Sachleistungsaushilfe zu Lasten einer Gebietskrankenkasse in Österreich
Mehrfachrentner
Private Krankenversicherung als ein Zweig sozialer Sicherheit
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten Sachleistungsaushilfe zu Lasten der C. in Österreich.
Der im Januar 1946 geborene Kläger ist österreichischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Deutschland. Seit dem 01.02.2011
bezieht er eine Rente der DRV Bayern Süd. Ebenfalls seit dem 01.02.2011 erhält er eine Pension der Pensionsversicherungsanstalt
Landesstelle W-Stadt.
Der Kläger war von 1966 bis 1978 bei der beklagten Krankenkasse gesetzlich versichert und ist seit März 1980 bei der B. privat
versichert. Auf seinen Antrag erhält er von der DRV Bayern Süd einen Zuschuss zur privaten Krankenversicherung.
Mit Schreiben vom 22.03.2011 teilte die Pensionsversicherungsanstalt Landesstelle W-Stadt dem Kläger mit, dass aufgrund der
Bestimmungen der EWG-Verordnung für den Kläger grundsätzlich Versicherungspflicht in der österreichischen Krankenversicherung
bestehe. Die benötigten Sachleistungen (ärztliche Hilfe etc.) würden aushilfsweise vom zuständigen Krankenversicherungsträger
des Wohnortstaates erbracht. Der Kläger möge das beiliegende Formblatt E 121-AT ("Bescheinigung über die Eintragung der Rentenberechtigten
und ihrer Familienmitglieder und die Führung der Verzeichnisse") dem in Betracht kommenden Krankenversicherungsträger seines
Wohnortstaates vorlegen. In Teil A dieses Formblatts war von der C. am 04.04.2011 bescheinigt worden, dass der Kläger ab dem
01.02.2011 Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit habe. Die vom Wohnortstaat zu gewährenden Leistungen gingen ab dem 01.02.2011
zu Lasten der C..
Am 28.04.2011 reichte der Kläger das Formblatt E 121-AT bei der Beklagten ein. Diese vermerkte am 02.09.2011 in dem von ihr
auszufüllenden Teil B des Formblatts, dass eventuell eine deutsche Vorrangversicherung bestehe.
Mit Bescheid vom 05.09.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihn aufgrund des vorgelegten Formulars E 121-AT der
C. nur betreuen könne, wenn keine deutsche Vorrangversicherung bestehe. Der Kläger erfülle nicht die Voraussetzungen für die
Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Für die Prüfung, ob eine Auffangversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch -
SGB V - möglich ist, sei die letzte deutsche Krankenversicherung zuständig, im Falle des Klägers also die B.. Bei Nichtzustandekommen
der Versicherung möge der Kläger das Ablehnungsschreiben der B. übersenden. In diesem Falle könne eine Betreuung über das
Formblatt E 121 aus Österreich durchgeführt werden.
Ab Oktober 2011 behielt die Pensionsversicherungsanstalt W-Stadt erstmals einen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 5,1%
(19,40 €) von der Alterspension des Klägers ein.
Mit Schreiben vom 07.08.2012 forderte der Klägerbevollmächtigte die Beklagte auf, die Eintragung des Klägers als Sachleistungsberechtigten
auf dem Formblatt E 121-AT zu bescheinigen.
Mit Schriftsatz vom 09.12.2013 hat der Kläger Klage erhoben zum Sozialgericht München mit dem Begehr, die Beklagte zur Verbescheidung
des Antrags vom 07.08.2012 auf Ausstellung einer Bescheinigung des Sachleistungsanspruchs für Leistungen bei Krankheit gemäß
Art. 24 Abs. 1 Verordnung (EG) 987/2009 und Art. 23 ff. Verordnung (EG) 883/2004 zu verurteilen.
