Anerkennung einer Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung; chronisch-obstruktive Bronchitis nach langjährigem
Zigarettenkonsum
Tatbestand:
Streitig ist die Anerkennung einer Berufskrankheit bei bestehenden Atembeschwerden. Einen früheren Antrag auf Anerkennung
einer Berufskrankheit wegen Erkrankungen im Bereich der Wirbelsäule, des linken Ellenbogennerves sowie der Leisten hatte die
Beklagte mit Bescheid vom 25. März 1987 abgelehnt.
Der 1951 geborene Kläger beantragte am 17. April 2003 die Anerkennung einer Lungenerkrankung als Berufskrankheit. Er führte
dies auf seine Tätigkeit bei der Firma L. in den Jahren von 1981 bis 1986 zurück. In dieser Zeit war er als Massefüller mit
der Füllung von Stahlflaschen beschäftigt.
Die Beklagte holte eine Auskunft der Fa. L. AG vom 23. Juni 2003 zu den vom Kläger ausgeführten Tätigkeiten sowie zur Exposition
ein und beauftragte den Technische Aufsichtsdienst (TAD) mit einer Stellungnahme. Dieser führte in der Stellungnahme vom 18.
Juli 2003 aus, am Arbeitsplatz des Klägers habe keine Belastung mit Gefahrstoffen vorgelegen. Nur bei Aushilfstätigkeiten
am Nachbararbeitsplatz sei ein Umgang mit Asbest und Quarz gegeben gewesen. Die Grenzwerte für Feinstaub, Quarz und Chrysotil
seien eingehalten worden, wie der Messbericht zeige. Jedem Beschäftigten hätten geeignete Staubmasken zur Verfügung gestanden,
die auch benützt worden seien. Der kurzfristige und sehr seltene Einsatz des Klägers am Lackierstand sei vernachlässigbar.
Der von der Beklagten beauftragte Arzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Umweltmedizin, Prof.
Dr. W., führte in seinem Gutachten vom 9. Januar 2007 aus, dass eine Berufskrankheit im Bereich der Atemwege mit Wahrscheinlichkeit
nicht vorliege. Ursächlich für die chronisch-obstruktive Bronchitis sei mit Wahrscheinlichkeit der langjährige Zigarettenkonsum.
Anhaltspunkte für eine Silikose oder Asbestose hätten sich in der Röntgenaufnahme der Lungen nicht gefunden. Eine weiterführende
Lungendiagnostik, insbesondere eine Lungenfunktionsprüfung, habe der Kläger abgelehnt.
Der Gewerbearzt Dr. V. stimmte am 30. Januar 2007 Prof. Dr. W. zu: Aufgrund der Untersuchungsergebnisse könne eine Berufskrankheit
nach Nr. 4301, 4302, 4101 und 4103 der Anlage der
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) nicht festgestellt werden.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 15. März 2007 die Anerkennung einer Berufskrankheit nach den Listen-Nummern 1315, 4101,
4103, 4301 und 4302 der Anlage zur
BKV ab. Aufgrund der vorliegenden Untersuchungsdaten müsse nach dem Gutachten des Prof. Dr. W. im Wesentlichen von einer chronisch-obstruktiven
Bronchitis ausgegangen werden, die auf den langjährigen Zigarettenkonsum zurückzuführen sei. Den Widerspruch des Klägers wies
sie mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juli 2007 zurück.
Im hiergegen zunächst beim Sozialgericht Bayreuth eingereichten und mit Beschluss vom 28. März 2008 an das Sozialgericht München
überwiesenen Klageverfahren hat der Kläger u.a. ein Attest des Internisten Dr. E. vom 4. Dezember 2007 übersandt, in dem ein
Asthma bronchiale - chronische Bronchitis bestätigt werden.
Das Sozialgericht hat einen Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 8. Dezember 2008 abgelehnt
und die Klage mit Gerichtsbescheid vom 19. August 2009 abgewiesen. Es bestehe kein Anlass, an den gut begründeten ärztlichen
Aussagen zu zweifeln, zumal keinerlei anders lautende medizinische Bekundungen vorlägen. Das Sozialgericht hat vor allem auf
das Gutachten des Prof. Dr. W. Bezug genommen.
