Weitergewährung eines Gründungszuschusses
Ermessensfehlgebrauch durch eine Abwägungsdisproportionalität
Feststellung eines unrichtigen oder unvollständigen Sachverhaltes
Tatbestand
Streitig ist die Weiterbewilligung eines Gründungszuschusses über den 23.07.2012 hinaus für die zweite Förderphase.
Der 1970 geborene Kläger ist seit 02.08.2011 als selbständiger Partner der Gesellschaft B. in A-Stadt tätig. Laut Gesellschaftsvertrag
vom 13.07.2011 ist der Gewinn der Gesellschaft zwischen den drei Partnern in Höhe von 75% entsprechend der (gleichen) Beteiligung
am Vermögen der Gesellschaft aufzuteilen, die restlichen 25% sind einvernehmlich aufzuteilen.
Am 30.06.2011 beantragte der Kläger die Gewährung eines Gründungszuschuss zur Förderung der Aufnahme seiner selbständigen
Tätigkeit ab 02.08.2011. Hierbei gab er in einer Rentabilitätsvorschau einen prognostizierten Gewinn der Gesellschaft (vor
Steuern) für das Kalenderjahr 2011 in Höhe von 7.700,- EUR und für das Kalenderjahr 2012 in Höhe von 113.231,- EUR an.
Mit Bescheid vom 29.09.2011 bewilligte die Beklagte dem Kläger zur Förderung der Aufnahme seiner selbständigen Tätigkeit für
die Zeit vom 24.10.2011 bis 23.07.2012 einen Gründungszuschuss in Höhe von monatlich 2.401,80 EUR.
Am 27.06.2012 beantragte der Kläger die Weitergewährung des Gründungszuschusses für seine selbständige Rechtsanwaltstätigkeit
für die Dauer von weiteren sechs Monaten über den 23.07.2012 hinaus. Ergänzend legte er einen Bericht zur bisherigen Tätigkeit
der Rechtsanwaltspartnerschaft vor. Der Umsatz der Kanzlei seit Dezember 2011 habe sich so entwickelt, dass ausreichende Entnahmen
für den Lebensunterhalt ohne Berücksichtigung von Steuerrückstellungen möglich gewesen seien. Für den Zeitraum Januar bis
Juni 2012 bezifferte der Kläger die Einnahmen der Kanzlei auf 143.508,99 EUR sowie die Ausgaben auf 57.212,69 EUR.
Mit Bescheid vom 12.07.2012 lehnte die Agentur für Arbeit W-Stadt den Antrag des Klägers auf Weitergewährung des Gründungszuschusses
mit Hinweis auf das ihr nach §
58 Abs.
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) eingeräumte Ermessen ab. Im Rahmen der Ermessensausübung sei bei Prüfung des beantragten weiteren Zuschusses von monatlich
300,- EUR die Eigenleistungsfähigkeit zu berücksichtigen. Die Agentur fördere Existenzgründer für weitere sechs Monate, deren
Selbständigkeit einerseits aufgrund des nachgewiesenen Gewinns tragfähig sei und die andererseits eine Förderung zur Gewährleistung
der sozialen Absicherung benötigten. Als Entscheidungsgrundlage hierfür diene der nachgewiesene Gewinn. Nach dem Antrag betrage
der Gewinn der ersten elf Monate seit Existenzgründung 106.033,74 EUR. Davon würden nach dem Gesellschaftsvertrag 75% = 79.525,31
EUR gleichmäßig auf die Partner verteilt, so dass auf den Kläger ein Gewinn von 26.508,43 EUR entfalle. Dies seien monatlich
2.409,86 EUR Gewinn. Dazu komme noch der zwischen den Gesellschaftern einvernehmlich aufzuteilende Gewinn von 26.508,43 EUR,
so dass der oben angegebene Gewinn noch um 500,- EUR bis 1.000,- EUR höher liege. Die selbständige Tätigkeit habe sich derart
gefestigt und am Markt bewährt, dass der Kläger seinen Lebensunterhalt und soziale Sicherung allein aus selbständiger Tätigkeit
bestreiten könne. Hinzu komme, dass der Kläger vom 24.10.2011 bis 23.07.2012 einen steuerfreien Gründungszuschuss von 21.616,20
EUR erhalten habe.
