellung der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung
praxisbezogene Änderungen an den arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen gemäß Anlage zu Ziffer 6.3 vorzunehmen". Nur für
eine Anpassung unter Sicherstellungsgesichtspunkten findet sich im Beschluss des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 eine
Ermächtigungsgrundlage. Nach Ziffer 3.1 dieses Beschlusses können im HVV "zur Sicherstellung einer ausreichenden medizinischen
Versorgung und zur Zielerreichung einer Maßnahme in 1. [Maßnahmen zur Steuerung arztgruppenspezifischer Auswirkungen] Anpassungen
des Regelleistungsvolumens vorgenommen werden". Diese Ermächtigung richtet sich an die Vertragspartner des HVV, die im HVV
abstrakt-generelle Voraussetzungen für Abweichungen vom RLV statuieren können. Da abstrakt-generell nicht alle Fälle erfasst
werden können, die eine Anpassung erfordern, ist nicht zu beanstanden, dass der HVV den Vorstand der Beklagten aus Gründen
der Sicherstellung der Versorgung zu Anpassungen des RLV im Einzelfall ermächtigt. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats
kann der Vorstand der KÄV zu konkretisierenden Regelungen und Einzelfallentscheidungen, insbesondere zur Beurteilung der Voraussetzungen
für eine ausnahmsweise Freistellung von Obergrenzen, ermächtigt werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 31 S 240 f mwN).
b. Die Beklagte hat aber die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Entscheidung über die Erhöhung der RLV der Klägerin
zu eng ausgelegt, indem sie sich allein darauf berufen hat, dass weitere Ärzte im Planungsbereich der Praxis der Klägerin
proktologische Leistungen erbringen. Das allein reicht zur Verneinung eines Sicherstellungsbedarfs nicht aus. Das Merkmal
der Sicherstellung ist im Zusammenhang mit der Anpassung von RLV nicht so eng zu verstehen, dass es nur darauf ankommt, ob
ohne die Antragstellerin die qualifizierte Leistung im Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht. Abgesehen
davon, dass die Beklagte diesen Aspekt nicht näher geprüft, sondern allein auf die Anzahl der die Leistungen abrechnenden
Ärzte abgestellt hat, greift diese Sichtweise zu kurz. Sie erlaubt bereits deswegen keine Beurteilung der Versorgungssituation,
weil damit bei allen Vertragsärzten, die spezielle Leistungen anbieten, auf die jeweils anderen in der gleichen Situation
verwiesen werden kann (vgl BSGE 87, 112, 119 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 139). Diese Herangehensweise eignet sich für die Beurteilung des Bedarfs für einen potentiell
neu hinzutretenden Leistungserbringer, nicht aber für die Beurteilung der Versorgung durch die bereits vertragsärztlich tätigen
Ärzte.
Die Formulierung "aus Gründen der Sicherstellung der Versorgung" ist auch nicht notwendig so zu verstehen, dass - wie etwa
bei einer Zulassung wegen Sonderbedarfs - ein Versorgungsdefizit in einem bestimmten regionalen Bereich festgestellt werden
muss. Zwar spricht viel dafür, einen eingeführten Begriff in verschiedenen Regelungsbereichen gleichförmig auszulegen (vgl
BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 19 RdNr 16). Das muss indes nicht zwingend so sein. Im Hinblick auf unterschiedliche Zielrichtungen
in verschiedenen Regelungsbereichen kann vielmehr ein jeweils eigenes Verständnis eines Begriffes angezeigt sein. So hat der
Senat etwa den Praxisbesonderheiten im Bereich der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine andere Bedeutung beigemessen als im Bereich
der Honorarverteilung, weil sie in beiden Bereichen grundlegend unterschiedliche Funktionen erfüllen (vgl BSG SozR 4-2500
§ 87 Nr 10 RdNr 35). Dies trifft auch für den Gesichtspunkt der Sicherstellung der Versorgung im Zulassungsrecht einerseits,
an dem die Beklagte sich orientiert, und für die Ausnahmeregelung zu RLV andererseits zu. Im Bereich der Honorarverteilung
sind der Beklagten - wie die vom LSG formulierten Anforderungen hier eindrücklich zeigen - schon aus verwaltungspraktischen
Gründen bei der Ermittlung des Versorgungsbedarfs Grenzen gesetzt. Detaillierte Feststellungen, wie sie für die Erteilung
einer Sonderbedarfszulassung zu treffen sind (vgl BSGE 104, 116 = SozR 4-2500 § 101 Nr 7, RdNr 12 ff; BSG SozR 4-2500 § 101 Nr 9 RdNr 19 f, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen),
können von der Beklagten im Rahmen einer Entscheidung nach Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV schon wegen der Vielzahl der zu treffenden
Entscheidungen nicht gefordert werden. Andererseits kann der Sicherstellungsaspekt aber auch nicht darauf reduziert werden,
dass nur ein solches Leistungsangebot unberücksichtigt bleibt, das für die Sicherstellung generell nicht sinnvoll ist. In
diesem Sinn hat der Senat das Tatbestandsmerkmal der Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung im Zusammenhang mit
der Ausnahme von der sog Teilbudgetierung im Hinblick auf einen Versorgungsschwerpunkt gemäß dem EBM-Ä 1996 ausgelegt (BSGE
87, 112, 119 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 139 f), weil durch die Versagung von Teilbudget-Aussetzungen keine spezifische Praxisausrichtung
blockiert werden könne. Die von vornherein nur für einen kurzen Zeitraum eingeführten Teilbudgets könnten ihrer Natur nach
kein Mittel zu einer langfristig angelegten Steuerung der Versorgungsstruktur und zur Verlagerung von Behandlungsschwerpunkten
sein. Bei den RLV handelt es sich hingegen nicht um ein nur für einen kurzen Zeitraum eingeführtes Instrumentarium. Sie zielen
zwar ebenfalls nicht auf eine Steuerung der Versorgungsstruktur, sondern in erster Linie auf die Gewährleistung von Kalkulationssicherheit
(vgl BSGE 106, 56 = SozR 4-2500 § 85 Nr 54, RdNr 15). Wenn das Gesetz aber jedenfalls in den hier streitbefangenen Quartalen keine Ausnahmen
zulässt, spricht das für eine restriktivere Auslegung des Merkmals der Sicherstellung der Versorgung.
Sachgerecht ist es, für die Auslegung der Nr 3.1 des Beschlusses des Bewertungsausschusses vom 29.10.2004 sowie der Ziffer
6.3 letzter Absatz HVV der Beklagten die Rechtsprechung des Senats zum "besonderen Versorgungsbedarf" als Voraussetzung für
eine Erweiterung von Praxis- und Zusatzbudgets, die ebenfalls im Grundsatz auf eine arztgruppeneinheitliche Festlegung angelegt
waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 17 RdNr 32), heranzuziehen und weiterzuentwickeln. Zwar fassen die RLV alle Leistungen
zusammen, die als typische dem Praxis- und als spezielle den Zusatzbudgets zugewiesen waren (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 12
RdNr 12 ff). Vergleichbar mit der hier streitigen Regelung ist jedoch die unter der Geltung der Praxis- und Zusatzbudgets
im EBM-Ä vorgesehene Möglichkeit, im Einzelfall zur Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs eine Budgeterweiterung
vorzunehmen. Zur Auslegung des Begriffs "besonderer Versorgungsbedarf" hat der Senat mehrfach ausgeführt, dass eine im Leistungsangebot
der Praxis zum Ausdruck kommende Spezialisierung und eine von der Typik der Arztgruppe abweichende Praxisausrichtung vorliegen
müssten, die messbaren Einfluss auf den Anteil der im Spezialisierungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl
hätten (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 12 RdNr 15 f; Nr 17 RdNr 36). Dabei hat er als mögliches Indiz für die Atypik im Vergleich
zur Fachgruppe angesehen, dass im Verhältnis zum Fachgruppendurchschnitt eine signifikant überdurchschnittliche Leistungshäufigkeit
in einem Spezialgebiet vorliegt. Zusätzlich sei erforderlich, dass die Honorierungsquote für die speziellen Leistungen überdurchschnittlich
gering gewesen sei, was voraussetze, dass das Gesamtleistungsvolumen insgesamt signifikant überdurchschnittlich hoch gewesen
sei. Erhebliches Gewicht kann nach dieser Rechtsprechung dem Gesichtspunkt zukommen, dass das durchschnittliche Punktzahlvolumen
je Patient in dem Spezialisierungsbereich die Budgetgrenze übersteigt. Aus einer derartig dokumentierten Spezialisierung können
Rückschlüsse auf die Sicherstellung eines besonderen Versorgungsbedarfs gezogen werden (vgl BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 178).
Diese Kriterien sind auch unter Geltung der RLV geeignet, das Merkmal der Sicherstellung der Versorgung zu konkretisieren.
Eine vom Durchschnitt abweichende Praxisausrichtung, die Rückschlüsse auf einen Versorgungsbedarf erlaubt, kann sich auch
hier in einem besonders hohen Anteil der in einem speziellen Leistungsbereich abgerechneten Punkte im Verhältnis zur Gesamtpunktzahl
zeigen. Zur Begründung einer versorgungsrelevanten Besonderheit genügt es allerdings nicht, lediglich ein "Mehr" an fachgruppentypischen
Leistungen abzurechnen. Die überdurchschnittliche Abrechnung von Gesprächsleistungen konnte deshalb nicht zur Freistellung
vom Teilbudget "Gesprächsleistungen" führen, weil fachgruppentypische Leistungen keine abweichende Praxisausrichtung belegen
können (BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 12 RdNr 15 f). Die Überschreitung des praxisindividuellen RLV muss vielmehr darauf beruhen,
dass in besonderem Maße spezielle Leistungen erbracht werden. Dabei wird es sich typischerweise um arztgruppenübergreifend
erbrachte spezielle Leistungen handeln, die eine besondere (Zusatz-)Qualifikation und eine besondere Praxisausstattung erfordern.
Deutliches Indiz für einen solchen speziellen Leistungsbereich ist die entsprechende Ausweisung dieser Leistungen im EBM-Ä.
Dort sind auch die proktologischen Leistungen als arztgruppenübergreifende spezielle Leistungen aufgeführt. Die Leistungen
können nicht insgesamt deshalb als typisch für die Fachgruppe anzusehen sein, weil der proktologische Basiskomplex der Nr
30600 EBM-Ä 2005 nach den Angaben der Beklagten von über 50 % der Ärzte der Fachgruppe abgerechnet wird (vgl zu den Kriterien
für die Einordnung als fachgruppentypische Einzelleistung BSG GesR 2004, 144, 146 mwN). Spezielle proktologische Leistungen
werden nur von einem Teil der Chirurgen erbracht. Die Leistungen nach den Nrn 30610 (Behandlung[en] von Hämorrhoiden) und
30611 EBM-Ä 2005 (Entfernung von Hämorrhoiden) werden nach den Feststellungen des LSG unter Einbeziehung aller Fachgruppen,
die die Leistungen erbringen dürfen, nur von wenigen Praxen und nur in geringen Fallzahlen abgerechnet. Auch die Beklagte
hat angegeben, dass diese Leistungen von allenfalls 30 % der Ärzte der Fachgruppe erbracht würden. Innerhalb des Versorgungsbereichs
kann aber nicht mehr zwischen Basiskomplex und speziellen Leistungen unterschieden werden, weil, wie das LSG zutreffend ausgeführt
hat, beides notwendig zusammengehört. Soweit die Beklagte ausführt, auch diese speziellen Leistungen seien in die Berechnung
der arztgruppenspezifischen Fallpunktzahlen eingeflossen, ist dies zwar zutreffend. Sie finden sich in den Fallpunktzahlen
für Chirurgen aber wegen der geringen Abrechnungsfrequenz nur in begrenztem Umfang wieder. Im Falle der Fachgruppe der Fachärzte
für Chirurgie, der die Klägerin angehört, kommt noch hinzu, dass diese Fachgruppe auch die Fachärzte für Kinderchirurgie,
für Plastische Chirurgie, für Herzchirurgie und für Neurochirurgie und damit ein breites Leistungsspektrum umfasst. Proktologische
Leistungen haben daher nur in einem Umfang Niederschlag in den Fallpunktzahlen gefunden, der einer auf diese Leistungen spezialisierten
Praxis nicht gerecht werden kann.
Besonderheiten einer Praxis streiten dann für eine Ausnahme von den RLV im Interesse der Sicherstellung, wenn der Anteil der
Spezialleistungen am Gesamtpunktzahlvolumen überdurchschnittlich hoch ist. Dies wird in der Regel mit einem überdurchschnittlichen
Gesamtpunktzahlvolumen einhergehen. Als überdurchschnittlich ist in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Senats zur Anerkennung
eines Versorgungsschwerpunktes jeweils eine Überschreitung des Durchschnitts bzw ein Anteil der Spezialleistungen von mindestens
20 % anzusehen (vgl BSGE 87, 112, 117 = SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 137; SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 178 f; SozR 4-2500 § 87 Nr 19 RdNr 17). Um einerseits von einem
dauerhaften Versorgungsbedarf ausgehen zu können, andererseits aber auch Schwankungen zwischen den Quartalen aufzufangen,
ist nicht auf jedes einzelne Quartal abzustellen. Ausreichend ist, dass sich die Überschreitungen als Durchschnittswert in
einem Gesamtzeitraum von vier aufeinander folgenden Quartalen ergeben (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 29 RdNr 35 zur Überprüfung
der Wirtschaftlichkeit von SSB-Verordnungen).
Es spricht viel dafür, dass diese Voraussetzungen in den hier streitbefangenen Quartalen bei der Klägerin vorgelegen haben.
Die Beklagte gibt den Anteil der proktologischen Leistungen an der Gesamtpunktzahl in den streitbefangenen Quartalen zwischen
19,9 und 25,5 % an, das LSG beziffert ihn auf durchschnittlich 23 %, das SG noch deutlich höher. Die Beklagte wird hierzu die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben.
Bei der Prüfung, ob eine Praxis in dem beschriebenen Sinne Besonderheiten aufweist, steht der Beklagten kein gerichtlich nur
eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Einen solchen billigt der Senat in ständiger Rechtsprechung den Zulassungsgremien
bei der Entscheidung über die Zulassung wegen Sonderbedarfs, der Erteilung einer Genehmigung zum Betrieb einer Zweigpraxis
und bei der Erteilung einer Ermächtigung zu (vgl aus jüngster Zeit etwa BSGE 107, 147 = SozR 4-2500 § 101 Nr 9, RdNr 18 mwN). Für diese Entscheidungen ist eine Bewertung der vertragsärztlichen Versorgung in
einem regionalen Bereich vorzunehmen, wobei eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen ist, die für sich und in ihrer Abhängigkeit
untereinander weitgehend unbestimmt sind. Eine solche Bewertung ist aber, wie oben dargelegt, hier gerade nicht vorzunehmen.
Da es vielmehr auf die ermittel- und nachvollziehbaren besonderen Verhältnisse der einzelnen Praxis im Vergleich zur Fachgruppe
ankommt, besteht kein Erkenntnis- oder Einschätzungsvorrang der KÄV. Ein Beurteilungsspielraum steht der Beklagten daher insoweit
nicht zu (vgl BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 19 RdNr 16 mit Hinweis auf BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 26 S 136; Nr 31 S 176).
Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme von den RLV vorliegen, hat die Beklagte nach pflichtgemäßem
Ermessen zu entscheiden, in welchem Umfang eine Erhöhung der RLV vorzunehmen ist. Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV begründet
beim Vorliegen der in der Norm geregelten Voraussetzungen ein subjektives Recht des betroffenen Arztes bzw hier der Gemeinschaftspraxis
auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der KÄV über die Änderung der RLV (vgl zur Erweiterung der Praxis- und/oder Zusatzbudgets
BSG SozR 3-2500 § 87 Nr 31 S 175).
c. Einer möglichen Erhöhung der RLV steht nicht entgegen, dass die Klägerin Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV erhalten
hat. Nach dieser Regelung wurde zur Vermeidung von Honorarverwerfungen nach Einführung des EBM-Ä 2005 eine Minderung des Fallwertes
im Abrechnungsquartal gegenüber dem entsprechenden Abrechnungsquartal des Vorjahres um mehr als 5 % ausgeglichen (vgl zur
Unzulässigkeit der entsprechenden Begrenzung der Fallwerterhöhung BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 58 RdNr 38 ff). Derartige Zahlungen
waren, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, von zahlreichen Voraussetzungen abhängig, ua auch von einem ausreichenden Honorarvolumen
für diese Maßnahme. Sie sollten ohne Bezug zu einer Spezialisierung Verluste gegenüber den Referenzquartalen ausgleichen.
Gegenüber der speziellen Vorschrift der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV ist die allgemeine Ausgleichsregelung der Ziffer 7.5
HVV nachrangig. Berücksichtigung finden die nach Ziffer 7.5 HVV geleisteten Zahlungen aber im Verrechnungswege bei einer etwaigen
Honorarnachzahlung, wenn sich eine Erhöhung des RLV ergibt. Insofern ist auch möglich, dass im Hinblick auf bereits gewährte
Ausgleichszahlungen eine Erhöhung der Fallpunktzahl ins Leere geht.
4. Sollten trotz der oben genannten Indizien die Voraussetzungen der Ziffer 6.3 letzter Absatz HVV nicht vorliegen, wäre grundsätzlich
von der Beklagten weiter das Vorliegen eines Härtefalles zu prüfen. Entgegen der Auffassung des LSG ist der HVV nicht wegen
Fehlens einer allgemeinen Härteklausel rechtswidrig. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 38; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 45 RdNr 42 mwN) ausgeführt, dass im Hinblick auf den Grundsatz
der Honorarverteilungsgerechtigkeit im Wege der ergänzenden gesetzeskonformen Auslegung eine ungeschriebene generelle Härteklausel
in die Honorarverteilungsbestimmungen hineinzuinterpretieren ist, wenn ein Honorarverteilungsmaßstab (HVM) keine oder eine
zu eng gefasste Härteklausel enthält. Es besteht keine Veranlassung, hiervon abzuweichen. Als maßgeblichen Gesichtspunkt für
die Notwendigkeit einer Härtefallregelung hat der Senat angesehen, dass der Normgeber des HVM nicht alle denkbaren besonderen
Konstellationen vorhersehen kann (vgl SozR 3-2500 § 85 Nr 27 S 196; BSGE 83, 52, 61 = SozR 3-2500 § 85 Nr 28 S 210: Honorarbegrenzung auf individueller Bemessungsgrundlage). Das gilt in gleicher Weise
für die Vertragspartner des HVV. Da die generellen Vorgaben des Bewertungsausschusses damit auch nicht in Frage gestellt werden,
steht die Vorrangigkeit der von ihm aufgestellten Regelungen einer ungeschriebenen Härteklausel nicht grundsätzlich entgegen.
Eine allgemeine Härteklausel ist auch unter Geltung der RLV erforderlich. Der Beklagten ist zwar zuzustimmen, dass die Rechtsprechung
des Senats zum Erfordernis einer generellen Härteregelung überwiegend Vergütungssysteme betraf, bei denen die Honorierung
nach einer individuellen, am Abrechnungsvolumen von Vorquartalen ausgerichteten Bemessungsgrundlage erfolgte (vgl etwa BSG
aaO; BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10). Auch und gerade bei einem Honorarsystem, das sich in seinen Grundlagen am Durchschnitt orientiert
und damit notwendig nivelliert, ist aber zu berücksichtigen, dass in besonderen Einzelfällen Härtesituationen entstehen können.
Allerdings sind die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalles hier eng zu ziehen, weil der HVV bereits in Ziffer 6.3
und Ziffer 7.5 Regelungen enthält, mit denen einerseits besondere Versorgungsstrukturen und andererseits existenzbedrohende
Honorarminderungen berücksichtigt werden. Ein Härtefall kann daher nur noch im seltenen Ausnahmefall in Betracht kommen, wenn
trotz dieser Mechanismen im HVV durch Umstände, die der Vertragsarzt nicht zu vertreten hat, ein unabweisbarer Stützungsbedarf
entsteht. Es müssten hier sowohl die wirtschaftliche Existenz der Praxis gefährdet sein als auch ein spezifischer Sicherstellungsbedarf
bestehen (vgl BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 40; BSG Beschlüsse vom 28.10.2009 - B 6 KA 50/08 B - RdNr 11 und vom 8.12.2010 - B 6 KA 32/10 B - RdNr 17 f). Ansonsten könnten allenfalls noch gravierende Verwerfungen der regionalen Versorgungsstruktur zur Anerkennung
einer Härte führen (vgl BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2, RdNr 148 f: Einziger auch konventionell arbeitender Radiologe im Landkreis).
Gemessen hieran ist für die Annahme eines Härtefalls nach den bisherigen Feststellungen kein Raum. Eine Gefährdung der wirtschaftlichen
Existenz der Klägerin ist nicht ersichtlich. Allein die Höhe der ihr gewährten Ausgleichszahlungen nach Ziffer 7.5 HVV lassen
eine Existenzgefährdung nahezu ausgeschlossen erscheinen. Die der Klägerin für die streitigen Quartale zugeflossenen Ausgleichszahlungen
dürften zwar ihre Verluste gegenüber den Referenzquartalen nicht vollständig ausgeglichen, wohl aber deutlich abgefedert haben.
Auch die bestehende Versorgungsstruktur bietet keinen Anhaltspunkt für eine Härtesituation begründende spezielle Umstände.
5. Die Beklagte hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Regelung des §
87b Abs
3 Satz 3
SGB V hier keine Bedeutung hat, weil sie keine Rückwirkung entfaltet. Danach sind nunmehr bei der Honorarverteilung seit dem 1.1.2009
Praxisbesonderheiten und damit atypische Umstände, die eine Abweichung von den generellen Verteilungsregelungen auslösen können,
zu berücksichtigen (zum Begriff "Praxisbesonderheit" im Rahmen der Honorarverteilung BSG SozR 4-2500 § 87 Nr 10 RdNr 35).
Dass es sich dabei lediglich um eine Klarstellung handeln soll, ist nicht ersichtlich. Nach dem Beschluss des erweiterten
Bewertungsausschusses vom 27./28.8.2008 (Teil F Nr 3.6, DÄ 2008, A-1993; vgl dazu auch Engelhard in Hauck/Noftz,
SGB V, Stand Mai 2011, K §
87b RdNr 52 f) können sich Praxisbesonderheiten aus einem besonderen Versorgungsauftrag oder einer besonderen, für die Versorgung
bedeutsamen fachlichen Spezialisierung ergeben. Dass der Gesetzgeber sich - ex nunc - zu einer ausdrücklichen Berücksichtigung
atypischer Umstände veranlasst gesehen hat, bestätigt die oben dargelegte Auslegung der Anpassungsregelung.
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt die Beklagte die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO).