Anerkennung eines Arbeitsunfalls in der gesetzlichen Unfallversicherung nach einem Überfall; Beurteilung physischer und psychischer
Folgen nach einem längeren Zeitraum
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung der Folgen des Arbeitsunfalles vom 13. Oktober 1981.
Der 1945 geborene Kläger wurde am 13. Oktober 1981 von zwei Männern, die in seinen Betrieb, einen Kunststoffverarbeitungsbetrieb,
eingedrungen waren, durch Schläge und Tritte verletzt. Der Durchgangsarzt, der Chirurg Privatdozent Dr. M., diagnostizierte
am gleichen Tag multiple Schürf- und Prellmarken, Nasenbein- und Nasenseptumfraktur. Nach Angaben des Klägers habe keine Bewusstlosigkeit
und kein Erbrechen bestanden. Er sei örtlich und zeitlich orientiert. Am 20. Oktober 1981 suchte der Kläger den Arzt für Neurologie
und Psychiatrie Dr. V. auf, der am 8. März 1982 der Beklagten berichtete, der Kläger gebe mäßige Schmerzen im Hinterkopf,
die sich bei konzentriertem Arbeiten verstärkten, an, keinen Schwindel, keine Sehstörungen. Der neurologisch-psychiatrische
Befund sei regelrecht. Trotz des etwas auffälligen EEG s sei nur die Diagnose einer Schädelprellung zu stellen, für eine eindeutige Hirnmitbeteiligung biete die Anamnese keinen
Anhalt.
Am 15. September 2003 beantragte der Kläger Leistungen wegen der Folgen des Überfalles vom 13. Oktober 1981. Seit dem Überfall
habe er oft quälende Kopfschmerzen. 1999 sei eine Schädigung der Halswirbelsäule festgestellt worden. 2000 sei es zu einer
drastischen Verschlechterung des Isozyanat-Asthmas und in der Folge zu einer deutlichen Zunahme der Kopfschmerzen aufgrund
gegenseitiger Beeinflussung gekommen.
Ein Magnetresonanztomogramm (MRT) der Lendenwirbelsäule vom 3. Dezember 2001 zeigte einen Prolaps, spinale Einengungen sowie
Spondylarthrose. Eine Kernspintomographie der HWS vom 27. Dezember 1999 zeigte Protrusionen und Höhenminderung der Zwischenwirbelräume.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. berichtete am 11. September 2001, für eine hirnorganische Erkrankung als Ursache
der Kopfschmerzen ergebe sich kein Anhalt. Nach der Anamnese seien Migränekopfschmerzen anzunehmen, zusätzliche cervicogene
Kopfschmerzen seien nicht auszuschließen.
Mit Bescheid vom 21. Oktober 2003 erkannte die Beklagte das Ereignis vom 13. Oktober 1981 als Arbeitsunfall an. Ein Anspruch
auf Zahlung einer Verletztenrente bestehe nicht. Ein Zusammenhang der Kopfschmerzen mit dem Unfall sei nicht wahrscheinlich.
Im Widerspruch erklärte der Kläger, zuletzt habe er die Alleinverantwortung für die komplette technische sowie teilweise kaufmännische
Betreuung aller Kunden übernommen. Seit 1973 leide er unter schwerem Asthma, das auf Einwirkungen im Betrieb zurückzuführen
sei. 2001 sei es zu einem erschreckenden Verfall der Leistungskraft aufgrund des Asthmas und heftiger Kopfschmerzen bekommen.
Das CT vom 27. Dezember 1999 sei bislang nicht berücksichtigt worden. Er habe bei dem Überfall ein Schädelhirntrauma und ein
HWS-Trauma erlitten, die Ursache der seit dem Überfall bestehenden Kopfschmerzen seien. Der Kläger übersandte ein Gutachten
des Arztes für Neurologie und Psychoanalyse Dr. K. vom 13. März 2003 und ein Gutachten des Orthopäden Dr. P. vom 3. Juni 2002,
beide erstattet im Schwerbehindertenrechtsstreit des Klägers.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. März 2004 zurück. Die Wirbelsäulenbeschwerden seien auf
anlagebedingte Bandscheibenvorfälle zurückzuführen. Bei dem Arbeitsunfall sei es nach Angaben von Dr. V. lediglich zu einer
Schädelprellung gekommen. Somit könne ein unfallbedingter Kopfschmerz nicht mit Wahrscheinlichkeit nachgewiesen werden.
Mit Anerkenntnis vom 5. April 2004 erkannte die Beklagte eine Berufskrankheit nach Nr. 4302 der Anlage zur
Berufskrankheitenverordnung an.
Im Klageverfahren gegen die oben genannten Bescheide zog das Sozialgericht Berichte der behandelnden Ärzte bei. Der Arzt für
Neurologie und Psychiatrie Dr. B. attestierte am 6. Juli 2004 ein leichtes hirnorganisches Psychosyndrom, Kombinationskopfschmerz,
Asthma bronchiale, endoreaktive Depression, pseudoneurasthenisches Syndrom bei Persönlichkeit mit perfektionistischen und
anankastischen Zügen.
Der vom Sozialgericht zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Orthopäde Dr. P. führte im Gutachten vom 4. Juli 2005 aus,
durch den Unfall sei es zu einer Prellung des Gesichtsschädels, des Schädels und der Halswirbelsäule gekommen. Die umfangreiche
radiologische und neurologische Diagnostik zeige degenerative Veränderungen im Bereich der Hals- und Lendenwirbelsäule, die
eine hinreichende Erklärung für die angegebenen Beschwerden seien. Eine Brückensymptomatik, die einen Kausalzusammenhang mit
dem Unfall begründen könnte, sei aber nicht festzustellen. Unfallbedingte Erkrankungen lägen nicht mehr vor.
Der auf Antrag des Klägers gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum ärztlichen Sachverständigen ernannte Dr. K. erklärte im Gutachten vom 27. April 2006, das Unfallereignis sei die Ursache
der posttraumatischen Cephalgien und eine wesentliche Mitursache der Depressionen, der posttraumatischen Belastungsstörung
und der somatoformen Schmerzstörung, die die Schmerzsymptomatik überlagert und verstärkt hätten. Auch wenn es sich um gemischte
Störungsbilder handle, so bestehe die Wahrscheinlichkeit des Zusammenhangs mit dem Arbeitsunfall. Die wechselseitige Verschränkung
sich verstärkender Faktoren lege eine unfallbedingte Gesamt-MdE um 40 v.H. nahe.
Die Beklagte übersandte eine Stellungnahme des Arztes für Neurologie und Psychiatrie B. vom 24. Mai 2006. Bis zum Gutachten
des Dr. K. vom 13. März 2003 fänden sich in der Akte keinerlei Angaben über neurologische oder psychiatrische Unfallfolgen.
Der Kläger sei bis Anfang 2000 beruflich äußerst erfolgreich gewesen und bis dahin niemals in nervenfachärztlicher Behandlung.
1986 habe sich die manisch-depressiv kranke Mutter des Klägers das Leben genommen, im Jahr 2000 sei sein Vater verstorben.
Ein Sohn des Klägers sei schwer erkrankt, und im Jahr 2001 habe der Kläger seine Arbeitsstelle verloren. Diese Ereignisse
erklärten hinreichend die depressive Erkrankung, verbunden mit Ängsten und Schlafstörungen. Für das Auftreten einer - zeitlich
massiv verzögerten - posttraumatischen Belastungsstörung sei das Ereignis vom 13. Oktober 1981 kein adäquater Auslöser. Der
Kläger habe bei dem Überfall kein Schädelhirntrauma erlitten, auch kein nennenswertes Halswirbelsäulentrauma. Es seien inzwischen
erhebliche degenerative Halswirbelsäulen- und Bandscheibenveränderungen bekannt, außerdem habe der Missbrauch von Schmerzmitteln
zu einem unfallunabhängigen Kopfschmerz geführt. Die Migräne sei eine genetisch mitbedingte Kopfschmerzform und könne jederzeit
im Leben eines Menschen auftreten. Der Überfall stelle eine sogenannte Gelegenheitsursache dar.
Hierzu erklärte Dr. K. in der Stellungnahme vom 30. Oktober 2006, der Kläger habe mitgeteilt, er habe bis zu dem Überfall
niemals solche Kopfschmerzen oder eine Migräne gehabt. Der Tod des Vaters sei für ihn kein schwerer Schicksalsschlag gewesen,
da sie sich entfremdet hätten. Die Annahmen des Neurologen B. seien durch diese Aussagen des Klägers widerlegt. Die Traumatisierung
durch den Unfall sei durchaus geeignet gewesen, schwerere Schäden auszulösen, die auch nach einer längeren Latenzphase das
Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung annehmen könnten. Dass der Kläger nach dem Überfall jahrelang beruflich erfolgreich
gewesen sei, spreche nicht gegen die spätere Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Der außerordentliche berufliche
Erfolg sei durchaus als Reaktionsbildung nach den vorangegangenen durch die Eltern erlittenen Kränkungen verstehbar, aber
auch durch die persönlichen Fähigkeiten und Begabungen des Klägers. Das von Dr. V. abgeleitete EEG weise auf eine Hirnbeteiligung hin. Eine andere Erklärung für die Seitenunterschiede finde sich nicht.
Hierzu führte der Neurologe B. am 22. November 2006 aus, zur Annahme eines Schädel-Hirntraumas seien Bildbefunde erforderlich,
die nicht vorlägen. Das EEG könne durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst sein. Es handle sich um keine beweisende Untersuchungsmethode. Bei der
Migräne handle es sich um eine genetisch angelegte Erkrankung, die jederzeit einsetzen könne. Eine posttraumatische Belastungsstörung
könne zwar mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung auftreten, wenn eine erneute Konfrontation mit der auslösenden Unfallsituation
stattfinde. Typisch sei dann ein extremes Vermeidungsverhalten und das erneute Aufflammen der Anfangssymptomatik. Dies treffe
im Fall des Klägers nicht zu. Für das Auftreten von depressiven Beschwerden ab 1999 müssten ebenfalls unfallunabhängige Faktoren
verantwortlich gemacht werden: eine familiäre Belastung und schon in der Kindheit ausgeprägte Ängste. Letztlich spreche die
weitgehende Beschwerdefreiheit bis 1999 sowohl gegen die Annahme einer posttraumatischen Belastungsstörung als auch einer
depressiven Anpassungsstörung.
Mit Urteil vom 26. März 2007 wies das Sozialgericht München die Klage ab. Ein schweres Halswirbelsäulentrauma oder Halswirbelsäulen-Schleudertrauma
sei zeitnah zum Unfall nicht nachgewiesen. Es lägen nicht einmal einigermaßen klare Anhaltspunkte vor, die eine derartige
Verletzung belegen würden. Da Schleudertraumen der Schweregrade I oder II, die hier höchstens infrage kämen, keine Dauerfolgen
haben könnten, könne dahingestellt bleiben, ob eine HWS-Distorsion überhaupt vorgelegen habe. Eine traumatische Bandscheibenschädigung
scheide im Hinblick auf die radiologischen Befunde aus. Im Gegenteil bestünden typische degenerative Veränderungen. Neurologische
Unfallfolgen ließen sich nicht beweisen. Dr. V. habe bei der Untersuchung am 20. Oktober 1981 keinen Anhalt für eine eindeutige
Hirnbeteiligung festgestellt. Auch Dr. K. gehe davon aus, dass eine Hirnbeteiligung lediglich möglich sei. Ob die Kopfschmerzen
migränebedingt seien, sei für die Entscheidung ohne Relevanz, da ein Zusammenhang mit einem Unfall nur positiv festgestellt
werden könne, und nicht negativ durch den Ausschluss eines möglichen anderen Grundes. Zwar sei der Überfall grundsätzlich
geeignet gewesen, eine posttraumatische Belastungsstörung zu verursachen, gegen das Vorliegen einer solchen Störung spreche
aber der Zeitraum von annähernd zwei Jahrzehnten zwischen dem Überfall und dem nachgewiesenen Auftreten psychischer Beschwerden.
Dies gelte auch hinsichtlich der depressiven Episode mit Angstsymptomen und der anhaltenden somatoformen Schmerzstörung.
Zur Begründung der Berufung führte der Kläger aus, bezüglich des Überfalls fehle ihm für einen Zeitraum von 10 bis 15 Minuten
die Erinnerung. Er habe bis 1985 unter dem Wiedererleben des Überfalls und insbesondere von 1981 bis 1985 unter schlaflosen
Nächten gelitten. Im Alltag sei es zu Angstattacken und zu einem Vermeidungsverhalten gekommen. Wegen der ständigen Kopfschmerzen
habe er Schmerzmittel einnehmen müssen. Eine Besserung sei in der Zeit in Italien von 1991 bis 1998 eingetreten. Durch die
Schläge sei er einer massiven Gewalteinwirkung auch in Bezug auf den HWS-Bereich ausgesetzt gewesen. Als Zeugen für die Beschwerden
wurden die Söhne des Klägers und dessen Ehefrau benannt.
Der Kläger übersandte ein nervenärztliches Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. S. vom 30. Oktober 2007. Als Unfallfolgen
seien ein Schädelhirntrauma mit Commotio anzunehmen. Amnesie habe vorgelegen. Danach sei es zu einer posttraumatischen pathologischen
Verarbeitung mit psychosomatischer Fixierung auf Kopfschmerzen gekommen. Es bestehe ein direkter Zusammenhang mit dem Unfall.
Nach dem Überfall sei eine posttraumatische Belastungsstörung massiver Art entstanden, die der Kläger insbesondere in seiner
Charakterstrukturierung nicht habe auflösen können. Es sei zu Ängsten, sich selbst infrage stellen zu müssen, gekommen. Diese
seien in psychosomatische Bereiche verdrängt worden. Die Kopfschmerzen seien als Folgen des Traumas zu werten; vor dem Unfall
hätten keinerlei Kopfschmerzen bestanden. Eine Virusinfektion 1998/99 habe zu einer schweren asthmatischen Erkrankung und
vorzeitiger Berentung geführt.
Die vom Senat zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. führte im Gutachten vom
12. März 2008 aus, im Hinblick auf die bei der Mutter des Klägers diagnostizierte manisch-depressive Erkrankung habe ein erhöhtes
Risiko, an einer Störung aus dem gleichen Spektrum zu erkranken, bestanden. Außerdem sei die selbstunsichere Grundhaltung
des Klägers zu berücksichtigen. Bis zum Unfall habe sich aber keinerlei krankheitswertige Symptomatik entwickelt. Grundsätzlich
sei das Ereignis geeignet gewesen, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen. Nach Angaben des Klägers seien aber
die Albträume nur randständig themenbezogen. Über eine sinnvolle Vorsicht hinaus lasse sich kein Vermeidungsverhalten sichern.
Es fehle auch das wichtige Kriterium, dass die Störungen eine wesentliche Beeinträchtigung nach sich ziehen. Der Kläger habe
gerade in diesen Jahren mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit sehr gut funktioniert und seine Firma wieder übernommen. Damit lasse
sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mit Wahrscheinlichkeit sichern. Die Angaben des Klägers
sprächen am ehesten dafür, dass sich nach dem Überfall eine vorübergehende ängstliche Anpassungsstörung entwickelt habe, obwohl
auch diese mangels jeglicher objektiver Angaben nicht im Vollbeweis zu sichern sei. Sie habe keine wesentliche Beeinträchtigung
des Funktionsniveaus verursacht und zu keiner Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) geführt. Eine traumatische Hirnschädigung
lasse sich nicht sichern. Klinische Belege, wie länger dauernde Bewusstlosigkeit, hätten nicht vorgelegen. Die eine Woche
nach dem Überfall durchgeführte elektroenzephalographische Untersuchung habe keinen eindeutig pathologischen Befund ergeben.
Selbst wenn man von einer unkomplizierten Commotio ausgehen wollte, seien in diesem Fall hartnäckige Kopfschmerzen überwiegend
durch psychologische Faktoren bedingt und allenfalls eine MdE für wenige Monate zuzuerkennen. Das gleiche gelte für die ebenfalls
zu erwägende Halswirbelsäulendistorsion und etwa resultierende chronische Kopfschmerzen. Ein posttraumatischer Kopfschmerz
setze Befunde voraus, die beim Kläger nicht zu sichern seien. Eine posttraumatische Symptomatik sei grundsätzlich für den
damaligen Zeitraum vorstellbar, aber nur sehr zeitbegrenzt und ohne wesentliche Minderung der Erwerbsfähigkeit. Auch ohne
den Überfall hätte bei der gegebenen psychischen Disposition und in der gegebenen beruflichen Situation jede Gelegenheitsursache
eine Entwicklung eines Kombinationskopfschmerzes in Gang setzen können. Dazu seien dann Mitte der achtziger Jahre die massiv
belastenden Faktoren, Selbstmord der Mutter und vor allem die außereheliche Beziehung seiner Ehefrau, gekommen. Selbst wenn
man also für die ersten Monate nach dem Überfall von durchaus möglichen, aber nicht zu beweisenden posttraumatischen Kopfschmerzen
ausgehen wollte, wäre dann im Rahmen einer Verschiebung der Wesensgrundlage von einer Chronifizierung durch schädigungsunabhängige
Faktoren auszugehen. Die nach 1998 zunehmende Kopfschmerzbeeinträchtigung lasse sich durch das Asthma, die berufliche Drucksituation
und schließlich durch die nachgewiesenen degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule erklären. Der Überfall lasse sich
als wesentliche Teilursache der erst nach Ende der Berufstätigkeit einsetzenden depressiven Verstimmung nicht objektivieren.
Die angegebenen Ängste vor Auseinandersetzungen seien nachvollziehbare Realängste, deren Grundlage wohl schon in der Kindheit
gelegt worden sei.
Zu den Einwendungen des Klägers und einer Stellungnahme des Dr. S. vom 6. Mai 2008 erklärte Dr. P. in der Stellungnahme vom
11. Juni 2008, es werde nicht bestritten, dass es sich um ein gravierendes Ereignis mit intensiver Angst und Hilflosigkeit
gehandelt habe. Trotzdem seien zunächst keine erheblich beeinträchtigenden Einschränkungen aufgetreten. Das Krankheitsbild
sei Mitte der Achtziger Jahre und ab Ende der Neunziger Jahre aufgetreten, ohne dass der Überfall hierfür ursächlich sei.
Eine alltags- und berufsrelevante Krankheitsausprägung habe sich erst ab Ende der Neunziger Jahre entwickelt. Aufgrund der
gesamten Konstellation sei nicht ausreichend wahrscheinlich zu machen, dass der Überfall eine wesentliche Teilursache der
Kopfschmerz-Symptomatik mit Schmerzmittelabusus sei. Wichtig sei, dass zwischen 1991 und 1998 durch die Symptomatik keine
wesentliche Beeinträchtigung verursacht worden sei. Die dann zunehmende und jetzt auch krankheitswertige Symptomatik lasse
sich schädigungsunabhängig erklären. Posttraumatischer Kopfschmerz korreliere nicht mit der Schwere des Traumas, jedoch sehr
deutlich mit prätraumatischen Persönlichkeitszügen.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 26. März 2007 aufzuheben, sowie den Bescheid vom 21. Oktober 2003 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 8. März 2004 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die im Schriftsatz vom 26.11.2007 auf
Seite 2 unter a bis d aufgeführten Gesundheitsstörungen als Folgen des Unfalls vom 13. Oktober 1981 festzustellen, sowie ihm
Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung nach den gesetzlichen Vorschriften zu gewähren.
Hilfsweise beantragt er,
die Einholung eines Gutachtens gemäß §
109 SGG bei Herrn Dr. W. H., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, sowie Einvernahme der Ehefrau des Klägers unter Bezugnahme
auf den Schriftsatz vom 26. November 2007 zur beim Kläger auftretenden Ängstlichkeit, zu den Träumen, zur Einnahme der Schmerzmittel
und zur Veränderung seines Wesens seit dem Unfall.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten, des Versorgungsamtes sowie der Klage-
und Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet. Die Berufung ist, soweit der Kläger
die Aufhebung des Urteils, die Abänderung der Bescheide und Verurteilung der Beklagten zur Feststellung von Gesundheitsstörungen
beantragt, als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig gemäß §§
54 Abs.
4,
55 Abs.
1 Nrn. 1 und 3
SGG). Der Leistungsantrag bzw. Verpflichtungsantrag, ihm Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren, ist
unzulässig (vgl. BSG vom 15. Februar 2005, B 2 U 1/04). Im Übrigen hat der Kläger keine konkrete Leistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung geltend gemacht.
Zu Recht hat das Sozialgericht Augsburg die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe wird
abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§153 Abs.
2
SGG).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass auch das Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren zu keiner anderen Beurteilung
der Sach- und Rechtslage führen konnte. Die vom Senat zur ärztlichen Sachverständigen ernannte Ärztin für Neurologie und Psychiatrie
Dr. P. hat zur Überzeugung des Senats im Gutachten vom 12. März 2008 und der ergänzenden Stellungnahme vom 11. Juni 2008 dargelegt,
dass längerdauernde Gesundheitsstörungen, die ursächlich auf den Überfall vom 13. Oktober 1981 zurückzuführen wären, beim
Kläger nicht vorgelegen haben bzw. vorliegen.
Zunächst ist bei der Beurteilung, wie sich der Überfall vom 13. Oktober 1981 auswirken konnte, zu berücksichtigen, dass die
Mutter des Klägers an einer manisch-depressiven Erkrankung litt. Damit war zumindest theoretisch ein erhöhtes Risiko des Klägers,
an einer Störung aus dem gleichen Spektrum zu erkranken, gegeben. Weiter besteht beim Kläger von je her eine selbstunsichere
Grundhaltung. Zur Stabilisierung des narzisstischen Gleichgewichts entwickelte der Kläger ausgeprägte zwanghafte Anteile,
wie Ehrgeiz und Perfektionismus, um sich selbst und seinen Eltern Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit zu beweisen. Die damit
zusammenhängende innere Anspannung führt nach ärztlicher Erfahrung zu gehäuften Erkrankungen, auch Migräne und Kopfschmerzen.
Auf diese Persönlichkeitsstruktur hat bereits der behandelnde Neurologe und Psychiater Dr. B. hingewiesen.
Bei dem Überfall vom 13. Oktober 1981 handelte es sich zweifellos um ein Ereignis mit intensiver Angst, Schrecken und Hilflosigkeit.
Zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung als Folge des Überfalls wären aber zumindest die Symptome der Vermeidung,
der Erinnerung und vegetativer Störung erforderlich. Zwar gibt der Kläger eine Schlafstörung an, die als vegetative Störung
zu interpretieren ist. Erinnerungen waren und sind sicher vorhanden, allerdings, so Dr. P., im Sinne realer und anlassbezogener
Erinnerungen und nicht als intrusive Erinnerungen. Auch die Albträume, die der Kläger schildert, waren nur randständig themenbezogen.
Über eine sinnvolle Vorsicht hinaus lässt sich kein posttraumatisches Vermeidungsverhalten für den damaligen, geschweige denn
den jetzigen Zeitpunkt sichern. Die Störungen haben insbesondere keine wesentliche Beeinträchtigung sozialer, beruflicher
und anderer Funktionen erkennen lassen. Der Kläger war gerade in diesen Jahren mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit beruflich sehr
erfolgreich. Damit lässt sich die Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung nicht mit Wahrscheinlichkeit sichern.
Die Angaben des Klägers sprechen, wie Dr. P. erläutert, am ehesten dafür, dass sich im Anschluss an den Überfall eine vorübergehende
ängstliche Anpassungsstörung entwickelte, auch wenn hier ebenfalls jegliche objektive Unterlagen fehlen. Sie verursachte aber,
wie die Erfolge des Klägers zeigen, keine wesentliche Beeinträchtigung des Funktionsniveaus, weshalb eine Minderung der Erwerbsfähigkeit
(MdE) nicht festzustellen ist.
Eine traumatische Hirnschädigung war nach den Befunden der erstbehandelnden Ärzte nicht gegeben. Erforderlich wären als klinische
Belege Bewusstlosigkeit über eine Stunde, Amnesie über acht Stunden, Verwirrtheit über 24 Stunden, zentral-neurologische Ausfälle,
bildgebende Darstellung von Substanzschäden oder EEG-Veränderungen mit Dynamik. Keines dieser Symptome lag beim Kläger vor. Die von Dr. V. eine Woche nach dem Überfall durchgeführte
elektroenzephalographische Untersuchung ergab keinen eindeutig pathologischen Befund. Selbst wenn man aufgrund der angegebenen
Übelkeit von einer unkomplizierten Gehirnerschütterung ausgehen wollte, sind in einem solchen Fall hartnäckige Kopfschmerzen
überwiegend durch psychologische Faktoren bedingt, so dass allenfalls eine MdE für wenige Monate zuzuerkennen wäre. Das gleiche
gilt für die ebenfalls theoretisch zu erwägende Halswirbelsäulendistorsion mit daraus resultierenden chronischen Kopfschmerzen.
Ein posttraumatischer Kopfschmerz setzt, so Dr. P., einen Bewusstseinsverlust, eine Amnesie von länger als 10 Minuten und
auffällige Untersuchungsergebnisse im Rahmen der klinischen Neurologie, der radiologischen Untersuchung des Kopfes, des CCT,
der evozierten Potentiale, Liquor-Untersuchungen, Untersuchungen vestibulärer Funktionen und der neuropsychologischen Untersuchungen
voraus. All dies ist beim Kläger nicht zu sichern. Dr. P. betont, dass eine posttraumatische Kopfschmerz-Symptomatik grundsätzlich
vorstellbar ist, aber nur sehr zeitbegrenzt und ohne dass sie eine wesentliche Minderung der Erwerbsfähigkeit nach sich gezogen
hat.
Die seit dem Überfall bestehende erhebliche Kopfschmerz-Symptomatik hätte bei der psychischen Disposition und in der gegebenen
beruflichen Situation auch bei jedem anderen Ereignis ausgelöst werden können. Zu berücksichtigen sind auch die massiv belastenden
Faktoren durch den Selbstmord der Mutter und die außereheliche Beziehung der Ehefrau, die die innere Anspannung und die Verlustängste
weiter förderten, was zu einer Aufrechterhaltung der Kopfschmerz-Symptomatik beitrug. Selbst wenn man also für die ersten
Monate nach dem Überfall von durchaus möglichen, aber nicht zu beweisenden posttraumatischen Kopfschmerzen ausgehen wollte,
so wäre dann im Rahmen einer Verschiebung der Wesensgrundlage von einer Chronifizierung durch schädigungsunabhängige Faktoren
auszugehen. Bei befriedigender beruflicher und problemloser privater Situation, gab der Kläger bis Ende 1998 keine wesentliche
Beeinträchtigung durch Kopfschmerzen an. Die dann wieder zunehmende Kopfschmerzbeeinträchtigung lässt sich durch das verstärkte
Asthma, die berufliche Drucksituation und die nachgewiesenen degenerativen Veränderungen der Halswirbelsäule erklären.
Zu berücksichtigen ist auch, dass der Orthopäde Dr. E. im Gutachten für die BfA vom 7. Dezember 2001 auf degenerative Veränderungen
der Halswirbelsäule hingewiesen hat. Das MRT des Schädels vom 31. August 2001 erbrachte einen völlig unauffälligen Befund
bis auf eine geringfügig ausgeprägte Sinusitis beiderseits. Der Internist und Arzt für Lungen- und Bronchialheilkunde Dr.
C. erwähnte im Attest vom 5. August 2004 als typische Nebenwirkungen der Asthmamedikation Kopfschmerzen.
Die nach Ende der Berufstätigkeit einsetzende depressive Entwicklung ist wesentlich auf den Wegfall der Bestätigung durch
die Berufstätigkeit und die daraus resultierenden Zukunftsängste zu erklären. Der Überfall ist hierfür keine wesentliche Teilursache.
Es handelt sich um nachvollziehbare Realängste, deren Grundlage wohl schon in der Kindheit gelegt wurde, so Dr. P ...
Bei Analyse des Überfalls, der gesamten Lebensgeschichte des Klägers und unter Berücksichtigung der rechtlichen Anforderungen
an die Kausalität können die Krankheitserscheinungen des Klägers nicht als Unfallfolge bewertet werden.
