Anspruch auf Kurzarbeitergeld; unvermeidbarer Arbeitsausfall bei der Erkrankung des Inhabers einer Vertragsarztpraxis
Tatbestand:
Streitig ist Kurzarbeitergeld.
Die Klägerin ist als Ärztin für Psychotherapie/Psychoanalyse Inhaberin einer vertragsärztlichen Praxis in A-Stadt mit einer
Angestellten. Wegen Erkrankung der Ärztin seit April 2002 verringerte sich die Arbeitszeit von 40 auf acht Stunden wöchentlich.
Am 16.01.2003 zeigte sie der Beklagten diese Herabsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit an.
Mit Bescheid vom 24.01.2003 lehnte die Beklagte Kurzarbeitergeld ab; der Arbeitsausfall beruhe nicht auf wirtschaftlichen
Ursachen oder einem unabwendbaren Ereignis, das vorübergehend und unvermeidbar ist. Die Erkrankung der Arbeitgeberin sei kein
unabwendbares Ereignis.
Die Beklagte wies den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem sich die Klägerin auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom
21.02.1991 berief, mit Widerspruchsbescheid vom 25.02.2003 zurück. Ein unabwendbares Ereignis im Sinne der anzuwendenden gesetzlichen
Regelung sei ein Ereignis, das unter den gegebenen, nach der Besonderheit des Falles zu berücksichtigenden Umständen auch
durch die äußerste, diesen Umständen angemessene und vernünftigerweise zu erwartenden Sorgfalt weder abzuwehren noch in seinen
schädlichen Folgen zu vermeiden war. Während der langen Krankheitsphase wäre es der Klägerin zumutbar gewesen, eine andere
Person als vollwertige Vertretungskraft einzustellen, so dass der Praxisbetrieb hätte aufrecht erhalten werden können.
Die Klägerin hat hiergegen am 20.03.2003 beim Sozialgericht Augsburg (SG) Klage auf Zahlung von Kurzarbeitergeld für ihre Arbeitnehmerin von Januar bis März 2003 erhoben. Auf ihre Anzeige der Kurzarbeit
für April bis einschließlich Mai 2003 hat die Beklagte am 11.06.2003 die Leistung mit der Begründung abgelehnt, Kurzarbeitergeld
werde erst von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Anzeige über den Arbeitsausfall eingegangen ist. Auch auf die Anzeige
vom 03.07.2003 über den Arbeitsausfall für den Monat Juni 2003 hat die Beklagte am 07.07.2003 einen ablehnenden Bescheid mit
der gleichen Begründung erlassen. Hiergegen hat die Klägerin jeweils Widerspruch eingelegt und mit Schriftsatz vom 24.07.2003
die Klage auch auf die Bescheide vom 11.06.2003 und 07.07.2003 erweitert.
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 03.03.2005 die Klage abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin vom 07.04.2005, mit der sie insbesondere geltend macht, ihre Krankheit sei
ein unabwendbares Ereignis, wie sich aus der Entscheidung des BSG vom 21.02.1991 ergebe. Sie könne nicht darauf verwiesen
werden, eine vollwertige Vertretungskraft einzustellen. Dies wäre für sie wirtschaftlich nicht zumutbar gewesen. Ihre Tätigkeit
in der Praxis sei aufgrund der besonderen Verhältnisse zu den behandelnden Patienten unabdingbar.
Sie beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Augsburg vom 03.03.2005 sowie unter Aufhebung des Bescheids
vom 24.01.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.02.2003 und der Bescheide vom 11.06.2003 und 07.07.2003 zu verurteilen,
Kurzarbeitergeld für die Monate Januar 2003 bis Juni 2003 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Eine telefonische Nachfrage habe ergeben, dass die Sprechstundenhilfe den Telefondienst aufrecht erhalten hat. Die Patienten
seien an eine Vertretung weitergeschickt worden. Das von der Klägerin genannte Urteil des BSG spreche nicht für, sondern gegen
die Auffassung der Klägerin. Ein Betriebsinhaber müsse danach mit Beginn der Kurzarbeit eine andere Person mit der Wahrnehmung
der betrieblichen Leitungsfunktion betrauen, um so Kurzarbeit zu vermeiden. Die Klägerin hätte also einen Praxisvertreter
für die Dauer der Erkrankung einstellen müssen.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten des SG und der Beklagten sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 Euro.
Die Berufung ist unbegründet.
Ein Anspruch auf Kurzarbeitergeld für die Arbeitnehmerin der Klägerin in der Zeit von Januar 2003 bis Juli 2003 besteht nicht.
Denn es fehlt an einem erheblichen Arbeitsausfall i. S. d. §
170 Abs.
1 bis 4
Sozialgesetzbuch III (
SGB III).
Nach §
169 SGB III haben Arbeitnehmer Anspruch auf Kurzarbeitergeld, wenn 1. ein erheblicher Arbeitsausfall mit Entgeltausfall vorliegt, 2.
die betrieblichen Voraussetzungen erfüllt sind, 3. die persönlichen Voraussetzungen erfüllt sind und 4. der Arbeitsausfall
dem Arbeitsamt angezeigt worden ist. Ein Arbeitsausfall ist erheblich (§
170 Abs.
1 SGB III), wenn 1. er auf wirtschaftlichen Gründen oder einem unabwendbaren Ereignis beruht, 2. er vorübergehend ist, 3. er nicht
vermeidbar ist und 4. im jeweiligen Kalendermonat (Anspruchszeitraum) mindestens ein Drittel der den Betrieb beschäftigten
Arbeitnehmer von einem Entgeltausfall von jeweils mehr als 10 % ihres monatlichen Bruttoentgelts betroffen ist. Der Arbeitsausfall
beruht auch auf wirtschaftlichen Gründen, wenn er durch eine Veränderung der betrieblichen Strukturen verursacht wird, die
durch die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung bedingt ist (§
170 Abs.
2 SGB III). Ein unabwendbares Ereignis ist gemäß §
170 Abs.
3 SGB III insbesondere gegeben, wenn ein Arbeitsausfall auf ungewöhnliche, dem üblichen Witterungsverlauf nicht entsprechende Witterungsgründe
zurückzuführen ist. Ein unabwendbares Ereignis liegt auch vor, wenn ein Arbeitsausfall durch behördliche oder behördlich anerkannte
Maßnahmen verursacht ist, die vom Arbeitgeber nicht zu vertreten sind. §
171 Abs.
4 Satz 2
SGB III enthält eine Aufzählung der ausgeschlossen Ursachen.
Normzweck des Kurzarbeitergelds ist der teilweise Ausgleich des Arbeitsentgeltausfalls bei wirksamer Anordnung von Kurzarbeit.
Es handelt sich hierbei um eine Lohnausfallvergütung für das wegen des Arbeitsausfalls entfallende Arbeitsentgelt, da es in
der Regel neben dem im Betrieb noch tatsächlich zu zahlenden Arbeitsentgelt gewährt wird und sich seine Bemessung nicht nach
dem vor Einführung der Kurzarbeit erzielten Arbeitsentgelt, sondern nach dem wegen der Kurzarbeit im Kalendermonat aktuell
ausgefallenen Arbeitsentgelt richtet (Krodel in Niesel,
SGB III, 4. Aufl., §
169, Rdnrn. 2, 4).
Die Verringerung der Arbeitszeit in der klägerischen Praxis beruht nicht auf wirtschaftlichen Gründen. Hierunter fallen nur
solche allgemeinen Ursachen, die von außen auf den Betrieb einwirken, auf deren Eintritt der Betrieb bzw. die für ihn verantwortlich
Handelnden keinen Einfluss haben. Der Begriff der wirtschaftlichen Ursachen schließt alle Arbeitsausfälle ein, die sich auf
die Gesamtheit der laufenden Produktions- und Konjunkturvorgänge, aus den Veränderungen des Wirtschaftskreislaufs und damit
aus der Teilnahme des Betriebs am Wirtschaftsleben ergeben. Anknüpfungspunkt für die Bestimmung einer wirtschaftlichen Ursache
ist nach dem Wortlaut der Vorschrift die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Dies sind insbesondere konjunkturelle und
strukturelle Störungen der Gesamtwirtschaftslage, wie z. B. Arbeitsmangel wegen Konjunkturschwankungen (Rezession, sinkende
Absatzmöglichkeiten), ferner Mangel an Rohstoffen, Kapital, Transportmöglichkeiten (Krodel, aaO., § 170, Rdnrn. 16, 17 mit
Nachweisen der Rechtsprechung des BSG). Damit sind Unglücksfälle, Unfälle und andere unabwendbare Ereignisse keine wirtschaftlichen
Ursachen in diesem Sinne (BSG vom 15.12.2005, BSGE 96,14 ff.).
Nach §
170 Abs.
3 SGB III ist eine andere Voraussetzung für den maßgeblichen Arbeitsausfall ein unabwendbares Ereignis. Auch hier muss es sich um von
außen auf den Betrieb einwirkende, als solche vom Betrieb nicht abzuwendende Umstände handeln. Gemeint ist ein objektiv feststellbares
Ereignis, das auch durch die äußerste, nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt für den vom Arbeitsausfall betroffene
Betrieb, d. h. einen Arbeitgeber bzw. dessen Repräsentanten, nicht abzuwenden war. Das Ereignis muss den Betrieb unmittelbar
in seiner Möglichkeit treffen, die Arbeit der/des Arbeitnehmers anzunehmen. Hierzu gehören in erster Linie die Produktionsfähigkeit
des Betriebs einschränkende Unglücksfälle. Dies kann auch ein Krankheitsfall sein (Krodel, aaO., § 170, Rdnrn. 21, 22, 25
m. w. N. der Rechtsprechung des BSG).