Hiergegen legte der Kläger mit Schriftsatz vom 31.07.2012 Widerspruch ein. Die angenommene Gewinnaufteilung sei ihm tatsächlich
nicht zugeflossen. Selbstverständlich müssten Rücklagen gebildet werden und der Gewinn sei noch zu versteuern. Er sei Alleinverdiener
mit einem fünfjährigen Kind und habe monatliche fixe Ausgaben (zuzüglich jährlich fälliger Ausgaben wie Haftpflichtversicherung,
Zusatzkrankenversicherung) von insgesamt 2.219,49 EUR. Dazu kämen allgemeine Lebenshaltungskosten für drei Personen. Damit
könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Gewinn nach Steuern den Lebensunterhalt und die soziale Sicherung übersteige.
Ferner sei bei der Ermessensentscheidung zu beachten, dass er mangels ausreichenden Vermögens für die notwendigen Investitionen
im Rahmen der Existenzgründung einen Kredit über 20.000,- EUR habe aufnehmen müssen. Auch für die Rückzahlung des Kredits
zum 30.06.2013 müssten Rücklagen gebildet werden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.08.2012 zurück. Zur Begründung nahm sie auf die im Bereich
des Arbeitsamts W-Stadt geltenden ermessenslenkenden Weisungen Bezug. Diese Weisungen gäben als Richtschnur vor, dass ein
Selbständiger, dessen Gewinn vor Steuern über 1.127,- EUR monatlich betrage, die soziale Absicherung aus eigenen finanziellen
Mitteln übernehmen könne. Der Betrag orientiere sich an dem monatlichen Durchschnittsbetrag des Arbeitslosengeldes von 827,-
EUR zuzüglich 300,- EUR für die Sozialversicherung. Dabei komme dem Gewinn in den letzten zwei Monaten des Förderzeitrahmens
besondere Bedeutung zu. In den Monaten Mai und Juni 2011 habe die Rechtsanwaltspartnerschaft einen Gewinn vor Steuern von
26.831,98 EUR erzielt, also pro Person und Monat 4.472,- EUR.
Der Betrag von 1.127,- EUR monatlich werde von dem erzielten Gewinn bei Weitem übertroffen. Es sei "nach alledem nicht ermessensfehlerhaft
oder gar ermessensmissbräuchlich" gewesen, den Antrag auf Weitergewährung des Gründungszuschusses abzulehnen.
Hiergegen hat der Kläger am 30.08.2012 Klage zum Sozialgericht München (SG) erhoben. Zur Klagebegründung hat er im Wesentlichen sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren wiederholt.
Mit Urteil vom 13.11.2013 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das SG gemäß §
136 Abs.
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf die Gründe des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2012 verwiesen. Die getroffene Ermessensentscheidung halte der gerichtlichen
Überprüfung stand. Die Beklagte habe zu Recht auf die für das Arbeitsamt W-Stadt geltenden ermessenslenkenden Weisungen bei
der Beurteilung der Eigenleistungsfähigkeit abgestellt. Es sei nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte besonders tragfähige
und eigenleistungsfähige Existenzgründungen von der Weiterförderung ausschließe.
Hiergegen hat der Kläger am 25.02.2014 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Unter Berücksichtigung seiner monatlich
festen Ausgaben in Höhe von 2219,49 EUR zuzüglich der allgemeinen Lebenshaltungskosten für drei Personen würde er bei dem
in den ermessenslenkenden Weisungen fixierten Gewinn von maximal 1127,- EUR weder seinen Lebensunterhalt bestreiten noch für
seine soziale Absicherung sorgen können. Seine Existenzgründung wäre dann nicht tragfähig, da er für seine Familie einen Antrag
auf SGB-II-Leistungen stellen müsste. Das SG habe sich in seiner Entscheidung nicht mit der Frage befasst, ob die Beklagte die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten
oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht habe. Nach
der Praxis der Arbeitsagentur W-Stadt verbleibe für die Weitergewährung des Gründungszuschusses in der zweiten Försterphase
nur ein schmaler Rahmen von 650,- EUR bis 1.127,- EUR. Befinde sich der Existenzgründer darunter, werde die Weitergewährung
als nicht tragfähig abgelehnt, befinde er sich darüber, sei sie zu tragfähig, da unterstellt werde, dass der Existenzgründer
die Leistungen nicht nötig habe und selbst für seine soziale Absicherung Sorge tragen könne.
Die Beklagte hat in ihrer Berufungserwiderung darauf hingewiesen, dass hinsichtlich der Weitergewährung des Gründungszuschusses
im Juli 2012 eine Prognose zu treffen gewesen sei, ob die voraussichtlich verfügbaren Einnahmen für eine angemessene soziale
Absicherung ausreichen würden. Hierbei seien neben der bisherigen Geschäftsentwicklung auch die Ausführungen des Klägers,
dass sich die Geschäftsentwicklung positiv fortsetzen würde, zu Grunde gelegt worden. Soweit der Kläger auf den in den ermessenslenkenden
Weisungen der Agentur für Arbeit vorgegebenen Korridor von 650,- EUR- bis 1.127,- EUR Gewinn vor Steuern abhebe, könne dies
dahinstehen, da die Einnahmen des Klägers diesen Korridor bei weitem übersteigen würden. Entscheidend seien nicht die ermessenslenkenden
Weisungen als solche, sondern allein, ob seitens der Beklagten das Ermessen zutreffend ausgeübt worden sei.
Hierzu hat der Kläger entgegnet, die Beklagte habe neben ihren internen Weisungen nicht die Besonderheiten des Einzelfalles
beachtet. Wie bereits dargelegt, habe der Kläger aus eigenen Einnahmen seine soziale Absicherung im Sommer 2012 nicht sicherstellen
können.
Anlässlich eines Erörterungstermins am 23.02.2017 hat der Kläger seinen Einkommensteuerbescheid für 2012 zur Einsicht vorgelegt.
Dort wurden für ihn als Grundlage der Besteuerung Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 61.018.- EUR sowie ein Bruttoarbeitslohn
in Höhe von 1050.- EUR festgestellt.
Auf Befragen hat der Kläger erklärt, er habe im Jahr 2012 an die Rechtsanwaltsversorgung monatlich 299,50 EUR sowie für die
private Krankenversicherung (für seine gesamte Familie) 413,13 EUR gezahlt. Es sei im Jahr 2012 keine feste Monatsentnahme
- wie im Gesellschaftsvertrag vereinbart - festgelegt worden. Vielmehr hätten die Partner einmal im Monat miteinander besprochen,
wieviel jeder habe entnehmen können.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 12.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2012 sowie unter Aufhebung des
Urteils des Sozialgerichts München vom 13.11.2013 die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag auf Weitergewährung des Gründungszuschusses
ab 23.07.2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer gerichtlichen Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Leistungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG München vom 13.11.2013 ist zulässig und
im Sinne des Antrags des Klägers auch begründet. Der Senat konnte im vorliegenden Fall gemäß §
124 Abs.
2 SGG nach Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 12.07.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2012, mit dem
die Beklagte den Antrag des Klägers vom 27.06.2012 auf Weitergewährung des Gründungszuschusses über den 23.07.2012 hinaus
abgelehnt hat. Da der Kläger den Berufungsantrag auf die Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung beschränkt hat, war
über eine eventuelle Ermessensreduzierung auf Null vorliegend nicht zu entscheiden. Maßgeblich für die Förderung der selbständigen
Tätigkeit des Klägers als Rechtsanwalt durch Weitergewährung des zuvor bereits für neun Monate bewilligten Gründungszuschusses
über den 23.07.2012 hinaus ist §
58 Abs.
2 SGB III in der Fassung des Gesetzes vom 20.07.2006 (im Folgenden: a.F.). Da der Kläger seine von der Beklagten geförderte selbständige
Tätigkeit vor der gesetzlichen Neuordnung der Regelungen zum Gründungszuschuss durch §§
93 und
94 SGB III mit Wirkung ab 01.04.2012 bereits begonnen hatte, ist gemäß §
422 Abs.
1 SGB III das im Jahr 2011 geltende Recht weiter anzuwenden. Gemäß §
58 Abs.
2 Satz 1
SGB III a.F. kann der Gründungszuschuss für weitere sechs Monate in Höhe von monatlich 300,- EUR geleistet werden, wenn die geförderte
Person ihre Geschäftstätigkeit anhand geeigneter Unterlagen darlegt. Nach Ablauf des ersten Förderzeitraumes von neun Monaten
reduziert sich die Förderung der selbständigen Tätigkeit der Leistungsempfänger daher von einer (bisher geleisteten) Sicherung
des Lebensunterhaltes auf einen reduzierten Zuschuss zur Sicherung ihrer sozialen Absicherung in Höhe von 300,- EUR monatlich.
Dem liegt die Einschätzung zu Grunde, dass sich die Existenzgründung nach der ersten Förderphase so weit gefestigt hat, dass
der Lebensunterhalt der Leistungsempfänger aus der selbständigen Tätigkeit bestritten werden kann (vergleiche Stratmann in
Niesel/Brand,
SGB III, 5. Auflage, §
58, Rdnr. 4 unter Hinweis auf BT-Drucksache 16/1696, S. 31).
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
58 Abs.
2 Satz 1
SGB III a.F. sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten seine (erfolgreiche) Geschäftstätigkeit durch
geeignete Unterlagen dargelegt. Weiterer Ausführungen dazu bedarf es nicht.
Auf der Rechtsfolgenseite steht die vom Kläger begehrte Weitergewährung des Gründungszuschusses über den 23.07.2012 gemäß
§
58 Abs.
2 Satz 1
SGB III a.F. im Ermessen der Beklagten. Der Senat kann die Entscheidung der Beklagten daher nur im Sinne einer Rechtskontrolle daraufhin
überprüfen, ob die Beklagte ihr Ermessen entsprechend den Vorgaben von §
39 Abs.
1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (
SGB I) rechtmäßig ausgeübt hat oder ob ein Ermessensfehler im Sinne von §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG vorliegt und der Kläger hierdurch beschwert ist. Er hat jedoch keine eigenen Ermessens- und Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen
(vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl, §
54 Rdnr. 28).
Aus §
39 Abs.
1 Satz 1
SGB I und §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG ergeben sich zwei Schranken der Ermessensausübung: Das Ermessen ist entsprechend dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung
auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens sind einzuhalten. Hieraus haben Rechtsprechung und Literatur verschiedene
Kategorien von Ermessensfehlern (Ermessensnichtgebrauch, Ermessensüberschreitung, Ermessensunterschreitung, Ermessensfehlgebrauch)
entwickelt, wobei die Begrifflichkeiten und Unterteilung in die einzelnen Fallgruppen z.T. nicht einheitlich vorgenommen wird
(vgl. insoweit BSG, Urt. v. 18.03.2008 - B 2 U 1/07 R -, juris Rn. 16; Keller, a.a.O., Rn. 27).
Vorliegend liegt ein Ermessensfehlgebrauch der Beklagten vor. Dieser ist u.a. dann gegeben, wenn eine Behörde die abzuwägenden
Gesichtspunkte rechtlich fehlerhaft gewichtet hat, also eine sogenannte Abwägungsdisproportionalität vorliegt. Des Weiteren
liegt ein Ermessensfehlgebrauch vor, wenn die Behörde ihrer Ermessensbetätigung einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt
zugrunde gelegt hat. Deshalb haben die Tatsacheninstanzen in tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen, ob die Behörde die Tatsachen,
die sie ihrer Ermessensentscheidung zugrunde gelegt hat, zutreffend und vollständig ermittelt hat (vgl. zum Ganzen BSG, Urt. v. 09.11.2010 - Az. B 2 U 10/10 R -, juris Rn. 15).
Nach den Feststellungen des Senats hat die Beklagte bei ihrer Ermessensentscheidung über die Weitergewährung des Gründungszuschusses
über den 23.07.2012 hinaus schematisch und pauschalisierend anhand der ermessenslenkenden Weisungen der Agentur für Arbeit
W-Stadt auf die ihrer Auffassung nach ausreichenden Gewinneinkünfte des Klägers aus seiner selbstständigen Tätigkeit abgestellt.
Zu einer rechtsfehlerfreien Ermessensausübung hätte es jedoch der umfassenden Prüfung der Besonderheiten des Einzelfalles
des Klägers bedurft (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 16.06.1999, Az. B 9 V 4/99 R; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.10.2013, Az. L 9 AL 150/12).
Die Beklagte hat ihre ablehnenden Entscheidung im Wesentlichen - quasi als "tragende Säule" - auf die ermessenslenkenden Weisungen
der Agentur für Arbeit W-Stadt gestützt, welche festlegen, dass ein Selbständiger, dessen Gewinn vor Steuern über 1.127 EUR
monatlich beträgt, die soziale Absicherung aus eigenen finanziellen Mitteln übernehmen kann. Die schematische Anknüpfung der
Beklagten an den Grenzbetrag von 1.127,- EUR monatlich - ohne ausreichende Prüfung des vorliegenden Einzelfalles - wird insbesondere
aus der Begründung der Beklagten zum Widerspruchsbescheid vom 03.08.2012 deutlich, mit der die Beklagte ihre Begründung zum
Ausgangsbescheid vom 12.07.2012 ersetzte. Nachdem die Beklagte für den Kläger für die Monate Mai und Juni 2012 einen Gewinn
vor Steuern in Höhe von 4.472,- EUR monatlich errechnete, führte sie in der Begründung ihres Widerspruchsbescheides weiter
aus: "Der Betrag i. H. v. 1.127,- EUR mtl. wird von dem erzielten Gewinn bei weitem übertroffen. Es war nach alledem nicht
ermessensfehlerhaft oder gar ermessensmissbräuchlich, den Antrag auf Weitergewährung des Gründungszuschusses abzulehnen."
Anders als in dem vom Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit Urteil vom 17.10.2013 (Az. L 9 AL 150/12) entschiedenen Verfahren fand daher im hier vorliegenden Fall offensichtlich keinerlei Einzelfallprüfung der Beklagten statt,
da die Beklagte die Ablehnung der streitigen Leistung allein mit der Überschreitung des oben genannten Grenzbetrages begründet
hat.
Der in den ermessenslenkenden Weisungen der Agentur für Arbeit festgelegte Grenzbetrag von 1.127,- EUR monatlich vor Steuern
ist jedoch nach den Feststellungen des Senats im hier zu prüfenden Einzelfall keineswegs geeignet, die Eigenleistungsfähigkeit
des Klägers für seine Aufwendungen zur sozialen Absicherung zu begründen. Dies ergibt sich bereits aus der im streitigen Zeitraum
für die Mietregion der Stadt L. maßgeblichen Höchstgrenze bezüglich angemessener Kosten für Unterkunft und Heizung gemäß §
22 SGB II und § 29 SGB XII in Höhe von ca. 600,- EUR Bruttokaltmiete für einen Drei-Personen-Haushalt. Bei der Prüfung der Eigenleistungsfähigkeit des
Klägers hätte die Beklagte zur angemessenen Prüfung der Besonderheiten des Einzelfalles des Klägers in jedem Fall die ortsüblichen
Wohnkosten sowie die Zahl der unterhaltsberechtigten Familienangehörigen des Klägers in die Ermessensausübung mit einbeziehen
müssen. Die Beklagte hätte quasi die Grenze der individuellen Eigenleistungsfähigkeit des Klägers selbst bestimmen müssen.
Da es sich bei der Eigenleistungsfähigkeit um einen Ermessensgesichtspunkt handelt, kann nicht der Senat die genannte Grenze
festlegen. Aus genau diesem Grund ist es auch nicht möglich, dass der Senat die Entscheidung der Beklagten mit der Erwägung
"hält", das maßgebende Einkommen des Klägers läge "auf jeden Fall" über der Grenze der Eigenleistungsfähigkeit. Die Beklagte
wird folglich aufgrund der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Ablehnungsbescheides (vgl. §
54 Abs.
2 Satz 2
SGG), durch den der Kläger auch beschwert ist, über den Antrag des Klägers auf Weitergewährung des Gründungszuschusses über den
23.07.2012 hinaus unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden haben. Die Berufung des Klägers gegen
das Urteil des Sozialgerichts München vom 13.11.2013 ist daher im Sinne des von ihm am 23.02.2017 gestellten Antrages begründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (vgl. §
160 Abs.
2 SGG).