Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Zusicherung der Übernahme der Kosten für eine angebotene
Wohnung
Gründe:
I. Das Begehren der Antragstellerin ist es, dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, die Übernahme
der Kosten für eine ihr angebotene Wohnung zuzusichern.
Die 1947 geborene Antragstellerin lebt von ihrem Ehemann getrennt. Seit dessen Auszug wohnt sie allein in der ehemals gemeinsamen
54 qm großen Zweizimmerwohnung in der S Straße, Seitenflügel, 3. Obergeschoss links. Auf ihr Betreiben hin und nach Einholung
einer Zusicherung seitens des Antragsgegners wurde mit Wirkung vom 1. September 2010 ein neuer Mietvertrag über die Wohnung
mit ihr als alleiniger Mieterin geschlossen. Der Mietzins beträgt 250,- € monatlich zuzüglich 75,- € Betriebskostenvorschuss
und 50,- € Heizkostenvorschuss. Dem Mietvertrag zufolge war eine Kaution in Höhe eines Betrags von 750,- € zu leisten. Unter
dem 28. März 2011 teilte die Antragstellerin erstmals mit, dass es ihr, weil sie gehbehindert sei und das Haus nicht über
einen Aufzug verfüge, immer schwerer falle, die Wohnung zu verlassen und alltägliche Dinge wie Einkäufe und Müllentsorgung
zu erledigen. Zugleich beantragte sie die Erteilung einer Zusicherung für die von ihr in Aussicht genommene, im Erdgeschoss
gelegene Zweizimmerwohnung in der R, für die laut Angebot monatlich eine Nettokaltmiete von 240,- €, eine Betriebskostenvorauszahlung
in Höhe von 60,- €, ein Heizkostenvorschuss von 65,- € und Kabelgebühren von 7,- € zu zahlen sind und eine Kaution in Höhe
von 720,- € zu leisten ist.
Mit Bescheid vom 19. April 2011 lehnte der Antragsgegner die Erteilung der Zusicherung ab und führte zur Begründung aus, die
Antragstellerin verfüge über angemessenen Wohnraum; ein Umzug sei somit nicht erforderlich. Gegen den Bescheid legte die Antragstellerin
unter dem Datum des 28. April 2011 am 10. Mai 2011 Widerspruch ein.
Am selben Tag hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Berlin um die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nachgesucht
und ein vom 4. Mai 2011 datierendes Attest ihrer behandelnden Orthopäden vorgelegt, demzufolge unter anderem ein Zustand nach
Totalendoprothese des linken Knies am 17. Juni 2008 und eine Gonarthrose rechts bestehen. Aufgrund dieser Diagnosen sei die
Gehfähigkeit eingeschränkt. Treppensteigen sei der Antragstellerin kaum möglich; aus fachärztlicher Sicht solle sie daher
in einer Wohnung im Erdgeschoss oder mit Fahrstuhl wohnen.
Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten und hat darauf hingewiesen, dass noch im Juni 2010 unter Hinweis darauf, dass ein
Umzug wegen des Gesundheitszustands der Antragstellerin unbedingt zu vermeiden sei, auf den Abschluss eines Mietvertrags für
die derzeitige Wohnung gedrängt worden sei. Aus dem eingereichten Attest ergäben sich keine gegenüber den in der Bescheinigung
vom 28. April 2010 genannten neuen Diagnosen. Zudem bedürfe die Antragstellerin keiner Zusicherung, weil die Kosten für die
derzeitige Unterkunft angemessen seien und die Kosten für die in Aussicht genommene Unterkunft unter denen der derzeit bewohnten
lägen, so dass sie auf jeden Fall zu übernehmen seien.
Das Sozialgericht Berlin hat dem Antrag mit Beschluss vom 13. Mai 2011 stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Zusicherung
habe sich im Rechtsverkehr als Instrument des Wohnungsmarktes zur Bestätigung der Zahlungssicherheit entwickelt. Ohne Zusicherung
erhielten Hilfebedürftige typischerweise keinen Wohnraum. Der Antragsgegner sei daher ungeachtet der Voraussetzungen des §
22 Abs. 4 Satz 2 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) zur Erteilung der Zusicherung verpflichtet, auch wenn der Umzug nicht
erforderlich sein sollte. Soweit die Kosten für die neue Unterkunft die bisherigen bereits angemessenen Kosten unterschritten,
sei das dem Antragsgegner grundsätzlich eingeräumte Ermessen auf Null reduziert. Schließlich sei es im vorliegenden Fall auch
gerechtfertigt, die Hauptsache vorwegzunehmen, denn anderenfalls drohe der Antragstellerin der Verlust des Zugangs zu einer
angemessenen Wohnung.
Gegen den ihm am 13. Mai 2011 per Fax und am 18. Mai 2011 durch die Post zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 23.
Mai 2011 Beschwerde eingelegt. Er wendet sich insbesondere dagegen, dass er zur Erteilung einer Zusicherung nach § 22 Abs.
4 Satz 1 SGB II auch dann verpflichtet sein soll, wenn der Umzug nicht erforderlich ist.
Die Antragstellerin hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Sie trägt ergänzend vor, sie brauche die Zusicherung
auch wegen der Kaution, die für die bisherige Wohnung geleistete stehe nicht zur Verfügung. Ohne die Zusicherung könne sie
nicht an den neuen Mietvertrag gelangen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der
beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners (Nummer der Bedarfsgemeinschaft:, 222 Blatt) verwiesen, der Gegenstand
der Beratung und Entscheidung gewesen ist.
II. Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg, sie ist zulässig und begründet.
Nach §
86 b Abs.
2 Satz 2
SGG kann das Gericht einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands im Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch)
und die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§
86 b Abs.
2 Satz 3
SGG i.V.m. §§
920 Abs.
2,
294 Zivilprozessordnung [ZPO]).
Die zu treffende Eilentscheidung kann, wie das Bundesverfassungsgericht in einer Entscheidung in Zusammenhang mit Leistungen
nach dem SGB II bzw. XII betont hat (Beschluss vom 12. Mai 2005, NVwZ 2005, S. 927 ff), sowohl auf eine Folgenabwägung (Folgen einer Stattgabe gegenüber den Folgen bei Ablehnung des Eilantrages) als auch
alternativ auf eine Überprüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache gestützt werden. Im Vordergrund steht dabei für den
Senat die Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache (Anordnungsanspruch), ergänzt um das Merkmal der Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund),
um differierende Entscheidungen im Eil- und Hauptsacheverfahren möglichst zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist das Gericht
verpflichtet, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern im Rahmen des im einstweiligen Rechtsschutzverfahren
Möglichen abschließend zu prüfen, besonders wenn das einstweilige Verfahren im Wesentlichen oder vollständig die Bedeutung
des Hauptsacheverfahrens übernimmt und einem Beteiligten eine endgültige Grundrechtsbeeinträchtigung droht, wie dies im Streit
um laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende regelmäßig der Fall ist, da der elementare Lebensbedarf für die
kaum je absehbare Dauer des Hauptsacheverfahrens bei ablehnender Entscheidung nicht gedeckt ist. Unter Beachtung der auf dem
Spiel stehenden Grundrechte dürfen dabei die Anforderungen an die Glaubhaftmachung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund
nicht überspannt werden (vgl. BVerfG, aaO.).
Hieran gemessen hat die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch noch einen Anordnungsgrund in einem die (hier faktisch
endgültige) Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Maße glaubhaft gemacht.
Die Antragstellerin hat keinen Anspruch auf den Erlass einer einstweiligen Anordnung, mit welcher der Antragsgegner verpflichtet
wird, ihr eine Zusicherung bezüglich der Erbringung von Leistungen für die Kosten der Unterkunft und Heizung bei Anmietung
der Wohnung in der R zu erteilen.
Nach § 22 Abs. 4 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) soll eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vor Abschluss
eines Vertrages über eine neue Unterkunft die Zusicherung des für die Leistungserbringung bisher örtlich zuständigen kommunalen
Trägers zu den Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Nach Satz 2 der Vorschrift ist der kommunale Träger nur zur
Zusicherung verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Die
Zusicherung ist aber keine Voraussetzung für einen Anspruch auf die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft und Heizung. Sie
hat lediglich den Zweck, über die Angemessenheit der Unterkunftskosten vor deren erstmaliger Entstehung eine Entscheidung
herbeizuführen und so zu vermeiden, dass der Hilfebedürftige infolge einer nur teilweisen Übernahme von Kosten erneut in eine
Notlage gerät (vgl. die Senatsbeschlüsse vom 26. November 2010, L 5 AS 1880/10 B ER, vom 14. Mai 2009, L 5 AS 573/09 B ER, und vom 16. Januar 2009, L 5 B 2097/08 AS ER, m.w.N., alle zitiert nach juris); eine weitergehende Bedeutung kommt ihr nicht zu. Zu Recht hat deshalb der Antragsgegner
darauf hingewiesen, dass ein Anspruch der Antragstellerin auf die Erteilung der Zusicherung nicht besteht. Angesichts des
Umstands, dass die nun als Begründung für die Erforderlichkeit des Umzugs genannten gesundheitlichen Probleme dieselben sind,
mit welchen vor nicht einmal einem Jahr die Notwendigkeit des Verbleibs in der bisherigen Wohnung begründet wurde, ist schon
die Erforderlichkeit des Umzugs zu verneinen. Im Übrigen bedarf die Antragstellerin keiner Zusicherung, weil die bei Anmietung
der in Aussicht genommenen Wohnung monatlich entstehenden Kosten geringer sind als die bislang entstandenen, bezüglich derer
die Angemessenheit völlig unstreitig ist. Soweit die Antragstellerin und auch das erstinstanzliche Gericht meinen, ein Anspruch
auf die Erteilung einer Zusicherung ergebe sich unabhängig vom Vorliegen der gesetzlich geregelten Voraussetzungen daraus,
dass der Vermieter sonst nicht bereit sei, ein Mietverhältnis mit der Antragstellerin einzugehen, ist dem entgegenzuhalten,
dass den Interessen des Vermieters unproblematisch dadurch Rechnung getragen werden kann, dass die Antragstellerin gegenüber
dem Antragsgegner in die Zahlung der Miete unmittelbar an den Vermieter einwilligt und der Antragsgegner ihr sodann bescheinigt,
dies im Falle des Abschlusses eines Mietvertrages tun zu wollen.
Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren die Übernahme der Mietkaution durch den Antragsgegner als wesentliches Anliegen
herausstellt, ist diese nicht Gegenstand einer Zusicherung nach § 22 Abs. 4 Satz 1 SGB II, sondern einer solchen nach § 22
Abs. 6 SGB II. Eine derartige Zusicherung hat die Antragstellerin nicht beantragt. Zuständig wäre auch insoweit nicht der
Antragsgegner, sondern gemäß § 22 Abs. 6 Satz 1 2. Halbsatz SGB II der am Ort der neuen Unterkunft zuständige kommunale Träger.
Im Ausgangsverfahren ist die Kaution zudem nicht streitgegenständlich gewesen. Abgesehen von der daraus folgenden Unzulässigkeit
des Begehrens der Antragstellerin ist nicht ersichtlich, dass die sich aus § 22 Abs. 6 Satz 2 SGB II ergebenden Voraussetzungen
für die nach § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II grundsätzlich darlehensweise erfolgende Übernahme der Kaution erfüllt sind. Schließlich
ist die für die bisherige Wohnung geleistete Kaution um 30,- € höher als die nun geforderte. Sollte das Geld tatsächlich nicht
zur Verfügung stehen, so dürfte der Grund dafür sein, dass der bisherige Vermieter berechtigte Ansprüche gegen die Antragstellerin
hat. Dass sich daraus - gegebenenfalls - kein Anspruch auf Übernahme der von dem neuen Vermieter verlangten Kaution durch
den Antragsgegner ableiten lässt, bedarf keiner weiteren Erläuterung.
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in der entsprechenden Anwendung von §
193 SGG. Sie trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Der bedürftigen Antragstellerin war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwalt Groß beizuordnen,
weil der Antragsgegner das Rechtsmittel eingelegt hatte (§
73a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
119 Abs.
1 Satz 2
ZPO).
Dieser Beschluss kann gemäß §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden.