Anspruch auf Berufsschadensausgleich
Darlegung einer Rechtsprechungsdivergenz
Behauptung eines konkludent aufgestellten Rechtssatzes
Gründe:
I
Die Klägerin verlangt Berufsschadensausgleich (BSA) bereits ab einem früheren Zeitpunkt als Teil der ihr wegen eines sexuellen
Missbrauchs zuerkannten Versorgungsleistungen.
Mit Urteil vom 28.9.2017 hat das LSG den Beklagten unter Aufhebung entgegenstehender Bescheide ua verpflichtet, der Klägerin
einen BSA in näher bezeichneter Höhe für den Zeitraum ab 1.9.2009 bis 31.3.2012 zu gewähren. Die auf Gewährung eines BSA bereits
ab dem 1.7.1998 gerichtete Berufung hat das LSG zurückgewiesen. 1998 habe die Klägerin zwar Beschädigtenversorgung, nicht
jedoch einen BSA beantragt. Einen solchen Antrag habe sie erst im September 2009 gestellt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat die Klägerin Beschwerde zum BSG eingelegt. Das LSG habe eine Überraschungsentscheidung getroffen, seine Amtsermittlungspflicht verletzt und sei von der Rechtsprechung
des BSG abgewichen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, weil
weder die behaupteten Verfahrensmängel (1.) noch eine Divergenz (2.) ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, es liege ein Verfahrensmangel vor, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung dieses Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst substantiiert die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen dargetan werden.
a) Daran fehlt es hier zum einen hinsichtlich der Rüge einer Überraschungsentscheidung. Eine solche liegt vor, wenn das Gericht
einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und
damit dem Rechtsstreit eine Wende gibt, mit der auch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf
selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen braucht (BSG Urteil vom 2.9.2009 - B 6 KA 44/08 R - SozR 4-2500 § 103 Nr 6 RdNr 17 mwN).
Die Beschwerde trägt dagegen selbst vor, bereits im Erörterungstermin vom 19.5.2016 habe sich ein Hinweis ergeben, dass das
LSG im Erstantrag vom 22.6.1998 keinen Antrag auf BSA sehen würde. Das Gericht habe hinsichtlich des BSA auf einen möglichen
Herstellungsanspruch hingewiesen. Zwar habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin eine entgegenstehende Rechtsansicht zu
Protokoll gegeben und auch der Beklagte sei angeblich ihrer Rechtsauffassung gewesen. Gleichwohl waren damit die unterschiedlichen
Auslegungsmöglichkeiten des Erstantrags im Verfahren erörtert worden. Auch der nachfolgend übersandte schriftliche Vergleichsvorschlag
der Berichterstatterin ging nach Angaben der Beschwerde - wie später das angefochtene Urteil - davon aus, die Klägerin habe
BSA erstmals am 25.5.2009 beantragt. Die Beschwerde hat nicht substantiiert dargelegt, warum dennoch ein gewissenhafter Prozessbeteiligter
mit der Rechtsansicht des LSG zum Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu rechnen brauchte, obwohl das Gericht sie im Vorfeld
geäußert und im Urteil beibehalten hat. Sie hält dem vielmehr lediglich die eigene Rechtsansicht entgegen. Der Anspruch auf
rechtliches Gehör beinhaltet aber lediglich ein Recht darauf gehört zu werden. Er verpflichtet das Gericht dagegen nicht,
der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen.
b) Ebenso wenig dargetan hat die Klägerin eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht durch das LSG. Will die Beschwerde einen
Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht rügen (§
103 SGG), muss sie einen für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrag bezeichnen, dem das LSG nicht gefolgt ist
(§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG).
Die Beschwerde trägt stattdessen vor, sie sei durch die überraschende Rechtsansicht des Gerichts daran gehindert worden, überhaupt
einen Beweisantrag zu stellen. Indes hat sie bereits ihren Vorwurf einer Überraschungsentscheidung, wie ausgeführt, nicht
hinreichend dargetan. Es kann daher dahinstehen, ob eine Überraschungsentscheidung des Gerichts - wie die Klägerin meint -
vom Erfordernis eines Beweisantrags befreien und damit auch ohne einen solchen Antrag entgegen §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG den Weg zu einer erfolgreichen Sachaufklärungsrüge ebnen kann. Die Klägerin hat nicht behauptet vom LSG an der Stellung eines
entsprechenden Beweisantrags gehindert worden zu sein.
2. Die für eine Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) notwendigen Voraussetzungen legt die Klägerin ebenfalls nicht in der gesetzlich gebotenen Weise dar. Wer eine Rechtsprechungsdivergenz
darlegen will, muss entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze in der Entscheidung des Berufungsgerichts einerseits und in
der herangezogenen höchstrichterlichen Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits gegenüberstellen und dazu ausführen, weshalb beide miteinander unvereinbar sein
sollen (vgl stRspr, zB BSG Beschluss vom 22.12.2010 - B 1 KR 100/10 B - Juris RdNr 4 mwN). Erforderlich ist, dass das LSG einen abweichenden Rechtssatz aufgestellt hat und nicht etwa lediglich
fehlerhaft das Recht angewendet hat (vgl zB BSG Beschluss vom 15.1.2007 - B 1 KR 149/06 B - RdNr 4; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 26 S 44 f mwN). Wer einen konkludent, dh verdeckt aufgestellten Rechtssatz behauptet, muss darlegen, dass dieser Rechtssatz
sich nicht erst nachträglich logisch induktiv aus dem Entscheidungsergebnis herleiten lässt, sondern dass dieses Ergebnis
deduktiv aus dem Rechtssatz folgt, der in der Entscheidung zweifellos enthalten ist (BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - Juris RdNr 13 mwN).
Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung nicht. Wie die Beschwerde selbst einräumt, zitiert das LSG als Obersatz
seiner Subsumtion die ständige Rechtsprechung des BSG zur Auslegung von Anträgen im Versorgungsrecht. Danach ist nicht die Ausdrucksweise, sondern der unter Berücksichtigung aller
Umstände erkennbare Wille des Antragstellers maßgeblich. Wer zu einem bestimmten Sachverhalt einen Leistungsantrag stellt,
will damit im Zweifel alle Ansprüche geltend machen, die ihm aus diesem Sachverhalt gegen den Versorgungsträger zustehen (Senatsurteil
vom 28.4.1999 - B 9 V 16/98 R - Juris RdNr 17; Senatsurteil vom 28.10.1975 - 9 RV 458/74 - SozR 3100 § 35 Nr 1 S 4 f = Juris RdNr 17; BSG Urteil vom 16.8.1973 - 3 RK 94/72 - BSGE 36, 120, 121= SozR Nr 61 zu § 182
RVO Ls).
Die Beschwerde wirft dem LSG gleichwohl vor, im Gegensatz dazu wende es die Auslegungsregel an, nur solche Leistungen kämen
als beantragt in Betracht, die aus der Sicht des zuständigen Versorgungsträgers aus dem Antrag selbst ableitbar seien. Die
Beschwerde versucht damit aber, den behaupteten Rechtssatz induktiv aus dem Entscheidungsergebnis abzuleiten, anstatt wie
erforderlich darzulegen, warum der behauptete Rechtssatz aus einem Obersatz des Berufungsgerichts folgt, der von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung abweicht (vgl BSG Beschluss vom 25.10.2016 - B 10 ÜG 24/16 B - Juris RdNr 13 mwN). Zudem legt sie nicht substantiiert dar, woraus sich der
von der Beschwerde angenommene, (verdeckte) Rechtssatz überhaupt ergeben sollte. Den mitgeteilten Urteilsgründen lässt er
sich nicht entnehmen. Das LSG stellt darin nicht nur auf den Antrag der Klägerin ab, sondern auch auf ihre Mitteilung von
Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie auf das Ergebnis einer versorgungsärztlichen Untersuchung und den Streitgegenstand eines Vorprozesses
gegen den Beklagten. Damit versucht das LSG ersichtlich, alle tatsächlichen Umstände des Sachverhalts zu berücksichtigen,
wie es nach seinem Obersatz in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG erforderlich war. Ob das Berufungsgericht damit den Antrag der Klägerin vollständig und richtig ausgelegt hat, ist eine Frage
der Rechtsanwendung im Einzelfall. Auf ihre (behauptete) Unrichtigkeit kann eine Nichtzulassungsbeschwerde wegen Divergenz
nicht mit Erfolg gestützt werden.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.