Verjährung von Erstattungsforderungen nach einer Aufhebung der Bewilligung von Arbeitsentgeltzuschüssen
Vorrang der Verjährungsregelung in § 50 Abs. 4 SGB X gegenüber derjenigen in § 52 Abs. 2 SGB X
Tatbestand
Die Klägerin, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, macht die Verjährung zweier gegen sie gerichteter Erstattungsforderungen
der Beklagten geltend.
Mit 2 Bescheiden vom 19.08.2011 nahm die Beklagte 2 Bewilligungen über Arbeitsentgeltzuschüsse für Arbeitnehmer der Klägerin
zurück und verfügte gegenüber der Klägerin die Erstattung von 2.009,30 EUR und 2.435,29 EUR. Mit 2 Widerspruchsbescheiden
vom 04.11.2011 wies die Beklagte die hiergegen eingelegten Widersprüche der Klägerin als unbegründet zurück. Klage hiergegen
wurde nicht erhoben. Weitere (Vollstreckung-)Maßnahmen der Beklagten unterblieben in der Folgezeit.
Mit Schreiben vom 14.12.2011 mahnte die Beklagte den aufgrund der Erstattungsbescheide noch offenen Betrag von 4.444,59 EUR
an und setzte Mahngebühren in Höhe von 22,50 EUR fest. Mit Schreiben vom 10.10.2017 und mit weiterem Schreiben vom 09.01.2018
mahnte die Beklagte jeweils einen Gesamtbetrag in Höhe von 4.467,09 EUR (bestehend aus den beiden Forderungen aus den aufgehobenen
Arbeitsentgeltzuschüssen in Höhe von 4.444,59 EUR zuzüglich Mahngebühren von 22,50 EUR) an.
Mit Schriftsatz vom 30.01.2018 erhob die Klägerin die Einrede der Verjährung unter Verweis auf § 50 Abs. 4 SGB X. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide in Gestalt der jeweiligen Widerspruchsbescheide seien spätestens im Dezember 2011
bestandskräftig geworden. Damit habe zum 01.01.2012 die 4-jährige Verjährungsfrist zu laufen begonnen und sei Verjährung somit
mit Ablauf des 31.12.2015, bei Bestandskraft erst im Jahre 2012 jedenfalls mit Ablauf des 31.12.2016, eingetreten. Vorsorglich
werde auch Verwirkung eingewendet.
Unter dem 09.02.2018 teilte die Beklagte mit, öffentlich-rechtliche Forderungen würden durch Bescheide begründet. Sei ein
Bescheid unanfechtbar geworden, so betrage die Verjährungsfrist in der Regel 30 Jahre. Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide
vom 19.08.2011 seien unanfechtbar, daher sei keine Verjährung eingetreten.
In ihrem Schriftsatz vom 02.03.2018 hielt die Klägerin an ihrer Auffassung, wonach die Erstattungsforderungen verjährt seien,
fest und beantragte, die Zwangsvollstreckung aus den Erstattungsbescheiden einzustellen sowie die Feststellung, dass die mit
den Erstattungsbescheiden vom 19.08.2011 geltend gemachten Forderungen wegen Verjährung erloschen seien.
Mit Schreiben vom 16.08.2018 teilte die Beklagte mit, sie verweise insbesondere auf ihr Schreiben vom 09.02.2018. Eine Verbescheidung
des Antrags werde nicht erfolgen.
Daraufhin erhob die Klägerin eine, durch Klagerücknahme mittlerweile erledigte, Untätigkeitsklage beim Sozialgericht Mannheim
(SG, dortiges Az. S 7 AL 2400/18). Mit Aufklärungsverfügung vom 29.11.2018 wies das SG darauf hin, dass bereits das Schreiben vom 09.02.2018 alle Merkmale eines Verwaltungsakts enthalten dürfte. Allerdings habe
die Klägerin am 02.03.2018 einen erneuten Feststellungsantrag, gegebenenfalls Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X, gestellt. Eine Verbescheidung dieses zeitlich nach der Entscheidung der Beklagten gestellten Antrags scheine nicht erfolgt
zu sein.
Die Klägerin hat daraufhin am 07.02.2019 vorsorglich Widerspruch gegen das Schreiben vom 09.02.2018 eingelegt, welchen die
Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2019 als unbegründet zurückgewiesen hat. Die Forderung sei entgegen dem Vorbringen
im Widerspruch nicht verjährt. Mit Bestandskraft der Erstattungsbescheide habe eine neue 30-jährige Verjährungsfrist gemäß
§ 52 Abs. 2 SGB X begonnen, welche die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X vollständig verdrängt habe.
Hiergegen hat der Kläger am 18.03.2019 Klage beim SG erhoben (S 11 AL 862/19) und beantragt, unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 09.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2019
festzustellen, dass die mit den Erstattungsbescheiden der Beklagten vom 19.08.2011 geltend gemachten Forderungen wegen Verjährung
erloschen seien und die Beklagte weiterhin zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin aus den genannten Erstattungsbescheiden
einzustellen.
Die Beklagte legte weiterhin das Schreiben der Klägerin vom 02.03.2018 als Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X, bezogen auf den Bescheid vom 09.02.2018, aus und lehnte diesen Antrag bereits mit Bescheid vom 19.02.2019 ab, da die Forderung
nicht verjährt sei. Den hiergegen eingelegten Widerspruch hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2019 und mit
im wesentlichen inhaltsgleicher Begründung zurückgewiesen.
Hiergegen hat sich die weitere Klage der Klägerin gerichtet, die diese am 24.06.2019 beim SG erhoben hat (S 11 AL 1862/19) und mit welcher die Klägerin unter Aufhebung des Überprüfungsbescheids der Beklagten vom 19.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 23.05.2019 wiederum begehrt hat, unter Aufhebung des Bescheids der Beklagten vom 09.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 18.02.2019 festzustellen, dass die mit den Erstattungsbescheiden der Beklagten vom 19.08.2011 geltend gemachten Forderungen
wegen Verjährung erloschen seien und die Beklagte weiterhin zu verurteilen, die Zwangsvollstreckung gegen die Klägerin aus
den genannten Erstattungsbescheiden einzustellen.
Die Klägerin hat zur Begründung beider Klagen vorgetragen, die Auffassung der Beklagten hinsichtlich eines Vorrangs des §
52 Abs. 2 SGB X gegenüber § 50 Abs. 4 SGB X sei rechtsirrig. Die herrschende Meinung sei der Auffassung, dass die Vorschrift des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X mit der Bestimmung einer Verjährungsfrist von 4 Jahren die gegenüber § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X speziellere Regelung darstelle und nur ein weiterer Verwaltungsakt, mit dem die Durchsetzung des Erstattungsanspruchs erfolge,
nicht aber der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid selbst, die 30-jährige Verjährungsfrist des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X auslöse. In diesem Sinne habe zuletzt auch das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg mit Beschluss vom 14.12.2018
(L 34 AS 2224/18 B ER, in juris) entschieden. Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten und dies mit im wesentlichen inhaltsgleichen
Vorbringen wie bereits im Verwaltungsverfahren begründet.
Das SG hat die beiden Klageverfahren S 11 AL 862/19 und S 11 AL 1862/19 mit Beschluss vom 01.08.2019 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem Az. S 11 AL 862/19 verbunden.
Mit Urteil vom 14.08.2019 hat das SG den Bescheid der Beklagten vom 09.02.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.02.2019 und den Bescheid vom 19.02.2019
in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.05.2019 aufgehoben und festgestellt, dass die mit den Erstattungsbescheiden der
Beklagten vom 19.08.2011 geltend gemachten Forderungen wegen Verjährung erloschen seien und hat im Übrigen die Klage abgewiesen.
Die im Jahr 2011 bestandskräftig festgesetzten Erstattungsansprüche seien gemäß § 50 Abs. 4 SGB X mit Ablauf des Jahres 2015 verjährt. Soweit die Beklagte meine, eine Verjährung trete erst nach 30 Jahren ein, könne dieser
Rechtsansicht nicht gefolgt werden. Zwar heiße es in § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X, dass § 52 SGB X unberührt bleibe. Nach dieser Norm betrage die Verjährungsfrist, wenn ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung
des Anspruchs erlassen worden ist, unanfechtbar geworden ist, 30 Jahre. Einen entsprechenden Verwaltungsakt habe die Beklagte
jedoch nicht erlassen. Der Auffassung der Beklagten, dass eine neue 30-jährige Verjährungsfrist bei Unanfechtbarkeit der Aufhebungs-
und Erstattungsbescheide beginne und die 4-jährige Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X vollständig verdrängt werde, könne nicht gefolgt werden. Andernfalls verbliebe für die Regelung in § 50 Abs. 4 SGB X kein Anwendungsbereich mehr. Erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte zur Durchsetzung des Anspruchs ergehen würden, würden
diese dann dem § 52 SGB X unterfallen. Hiervon gehe auch die ganz überwiegende Auffassung in der Literatur aus. Soweit die Klage auf Einstellung der
Zwangsvollstreckung gerichtet gewesen sei, sei diese abzuweisen gewesen, da eine Vollstreckung offensichtlich noch nicht eingeleitet
worden sei.
Gegen das der Beklagten am 21.08.2019 zugestellte Urteil hat diese am 20.09.2019 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt.
Neben der Feststellung der jeweils zu erstattenden Beträge hätten beide Erstattungsbescheide die Aufforderung enthalten, den
festgestellten Betrag innerhalb einer fest vorgeschriebenen Frist zurückzuzahlen. Darüber hinaus sei mit bestandskräftigem
Bescheid vom 14.12.2011 eine Mahngebühr in Höhe von 22,50 EUR festgestellt worden. Dieser Bescheid sei mit der Aufforderung
versehen gewesen, neben der Hauptforderung die festgesetzte Mahngebühr binnen einer Woche zu begleichen. Es greife daher die
Verjährungsfrist von 30 Jahren. Bei den genannten Bescheiden handle es sich um Verwaltungsakte gemäß § 52 Abs. 1 SGB X. Denn die Erstattungsbescheide und der Mahnbescheid würden zwar einerseits die Korrekturentscheidung im Sinn des § 50 SGB X und die Feststellung des Erstattungsanspruchs enthalten; andererseits werde aber die Klägerin als Schuldnerin in allen in
Rede stehenden Bescheiden zur Zahlung und damit zur Leistung aufgefordert. Nach § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X bleibe § 52 SGB X unberührt, weshalb ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung der Forderung ergeht, die 30-jährige Verjährungsfrist
auslöse auch wenn der Anspruch selbst einer kürzeren Verjährungsfrist unterliege. Der feststellende Erstattungsbescheid und
der Durchsetzungsbescheid im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X könnten auch gleichzeitig ergehen, was dann zur Folge habe, dass mit Bestandskraft des einheitlichen Erstattungs- und Durchsetzungsbescheides
die Verjährungsfrist von 30 Jahren gelte. Dies sei vorliegend der Fall. Soweit offenbar die Auffassung vertreten werde, dass
eine einheitliche Entscheidung von Erstattungs- und Durchsetzungsbescheid in einem Bescheid nicht möglich sei, trete man dieser
Auffassung entgegen. Nach der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 28.02.1996 (3 RK 12/95, in juris) genüge sogar die Festsetzung der von der Verwaltungsbehörde erhobenen Forderung und bedürfe es noch nicht einmal
einer Zahlungsaufforderung. Selbst wenn in dem streitgegenständlichen Bescheid kein so genanntes Leistungsgebot enthalten
wäre, würde aber vorliegend die 30-jährige Verjährungsfrist greifen. Denn die Verjährungsfrist betrage nach § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X in Verbindung mit § 52 Abs. 2 SGB X 30 Jahre, wenn der Verwaltungsakt nach § 50 Abs. 3 SGB X die zu erbringende Leistung verbindlich feststellt oder Regelungen zur Durchsetzung des Anspruchs enthält und damit gleichzeitig
ein Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X darstelle. Es dränge sich außerdem die Frage auf, welchen Inhalt ein weiterer Verwaltungsakt noch haben sollte, wenn der
Erstattungsbescheid unmissverständlich zum Ausdruck bringe, welcher Betrag an wen bis zu welchem Zeitpunkt und unter welchen
Bedingungen zu leisten sei. Man stütze sich weiterhin auf die Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 11.10.2017 (L 2 R 1565/17, in juris), bei der es auch um einen Erstattungsbescheid nach § 50 Abs. 3 SGB X gegangen sei. Das LSG sei in dieser Entscheidung zum Ergebnis gelangt, dass der Erstattungsbescheid gemäß § 50 Abs. 3 SGB X über die Arbeitslosenhilfe zugleich als Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X anzusehen sei. Vor diesem Hintergrund gehe man davon aus, dass eine die Berufung zurückweisende Entscheidung von dem genannten
Urteil des LSG Baden-Württemberg abweichen würde.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 14.08.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verweist auf die Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung. Die Auffassung der Klägerin werde auch durch die Rechtsentwicklung des § 52 SGB X unterstützt. So habe diese Norm zunächst allein Verwaltungsakte, welche zur Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlich
Rechtsträgers erlassen worden sind, zum Gegenstand gehabt. Zum 01.01.2002 sei dann die Vorschrift neugefasst und den mit der
Schuldrechtsreform einhergehenden strukturellen Änderungen des Verjährungsrechts angepasst worden. Zudem sei der Begriff "Feststellungen"
vor "Durchsetzung" eingefügt worden, womit der Streit, ob Verwaltungsakte zur Feststellung eines Anspruchs ebenfalls von §
52 SGB X mitumfasst seien, erledigt worden sei. Insgesamt sollten aber nach der Begründung des Gesetzentwurfs keine wesentlichen Änderungen
vorgenommen werden. Eine inhaltliche Änderung der Vorschrift in ihrem Verhältnis zu § 50 SGB X sei damit nicht verbunden und auch nicht gewollt gewesen.
Die Beteiligten haben mit Schreiben vom 15.06.2020 jeweils ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
nach §
124 Abs.
2 SGG erklärt.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten
beider Rechtszüge und die beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §
151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung nach §§
153 Abs.
1,
124 Abs.
2 SGG entscheidet, ist gemäß §§
143,
144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, jedoch nicht begründet. Denn die streitgegenständlichen Erstattungsforderungen vom
19.08.2011 sind verjährt.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist allein das Begehren der Klägerin auf Feststellung der Verjährung der Erstattungsforderungen
der Beklagten aufgrund der Bescheide vom 19.08.2011; denn Berufungsführerin ist allein die Beklagte. Die Klägerin hat gegen
die Abweisung ihres mit der Klage zugleich verfolgten Begehrens, die Zwangsvollstreckung aus den Bescheiden vom 19.08.2011
einzustellen, weder innerhalb der Berufungsfrist Berufung eingelegt, noch hat sie eine Anschlussberufung erhoben.
Zu Recht ist das SG davon ausgegangen, dass statthafte Klageart für das klägerische Begehren der Feststellung der Verjährung die Feststellungsklage
ist (BSG, Urteil vom 09.02.1995 - 7 RAr 78/93 -, in juris). Die Klägerin begehrt im Ergebnis die Feststellung, dass die Erstattungsansprüche der Beklagten wegen Verjährung
nicht mehr durchsetzbar, das heißt nicht mehr verrechnungsfähig und/oder vollstreckbar sind. Dieses Ziel erreicht die Klägerin
bereits mit der Feststellung des Verjährungseintritts (BSG, a.a.O.).
Zutreffend ist das SG weiterhin zu dem Ergebnis gelangt, dass die geltend gemachten Erstattungsforderungen der Beklagten verjährt sind.
Gemäß § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X sind, soweit ein Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, bereits erbrachte Leistungen zu erstatten. Die zu erstattende Leistung
ist gemäß § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Dabei soll die Festsetzung, sofern die Leistung aufgrund eines Verwaltungsakts
erbracht worden ist, mit der Aufhebung des Verwaltungsakts verbunden werden (§ 50 Abs. 3 S. 2 SGB X).
In Anwendung dieser Vorschriften hat die Beklagte mit den Bescheiden vom 19.08.2011, mit denen sie die ursprünglichen Bewilligungen
von Arbeitsentgeltzuschüssen aufgehoben hat, zugleich auch die zu erstattenden Leistungen in Höhe von 2.009,30 EUR und 2.435,29
EUR festgesetzt. Die hiergegen eingelegten Widersprüche der Klägerin hat sie mit Widerspruchsbescheiden vom 04.11.2011 zurückgewiesen.