Voraussetzung für ein unabwendbares Ereignis ist jedoch ferner, dass der Arbeitsausfall nicht vermeidbar gewesen ist (§
170 Abs.
1 Nr.
3, Abs.
4 S. 1
SGB III). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall. Unvermeidbar ist ein Arbeitsausfall nur, wenn im Betrieb alle zumutbaren Vorkehrungen
getroffen wurden, um den Eintritt des Arbeitsausfalls verhindern. Es handelt sich hierbei um Mitwirkungs- und Schadensminderungsobliegenheiten,
wobei von dem objektiven Maßstab auszugehen ist, was von einem sorgfältigen Unternehmer an Vorsorgemaßnahmen und ständigen
Anpassungsmaßnahmen erwartet werden kann (BSG vom 15.12.2005, aaO.). Dies bedeutet auch, dass im Krankheitsfall des Betriebsinhabers
eine Verpflichtung zur Gegensteuerung besteht, wie z. B. durch Einstellung eines Vertreters.
Dies ergibt sich auch aus dem von den Beteiligten genannten Urteil des BSG vom 21.02.1991 zum früheren Recht des § 64 Arbeitsförderungsgesetz (DBlR 3827, AFG/§ 64). Entgegen der Klägerin kommt es jedoch darauf an, wenn ein unabwendbares Ereignis bejaht wird, ob der
Arbeitsausfall unvermeidbar gewesen ist. Dieses Merkmal besagt, dass alle Maßnahmen ergriffen werden müssen, die die Kurzarbeit
zu verhindern vermögen. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Entstehung als auch in Bezug auf das Fortbestehen des Arbeitsausfalls.
Dem Betrieb darf nicht die Verantwortung dafür abgenommen werden, dass er vor Beginn und während des Arbeitsausfalls alles
in seiner Kraft Stehende unternimmt, um den Arbeitsausfall zu vermeiden oder zu beheben. Damit ist die Möglichkeit der Gegensteuerung
vor allem seitens des Arbeitgebers gegen einen an sich zu einem Arbeitsausfall führenden Geschehensablauf angesprochen. Unterlässt
der Betriebsinhaber es also, geeignete und wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen anzuordnen und durchzuführen, die den Arbeitsausfall
mit Wahrscheinlichkeit abgewendet hätten, so entfällt die Gewährung von Kurzarbeitergeld. Dies gilt auch für den Fall der
Krankheit. Fehlt es an zumutbaren Vorkehrungen, ist der Arbeitsausfall innerbetrieblich bedingt und nicht unvermeidbar.
Die vertragsärztlichen Vorschriften sehen für einen Arbeitsausfall des zugelassenen Vertragsarztes geeignete Maßnahmen vor,
die die Klägerin aber, nach ihren eigenen Angaben, nicht durchgeführt hat. Auch wenn die (vertrags-)ärztliche Behandlung eine
persönliche Dienstleistung ist (vgl. §§
15 Abs.1, 28 Abs.1, 95 Abs.3
Sozialgesetzbuch V), sieht das Vertragsarztrecht Maßnahmen zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung für den Fall der Verhinderung
des Vertragsarztes wegen Krankheit vor. Gemäß § 32 der Zulassungsverordnung für Ärzte (Ärzte-ZV) besteht unbeschadet der Verpflichtung,
dass der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben hat, u. a. bei Krankheit die Möglichkeit
der Vertretung bis zu drei Monaten (Absatz 1 dieser Vorschrift). Aus Gründen der Sicherstellung kann der Vertragsarzt auch
einen Vertreter oder Assistenten beschäftigen, wenn dies z. B. zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung erfolgt.
§ 32 b Ärzte-ZV lässt auch die Anstellung eines ganztags beschäftigten Arztes oder zwei halbtags beschäftigter Ärzte desselben
Fachgebiets zu. Es ist nicht ersichtlich und auch von der Klägerin nicht vorgetragen worden, dass sie derartige Maßnahmen
zur Aufrechterhaltung des gesamten Praxisbetriebs ergriffen hat. Vielmehr hat sie (nach den Ermittlungen der Beklagten) ihre
Sprechstundenhilfe angewiesen, die Patienten auf die Behandlung durch einen anderen Arzt zu verweisen. Damit hat sie nicht
die von der Rechtsprechung geforderten Maßnahmen zur Gegensteuerung des Arbeitsausfalls getroffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§
183,
193 SGG. Es handelt sich hierbei um eine kostenprivilegierte Streitigkeit, weil die Klägerin als Arbeitgeberin den Sozialleistungsanspruch
ihrer Arbeitnehmerin im Wege der gesetzlichen Prozessstandschaft geltend macht (§
323 Abs.
2 Sozialgesetzbuch III).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs.
2 Nrn. 1, 2
SGG).