Nicht folgen konnte der Senat den Ausführungen von Dr. S., da er seine Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. P. nicht überzeugend
begründete. Bei dem mittlerweile 27 Jahre zurückliegenden Ereignis lässt sich ohne jegliche objektivierte Befunde aus dem
damaligen Zeitraum nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit sichern, dass der Überfall zumindest ein wesentlicher Faktor
bei der Krankheitsentwicklung war, dies insbesondere nicht unter Berücksichtigung der multiplen familiären und beruflichen
Belastungen. Immerhin hat auch Dr. S. im Gutachten für die BfA vom 11. August 2004 auf die zwanghafte Persönlichkeitsstruktur
hingewiesen. Durch die immer wieder erlebten Versagensängste sei es zu einer Somatisierung mit Asthma und diffusen Rückenbeschwerden
gekommen. Die zunehmend erlebte Hoffnungslosigkeit nach Kündigung eines Beratervertrages habe zu depressiven Einbrüchen mit
Konversionsüberlagerungen, Ängsten und diffuser Selbstbeobachtung geführt. Das Asthma sei bereits so erheblich fixiert gewiesen,
dass der Kläger geglaubt habe, nicht mehr in Ruhe arbeiten zu können. Diese Beurteilung spricht gegen einen ursächlichen Zusammenhang
mit dem Überfall, ebenso wie die Ausführungen von Dr. K. und Dr. B ...
Dr. K. wies im Gutachten vom 19. April 2007 darauf hin, es sei infolge des Verlustes der beruflichen Tätigkeit zu depressiven
Episoden mittleren bis schweren Grades mit Angstsymptomen gekommen. Durch den Tod der Eltern seien ebenfalls depressive Symptome
eingetreten, durch die beruflichen Ereignisse 2001 sei der Kläger schließlich regelmäßig antidepressiv behandlungsbedürftig
geworden. Als Ursache der psychischen Störungen sei die Berufskrankheit Asthma zu sehen. Dr. B. äußerte im Schreiben vom 3.
August 2006, beim Kläger bestehe eine schwere depressive Episode, chronifiziert mit anhaltender somatoformer Schmerzstörung,
vor dem Hintergrund einer schweren neurasthenisch-zwanghaften und dysthymen Persönlichkeitsstörung. Seit Ende 2001 werde der
Kläger antidepressiv und schmerztherapeutisch sowie neurologisch im Zusammenhang mit seinem chronifizierten Kombinationskopfschmerz
behandelt.
Im Hinblick auf die vorliegenden ärztlichen Gutachten und Stellungnahmen von Dr. P., dem Neurologen B. und Dr. P. sowie die
damit übereinstimmenden erwähnten Befunde der behandelnden Ärzte ist eine weitere Sachaufklärung nicht veranlasst. Insbesondere
ergibt sich kein Anlass für die Einholung eines Gutachtens gemäß §
109 SGG. Ein Antrag gemäß §
109 SGG kann grundsätzlich im Laufe eines Verfahrens nur einmal gestellt werden, es sei denn, dass der neu ernannte Gutachter sich
zu einer anderen Beweisfrage äußern soll oder seit der Erstattung des ersten Gutachtens sich die tatsächlichen oder rechtlichen
Grundlagen der Beurteilung geändert haben. Besondere Umstände, die die erneute Beauftragung eines Gutachters gemäß §
109 SGG rechtfertigen würden, sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Der im sozialgerichtlichen Verfahren gehörte Arzt für
Neurologie und Psychiatrie Dr. K. hatte Gelegenheit, zu den vorliegenden ärztlichen Unterlagen bezüglich des Gesundheitszustandes
des Klägers Stellung zu nehmen. Die Tatsache divergierender Gutachten allein ist kein hinreichender Anlass zur Einholung weiterer
Gutachten.
Auch die Vernehmung der Söhne und der Ehefrau des Klägers als Zeugen ist nicht erforderlich. Die von ihnen gemachten Beobachtungen
bezüglich des Gesundheitszustandes des Klägers werden als wahr unterstellt, ändern aber im Hinblick auf die ärztlichen Stellungnahmen
von Dr. P. und Dr. P. sowie des Neurologen B. nichts an der Beurteilung des Kausalzusammenhangs.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.