Mit der hiergegen gerichteten Berufung hat der Kläger einen Anspruch wegen der geltend gemachten Atemwegsbeschwerden weiter
verfolgt. Zur Begründung hat er auf verschiedene Berichte über MRT-Untersuchungen durch das Zentrum für Magnetresonanztomographie
D. sowie auf aktuelle Untersuchungsergebnisse verwiesen. Der Senat hat einen Befundbericht der behandelnden Ärztin für Lungen-
und Brochialheilkunde, Dr. F., vom 11. Januar 2010 sowie den Entlassungsbericht des Klinikums G. über die stationären Untersuchung
vom 23. September bis 2. Oktober 2009 eingeholt. Dr. F. hat eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bestätigt; sie behandele
den Kläger seit September 2007. Es bestehe eine leichte Obstruktion und Restriktion der Lungenfunktion. Nach stationärer Untersuchung
des Klägers vom 23. September bis 2. Oktober 2009 haben die Ärzte des Universitäts-Klinikums A-Stadt berichtet, bei der Lungenfunktionsprüfung
hätte sich in der Spirometrie eine nur geringgradige Obstruktion, in der Bodyplethysmographie keine Restriktion und keine
Obstruktion gezeigt. Eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung könne daher nicht bestätigt werden. Darüber hinaus sei es
während des stationären Aufenthalts zu einer Besserung des Auskultationsbefundes und zu einer raschen Normalisierung der leicht
erhöhten Entzündungswerte gekommen. Zur Verbesserung der subjektiven Symptomatik sei eine Nikotinkarenz dringend erforderlich.
Aufgrund der Diskrepanz zwischen den objektiven pneumologischen Befunden und dem subjektiven Befinden des Klägers sowie einer
vorbekannten, nicht behandelten depressiven Verstimmung sei eine psychiatrische Behandlung zu empfehlen.
Mit Beschluss vom 30. Juni 2010 hat der Senat dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und den Prozessbevollmächtigten beigeordnet.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts München vom 19. August 2009 sowie den Bescheid vom 15. März 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 3. Juli 2007 aufzuheben und ihm wegen seiner Atemwegsbeschwerden Leistungen nach der gesetzlichen Unfallversicherung zu
gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten sowie der Klage- und Berufungsakten
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Der Streitgegenstand auch des Berufungsverfahrens richtet sich nach den streitgegenständlichen Bescheiden sowie dem Klageantrag.
Der klägerischer Antrag ist auf Feststellung der bestehenden Atemwegserkrankung als Berufskrankheit auszulegen. Betroffen
sind dabei, wie mit Bescheid vom 15. März 2007 ausgeführt, die Nummern 1315, 4101, 4103, 4301 und 4302 der Anlage zur
BKV. Weitere Krankheitsbilder, insbesondere im Bereich der Wirbelsäule oder des Handgelenks, wozu der Kläger im Berufungsverfahren
MRT-Berichte vorlegte, sind nicht Gegenstand dieses Verfahrens.
Berufskrankheiten sind nach §
7 Abs.
1 des Siebten Buchs Sozialgesetzbuch (
SGB VII) Versicherungsfälle. Berufskrankheiten sind dabei Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung
des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden (§
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII). Unter Nr.
1315 der Anlage zur
BKV fallen Erkrankungen durch Isocyanate, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die
Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können. Als Krankheitsbild bestehen toxische
bzw. chemisch-irritative Wirkungen an den Schleimhäuten der Augen und des Atemtraktes sowie eine akute Bronchitis. Eine wiederholte
Einatmung kann zur chronisch obstruktiven Atemwegserkrankung führen (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit,
8. Aufl., S. 1250 f).
Die Nr. 4101 der Anlage zur
BKV betrifft die Quarzstaublungenerkrankung (Silikose), Nr. 4103 eine Asbeststaublungenerkrankung (Asbestose) oder durch Asbeststaub
verursachte Erkrankungen der Pleura, Nr. 4301 durch allergisierende Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen (einschließliche
Rhinopathie), die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das
Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, und Nr. 4302 durch chemisch-irritativ oder toxisch wirkende
Stoffe verursachte obstruktive Atemwegserkrankungen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung,
die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können.