Eine Bekanntgabe dieser Widerspruchsbescheide noch im November 2011 - gemäß § 38 Abs. 2 S. 1 SGB X gelten diese als am 07.11.2011 bekannt gegeben - wird weder von der Klägerin noch von der Beklagten in Zweifel gezogen, so
dass noch im Dezember 2011 die Klagefrist von einem Monat gemäß §
87 Abs.
1 S. 1
SGG in Verbindung mit Abs.
2 verstrichen ist und die Erstattungsforderungen gemäß §
77 SGG Bestandskraft erlangt haben. Gemäß § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X verjährt der Erstattungsanspruch in 4 Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Verwaltungsakt nach Abs. 3 unanfechtbar
geworden ist. Damit sind die Erstattungsforderungen nach § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X mit Ablauf des 31.12.2015 verjährt.
Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X. Nach dieser Vorschrift bleibt § 52 SGB X unberührt. Gemäß § 52 Abs. 2 SGB X beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre, wenn ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines
öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird (§ 52 Abs. 1 S. 1 SGB X), unanfechtbar geworden ist. Der Beklagten ist zuzugeben, dass § 50 Abs. 4 SGB X und § 52 Abs. 2 SGB X und die dort geregelten unterschiedlichen Verjährungsfristen insoweit, als ein Erstattungsbescheid im Sinne des § 50 Abs. 4 SGB X den Anspruch des Hoheitsträgers gegen einen Leistungsempfänger festsetzt und damit zugleich auch die Voraussetzung des §
52 Abs. 1 Satz 1 SGB X erfüllt, in einem Spannungsverhältnis stehen. Dieses Spannungsverhältnis kann sinnvollerweise, so zu Recht bereits das SG in der angefochtenen Entscheidung in weitgehend wörtlicher Wiedergabe des Beschlusses des LSG Berlin-Brandenburg (a.a.O.),
nur dergestalt aufgelöst werden, dass von einem Vorrang der Verjährungsregelung in § 50 Abs. 4 SGB X gegenüber derjenigen in § 52 Abs. 2 SGB X ausgegangen wird. Danach trifft § 50 Abs. 4 SGB X eine Sonderregelung für die Feststellung des Erstattungsanspruchs durch Verwaltungsakt. Erst wenn zusätzliche Verwaltungsakte
zur Durchsetzung des Anspruchs ergehen, unterfallen diese aufgrund der Verweisung in § 50 Abs. 4 S. 3 SGB X der 30-jährigen Verjährungsfrist in § 52 Abs. 2 SGB X (Baumeister in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl., § 50 SGB X [Stand: 25.02.2020], Rn. 126 ff.; Merten in: Hauck/Noftz, SGB, 08/16, § 50 SGB X Rn. 95; Lang in Diering/Timme/Stähler, SGB X, 5. Aufl. 2019, § 50 Rn. 61; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 50 Rn. 32; ebenso LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.09.2018 - L 1 AL 88/17 -, in juris). Für einen Vorrang von § 50 Abs. 4 Satz 1 SGB X spricht zum einen, dass es sich nach Systematik, aber auch nach dem Wortlaut, um die speziellere Vorschrift handelt. Zum
anderen verbliebe bei einem anderen Verständnis die Regelung in § 50 Abs. 4 SGB X ohne jeden Anwendungsbereich, da ein Erstattungsbescheid im Sinne des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X zugleich auch die Voraussetzung des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X erfüllt und somit die 4-jährige Verjährungsfrist nie zur Anwendung kommen würde. Zu Recht hat das LSG Berlin-Brandenburg
es aber ausgeschlossen, dass dies auf einem Redaktionsversehen beruhen könnte (a.a.O.). Hierfür gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
Vielmehr hat der Gesetzgeber den Behörden über die Verweisung in § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X auf § 52 Abs. 2 SGB X auch für Erstattungsansprüche die Möglichkeit eingeräumt, sich selbständig zu einer längeren Verjährungsfrist zu verhelfen,
indem sie einen die Verjährung hemmenden Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X erlassen (LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; vergleiche hierzu auch nachfolgend).
