Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung aus der Pflegestufe II nach dem SGB XI; Zulässigkeit der Absenkung nach einer außergerichtlichen Mediationsvereinbarung
Tatbestand
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Klägerin (Kl.) über den 30.06.2008 hinaus Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung
aus der Pflegestufe (PS) II nach dem
Elften Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) zustehen.
Die 1991 geborene und bei der Beklagten (Bekl.) versicherte Kl. erkrankte im Oktober 1997 an einem Rhabdomyosarkom im linken
Unterkiefer, erhielt in der Folgezeit Chemo- und Strahlentherapie und musste sich zahlreichen Operationen unterziehen. Ihr
wurden ausgedehnte Wangenweichteile, Teile des Unterkiefers sowie Lymphgewebe entfernt. Infolgedessen leidet sie u. a. an
einer starken Narbenbildung im Mund- bzw. Gesichtsbereich sowie vom Rücken bis in die linke Achsel mit entsprechenden Einschränkungen
der Beweglichkeit.
Mit Bescheid vom 01.10.2001 bewilligte die Bekl. erstmals Pflegegeld der PS II mit Wirkung vom 01.06.2001. Grundlage der Bewilligung
war ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) in Bayern vom 03.09.2001, das einen Grundpflegebedarf
von exakt 120 min ermittelt hatte.
Bei einer Wiederholungsbegutachtung ermittelte der MDK am 20.12.2004 einen Grundpflegebedarf von nur noch 96 min.
Daraufhin hob die Bekl. mit Bescheid vom 16.02.2005 den Leistungsbescheid vom 01.10.2001 zum 28.02.2005 auf und bewilligte
Leistungen der PS I ab dem 01.03.2005. Als Rechtsgrundlage wurde § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angegeben. Aufgrund des dagegen eingelegten Widerspruchs stellte der MDK nach Aktenlage einen Grundpflegebedarf von 106
min fest (Gutachten vom 28.04.2005). Am 16.11.2005 erstellte der MKD durch die zuständige Teamkoordinatorin ein Gutachten,
das folgende Veränderungen im Hilfebedarf seit dem Gutachten vom 03.09.2001 feststellte: - Wegfall von Verkrustungen im Bereich
von Rücken bis Achsel nach Haut- und Muskeltransplantation, deshalb Wegfall von 1x täglich Körperreinigung zum Lösen von Verkrustungen,
dadurch Wegfall von mind. 15 min täglich Pflegeaufwand für Ganzkörperwäsche (die 2001 noch 2 bis 3 mal täglich als notwendig
anerkannt worden war) - Wegbegleitung zur Krankengymnastik nicht mehr erforderlich, weil Kl. bereits das 12. Lebensjahr überschritten
hat - Die 2001 beschriebene Wunde im linken Wangenbereich liege nicht mehr ständig vor. Die Bekl. wies den Widerspruch mit
Widerspruchsbescheid vom 14.02.2006 zurück. Dagegen erhob die Kl. beim Sozialgericht (SG) Augsburg Klage (Az. S 10 P 25/06). Parallel zum Klageverfahren verständigten sich die Parteien in einem außergerichtlichen Mediationsverfahren bei Rechtsanwältin
E ... In der Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006, die in der beigezogenen SG-Akte enthalten ist und auf die Bezug genommen wird, verpflichtete sich die Bekl., der Kl. Leistungen der PS II ab März 2006
zu bewilligen, die Kl. nahm im Gegenzug die Klage zurück. Ferner wurde vereinbart, dass eine Wiederholungsbegutachtung nicht
vor Ende September 2007 veranlasst werden sollte. In dieser Zeit sollte sich die Kl. einer erneuten psychotherapeutischen
bzw. psychologischen Behandlung unterziehen mit dem Ziel, die Ängste beim Verlassen des Hauses zu bewältigen. Die Mediationsvereinbarung
enthielt eine Berechnung des aktuellen Hilfebedarfs für den Monat März 2006. Daraus ergab sich ein Grundpflegebedarf von 137
min täglich, in dem 26 min für das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung enthalten waren. Diese 26 min berechneten sich
als 180 min / 7. Dabei wurde berücksichtigt, dass die Kl. einmal wöchentlich den Kinderarzt Dr. B.und zweimal wöchentlich
den Physiotherapeuten R. aufsucht und die Hin- und Rückfahrt mit dem Pkw sowie die Behandlungs- bzw. Wartezeigen von jeweils
45 min insgesamt jeweils 60 min pro Besuch anzusetzen sind. Die Begleitung zu den Arztbesuchen bzw. zur Krankengymnastik sei
aus mehreren Gründen erforderlich: Zum einen seien zwar Busverbindungen vorhanden, die aber ungünstige und seltene Fahrzeiten
hätten. Zum anderen benötige die Kl. aus psychischen Gründen und aus Angst vor Spott anderer der Begleitung. Schließlich würden
den Eltern von den Behandlern Informationen zur weiteren Behandlung bzw. Beübung durch Krankengymnastik gegeben.
Mit Schreiben vom 06.04.2006 teilte die Bekl. der Kl. mit, dass sie ihr in Ausführung der Mediationsvereinbarung ab 01.03.2006
Pflegegeld der PS II in Höhe von 410 EUR monatlich überweisen würde.
Mit Gutachten vom 16.11.2008 errechnete der MDK einen Grundpflegebedarf von 54 min täglich und einen Hilfebedarf von 40 min
pro Tag für die hauswirtschaftliche Versorgung. Es habe sich im Vergleich zum Vorgutachten vom Dezember 2004 keine wesentliche
Veränderung des Hilfebedarfs ergeben. Es bestehe die Pflegestufe I durchgehend seit Dezember 2004. Ein weiteres Gutachten
vom 26.05.2008, das nach Aktenlage erstellt wurde, kam zu einem Grundpflegebedarf von 62 min täglich. Der Zeitaufwand für
die Wegbegleitung zur Krankengymnastik könne nicht berücksichtigt werden.
Mit Schreiben vom 28.02.2008 hörte die Bekl. die Kl. zur beabsichtigten Herabstufung auf die PS I an.
Mit dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 04.06.2008 hob die Beklagte den Bescheid vom 06.04.2006 wegen wesentlicher
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse zum 30.06.2008 auf und gewährte ab 01.07.2008 Leistungen der Pflegestufe I. Im Vergleich
zur Mediationsvereinbarung habe sich der Grundpflegebedarf von 137 min täglich auf 54 min pro Tag reduziert. Der Zeitaufwand
für die Begleitung zur Krankengymnastik beziehungsweise zum Hausarzt könne nicht berücksichtigt werden. Die Klägerin könne
auch die Schule mittlerweile selbstständig mit dem Bus aufsuchen.
Auf den Widerspruch der Klägerin hin holte die Bekl. das Gutachten des MDK vom 09.09.2008 ein, in dem dieser darlegte, dass
die Kl. nicht mehr der Begleitung in öffentlichen Verkehrsmittel bedürfe. So werde sie aufgrund ihres sehr guten Realschullabschlusses
nach den Ferien das H.Gymnasium in B-Stadt besuchen und dieses mit öffentlichen Verkehrsmitteln aufsuchen.
Der Widerspruch wurde infolgedessen mit Widerspruchsbescheid vom 07.04.2009 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die am 24.04.2009 beim SG B-Stadt erhobene Klage (Az. S 10 P 31/09). Die Klägerin hat ein im Zeitraum vom 04. bis 19.05.2009 geführtes Pflegetagebuch vorgelegt, in dem ein täglicher Grundpflegebedarf
von mehr als 120 min wiedergegeben ist.
Weiter hat die Kl. behauptet, es treffe nicht zu, dass sie täglich mit dem Bus zur Schule fahre. Dies würde sie psychisch
nicht aushalten. Der Pflegebedarf habe sich erhöht, weil sich durch das Absterben des Rippentransplantats zur Kieferherstellung
eine Zyste am Hals gebildet habe. Des Weiteren rissen die Narben am Rücken auf. Die Nahrungsaufnahme sei erschwert. Durch
eine Lähmung des rechten Armes und Schultergelenks sei eine extreme Schiefhaltung der Wirbelsäule entstanden.
Die Kl. hat in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2010 erstinstanzlich beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 04.06.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.04.2009 aufzuheben.
Die Bekl. hat erstinstanzlich die Abweisung der Klage beantragt. Sie hat einen Heilmittelauszug für den Zeitraum ab April
2006 vorgelegt und vorgetragen, dass in den im Jahr 2006 vorhandenen Hemmungen der Klägerin, das Haus zu verlassen, eine schwere
Psychose zu sehen gewesen sei, die beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung habe berücksichtigt werden können. Selbst
wenn im Jahr 2006 einmal wöchentlich kein Arztbesuch und Krankengymnastik nur 1,5-mal wöchentlich stattgefunden habe, so sei
immer noch ein Grundpflegebedarf von 124 min gegeben gewesen, der die durch die Mediationsvereinbarung gewährte Einstufung
in die Pflegestufe II rechtfertigen würde. Wenn die Mediationsvereinbarung und der Aufhebungsbescheid vom 04.06.2008 rechtswidrig
seien, würde nicht der begünstigende Dauerverwaltungsakt vom 06.04.2006 wieder aufleben, sondern falle auch die Grundlage
für den Erlass des Bewilligungsbescheides weg und der Ablehnungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.02.2006
lebe wieder auf.
Das SG hat vom Kinderarzt Dr. B., dem Internisten Dr. P., dem Chirurgen Dr. K. und dem Krankengymnasten R. die konkreten Behandlungsdaten
der Klägerin ab April 2006 erfragt. Weiterhin wurden die Krankenunterlagen des Klinikums F-Stadt-B. sowie die Schwerbehindertenakte
der Klägerin beigezogen.
Mit Urteil vom 15.12.2010 hat das SG den Bescheid der Bekl. vom 04.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.20090 aufgehoben. Die Anfechtungsklage
sei zulässig und begründet. Der Aufhebungsbescheid sei nicht wegen der Adressierung an die damals 17-jährige Kl. unwirksam
gewesen. Denn dem unverzüglich am 09.06.2008 durch die Mutter erfolgten Widerspruch lasse sich entnehmen, dass der Bescheid
der gesetzlichen Vertreterin der Kl. zugegangen sei. In diesem Fall verstoße es gegen Treu und Glauben, wenn sich die Kl.
auf eine Unwirksamkeit infolge nicht ordnungsmäßiger Bekanntgabe stütze. Der Aufhebungsbescheid könne nicht auf § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X gestützt werden. Gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die dem aufgehobenen Bewilligungsbescheid vom 06.04.2006 zugrunde
gelegen hätten, sei keine wesentliche Änderung eingetreten. Maßgebend seien diesbezüglich nicht die in der Mediationsvereinbarung
vom 04.04.2006 berechneten Pflegezeiten, sondern der zu diesem Zeitpunkt bestehende tatsächliche Pflegebedarf. Tatsächlich
habe der Pflegebedarf entsprechend den MDK-Gutachten vom 20.12.2004, 28.04.2005, 04.08.2005 und 16.11.2005 durchgehend zwischen
65 und 106 min und damit jedenfalls weit unterhalb der Grenze für die Pflegestufe II von 120 min gelegen. Das Gutachten des
MDK vom 22.02.2008 habe ausdrücklich erwähnt, dass sich der Hilfebedarf der Kl. nicht wesentlich verändert habe. Selbst wenn
der tatsächliche Pflegebedarf insgesamt höher gewesen sei, wäre damit immer noch keine wesentliche Änderung nachgewiesen.
Die Bekl. berufe sich insoweit darauf, dass die Kl. ihre Hemmungen abgebaut habe, für Arzt- und Physiotherapeutenbesuche öffentliche
Verkehrsmittel ohne Begleitung zu benutzen. Die Kl. bestreite dies jedoch, ohne dass dies widerlegt werden könne. Die Bekl.
trage hierfür die Beweislast. Auch auf § 45 SGB X könne die Aufhebungsentscheidung der Bekl. nicht gestützt werden, weil es hierfür schon an der erforderlichen Ausübung des
Rücknahmeermessens fehle. Im Übrigen werde - ohne dass es für die Entscheidung erheblich sei - darauf hingewiesen, dass nach
den Behandlungsdaten der behandelnden Ärzte sowie des Physiotherapeuten die Kl. bereits im Jahr 2006 weder einmal pro Woche
einen Arzt aufgesucht noch zweimal pro Woche Krankengymnastik gehabt habe. Es könne dahinstehen, ob deshalb der Bewilligungsbescheid
vom 06.04.2006 i. S. d. § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X auf Angaben beruht habe, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig
gemacht habe.
Die Bekl. hat gegen das Urteil des SG, das ihr am 27.12.2010 zugestellt worden war, am 07.01.2011 beim Bayerischen Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt.
Zur Begründung ihrer Berufung hat die Bekl. vorgebracht, die Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006 sei nach den "wirklichen
Willen" der Beteiligten auszulegen. Den Parteien sei bewusst gewesen, dass es sich um ein großzügiges Angebot der Bekl. gehandelt
habe, und die Kl. habe davon ausgehen müssen, dass es sich um eine befristete Bewilligung der PS II gehandelt habe. Die Vereinbarung,
dass kein MDK-Gutachten vor Ende September 2007 erstellt werden solle, impliziere, dass die Parteien davon ausgingen, dass
eine erneute Begutachtung zur Herabstufung führen würde. Weiter habe die Kl. - wie die Ermittlungen des SG ergeben hätten - bezüglich der Häufigkeit ihrer Besuche bei Ärzten und dem Physiotherapeuten vorsätzlich oder zumindest grob
fahrlässig falsche Angaben gemacht. Falls sich die Verhältnisse nach der Bewilligung der PS II geändert haben, so hätte die
Kl. zumindest die Änderung der Verhältnisse mitteilen müssen gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X.
Auf Antrag der Kl. hat das LSG die F. zur Sachverständigen ernannt und mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Die
Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 21.09.2012 nach Hausbesuch vom 07.08.2012 einen Grundpflegebedarf von 64,5 min
und einen Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung von 11,5 min täglich für die Zeit ab dem 01.07.2008 ermittelt. Im Gutachten
wird ausgeführt, die Kl. wohne und studiere in U ... Die Mutter habe angegeben, dort auch zu wohnen, um der Kl. beiseite zu
stehen. Sie fahre sie zur Uni, wenn Bücher, Laptop und schweres Material mitzuführen sei. Auch Studienkollegen seien ihr dort
behilflich. Die Geschwister der Kl. seien 18, 15 und 14 Jahre alt. Der Vater arbeite in Vollzeit als Laborant. Zu der Frage,
inwieweit sich der Hilfebedarf zwischen dem 06.04.2006 und dem 01.07.2008 verändert hat, hat die Sachverständige nicht Stellung
genommen, weil nach diesem Problem in der Beweisanordnung vom 28.02.2012 nicht gefragt worden war.
Unter Hinweis darauf, dass sich nach dem Gutachten der Sachverständigen F. nicht einmal mehr die Voraussetzungen der Pflegestufe
I ergäben, die gemäß §
15 Abs.
3 Satz 1 Nr.
1 SGB XI für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung einen Gesamtaufwand von mindestens 90 min voraussetze, hat das Gericht
mit Schreiben vom 24.08.2012 den Parteien vorgeschlagen, sich vergleichsweise darauf zu einigen, dass die PS II bis zum 31.07.2012
weitergewährt wird und ab dem 01.08.2012 eine Reduzierung auf die PS I erfolgt.
Im Erörterungstermin vom 07.11.2012 hat der Berichterstatter beide Parteien über ihre Prozessrisiken belehrt. Auf Vorschlag
des Vorsitzenden haben die Parteien dann den bereits mit richterlichem Schreiben vom 24.08.2012 vorgeschlagenen Vergleich
abgeschlossen, unter Vorbehalt des Widerrufs bis zum 31.01.2013.
Mit Telefax vom 31.01.2013 hat die Kl., die im Erörterungstermin vom 07.11.2012 nicht persönlich anwesend gewesen war, den
Vergleich widerrufen und mitgeteilt, dass sie der Herabstufung auf die PS I zustimme, aber nicht schon zum 01.08.2012, sondern
erst zum 01.03.2013; außerdem wünsche sie eine Klausel, wonach sie bei Verschlechterung ihrer gesundheitlichen Verhältnisse
berechtigt sei, einen Verschlimmerungsantrag zu stellen. Auch der Prozessbevollmächtigte der Kl. hat den Vergleich mit Telefax
vom 31.03.2013 "höchst vorsorglich" widerrufen, da ihm eine Abstimmung zu dem Vergleich mit seiner Mandantin nicht möglich
gewesen sei.
Mit Schreiben vom 18.02.2013 hat das Gericht bei der Bekl. angefragt, ob sie der Kl. ein im Sinne ihrer Wünsche entgegenkommendes
Vergleichsangebot unterbreiten könne. Die Bekl. hat mit Schreiben vom 25.02.2013 die Möglichkeit eines weiteren Entgegenkommens
verneint.
Daraufhin hat das LSG zunächst die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. D., D-Stadt, zur Sachverständigen ernannt
und mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Nachdem es wegen der in dem Gutachtensauftrag gestellten Bitte des Gerichts,
die Sachverständige möge die Begutachtung am Studienort der Kl. in U. durchführen und hierzu die aus den Akten noch nicht
bekannte Adresse bei der Kl. erfragen, zu Irritationen bei der Sachverständigen gekommen war und diese mit Schreiben vom 26.04.2013
der Kl. "mäßiges Interesse" an der Begutachtung unterstellt und demzufolge um Entbindung von dem Gutachtensauftrag gebeten
hatte, hat das Gericht mit Schreiben vom 02.05.2013 die Kl. aufgefordert, ihre Adresse in U. sowie die Zeiten (also z. B.
Wochentage, evtl. variierend nach Monaten) mitzuteilen, an denen sie sich an ihrem Studienort in U. bzw. bei ihren Eltern
in A-Stadt aufhält.
Mit Schreiben vom 28.06.2013 hat der Prozessbevollmächtigte der Kl. mit deren Einvernehmen einen Vergleichsvorschlag unterbreitet,
der Pflegegeld der PS II bis zum 30.06.2013 und eine Herabstufung auf die PS I zum 01.07.2013 vorsah.
Nachdem von der Kl. trotz Aufforderung und Fristsetzung die Daten zu ihrem Wohnort in U. und ihren Aufenthaltszeiten nicht
zu erfahren waren, hat das Gericht mit Verfügung vom 24.09.2013 die Bestellung von Dr. D. zur Sachverständigen aufgehoben.
Nachdem die Bekl. mit Schriftsatz vom 24.10.2013 mitgeteilt hatte, nicht vergleichsbereit zu sein, hat das LSG am 23.01.2014
die Kl. mit Schreiben unter Fristsetzung bis zum 28.02.2014 nochmals aufgefordert, die Angaben zu ihrem Wohnort in U. sowie
zu ihren dortigen Aufenthaltszeiten zu machen. In Beantwortung dieses Schreibens hat der Prozessbevollmächtigte der Kl. mit
Schreiben vom 28.02.2014 mitgeteilt, dass die Kl. für das nächste halbe Jahr ausschließlich unter der Wohnanschrift ihrer
Eltern in A-Stadt zu erreichen sei, da sie im kommenden Semester nur ein paar Tage in U. sein müsse.
Mit Beweisanordnung vom 25.03.2014 hat das LSG die Krankenschwester und von der Regierung von Schwaben öffentlich bestellte
und beeidige Sachverständige zur Bewertung der Pflegequalität (Leistung und Durchführung) bei Einzelpersonen und Feststellung
der Pflegestufen und deren Überprüfung, C., zur Sachverständigen bestellt und mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt.
Die Sachverständige hat, nachdem zwei Termine auf Wunsch der Kl. verschoben worden waren, am 28.07.2014 einen Hausbesuch in
der Wohnung der Eltern in A-Stadt der Kl. durchgeführt, bei dem die Kl. und ihre Mutter, gegen Ende des Hausbesuchs auch ihr
Vater, anwesend waren.
Mit Datum vom 16.04.2015 hat die Sachverständige C. ihr Gutachten erstattet. Entsprechend den Beweisfragen des Gerichts hat
die Sachverständige den Grundpflegebedarf für folgende Daten wie folgt ermittelt: * Am 04.04.2006, dem Tag des Abschlusses
der Mediationsvereinbarung, habe der Grundpflegebedarf noch 123 min täglich betragen. * Am 01.07.2008, dem Datum, mit Wirkung
von dem durch den angefochtenen Bescheid vom 04.06.2008 die Pflegestufe von II auf I abgesenkt worden ist, habe der Grundpflegebedarf
nur noch 56 min täglich betragen. * Auch für den 07.04.2009, dem Tag des Erlasses des Widerspruchsbescheides, errechne sich
ein Grundpflegebedarf von 56 min täglich. * Für den 28.07.2014, dem Tag des Hausbesuchs der Sachverständigen, sei ein Grundpflegebedarf
von nur noch 12 min täglich zu ermitteln. Bezüglich des Bedarfs an hauswirtschaftlicher Versorgung hat die Sachverständige
keine Angaben gemacht. Hinsichtlich der Wohnsituation der Kl. hat die Sachverständige festgestellt, die Kl. habe bis zu ihrem
Abitur 2011 im elterlichen Haushalt in A-Stadt gelebt. Nach dem Abitur habe sie ihr Studium der Medizin an der Universität
U. begonnen. Sie habe damals ein Zimmer in einem Studentenwohnheim bezogen, in dem sie ca. 3 bis 4 Tage pro Woche gelebt habe.
Die übrige Zeit habe sie weiterhin zuhause in A-Stadt gewohnt. Im September 2013 habe sie das Zimmer im Studentenwohnheim
aufgegeben und pendle seitdem von A-Stadt nach U ...
Die Kl. hat mit Schriftsatz vom 12.06.2015 gegen das Gutachten eingewandt, dass sich der Zeitaufwand für die Grundpflege tatsächlich
nicht verändert habe. So könne sich die Kl. wegen der teilweisen Lähmung ihres linken Armes nach wie vor nicht alleine waschen
und nicht die Haare kämmen. Auch könne sie ihre Zahnreinigung und Mundpflege bei einer Mundöffnung von gerade einmal 1,5 cm
nicht selbst durchführen. Das Allergieleiden bestehe nicht nur im Sommer, sondern ganzjährig. Schließlich habe die Kl. nach
wie vor eine ausgeprägte Angststörung, so dass sie das Haus nie alleine, so etwa auch jetzt zum Besuch der Universität, verlassen
könne. Als Beweis für die Lebensumstände der Kl. werde die Einvernahme der Kl. als Partei sowie die Einvernahme der Mutter
als Zeugin beantragt. Inzwischen sei die Kl. außerdem im siebten Monat schwanger und damit noch weiter eingeschränkt.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 15.12.2010 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 04.06.2008 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2009 abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozessakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§
143,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Die Berufung bedarf gemäß §
144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung der Beklagten ist begründet. Zu Unrecht hat das SG den Aufhebungsbescheid der Bekl. vom 04.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2009 aufgehoben. Die Klage
gegen diese Bescheide ist als isolierte Anfechtungsklage gemäß §
54 Abs.
1 Satz 1
SGG statthaft und zulässig, sie ist jedoch unbegründet, da die angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind.
1. Formelle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide
Der Aufhebungsbescheid vom 04.06.2008 ist nicht schon deshalb aufzuheben, weil er an die Kl. persönlich und nicht an deren
Mutter als gesetzliche Vertreterin adressiert war, obwohl die Kl. zum Zeitpunkt der Bekanntgabe das 18. Lebensjahr noch nicht
vollendet hatte und von der Mutter gesetzlich vertreten wurde. Gemäß § 37 SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, im
Falle fehlender Handlungsfähigkeit an den gesetzlichen Vertreter. Die Aufhebung der Bescheide käme bei fehlender Bekanntgabe
zur Beseitigung von deren Rechtsschein in Betracht, obwohl ein Bekanntgabemangel an sich nicht nur zur Rechtswidrigkeit des
Bescheides, sondern zu dessen Nichtexistenz führen würde (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer,
SGG, 11. A. 2014, Anhang §
54, Rdnr. 27). Dass die Kl. bereits das 15. Lebensjahr vollendet und deshalb Handlungsfähigkeit im Sinne des §
36 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) erlangt hatte, hilft hier nicht weiter, da es nicht um die Beantragung von Sozialleistungen sowie deren Entgegennahme geht,
sondern um einen Verwaltungsakt, der auf die Aufhebung eines Bewilligungsbescheides gerichtet ist. Überzeugend ist jedoch
die Argumentation des SG insoweit, als dieses der Auffassung ist, dass ein Verwaltungsakt, der an einen Minderjährigen adressiert ist, jedenfalls
dann wirksam wird, wenn der gesetzliche Vertreter tatsächliche Kenntnis von ihm erhält. Dies lässt sich aus dem Rechtsgedanken
des § 8 Verwaltungszustellungsgesetz (VwZG) ableiten (str., zum Meinungsstand Littmann, in: Hauck/ Noftz, SGB X, Stand 08/13, § 37 Rdnr. 44): Danach gilt bei der förmlichen Zustellung von Schreiben ein Dokument, dessen formgerechte Zustellung nicht nachweisbar
ist oder das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, als in dem Zeitpunkt zugegangen, in dem es
dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist. Dass die Mutter der Kl. tatsächlich von dem Schreiben Kenntnis genommen
hat, ergibt sich aus dem von der Mutter persönlich verfassten Widerspruchsschreiben vom 09.06.2008.
Die gemäß § 24 SGB X vorgeschriebene Anhörung vor Erlass eines in die Rechte der Kl. eingreifenden Verwaltungsaktes hat stattgefunden. Die Bekl.
hat mit Schreiben vom 28.02.2008 die Kl. zu der beantragten Herabstufung unter Zurverfügungstellung einer Kopie des MDK-Gutachtens
vom 22.02.2008 angehört. Dieses Schreiben war allerdings an die minderjährige Kl. persönlich adressiert und nicht an einen
der gesetzlichen Vertreter. Da die Mutter der Kl. jedoch sich hierzu mit Schreiben vom 08.03.2008 geäußert hat, ist erwiesen,
dass ihr das Anhörungsschreiben zur tatsächlichen Kenntnis gelangt ist. Damit war der Anhörungszweck erfüllt.
2. Materielle Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide
Der Aufhebungsbescheid vom 04.06.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2009 war auch in materieller Hinsicht
rechtmäßig. Die Voraussetzungen für die teilweise Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 06.04.2006 im Sinne einer Herabstufung
von der PS II auf I (§
15 SGB XI) zum 01.07.2008 waren gemäß § 48 SGB X gegeben, weil es sich bei dem Bescheid vom 06.04.2006 um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung handelte und in den tatsächlichen
Verhältnissen, die beim Erlass dieses Verwaltungsaktes vorgelegen hatten, bis zum 01.07.2008 eine wesentliche Änderung eingetreten
war, die auch im Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 07.04.2009 noch weiter bestand.
Dies ergibt sich aus den überzeugenden und glaubhaften Ausführungen in den Gutachten der Sachverständigen F. und C ...
Folgende Veränderungen hat die Sachverständige C. zwischen dem Zeitpunkt des Abschlusses der Mediationsvereinbarung am 04.04.2006
und dem Wirksamwerden der Herabstufung am 01.07.2008 festgestellt:
1. Der Hilfebedarf zum Duschen/Baden hat sich von 15 auf 8 min reduziert. Der Umfang des Hilfebedarfs wurde in der Mediationsvereinbarung
vom 04.04.2006 wie folgt beschrieben: "Sowohl beim Duschen als auch beim Baden ist [die Kl.] auf umfangreiche Hilfe angewiesen,
da sie sich wegen ihres behinderten Armes weder im Schulter- noch im Rückenbereich selbstständig waschen kann. Auch beim Abtrocknen
bedarf sie insoweit der Hilfe. Im Ergebnis sind Baden und Duschen daher Vorgänge, bei denen weitgehend Hilfebedarf besteht,
der den Bereich der Teilunterstützung deutlich überschreitet und daher schon fast einer vollständigen Übernahme gleichkommt."
Gleichzeitig ging aus der Mediationsvereinbarung hervor, dass der Schürzengriff links zu diesem Zeitpunkt nicht durchführbar
war, der Kl. musste zu diesem Zeitpunkt beim Richten der Kleidung geholfen werden. Bei den Begutachtungen durch den MDK am
18.02.2008 und am 06.08.2008 war nach der überzeugenden Darstellung der Sachverständigen C. die Beweglichkeit der Kl. verbessert,
so dass zu diesen Zeitpunkten nur noch ein geringerer Zeitbedarf anzurechnen war. So war der Kl. in der Rumpfbeuge ein Greifen
bis zu den Sprunggelenken möglich, die Beweglichkeit der Beine war jedoch überhaupt nicht eingeschränkt, so dass die Füße
vom Boden angehoben werden konnten, den Händen bzw. dem Waschlappen oder Handtuch entgegen. Die Füße konnten so beispielsweise
auf den Badewannenrand oder auf einen Schemel gestellt werden, um sich bei eingeschränkter Rumpfbeuge nicht zu den Füßen hinab
beugen zu müssen. Das Stehen auf einem Bein war der Klägerin zu jedem Zeitpunkt möglich, das freie Sitzen auch. Bei intaktem
Gleichgewichtssinn konnte beispielsweise auch der Fuß auf das Knie des Standbeins gehoben werden.
2. Beim Kämmen hat sich der Hilfebedarf zwischen dem 04.04.2006 und dem 01.07.2008 von 6 auf 3 min halbiert. Der Zeitaufwand
war in der Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006 mit zweimal täglich 3 min, also insgesamt 6 min am Tag festgestellt worden.
In den MDK-Gutachten vom 18.02.2008 und 06.08.2008 wurden dagegen nur noch 3 min am Tag anerkannt, bei zweimal täglicher Hilfestellung
für das Nachbessern beim Kämmen. Im Gutachten der Sachverständigen F. wurde nur noch 1 min täglich berücksichtigt (August
2012). Die Begutachtung durch die Sachverständige C. hat bei ihrem Hausbesuch im Juli 2014 ergeben, dass die Kl. in der Lage
ist, mit dem rechten Arm den überwiegenden Teil ihres Kopfes bzw. ihrer Haare zu erreichen. Es ist ein kleiner Bereich des
linksseitigen Hinterkopfes, den die Klägerin nicht mit der Hand erreichen kann. Da die Bürste jedoch durch den Griff eine
Verlängerung der Hand darstellt, kann die Kl. mit dem Bürstenkopf den kompletten Kopf erreichen. Die Haarlängen kann die Klägerin
ohne Hilfe selbstständig kämmen und bürsten. Ein Hilfebedarf zum Kämmen bestand deshalb im Jahr 2014 nicht. Der Vergleich
dieser Werte macht plausibel, dass es seit 2006 zu einer kontinuierlichen Verbesserung in der Fähigkeit zum Kämmen gekommen
ist, die auf eine bessere Beweglichkeit im linken Arm zurückzuführen ist. Deshalb sind auch die Feststellungen des MDK aus
dem Jahr 2008, die sich etwa in der Mitte zwischen den Feststellungen in der Mediationsvereinbarung von 2006 und den späteren
Feststellungen der Gerichtssachverständigen aus den Jahren 2012 und 2014 befinden, nachvollziehbar und plausibel. Die Verbesserung
der Beweglichkeit des linken Armes ist zu erklären insbesondere durch eine Operation zur Lösung von Narbensträngen, der sich
die Kl. im August 2006 - also nach Erlass des Bescheides vom 06.04.2006 - unterzogen hat.
3. Beim Richten der Bekleidung hat nach der Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006 noch ein Hilfebedarf von 8 min täglich,
errechnet aus 1 min pro Verrichtung, bei acht Verrichtungen täglich, vorgelegen. Angegeben wurde damals, dass die Kl. in der
Schule die Hilfestellung von Klassenkameradinnen erhalte. In der Mediationsvereinbarung war festgehalten, dass sich die Kl.
Knöpfe im Bereich der oberen Bluse nicht selbstständig zuknöpfen und sich die Kleidung im Bereich des Rückens nicht selbstständig
richten könne. Weder in den beiden MDK-Gutachten aus dem Jahr 2008 noch in den späteren Gutachten der Gerichtssachverständigen
aus den Jahren 2012 und 2014 wurde ein Hilfebedarf beim Richten der Bekleidung anerkannt, und die Kl. hat einen solchen in
dem von ihr zur Begründung der Klage vorgelegten Pflegetagebuch aus dem Monat Mai 2009 auch selbst nicht geltend gemacht.
Auch hier ist davon auszugehen, dass die Operation zur Lösung der Narbenstränge im August 2006 eine Verbesserung der Beweglichkeit
bewirkt hat.
4. Der Hilfebedarf bei der mundgerechten Zubereitung der Nahrung hat sich zwischen dem 04.04.2006 und dem 01.07.2008 von 24
auf 5 min reduziert. Entsprechend der Einschätzung in der Mediation war es am 04.04.2006 noch notwendig, die Mahlzeiten für
die Kl. zu pürieren. Die Kl. war damals noch 14 Jahre alt und konnte diese Verrichtungen noch nicht selbst vornehmen. Bei
den Begutachtungen durch den MDK im Jahr 2008 wurde allerdings nur noch ein deutlich geringerer Zeitaufwand für die Hilfestellungen
anerkannt. Die Sachverständige F. hat 2012 festgestellt, dass die Kl. mit dem rechten Arm, der rechten Hand, dem linken Arm
und der funktionsfähigen linken Hand ohne nennenswerte Einschränkung ihre Nahrung mit einem Mixstab passieren, diese selbst
servieren und einnehmen könne. Für den von ihr angesetzten Zeitaufwand von 6 min pro Tag hat sie ausdrücklich diejenigen Tage
berücksichtigt, an denen die Kl. massive Schmerzen hatte, sowie depressive Episoden, bei denen sie zum Essen und Trinken angeleitet
und motiviert werden musste. Auch die Entscheidung der Kl. im Jahr 2011, in ein Studentenwohnheim zu ziehen, zeigte, dass
sie zu diesem Zeitpunkt in der Lage sein musste, die mundgerechte Zubereitung der Nahrung im Wesentlichen selbst zu übernehmen.
Die Sachverständige C. hat 2014 keinen Hilfebedarf mehr diesbezüglich festgestellt. Der kontinuierliche Rückgang des Hilfebedarfs
in diesem Bereich lässt auch die Feststellungen des MDK im Jahr 2008, die einen deutlich geringeren Hilfebedarf als noch im
Jahr 2006 ergaben, plausibel erscheinen.
5. Der Hilfebedarf für das An- und Auskleiden hat sich zwischen dem 04.04.2006 und dem 01.07.2008 von 22 auf 10 min reduziert.
Wie die Sachverständige C. auf den S. 36 bis 38 ihres Gutachtens überzeugend dargelegt hat, ergibt sich durch Vergleich der
Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006, der beiden MDK-Gutachten aus dem Jahr 2008 und den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen
aus den Jahren 2012 und 2014 eine kontinuierliche Verbesserung der Selbstständigkeit der Kl. in diesem Bereich, die durch
eine Verbesserung der Beweglichkeit des linken Armes erklärt werden kann, die auf eine Operation zur Lösung von Narbensträngen
im August 2006 zurückgeht.
6. Der noch in der Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006 anerkannte Hilfebedarf für das Verlassen und Wiederaufsuchen der
Wohnung von 26 min täglich hat sich bis zum Jahr 2008 jedenfalls auf ein Drittel dieses Wertes reduziert, unabhängig davon,
ob die Kl. aufgrund von Angst oder Scham wegen der Entstellung ihres Gesichtes vor oder nach dem 04.04.2006 auf die Begleitung
durch eine Bezugsperson auf dem Weg zu ihrem Kinderarzt sowie zu ihrem Physiotherapeuten angewiesen war. Denn die Auswertung
der noch vom Sozialgericht angeforderten Behandlungsdaten seitens des Kinderarztes Dr. B. und das Physiotherapeuten hat ergeben,
dass die Kl. im Zeitraum von Dezember 2007 bis Juni 2008, also einem Zeitraum von 33 Wochen, insgesamt 24 mal zur Krankengymnastik
gegangen ist und neunmal die Arztpraxis aufgesucht hat. In einem Zeitraum von 30 Wochen haben sich also 33 Praxisbesuche ergeben,
so dass im Zeitpunkt der Aufhebungsentscheidungen regelmäßig und dauerhaft nur noch von durchschnittlich einem Praxisbesuch
pro Woche ausgegangen werden konnte. Dagegen lag der Berechnung in der Mediationsvereinbarung die Annahme von durchschnittlich
drei Praxisbesuchen pro Woche (einmal Kinderarzt und zweimal Physiotherapie) zu Grunde, die mit einem Zeitaufwand von jeweils
einer Stunde berücksichtigt wurden. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Angaben der Kl. in der Mediationsvereinbarung
vom 04.04.2006 zur Häufigkeit der Arztbesuche nicht korrekt waren, da sich aus den Unterlagen ergab, dass die Kl. bereits
im Zeitraum von Oktober 2005 bis April 2006 den Kinderarzt nur viermal aufgesucht hatte, ergäbe sich immer noch eine Reduktion
des Hilfebedarfs von zweimal auf einmal wöchentlich pro Woche, wenn man die Notwendigkeit einer Begleitung überhaupt anerkennt.
Eine Beweisaufnahme, insbesondere Vernehmung der Mutter als Zeugin bzw. der Kl. persönlich, zu dieser Frage ist deshalb nicht
erforderlich, ganz davon abgesehen, dass die anwaltlich vertretene Kl. den diesbezüglich gestellten Antrag in der mündlichen
Verhandlung vom 15.07.2015 nicht wiederholt hat. Es kann zu Gunsten der Klägerin unterstellt werden, dass im Jahr 2008 nach
wie vor einmal pro Woche die Notwendigkeit einer Begleitung zu Praxisbesuchen gegeben war, die einen Hilfebedarf von 60 min
/ 7 = 9 min täglich auslösten. Denn im Vergleich zum 04.04.2006 lag insoweit immer noch eine Halbierung des Hilfebedarfs vor,
selbst wenn man davon ausgeht, dass der Hilfebedarf im Jahr 2006 statt der in der Mediationsvereinbarung genannten 26 min
nur 18 min betrug, entsprechend nur zwei statt drei Praxisbesuchen pro Woche.
Soweit die Kl. im für den Monat Mai 2009 geführten Pflegetagebuch Besuche beim Physiotherapeuten geltend gemacht hat, stimmen
diese nach den Feststellungen im Gutachten der Sachverständigen C. nicht mit den Angaben des Physiotherapeuten überein, dessen
Praxis im ersten Halbjahr 2009 keine Behandlungen bzw. Praxisbesuche verzeichnet hat.
Zusammengefasst lässt sich zwischen dem Zeitpunkt der Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006 bzw. dem zwei Tage später erlassenen
Bescheid vom 06.04.2006 und dem späteren Zeitpunkt der Herabsetzung der Pflegestufe zum 01.07.2008 eine deutliche Verringerung
des Grundpflegebedarfs hinsichtlich der oben genannten Punkte feststellen. Die Verringerung des Grundpflegebedarfs bei den
oben genannten Einzelpunkten hat zu einer Reduzierung des gesamten Grundpflegebedarfs geführt, da im selben Zeitraum es zu
keiner Erhöhung des Grundpflegebedarfs bei anderen Verrichtungen gekommen ist, wie sich aus dem ausführlichen Gutachten der
Sachverständigen C. ergibt. Der Grundpflegebedarf lag nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen C. am 04.04.2006
noch bei 123 min und am 01.07.2008 nur noch bei 56 min, bei Erhöhung um 9 min für das einmal wöchentliche Verlassen und Wiederaufsuchen
der Wohnung lag der gesamte Grundpflegebedarf bei 65 min, jedoch damit weit unterhalb der für die Anerkennung der Pflegestufe
II gemäß §
15 Abs.
3 Satz 1 Nr.
2 SGB XI geltenden Mindestgrenze von 120 min bei der Grundpflege. Auch bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides am
07.04.2009 ist es zu keiner erneuten Erhöhung des Grundpflegebedarfs gekommen. Damit lagen die Voraussetzungen einer wesentlichen
Änderung der tatsächlichen Verhältnisse im Sinne des § 48 SGB X vor. Nicht erforderlich ist hierfür, dass nachgewiesen ist, dass im Zeitpunkt des Erlasses des aufgehobenen Bescheides am
06.04.2006 die Voraussetzungen der Pflegestufe II in vollem Umfang gegeben waren, dass also insgesamt der Grundpflegebedarf
mindestens 120 min war, da die Aufhebung nach § 48 SGB X nicht einen rechtmäßigen Verwaltungsakt voraussetzt (BSGE 95, 57). Davon abgesehen, waren nach den überzeugenden Feststellungen der Sachverständigen C. bei Erlass des Bescheides vom 06.04.2006
die Voraussetzungen der Pflege- stufe II erfüllt.
Allerdings genügte es für die Herabsetzung der Pflegestufe nicht, nur den Bescheid vom 06.04.2006 aufzuheben, vielmehr musste
sich die Bekl. dazu auch von der Mediationsvereinbarung vom 04.04.2006 lösen. Diese stellte einen öffentlich-rechtlichen Vertrag
im Sinne des § 53 SGB X in der Spezialform eines Vergleichsvertrags nach § 54 SGB X dar. § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X sieht für die Lösung von einer solchen Vereinbarung folgende Regelung vor: Haben die Verhältnisse, die für die Festsetzung
des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, sich seit Abschluss des Vertrages so wesentlich geändert, dass einer Vertragspartei
das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht zuzumuten ist, so kann diese Vertragspartei eine Anpassung
des Vertragsinhalts an die geänderten Verhältnisse verlangen oder, sofern eine Anpassung nicht möglich oder einer Vertragspartei
nicht zuzumuten ist, den Vertrag kündigen. Die Auslegung des Aufhebungsbescheides vom 04.06.2008 ergibt, dass damit gleichzeitig
ein Anpassungsbegehren bzw. eine teilweise Kündigung der Mediationsvereinbarung verbunden war. Zu einer solchen Erklärung
war die Bekl. auch berechtigt, da die oben genannte Reduzierung des Hilfebedarfs eine so wesentliche Änderung der Verhältnisse
im Sinne des § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB X darstellte, dass der Bekl. das Festhalten an der ursprünglichen vertraglichen Regelung nicht mehr zumutbar war. Damit kann
sich die Kl. nicht mehr auf die Mediationsvereinbarung berufen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung
des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG).