Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Rechtmäßigkeit einer Eingliederungsvereinbarung
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer Eingliederungsvereinbarung.
Der am 1967 geborene, aus Algerien stammende Kläger, der seit 2009 auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, steht seit
dem 01.01.2005 im Leistungsbezug bei dem Beklagten. Im hier streitgegenständlichen Zeitraum bezog er Arbeitslosengeld II (Alg
II) in Höhe von insgesamt 691,- € (Regelbedarf 391,- €, Kosten für Unterkunft und Heizung [KdUH] 300 €).
Nachdem der Kläger im Rahmen einer persönlichen Vorsprache am 09.01.2013 nicht bereit gewesen war, eine Eingliederungsvereinbarung
zu unterschreiben, erging am 14.01.2014 ein Eingliederungsverwaltungsakt für die Zeit vom 14.01.2014 bis 14.07.2014, in dem
der Kläger u.a. verpflichtet wurde, sämtliche Änderungen in der persönlichen und finanziellen Situation umgehend mitzuteilen,
unentgeltliche Probebeschäftigungen, ehrenamtliche Tätigkeiten, Minijobs und Nebenbeschäftigungen vor Antritt dem Jobcenter
zu melden und dazugehörige Unterlagen einzureichen, im Falle einer Krankheit innerhalb von drei Tagen eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
vorzulegen, stationäre Aufnahmen in Kliniken und sonstigen Einrichtungen umgehend anzuzeigen, sowie Urlaub bzw. Ortsabwesenheit
vorher mit dem zuständigen Ansprechpartner im Jobcenter abzusprechen. In der Rechtsfolgenbelehrung wurde der Kläger darüber
informiert, dass bei Verstoß das Alg II um einen Betrag in Höhe von 30 Prozent gemindert werde. Der Beklagte verpflichtete
sich zur Unterstützung bei der Arbeits- und Ausbildungssuche in Form von möglichen Maßnahmen nach § 16 Abs. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), der Übernahme von Bewerbungskosten, Fahrtkosten usw..
Gleichlautende Eingliederungsverwaltungsakte waren bereits am 12.07.2012, 09.01.2013 und 12.07.2013 ergangen (Widerspruchsbescheide
vom 26.09.2012, 05.02.2013 und 12.08.2013). Die hiergegen gerichteten Klagen blieben erfolglos. Das Sozialgericht Konstanz
(SG) wies die als Anfechtungsklage erhobenen, nach Ablauf des Geltungszeitraums der Eingliederungsvereinbarung nicht explizit
umgestellten Klagen als unzulässig (geworden) ab (S 5 AS 2609/12; S 5 AS 578/13; S 5 AS 2212/13).
Den gegen den Eingliederungsverwaltungsakt vom 14.01.2014 eingelegten Widerspruch begründete der Kläger damit, dieser sei
durch eine andere Eingliederungsvereinbarung zu ersetzen, die seine Rechte - wie z.B. Entschädigung wegen Amtspflichtverletzung
seitens der Beamten des L. f. V. B.-W. - wahrten. Außer Bedrohung mit Hunger und Obdachlosigkeit, verbunden mit dem Verlust
der Krankenversicherung, habe ihm die Eingliederungsvereinbarung seit 2005 bis heute nichts gebracht. Die Eingliederungsvereinbarung
helfe nicht gegen die falschen und rechtswidrigen Vorwürfe des Landesamts für Verfassungsschutz, das ihm seit langem falsche
Identität und den Besitz der französischen Staatsangehörigkeit vorwerfe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26.02.2014 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, Anhaltspunkte für eine
falsche Entscheidung seien weder genannt noch ersichtlich. Es bestünden außerdem Bedenken, inwieweit die dem Kläger auferlegten
Pflichten für sich genommen überhaupt als "Bemühungen zur Eingliederung in Arbeit" zu qualifizieren wären. Diese Pflichten
seien außerdem bereits gesetzlich normiert.
Hiergegen hat der Kläger am 25.03.2014 Klage beim SG erhoben mit dem Antrag, den Eingliederungsverwaltungsakt aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, "dass die Eingliederungsvereinbarung
per Verwaltungsakt vom 14.01.2014 ungültig ist". Der Beklagte solle mit ihm eine Eingliederungsvereinbarung unter Berücksichtigung
seiner Rechte abschließen. Überdies begehre er Akteneinsicht in die vollständige Verwaltungsakte in den Räumlichkeiten des
Gerichts.
Nachdem der Beklagte mitgeteilt hatte, dass aus dem Eingliederungsverwaltungsakt vom 14.01.2014 keine Rechtsfolgen mehr resultierten
und auch nicht resultiert seien, hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 15.01.2015 abgewiesen und zur Begründung (wieder) ausgeführt, nachdem sich der Verwaltungsakt
erledigt habe, sei die als Anfechtungsklage erhobene Klage unzulässig geworden. Da der Kläger seinen ausdrücklich auf Aufhebung
des angefochtenen Bescheides gerichteten Klagantrag nicht umgestellt habe, obwohl ihm die diesbezügliche Problematik bereits
aus den vorangegangenen Klageverfahren bekannt gewesen sei, sei die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnis unzulässig. Es könne
dahinstehen, ob die Klage als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig und begründet gewesen sei. Vorsorglich weise das Gericht
jedoch darauf hin, dass vorliegend Bedenken bestehen könnten, inwieweit die dem Kläger auferlegten Pflichten für sich genommen
als "Bemühungen zur Eingliederung in Arbeit" und damit als zulässiger Gegenstand eines Eingliederungsverwaltungsaktes zu qualifizieren
seien.
Gegen den ihm am 17.01.2015 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.02.2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG)
Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die Geltungsdauer eines Eingliederungsverwaltungsaktes betrage
sechs Monate. Wenn diese abgelaufen sei, werde ein neuer Eingliederungsverwaltungsakt erteilt. Ein Eingliederungsverwaltungsakt
bleibe immer wirksam. Der Kläger hat zudem Akteneinsicht in die komplette Verwaltungsakte begehrt.
Nachdem das Gericht veranlasst hatte, dass die Verwaltungsakten des Beklagten dem Kläger gesammelt in den Räumlichkeiten des
SG zur Akteneinsicht zur Verfügung gestellt werden, hat dieser am 08.06.2015 seine Akten eingesehen. Anschließend hat er mitgeteilt,
es sei nur ein Teil der Akten vorgelegt worden. Viele Unterlagen, wie z.B. die falschen Aussagen der Firmen, in denen er wegen
der Ermittlungen früher geschickt worden sei und die den Vorwurf der falschen Identität nachweisen würden, habe er nicht finden
können. Auch seien Inhalte der E-Mail-Nachrichten zwischen den Mitarbeitern des Jobcenters mit Marker gestrichelt worden,
damit er den richtigen Inhalt nicht lesen könne.
Der Kläger beantragt sachdienlich gefasst,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Konstanz vom 15. Januar 2015 aufzuheben und festzustellen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt
vom 14. Januar 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. Februar 2014 rechtswidrig gewesen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die ergangene Entscheidung des SG sei zutreffend. Der Beklagte sei durch Weisung der Bundesagentur für Arbeit gehalten, Eingliederungsvereinbarungen mit den
Leistungsempfängern zu schließen bzw. diese durch Verwaltungsakt zu ersetzen. Dies gelte auch für Eingliederungsverwaltungsakte
des Inhalts, wie sie gegenüber dem Kläger erlassen würden. Der Beklagte habe die vollständigen Verwaltungsakten, einschließlich
des Leistungs- und Vermittlungsteils, zur Gewährung von Akteneinsicht vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten und des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten sowie
der Gerichtsakten der ersten und zweiten Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig. Berufungsausschließungsgründe nach §
144 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) liegen nicht vor. Die Berufung ist auch begründet.
Der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt vom 14.01.2014 war rechtswidrig. Die hiergegen erhobene Klage
ist als Fortsetzungsfeststellungsklage zulässig und begründet.
Entgegen der Auffassung des SG hat der Kläger bereits bei der Klageerhebung hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es ihm nicht nur um die Aufhebung des
konkreten, zeitlich begrenzten Eingliederungsverwaltungsakts geht, sondern auch darum, dass fortlaufend Eingliederungsverwaltungsakte
erlassen und nach deren Außerkrafttreten durch inhaltsgleiche abgelöst werden, die er in dieser Form für rechtswidrig bzw.
"ungültig" hält. Sein Klagebegehren war daher über die Anfechtungsklage hinaus auch als Feststellungsbegehren, gerichtet auf
Feststellung der Rechtswidrigkeit des aktuell geltenden Eingliederungsverwaltungsakts zu verstehen. Dieses hat er auch im
Rahmen der Berufungsbegründung, also nach Ablauf der Geltungsdauer des Eingliederungsverwaltungsakts, weiterfolgt und sinngemäß
dazu ausgeführt, dadurch, dass nach Ablauf eines Eingliederungsakts immer der nächste erlassen werde, sei immer einer gültig.
Hieraus wird hinreichend deutlich, dass es dem Kläger nicht vornehmlich um drohende Sanktionen geht, die aus dem Eingliederungsverwaltungsakt
resultieren können, sondern darum, dass (in Zukunft) nicht erneut ein Eingliederungsverwaltungsakt desselben Inhalts ergeht,
der seinen Interessen nicht entspricht. Dieses Ziel lässt sich aber nur erreichen, wenn der Beklagte nicht mehr wie bisher
am Inhalt des Eingliederungsverwaltungsakts durch Erlass inhaltsgleicher Regelungen festhält und dessen Rechtswidrigkeit nach
Erledigung festgestellt wird. Der Klageantrag des Klägers ist daher - auch unter dem Gesichtspunkt des Meistbegünstigungsgrundsatzes
(s. hierzu z.B. Bundessozialgericht <BSG>, Urteile vom 23.03.2010 - B 14 AS 6/09 R - und vom 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - m.w.N., <[...]>) - dahingehend zu deuten, dass er - nach Erledigung des angefochtenen Verwaltungsaktes - nunmehr die
Feststellung dessen Rechtswidrigkeit begehrt. Eine dahingehende meistbegünstigende Auslegung ist umso mehr geboten, als der
Kläger nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.
Statthaft ist insoweit die Fortsetzungsfeststellungsklage nach §
131 Abs.
1 Satz 3
SGG (BSG Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R - Rdnr. 16). Nach dieser Vorschrift kann mit der Klage die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines zurückgenommenen oder
auf andere Weise erledigten Verwaltungsaktes begehrt werden, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung
hat. Ein solches Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann unter dem Gesichtspunkt der Präjudizialität und der Wiederholungsgefahr
bestehen. Wiederholungsgefahr ist anzunehmen, wenn die hinreichend bestimmte (konkrete) Gefahr besteht, dass unter im Wesentlichen
unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleichartige Entscheidung ergeht (BSG, Urteil vom 14.02.2013 - B 14 AS 195/11 R - <[...]>; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
131 Rdnr. 10 bis 10 f. m.w.N.) Die Wiederholungsgefahr ist vorliegend nicht zu verneinen, denn der Verlauf des Verfahrens zeigt,
dass der Beklagte wiederholt und nahtlos Eingliederungsverwaltungsakte mit gleichlautendem Inhalt erlassen hat; der derzeitige,
wieder inhaltsgleiche Eingliederungsverwaltungsakt hat Gültigkeit bis 20.07.2015. Es besteht daher eine hinreichend konkrete
Wahrscheinlichkeit, dass auch in der Zukunft weitere Eingliederungsverwaltungsakte desselben Inhalts zu erwarten sind.
Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch begründet, da der Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist. Gem.
§ 15 Abs. 1 SGB II soll die Agentur für Arbeit im Einvernehmen mit dem kommunalen Träger mit jeder erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person
die für ihre Eingliederung erforderlichen Leistungen vereinbaren (Eingliederungsvereinbarung). Die Eingliederungsvereinbarung
soll insbesondere bestimmen,
1. welche Leistungen die oder der Erwerbsfähige zur Eingliederung in Arbeit erhält,
2. welche Bemühungen erwerbsfähige Leistungsberechtigte in welcher Häufigkeit zur Eingliederung in Arbeit mindestens unternehmen
müssen und in welcher Form diese Bemühungen nachzuweisen sind,
3. welche Leistungen Dritter, insbesondere Träger anderer Sozialleistungen, erwerbsfähige Leistungsberechtigte zu beantragen
haben.
Die Eingliederungsvereinbarung soll für sechs Monate geschlossen werden. Danach soll eine neue Eingliederungsvereinbarung
abgeschlossen werden. Bei jeder folgenden Eingliederungsvereinbarung sind die bisher gewonnenen Erfahrungen zu berücksichtigen.
Kommt eine Eingliederungsvereinbarung nicht zustande, sollen die Regelungen nach Satz 2 durch Verwaltungsakt erfolgen.
Einer Eingliederungsvereinbarung, an deren Stelle gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II unter bestimmten Voraussetzungen der Eingliederungsverwaltungsakt tritt, muss ein auf den Einzelfall zugeschnittenes Eingliederungskonzept
zugrunde liegen. Nach den fachlichen Hinweisen der Bundesagentur für Arbeit zu § 15 SGB II (s. Fassung vom 20.08.2012, Rz. 15.1) handelt es sich um ein wirkungsorientiertes Instrument zur Erzeugung von Verbindlichkeit
im Integrationsprozess mit den erwerbsfähigen leistungsberechtigten Personen. Wegen der unterschiedlich anzutreffenden konkreten
Voraussetzungen im Hinblick auf die Integrationschancen am Arbeitsmarkt bedarf die Eingliederungsvereinbarung dabei einer
individuellen Ausgestaltung. Eine sorgfältige Standortbestimmung bei der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person, die
die Stärken und den Unterstützungsbedarf identifiziert und daraus folgende Handlungsbedarfe aufzeigt, ist nach den fachlichen
Hinweisen zwingende Grundlage für eine erfolgreiche Eingliederungsstrategie (vgl. LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 28.04.2015
- L 3 AS 99/15 B ER - <[...]>). Zentrale Bestandteile einer Eingliederungsvereinbarung und damit auch eines Eingliederungsverwaltungsaktes
sind die Festlegung der Leistungen, die der erwerbsfähige Leistungsberechtigte zur Eingliederung in Arbeit erhält und die
Konkretisierung der aktiven Eingliederungsbemühungen durch Festlegung, welche Bemühungen er in welcher Häufigkeit mindestens
unternehmen muss und in welcher Form er diese wie nachzuweisen hat (Berlit in LPK-SGB II, 5. Aufl. 2013, § 15 Rdnr. 22).
Vorliegend fehlt es indes bei den Vorgaben, die der Kläger zu erfüllen hat, an jeglichem konkreten Bezug zum Ziel der Eingliederung
in Arbeit. Von ihm wird lediglich und in Übereinstimmung mit den allgemeinen Vorschriften verlangt, Änderungen mitzuteilen,
AU-Bescheinigungen vorzulegen, Urlaub und andere Ortsabwesenheiten mitzuteilen usw. Zwar folgt aus dem Wort "insbesondere"
in § 15 Abs. 1 Satz 2 SGB II, dass neben Bestimmungen zu Eigenbemühungen auch andere Regelungen grundsätzlich zulässig sind, doch muss zumindest im weiteren
Sinne die Eingliederung in Arbeit betroffen sein (so auch Kador in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 15 Rdnr. 55; s. auch Sächsisches LSG, Urteil vom 27.02.2014 - L 3 AS 639/10 - < [...]>, Rdnr. 61), woran es hier fehlt. Es kann auch nicht argumentiert werden, der Kläger sei durch den Eingliederungsverwaltungsakt
nicht beschwert, da dieser nur von ihm verlange, was die allgemeinen Vorschriften ohnehin vorsehen: So folgt z.B. aus § 56 Abs. 1 Ziffer 2 SGB II die Pflicht zur Vorlage einer AU-Bescheinigung vor Ablauf des dritten Kalendertages, aus §
60 Abs.
1 Satz 1 Ziffer 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) die Pflicht, Änderungen in den Verhältnissen unverzüglich mitzuteilen, Regelungen zur Ortsabwesenheit ergeben sich aus §
7 Abs. 4 a SGB II in der bis zum 31.03.2011 gültigen Fassung (vgl. § 77 Abs. 1 SGB II) i.V.m. der Erreichbarkeits-Anordnung usw.. Jedoch sind die Folgen eines Pflichtverstoßes, der nach Erlass eines Eingliederungsverwaltungsaktes ergeht, häufig
ungleich härter als die gesetzlich in den oben genannten Fällen vorgesehenen: Legt ein Leistungsberechtigter die AU-Bescheinigung
zu spät vor, kann die Leistung gem. §§
66 Abs.
1 Satz 1, Abs.
3 SGB I für die Zukunft eingestellt werden, bei ungenehmigter Ortsabwesenheit entfällt der Leistungsanspruch, bei Nichtmitteilung
von wesentlichen Änderungen kann eine Aufhebung der Leistung nach § 48 SGB X erfolgen etc. Demgegenüber führte derselbe Verstoß, sofern er Inhalt eines Eingliederungsverwaltungsaktes wäre, zu einer
Minderung des Alg II um 30 Prozent, bei wiederholter Pflichtverletzung sogar um 60 Prozent bzw. sogar zum Wegfall des Alg
II (§ 31 Abs. 1, § 31 a, § 31 b SGB II). Insbesondere bei "kleineren Verstößen" (z. B. ungenehmigte Ortsabwesenheit nur für wenige Tage mit anschließender sofortiger
Meldung, kurzzeitige Nichtvorlage der AU-Bescheinigung) träfe die Minderung des Leistungsanspruchs aus § 31 a SGB II den Leistungsberechtigten ungleich härter. Insofern kann eine Beschwer durch einen Eingliederungsverwaltungsakt mit dem hier
vorliegenden Inhalt nicht verneint werden.
Schließlich vermag der Senat auch nicht zu erkennen, dass der Beklagte von Gesetzes wegen zum Abschluss von Eingliederungsvereinbarungen
bzw. ersetzenden Verwaltungsakten auch dann gezwungen wäre, wenn (derzeit) von einer erfolgreichen Integration des Betreffenden
in den Arbeitsmarkt nicht auszugehen ist. Bei den Bestimmungen über den Abschluss von Eingliederungsvereinbarungen und deren
Ersetzung durch Verwaltungsakte handelt es sich zwar um Sollvorschriften (§ 15 Abs. 1 Satz 1 und 6 SGB II), die aber nicht ausschließen, dass in atypischen Ausnahmefällen von einer Eingliederungsvereinbarung abgesehen wird, z.
B. wenn der Gesetzeszweck der Strukturierung und Beförderung der Eingliederung in den Arbeitsmarkt (aktuell) nicht erreicht
werden kann (Berlit in LPK-SGB II, a.a.O., § 15 Rdnr. 16).
Der Eingliederungsverwaltungsakt ist auch insgesamt rechtswidrig und nicht nur teilrechtswidrig. Letzteres würde voraussetzen,
dass ein Teil des Verwaltungsakts selbständig und unabhängig von dem anderen bestehen bleiben bzw. aufgehoben werden kann,
zwischen den Teilen kein unabdingbarer Zusammenhang besteht, ein Teil durch die Aufhebung eines anderen Teils keinen anderen
Inhalt erlangt und anzunehmen ist, dass der Verwaltungsakt auch nur mit dem rechtmäßigen Teil erlassen worden wäre (vgl. Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
131 Rdnr. 3b m. w. N.). Stellt sich aber wie ausgeführt eine Eingliederungsvereinbarung bzw. ein sie ersetzender Verwaltungsakt
als das Instrument einer auf den Einzelfall angepassten Eingliederungsstrategie mit einer Vielzahl aufeinander abgestimmter
Maßnahmen dar, ist die für die Teilbarkeit eines derartigen Verwaltungsakts erforderliche Annahme, dass dieser von der Behörde
auch ohne die als rechtswidrig erkannten Regelungen erlassen worden wäre, grundsätzlich nicht gerechtfertigt (ebenso LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 04.04.2012 - L 15 AS 77/12 B ER - <[...]>). Insofern war vorliegend festzustellen, dass der gesamte Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig gewesen
ist.
Das rechtliche Gehör des Klägers ist gewahrt. Soweit er - als Ausdruck der Gewährleistung rechtlichen Gehörs - beantragt hat,
ihm Akteneinsicht in die vollständigen Verwaltungsakten zu gewähren, ist diesem Antrag genügt worden, indem er am 08.06.2015
hierzu in den Räumlichkeiten des SG Gelegenheit hatte. Die vorgelegten Akten bestanden, wie die Sitzungsvertreterin des Beklagten in der mündlichen Verhandlung
(nochmals) erklärt hat, sowohl aus den Leistungs- als auch den Vermittlungsakten. Hinreichende Hinweise dafür, dass die Akten
unvollständig sind, ergeben sich nicht. Dementsprechend hat auch der Beklagte ausgeführt, weitere Verwaltungsakten gebe es
nicht. Insbesondere ist entgegen den Ausführungen des Klägers nicht zu erwarten, dass der Beklagte über Unterlagen über "falsche
Aussagen der Firmen, in denen der Kläger wegen der Ermittlungen früher geschickt worden sei und die den Vorwurf mit der falschen
Identität nachweisen" verfügt und diese zurückhält. Im Übrigen ist zwar vollständige Akteneinsicht zu ermöglichen (LSG Baden-Württemberg,
Beschluss vom 02.07.2008 - L 12 AL 4535/07 -; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16.05.2012 - L 1 KR 18/10 - <jeweils [...]>), doch umfasst die Pflicht zur Vorlage von Akten gem. §
119 SGG nur die Akten, Dokumente und Urkunden, die sich auf die Streitsache beziehen (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl. 2014, §
119 Rdnr. 6). Für die Feststellung, ob der angegriffene Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig war, genügte insofern die vom
Beklagten zunächst im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens zur Verfügung gestellte "Versandakte".
Der Gerichtsbescheid des SG war somit aufzuheben und festzustellen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.