Die Feststellung einer Berufskrankheit setzt einerseits das Vorliegen der arbeitstechnischen Voraussetzungen im Sinne der
haftungsbegründenden Kausalität, andererseits der medizinischen Voraussetzungen im Sinne der haftungsausfüllenden Kausalität
voraus, d.h. es muss das typische Krankheitsbild der Berufskrankheit vorliegen und dieses muss im Sinne der unfallrechtlichen
Kausalitätslehre wesentlich ursächlich auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sein. Beides ist hier nicht in erforderlichem
Umfange nachgewiesen.
Nach den Ermittlungen des TAD war der Kläger in den Jahren von 1981 bis 1986 an seinem Arbeitsplatz keiner Belastung mit Gefahrstoffen
ausgesetzt, die eine Berufskrankheit in obigem Sinne begründen könnte. Beim Abfüllen als Massefüller am Massefüllstand ist,
auch wenn der damalige Arbeitsplatz zur Zeit der Besichtigung durch den TAD nicht mehr vorhanden war, nicht von einer Staubbelastung
auszugehen, vor allem da es sich um eine pastöse Masse handelte. Es kam allerdings vor, dass der Kläger beim Einfüllen von
Asbest und Quarzmehl aus Säcken an einem benachbarten Arbeitsplatz mitgeholfen hat. Nach den vorliegenden Messberichten wurden
jedoch die damaligen Grenzwerte für Feinstaub, Quarz und Chrysotil eingehalten; ferner standen den Beschäftigten Staubmasken
zur Verfügung.
Nur selten wurde der Kläger am Lackierstand eingesetzt. Nach den Ermittlungen des TAD standen aber auch hier geeignete Masken
zur Verfügung, ferner war der Lackierstand mit einer Absaugung und einer Wasserwand ausgerüstet. Der kurzfristige und sehr
seltene Einsatz am Lackierstand sei dabei vernachlässigbar.
Darüber hinaus fehlt es auch an den medizinischen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Berufskrankheit. Unstreitig liegt
ein täglich vorhandener Husten mit Auswurf vor, der als chronische Bronchitis zu diagnostizieren ist. Ursächlich hierfür kann
aus medizinischer Sicht ohne Weiteres der jahrelange, starke Zigarettenkonsum des Klägers mit 15 bis 20 Zigaretten täglich
sein. Allergologische Untersuchungen haben, wie Prof. Dr. W. ausführt, weder bei den Blutuntersuchungen noch bezüglich der
spezifischen RAST-Untersuchung auf Isocyanate noch bezüglich der Hauttests positive allergische Reaktionen erkennen lassen.
Röntgenaufnahmen ergaben keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Silikose oder Asbestose im Sinne der Nrn. 4101 bzw. 4103
der Anlage zur
BKV. Ferner fehlten Lungenfunktionsdaten mit Nachweis einer Obstruktion. Es konnten auch keine Belege für ein irritativ toxisches
Asthma gefunden werden. In Ergänzung des Gutachtens des Prof. Dr. W. war vom Senat vor allem auch der Bericht des Klinikums
G. vom 1. Oktober 2009 zu werten. In der Lungenfunktionsprüfung zeigte sich in der Spirometrie eine nur geringgradige Obstruktion,
in der Bodyplethysmografie keine Restriktion und keine Obstruktion. Eine chronisch obstruktive Lungenerkrankung, die Dr. F.
diagnostizierte, konnte gerade nicht bestätigt werden. Die Klinik wies auf die Diskrepanz zwischen den objektiven pneumologischen
Befunden und dem subjektiven Befinden des Klägers hin. Auch hierbei wurde der Zusammenhang mit dem Zigarettenkonsum deutlich.
Als prägende Diagnosen wurden daher ein Nikotinabusus, ein C2-Abusus, eine depressive Verstimmung sowie der Verdacht auf eine
Somatisierungsstörung gestellt. Zudem kam es während des stationären Aufenthaltes zu einer raschen Normalisierung und Besserung
der Befunde.
Der Senat schloss sich deshalb der Einschätzung des Sozialgerichts an. Es liegt als Gesundheitsbeeinträchtigung eine chronische
Bronchitis vor, die mit Wahrscheinlichkeit auf den langjährigen Zigarettenkonsum des Klägers zurückzuführen ist. Es sind weder
die arbeitstechnischen noch die medizinischen Voraussetzungen der einschlägigen Berufskrankheiten erfüllt.
Die Kostenentscheidung richtet sich nach §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nrn. 1 und 2
SGG liegen nicht vor.