Die Beklagte hat dieses Schreiben als Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.09.2011 gewertet und diesen mit Widerspruchsbescheid
vom 04.02.2014 als unbegründet zurückgewiesen. Der Kläger sei weder in der KVdR noch in der Auffangpflichtversicherung nach
§
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V pflichtversichert. Letztere scheide aus, weil der Kläger privat versichert sei und daher ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung
im Krankheitsfall bestehe. Diese bei der privaten Krankenversicherung (PKV) durchzuführende Krankenversicherung stelle eine
Vorrangversicherung im Verhältnis zur österreichischen Krankenversicherung dar.
Der Kläger hat an der vorab eingereichten Klage festgehalten und geltend gemacht, dass die Bestimmungen der VO (EG) 883/2004
vorrangig zu beachten seien. Nach Art. 14 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 dürfe eine Person, die nach den Rechtsvorschriften eines
Mitgliedstaates der Pflichtversicherung in diesem Mitgliedstaat unterliege, keiner freiwilligen Versicherung oder keiner freiwilligen
Weiterversicherung in einem anderen Mitgliedstaat unterliegen. Der Kläger unterliege in Österreich der Pflichtversicherung
der C., so dass der Hinweis auf die private Krankenversicherung fehlgehe. Nach Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 habe er einen
Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte für Rechnung seiner Pflichtversicherung, der C.. Die Voraussetzungen des Art. 23
VO (EG) 883/2004 lägen nicht vor, weil der Kläger in Deutschland keinen Anspruch auf Sachleistungen habe. Außerdem würde der
Zweck der Verordnung unterlaufen, wenn der Kläger nur durch einen Wohnsitzwechsel in einen anderen Mitgliedstaat Versicherungsschutz
durch die österreichische Gebietskrankenkasse erhalten könne, bei der er pflichtversichert sei.
Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass bei einem Doppelrentenbezug wie vorliegend zu prüfen sei, ob eine Vorrangversicherung
in Deutschland bestehe. Sei dies der Fall, gehe diese dem Leistungsanspruch gegen die österreichische Gebietskrankenkasse
vor. Da der Kläger in Deutschland privat versichert sei, bestehe zwar keine Vorrangversicherung in der deutschen gesetzlichen
Krankenversicherung. Dies führe aber nicht dazu, dass eine Sachleistungsaushilfe der Beklagten im Auftrag der österreichischen
Gebietskrankenkasse durchzuführen sei. Der Kläger müsse sich vielmehr für seinen Krankenversicherungsschutz in Deutschland
privat versichern.
Das Sozialgericht München hat mit Urteil vom 22.01.2015 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte entsprechend
dem in der mündlichen Verhandlung gestellten Klageantrag zur Sachleistungsaushilfe für die C. zugunsten des Klägers verpflichtet.
Der Kläger habe nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats (Deutschland) keinen Sachleistungsanspruch, aber eine Krankenversicherung
als österreichischer Rentner. Nach Art. 24 VO (EG) 883/2004 habe die Beklagte daher Sachleistungsaushilfe für die C. durchzuführen.
Die Beklagte habe festgestellt, dass weder eine Krankenversicherung der Rentner noch eine freiwillige Versicherung für den
Kläger infrage komme. Auch die Voraussetzungen für eine gesetzliche Versicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V lägen nicht vor.
Der Kläger sei aber als österreichischer Rentner krankenversichert. Schon die gefestigte Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
sei früher davon ausgegangen, dass Sachverhalte, die in anderen EU-Ländern eintreten würden, mit denen in Deutschland gleichzustellen
seien. Dies habe nun auch in Art. 5b) VO (EG) 883/2004 seinen europarechtlichen Ausdruck gefunden. Damit werde die Pflichtversicherung
im EU-Ausland - hier in Österreich - ebenso bewertet wie eine solche im Inland. Der daraus abgeleitete Sachleistungsanspruch
stelle eine anderweitige Absicherung im Krankheitsfall dar, so dass keine Pflichtversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V entstehe.
Die gegenteilige Rechtsauffassung der Beklagten würde zu dem absurden Ergebnis führen, dass der Kläger über §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V zu einer Doppelversicherung gezwungen würde. Zudem würde dann neben die gesetzliche Krankenversicherung in Österreich gegebenenfalls
eine private Krankenversicherung in Deutschland treten. Diese private Krankenversicherung erfülle aber schon nicht die Kriterien
der Vorrangversicherung nach Art. 24 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004, denn die private Krankenversicherung sei auf Kostenerstattung
und nicht auf Sachleistung aufgebaut. Jedenfalls aber widerspräche die Rechtsauffassung der Beklagten den Regelungen der Art.