Die gegenteilige Auffassung wird, soweit ersichtlich, in der Literatur nicht (mehr) vertreten. Soweit die Rechtsprechung in
einzelnen Entscheidungen von einer Anwendung des § 52 Abs. 2 SGB X auf Verwaltungsakte im Sinne des § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X ausgegangen ist, vermag dies nicht zu überzeugen. In der von der Beklagten genannten Entscheidung vom 11.10.2017 (a.a.O.)
ist das LSG Baden-Württemberg davon ausgegangen, dass Forderungen, sobald die zu Grunde liegenden Erstattungsbescheide unanfechtbar
geworden sind, "von vornherein" der 30-jährigen Verjährung gemäß § 52 Abs. 2 SGB X unterliegen. Es hat sich dabei aber mit der Konkurrenzsituation von § 50 Abs. 4 SGB X und § 52 SGB X ebenso wenig auseinandergesetzt, wie die von ihm in der genannten Entscheidung in Bezug genommenen Urteile des Hessischen
LSG vom 27.04.2012 (L 7 SO 58/10, in juris) und des Bayerischen LSG vom 14.11.2007 (L 13 R 157/07, in juris). Die von der Beklagten (und dem LSG Baden-Württemberg in der Entscheidung vom 11.10.2017, a.a.O.) weiterhin herangezogenen
Entscheidungen des BSG vom 28.02.1996 (3 RK 12/95) und vom 31.10.2012 (B 13 R 13/12 R, in juris) sind für den vorliegenden Fall unergiebig, da dort gerade keine Erstattungsbescheide streitgegenständlich waren,
sondern die erstmalige Festsetzung von Künstlersozialabgabe bzw. von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen; ein solcher Bescheid
unterfällt von vornherein nicht der Regelung des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X, der sich explizit nur auf Bescheide, die die nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstattende Leistung im Sinne des § 50 Abs. 3 S. 1 SGB X festsetzen, bezieht. Dies verkennt die Beklagte.
Aus dem Verweis in § 50 Abs. 4 Satz 3 SGB X auf § 52 SGB X folgt somit (lediglich), dass Verwaltungsakte, die zugleich mit der Festsetzung der Erstattungsforderung nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X (oder nachfolgend) zur Durchsetzung des festgestellten Erstattungsanspruchs ergehen, nach § 52 Abs. 2 SGB X eine Verjährungsfrist von 30 Jahren, gerechnet ab Rechtskraft des Durchsetzungsbescheides, in Gang setzen (LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 11.12.2019 - L 3 AS 3321/19 -, in juris). Dies findet seine Begründung darin, dass mit dem Versuch, die festgestellte Forderung durchzusetzen, der Hoheitsträger
das ihm zur Realisierung des Anspruchs Obliegende getan hat, weshalb dieser Anspruch ihm bei Nichterfüllung ohne weiteres
30 Jahre lang erhalten bleiben soll, auch wenn ursprünglich die kürzere Verjährungsfrist des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X eingegriffen hat (Schütze, a.a.O., § 50 Rn. 32; Heße, in BeckOK Sozialrecht, Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, 54. Edition, Stand: 01.09.2019, SGB X, § 50 Rn. 42; Lang, a.a.O., § 50 Rn. 61). Deshalb bewirken - neben zur Durchsetzung des Anspruchs ergangener Verwaltungsakte, also beispielsweise solche,
die im Vollstreckungsverfahren zur Durchsetzung des Anspruchs dienen - auch die Aufrechnung oder die Verrechnung nach §§
51,
52 SGB I die längere Verjährungsfrist des § 52 Abs. 2 SGB X. Eine solche Regelung, die mit dem genannten Inhalt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht etwa überflüssig wäre,
kann zeitlich nachfolgend zum die Erstattung festsetzenden Verwaltungsakt ergehen; sie kann aber auch unmittelbar mit der
Regelung über die Festsetzung der Erstattungsforderung verbunden werden (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 11.12.2019,
a.a.O.).
Einen solchen Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 SGB X hat die Beklagte aber weder mit den hier streitgegenständlichen Festsetzungsbescheiden verbunden, noch innerhalb der Verjährungsfrist
des § 50 Abs. 4 S. 1 SGB X zeitlich nachfolgend erlassen. Die Bescheide vom 19.08.2011 enthielten auch in der Fassung, die sie durch die Widerspruchsbescheide
vom 04.11.2011 erhalten haben (§
95 SGG), keine über die Aufhebung der ursprünglichen Bewilligungsentscheidungen und die Festsetzung des Erstattungsbetrags hinausgehenden
Regelungen. Die Fristsetzung zur Zahlung in den angefochtenen Bescheiden stellt, anders als beispielsweise eine zugleich mit
der Erstattung verfügte Aufrechnung, keine Maßnahme zur Durchsetzung der festgesetzten Erstattungsansprüche dar. Sie besitzt
insbesondere schon keinen Regelungscharakter, wie sich aus der Stellung in den Bescheiden vom 19.08.20011 und den dort gewählten
Formulierungen ergibt.
Gleiches gilt für die am 14.12.2011 ergangene Mahnung. Denn auch hierbei handelt es sich schon nicht um einen Verwaltungsakt.
Verwaltungsaktcharakter kommt lediglich der mit der Mahnung üblicherweise (so auch hier) verbundenen Festsetzung der Mahngebühr,
nicht aber der Mahnung selbst zu (ständige Rechtsprechung des BSG, Urteil vom 26.05.2011 - B 14 AS 54/10 R -, Beschluss vom 05.08.1997 - 11 BAr 95/97 -; Beschluss vom 07.06.1999 - B 7 AL 264/98 B -, alle in juris). Dieser Rechtsprechung des BSG hat die Beklagte im Übrigen auch Rechnung getragen und in der Rechtsbehelfsbelehrung zum Schreiben vom 14.12.2011 die Statthaftigkeit
des Widerspruchs explizit auf die Festsetzung der Mahngebühren begrenzt. Vor diesem Hintergrund und angesichts fehlender sonstiger
formeller Merkmale eines Verwaltungsakts (wie beispielsweise der Verwendung des Wortes "Bescheid" im Mahnschreiben) liegt
auch kein sogenannter formeller Verwaltungsakt vor (vergleiche zu diesem Gesichtspunkt BSG, Urteil vom 26.05.2011, a.a.O.). Somit weist lediglich die Festsetzung von Mahngebühren im Zuge der Mahnung vom 14.12.2011
Verwaltungsaktcharakter auf. Als Verwaltungsakt im Sinne des § 52 Abs. 1 S. 1 SGB X und damit auch im Sinne des § 52 Abs. 2 SGB X scheidet die Festsetzung von Mahngebühren indes evident aus, da sie weder zur Feststellung noch zur Durchsetzung der in den
Bescheiden vom 19.08.2011 festgesetzten Erstattungsforderungen ergangen ist.
Damit sind die beiden Erstattungsforderungen, festgesetzt mit den Bescheiden vom 19.08.2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide
vom 04.11.2011, mit Ablauf des 31.12.2015 verjährt. Nachdem die Klägerin wirksam die Verjährungseinrede erhoben hat, steht
der Durchsetzung der beiden Erstattungsforderungen die Verjährung entgegen und bleibt die Berufung der Beklagten ohne Erfolg.
Gemäß §§ 50 Abs. 4 S. 2 SGB X, 214 Abs.
1 BGB begründet die wirksam erhobene Verjährungseinrede ein Leistungsverweigerungsrecht der Klägerin; der Anspruch erlischt indes
mangels einer abweichenden Sonderregelung nicht (Grothe, Münchener Kommentar zum
BGB, 8. Aufl. 2018, §
214 Rn. 1; anders teilweise im Steuerrecht: so sehen die §§
228,
232 Abgabenordnung ein Erlöschen der Forderung vor). Für die vom SG getroffene Feststellung, dass die von der Beklagten geltend gemachten Forderungen wegen Verjährung erloschen sind, fehlen
somit die rechtlichen Voraussetzungen. Das von der Klägerin mit der Klage verfolgte Begehren, festzustellen, dass die Erstattungsansprüche
der Beklagten wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sind, erreicht diese indes bereits mit der Feststellung des Verjährungseintritts
(BSG, Urteil vom 09.02.1995, a.a.O.) unter Aufhebung der entgegenstehenden Verwaltungsentscheidungen. Der Tenor des Urteils des
SG war deshalb insoweit im Rahmen einer Maßgabeentscheidung zu korrigieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Im Hinblick auf die abweichende Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 11.10.2017 wird die Revision zugelassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).