5 und 17 VO (EG) 883/2004, die grundsätzlich eine "Mitnahme" der Mitgliedstaats-Krankenversicherung in den Wohnmitgliedstaat
festlegten.
Die Beklagte hat gegen das Urteil Berufung erhoben und vorgetragen, dass im Falle des Klägers nicht Art. 24, sondern Art.
23 VO (EG) 883/2004 einschlägig sei. Erst wenn ein Anspruch auf Sachleistungen im Wohnortstaat verneint werde, sei ein etwaiger
Krankenversicherungsschutz im anderen Mitgliedstaat zu prüfen und komme eine Anwendung des Art. 24 VO (EG) 883/2004 in Betracht.
Entgegen der Ausführungen des Sozialgerichts scheitere eine Versicherungspflicht des Klägers nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V nicht am Vorliegen einer anderweitigen Absicherung durch die österreichische Krankenversicherung. Österreichisches Recht
sei nie anwendbar gewesen und eine Versicherungspflicht bei der C. nie entstanden. Eine Versicherungspflicht des Klägers nach
§
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V sei vielmehr wegen der bereits bei Rentenbeginn bestehenden privaten Krankenversicherung nicht eingetreten. Diese erfülle
die Kriterien einer Vorrangversicherung im Sinne von Art. 23 der Verordnung, auch wenn der PKV ein System der Kostenerstattung
und nicht der Sachleistungsaushilfe zugrunde liege.
Der Klägerbevollmächtigte hat ergänzend ausgeführt, dass der Kläger nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 verlangen könne,
von der Anwendung der Rechtsvorschriften im Wohnstaat freigestellt zu werden.
Auf Anfrage des Senats hat die C. mit Schreiben vom 23.03.2016 und 04.05.2016 mitgeteilt, dass der Kläger seit dem 01.02.2011
einen Pensionsbezug ohne Krankenversicherungsanspruch habe. Ein Sachleistungsanspruch in Österreich bestehe für Personen,
die - wie der Kläger - eine österreichische und eine ausländische Rente beziehen unter der Voraussetzung, dass sich der Wohnsitz
in Österreich befinde. Aufgrund des Bezugs einer deutschen Rente und des Wohnsitzes in Deutschland bestehe nach Art. 23 VO
(EG) 883/2004 kein Sachleistungsanspruch in Österreich. Ein solcher wäre nur unter der Voraussetzung, dass der Kläger keinen
Sachleistungsanspruch in Deutschland habe, nach Art. 24 VO (EG) 883/2004 zu bejahen. In diesem Fall würde die C. das Formular
E 121 ausfüllen.
Der Kläger hat mehrere Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt W-Stadt vorgelegt, darunter eines vom 06.10.2014, in dem
es heißt: "Laut Mitteilung der AOK Bayern kann in Österreich keine Anmeldung zur Krankenversicherung erfolgen, da Sie aufgrund
Ihrer deutschen Regelaltersrente vorrangig in Deutschland krankenversichert sind. Die bisher einbehaltenen Beträge zur Krankenversicherung
in Österreich werden daher rückerstattet."
In einem weiteren Schreiben der Pensionsversicherungsanstalt vom 18.02.2015 wird ausgeführt, dass eine Rückzahlung der Beiträge
zur Krankenversicherung nicht möglich sei, da zur Zeit keine Krankenversicherung in Österreich vorliege und eine Versicherungspflicht
wegen des anhängigen Berufungsverfahrens nicht neuerlich geprüft werden könne. Erst nach Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung
über die Krankenversicherungspflicht im Wohnortstaat könne eine Prüfung in Österreich erfolgen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 22.01.2015 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom 05.09.2011 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 04.02.2014 abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Berufungsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und der
Beklagtenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.
Das Sozialgericht München hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Die streitgegenständlichen Bescheide der Beklagten sind nicht
zu beanstanden. Der Kläger hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Durchführung von Sachleistungsaushilfe zu Lasten der
österreichischen Gebietskrankenkasse.
Der Kläger beruft sich für den von ihm geltend gemachten Sachleistungsaushilfeanspruch auf die Koordinierungsvorschriften
der VO (EG) 883/2004. Da er Staatsangehöriger eines Mitgliedstaates ist, ist deren Anwendungsbereich grundsätzlich eröffnet
(Art. 2 Abs. 1 der Verordnung).
Art. 11 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) 883/2004 ordnet als allgemeine Regelung an, dass Personen, für die diese Verordnung gilt, nur
den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates unterliegen.
Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 der Verordnung unterliegen nicht erwerbstätige Personen, die - wie der Kläger - nicht
unter Art. 11 Abs. 3 lit. a) bis d) der Verordnung fallen, unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach
denen ihnen Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften
des Wohnmitgliedstaates (Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004, sog. "Wohnlandprinzip", vgl. Steinmeyer in: Fuchs, Europäisches
Sozialrecht, 7. Aufl. Art. 11 Rn. 32 f.). Dies sind im Falle des Klägers die deutschen Rechtsvorschriften.
Der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften gemäß Art. 11 Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004 kann der Kläger nicht mit Erfolg
entgegenhalten, dass er nach Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 verlangen könne, von der Anwendung der Rechtsvorschriften im
Wohnstaat freigestellt zu werden. Die Regelung des Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 ist schon nach ihrem Wortlaut im vorliegenden
Fall nicht einschlägig.
Art. 16 Abs. 2 VO (EG) 883/2004 lautet:
Wohnt eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält, in einem
anderen Mitgliedstaat, so kann sie auf Antrag von der Anwendung der Rechtsvorschriften des letzteren Staates freigestellt
werden, sofern sie diese Rechtsvorschriften nicht aufgrund der Ausübung einer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit
unterliegt.
Die Freistellung von der Anwendung der Rechtsvorschriften des Wohnstaates kann nach dieser Bestimmung also nur ein Rentner
verlangen, der seine Rente bzw. seine Renten aus einem anderen Mitgliedstaat bzw. aus anderen Mitgliedstaaten als dem Wohnstaat
bezieht. Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen nicht, da er unbestritten eine Rente nach den Rechtsvorschriften seines
Wohnstaates Deutschland erhält.
1. Als Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Sachleistungsaushilfe durch die Beklagte zu Lasten
der C. kommt allein Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 in Betracht, der den Sachleistungsanspruch für Ein- oder Mehrfachrentner
regelt, die keinen Sachleistungsanspruch nach dem Recht des Wohnmitgliedstaates haben.
Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 hat folgenden Wortlaut:
Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen
Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich
selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats
oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn
sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten
Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats
hätte.
Der Kläger ist Mehrfachrentner im Sinne dieser Vorschrift, da er Renten nach den Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten
erhält, nämlich eine deutsche gesetzliche Rente sowie eine österreichische Pension.
Damit kommt es für den geltend gemachten Anspruch auf Sachleistungsaushilfe gegen den Träger des Wohnorts maßgeblich darauf
an, ob der Kläger "keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates" hat. Dies ist nach
Überzeugung des Senats zu verneinen. Der Kläger kann durchaus Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates
beanspruchen.
a) Art. 1 lit. va) Nr. i) VO (EG) 883/2004 definiert den Ausdruck "Sachleistungen" für Titel III Kapitel 1 der Verordnung
(Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellte Leistungen bei Vaterschaft) als Leistungen,
die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates vorgesehen sind und den Zweck verfolgen, die ärztliche Behandlung und
die diese Behandlung ergänzenden Produkte und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen oder direkt zu bezahlen oder die diesbezüglichen
Kosten zu erstatten.
Für die Einordnung einer Leistung als "Sachleistung" in diesem Sinne ist es also unbedeutend, ob die (ärztlichen und pflegerischen)
Dienste im Rahmen ambulanter oder stationärer Behandlung sowie die Bereitstellung der diese Dienste begleitenden Produkte
(Arznei-, Heil- und Hilfsmittel) nach dem Sachleistungsprinzip gewährt werden oder ob die Kosten für deren Beschaffung erstattet
werden (Kahil-Wolff in: Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 7. Aufl., Art. 1 Rn 37). Damit ist - anders als nach deutschem Verständnis
- keine Grenzziehung zwischen Sachleistungs- und Kostenerstattungsprinzip vorzunehmen, sondern zwischen Sachleistungen und
Leistungen, die nicht unmittelbar der medizinischen Versorgung dienen wie z.B. Entgeltersatzleistungen (Naumann in: Schlegel/
Voelzke, jurisPK-
SGB I, 3. Aufl. 2018, Art. 30 VO (EG) 883/2004, Rn 21). Der Umstand, dass im Rahmen der PKV grundsätzlich das Kostenerstattungsprinzip gilt, steht somit
der Annahme, dass der (nur) privat krankenversicherte Kläger in Deutschland einen Anspruch auf Sachleistungen im Sinne der
Verordnung hat, nicht entgegen.
b) Bei den so verstandenen Sachleistungen, die der Kläger von seiner privaten Krankenkasse beanspruchen kann, handelt es sich
um "Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaates".
Nach Art. 1 lit. l) VO (EG) 883/2004 bezeichnet der Ausdruck "Rechtsvorschriften" für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen,
Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 genannten Zweige der
sozialen Sicherheit (u.a. Leistungen bei Krankheit, Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung).
Zu den Rechtsvorschriften im Leistungsbereich "Krankheit" zählen in Deutschland insbesondere die Vorschriften des
SGB V. Aber auch die von einem privaten Träger erlassenen Versicherungs-Statuten können als Satzungen eines Trägers sozialer Sicherheit
zu beurteilen sein.
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) kommen in privater Trägerschaft stehende Einrichtungen durchaus
als Träger sozialer Sicherheit in Betracht (vgl. EuGH, Slg 1966, 584 (Vaassen-Göbbels). Der EuGH verwies in dieser Entscheidung insbesondere auf den Sprachgebrauch der VO (EWG) Nr. 3/58, welche
zwischen Behörden und Einrichtungen unterscheide. Zu ersteren zählten die Dienststellen öffentlich-rechtlicher Träger, zu
letzteren dagegen gehörten die Einrichtungen privaten Rechts. Auch die VO (EG) 883/2004 unterscheidet in Art. 1 lit. p), der
den Ausdruck "Träger" definiert, zwischen einer Einrichtung oder einer Behörde, der die Anwendung aller Rechtsvorschriften
oder eines Teils hiervon obliegt. Demnach kann allein aus der privatrechtlichen Trägerschaft der privaten Krankenkassen nicht
abgeleitet werden, dass diese nicht in die soziale Sicherung einbezogen sind (vgl. dazu Eichenhofer, MedR (2010) 298, 301).
Ob die Voraussetzungen des Art. 24 der VO (EG) 883/2004 im Falle des Klägers vorliegen, hängt demnach maßgeblich davon ab,
ob die PKV als Bestandteil des deutschen Systems der sozialen Sicherheit im Sinne der VO (EG) 883/2004 anzusehen ist und die
privaten Krankenkassen damit als "Träger" im Sinne von Art. 1 lit. p) der Verordnung zu beurteilen sind, denen die Anwendung
zumindest eines Teils der in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften in Bezug auf den Leistungsbereich Krankheit obliegt
und deren selbst erlassene Regelungen Rechtsvorschriften im Sinne von Art. 1 lit. l) der Verordnung darstellen können.
Lange Zeit bestand für die deutsche - in gesetzliche und private Zweige - unterteilte Krankenversicherung weitgehendes Einverständnis,
dass die europäischen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit lediglich für die gesetzliche Krankenversicherung
bedeutsam sind. Das Europäische koordinierende Sozialrecht sollte nach dieser Auffassung für die private Krankenversicherung
keinerlei Bedeutung haben (vgl. Eichenhofer, MedR (2010) 298, 299).
Mit Einführung eines verpflichtenden Krankenversicherungsschutzes für alle Einwohner im Zuge der Gesundheitsreform auf Basis
des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz) wurde das
Verhältnis von GKV und PKV allerdings neu bestimmt. Seit dem 01.01.2009 ist jede Person mit Wohnsitz im Inland verpflichtet,
krankenversichert zu sein (§ 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz - VVG). Personen, die nicht zu den in § 193 Abs. 3 Satz 2 VVG aufgeführten Personengruppen mit anderweitigem Krankenversicherungsschutz gehören, müssen bei einem in Deutschland zum Geschäftsbetrieb
zugelassenen Versicherungsunternehmen eine Krankenkostenversicherung abschließen und aufrechterhalten, die mindestens eine
Kostenerstattung für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst (§ 193 Abs. 3 Satz 1 VVG).
Parallel dazu wurden die privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet, einen Versicherungsschutz im Basistarif nach
§ 12 Abs. 1a des Versicherungsaufsichtsgesetzes - VAG - (seit 01.01.2016: nach § 152 VAG) anzubieten, der sich in Leistungsumfang wie Beitragshöhe an der gesetzlichen Krankenversicherung orientiert (§ 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG). Der Gesetzgeber hat also im Rahmen seiner Bemühungen, einen Versicherungsschutz für alle Einwohner verpflichtend einzuführen,
auch die PKV in die Pflicht genommen. Insbesondere durch die Einführung eines der GKV angeglichenen Basistarifs im Rahmen
der PKV sind wesentliche Elemente sozialer Sicherung in die private Krankenversicherung übernommen worden (Eichenhofer, a.a.O.,
S. 302).
Die PKV ist daher nach Überzeugung des Senats seit dem 01.01.2009 zumindest insoweit als ein Zweig sozialer Sicherheit im
Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung anzusehen, als mit privaten Krankenversicherungsunternehmen abgeschlossene Krankenversicherungsverträge
auch den Basiskrankenversicherungsschutz mit abdecken (vgl. Eichenhofer, a.a.O., S. 302).
Dies bedeutet für den vorliegenden Fall, dass die private Krankenversicherung des Klägers sehr wohl als Träger sozialer Sicherheit
im Sinne der VO (EG) 883/2004 anzusehen ist. Die von ihr geschuldeten Sachleistungen sind - zumindest soweit sie den Basiskrankenversicherungsschutz
abdecken - nach den in Deutschland geltenden Rechtsvorschriften (u.a. des VVG und des VAG) bzw. nach den von ihr erlassenen Satzungsbestimmungen zu erbringen. Damit hat der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf
Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats. Die Voraussetzungen für die von ihm begehrte Sachleistungsaushilfe
nach Art. 24 Abs. 1 VO (EG) 883/2004 liegen daher nicht vor.
2. Wie die Beklagte zutreffend dargelegt hat, sind vielmehr die Voraussetzungen des Art. 23 VO (EG) 883/2004 gegeben, der
folgenden Wortlaut hat:
Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten erhält, wovon einer
der Wohnmitgliedstaat ist, und die Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hat, erhält
wie auch ihre Familienangehörigen diese Sachleistungen vom Träger des Wohnorts für dessen Rechnung, als ob sie allein nach
den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats Anspruch auf Rente hätte.
So liegt es hier. Der Kläger erhält als Mehrfachrentner eine Rente nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates Deutschland
und eine Rente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates (Österreich). Er hat überdies einen Sachleistungsanspruch
nach den Rechtsvorschriften des Wohnstaates Deutschland (s. unter 1.). Dies hat nach Art. 23 VO (EG) 883/2004 zur Folge, dass
er keinen Sachleistungsanspruch nach österreichischem Recht hat. Der zuständige Träger im Wohnmitgliedstaat Deutschland ist
vielmehr kollisionsrechtlich ausschließlich (endgültig) leistungszuständig und kostentragungspflichtig.
Soweit die Klägerseite dagegen eingewandt hat, dass im Falle des Klägers Art. 23 VO (EG) 883/2004 wegen der Regelung des Art.
14 Abs. 2 der VO nicht anwendbar sei, geht dieser Hinweis fehl.
Die Vorschrift des Art. 14 Abs. 2 Satz 1 der VO, nach der eine Person, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates
der Pflichtversicherung in diesem Mitgliedstaat unterliegt, in einem anderen Mitgliedstaat keiner freiwilligen Versicherung
oder freiwilligen Weiterversicherung unterliegen darf, greift schon deshalb nicht, weil der Kläger nicht in Österreich wohnt,
daher grundsätzlich nicht den österreichischen Rechtsvorschriften unterliegt (Art. 11 Abs. 1 und Abs. 3 lit. e) VO (EG) 883/2004)
und daher nur nach den Regelungen des europäischen Koordinationsrechts der Sozialsysteme (ausnahmsweise) der österreichischen
Pflichtversicherung unterliegen könnte. Letzteres ist nicht der Fall, weil die Voraussetzungen des Art. 24 Abs. 1 der VO nicht
gegeben sind (s. unter 1.)
Außerdem handelt es sich bei seiner privaten Krankenversicherung in Deutschland - wie dargelegt - zumindest insoweit nicht
um eine freiwillige Versicherung, als der in Deutschland lebende Kläger nach § 193 Abs. 3 Satz 1 VVG verpflichtet ist, eine Krankenkostenversicherung abzuschließen und aufrechtzuerhalten, die mindestens eine Kostenerstattung
für ambulante und stationäre Heilbehandlung umfasst (s. unter 1. b)).
Der vom SG zitierte Art. 17 VO (EG) 883/2004 ist ebenfalls nicht einschlägig, da Deutschland nach den oben dargelegten Ausführungen zuständiger Mitgliedstaat
ist und der Kläger damit nicht in einem anderen als dem zuständigen Mitgliedstaat wohnt.
Auch der vom SG in Bezug genommene Art. 5b) VO (EG) 883/2004 greift nicht. Die Vorschrift hat folgenden Wortlaut:
"Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen,
so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse,
als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären".
Die Vorschrift wendet sich an den zuständigen Mitgliedstaat bzw. an dessen zuständigen Träger und betrifft die Anwendung des
eigenen mitgliedstaatlichen Rechts. Der in Art. 5 der VO verankerte Grundsatz der Tatbestandsgleichstellung erstreckt sich
nicht auf das Kollisionsrecht und soll auch keine kollisionsrechtlichen Wirkungen entfalten. Seine Anwendung darf nicht dazu
führen, dass kollisionsrechtliche Zuständigkeiten geändert werden (vgl. Erwägungsgrund Nr. 11; Schuler in: Fuchs, Europ. Sozialrecht,
Art. 5 Rn. 4).
Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 erstreckt das Gleichstellungsgebot auf alle Sachverhalte und Ereignisse, deren Erfüllung von Normen
des inländischen Sozialrechts vorausgesetzt werden (Schuler, a.a.O., Rn 11). Im vorliegenden Fall steht jedoch nicht die Frage
inmitten, ob die Tatbestandsvoraussetzungen einer deutschen Rechtsvorschrift gegeben sind und in diesem Rahmen ein Sachverhalt,
der sich in Österreich zugetragen hat, zu berücksichtigen ist. Streitig ist vielmehr, ob der Kläger nach den kollisionsrechtlichen
Bestimmungen Anspruch auf Sachleistungsaushilfe zu Lasten eines österreichischen Trägers hat. Damit ist der Anwendungsbereich
des Art. 5 b) VO (EG) 883/2004 nicht eröffnet.
Im Übrigen führte der Bezug der österreichischen Rentewie dargelegt - keineswegs dazu, dass der Kläger pflichtversichertes
Mitglied der C. geworden ist. Damit fehlt es überdies - ungeachtet der fehlenden Anwendbarkeit des Art. 5 b) VO (EG) 883/2004
- an einem Sachverhalt in Österreich, der vom Träger der deutschen Krankenkasse zu berücksichtigen wäre.
Die Berufung hat daher in vollem Umfang Erfolg.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).