Tatbestand:
Im Streit steht die Versorgung des Klägers mit dem (Fertig)Arzneimittel Fampyra ®, Wirkstoff: Fampridin (= 4-Aminopyridin).
Der 1991 geborene Kläger leidet unter anderem an einer Episodischen Ataxie Typ II und einem milden Faktor XIII-Mangel.
Bei der Episodischen Ataxie Typ II handelt es sich um eine genetisch bedingte seltene Erkrankung. Es kommt typischerweise
mehrmals täglich zu für Sekunden bis Stunden dauernden Attacken mit Schwindel sowie verwaschenem Sprechen, dem Sehen von Doppelbildern
und Gang- und Standunsicherheit.
Der Kläger beantragte - wie bereits zuvor in mehreren Fällen - am 16. Mai 2012 bei der Beklagten die Kostenübernahme für Fampyra®.
Bei seinem stationären Aufenthalt in der C vom 3. Mai 2012 bis zum 12. Mai 2012 habe ihm dieses Medikament geholfen. Die ihn
behandelnde Neurologische Hochschulambulanz der C, Zentrum für Neurologie und Psychiatrie bat ebenfalls mit Schreiben vom
30. Mai 2012 um Kostenübernahme.
Die Beklagte lehnte eine Kostenübernahme mit Bescheid vom 26. Februar 2013 ab.
Der Kläger erhob Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. August 2013 mit der Begründung zurückwies,
beim Kläger lägen die vom Bundessozialgericht (BSG) in dessen Urteil vom 19. März 2002 (B 1 KR 37/00 R) zum Off-Label-Use von Arzneimitteln aufgestellten Kriterien nicht vor. Es liege zwar eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig
beeinträchtigende Erkrankung vor und es fehlten zugelassene medikamentöse Optionen. Der bereits eingeschaltete Medizinische
Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e. V. (MDK) habe aber auf verfügbare nichtmedikamentöse Maßnahmen hingewiesen,
wie zum Beispiel Ergotherapie oder verhaltenstherapeutisch orientierte Entspannungstechniken der psychosomatischen Grundversorgung.
Auch gebe es für Fampyra® keine Phase III-Studien und keinen zu erwartenden Antrag auf Zulassung für die Indikation Ataxie
Typ II.
Der Kläger hat hiergegen am 19. August 2013 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Zur Begründung hat er auf die Schwere seiner Erkrankung hingewiesen. Er leide unter wöchentlich drei- bis viermal
auftretenden schwersten Schwindelattacken, aufgrund derer die Aufnahme einer Ausbildung gefährdet sei.
Die Beklagte hat sich auf eine ergänzend eingeholte Stellungnahme des MDK vom 5. Februar 2014 durch Frau Dr. S berufen. Unter
anderem liege eine Kontraindikation zur Behandlung mit Fampyra® vor, weil beim Kläger in der Vergangenheit Krampfanfälle aufgetreten
seien.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 15. Juli 2015 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Versorgung mit Fampyra® außerhalb
der Zulassung. Eine solche sei nämlich grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Ausnahmeempfehlung in der Arzneimittelrichtlinie
fehle. Auch die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen lägen nicht
vor. Denn es fehle jedenfalls an der erforderlichen Datenlage der begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Es müssten
Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten ließen, dass das Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden
könne. Es sei weder die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt noch lägen Ergebnisse einer kontrollierten klinischen
Prüfung der Phase III gegenüber Standard oder Placebo vor. Von den Erfordernissen könne auch nicht abgewichen werden, weil
ein so genannter Seltenheitsfall vorliege. In Anbetracht der Vielzahl vom MDK benannten kleineren Studien sei nämlich nicht
ersichtlich, dass die Krankheit so selten sei, dass sie einer systematischen Erforschung nicht zugänglich sei. Ein Seltenheitsfall
liege nur vor, wenn das Krankheitsbild aufgrund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar sei. Allein die geringe
Patientenzahl stünde einer wissenschaftlichen Erforschung nicht grundsätzlich entgegen (Bezugnahme auf BSG, Urteil vom 3. Juli 2012 - B 1 KR 25/11 R). Zuletzt könne ein Anspruch auf Versorgung trotz Off-Label-Use aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen geboten sein. Dazu
müsste der Kläger aber unter einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung leiden. Eine solche läge nur vor,
wenn sich innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums ein voraussichtlich tödlicher Krankheitsverlauf mit großer Wahrscheinlichkeit
verwirkliche. Dies sei bei der Erkrankung mit Ataxie Typ II nicht der Fall.
Hiergegen hat der Kläger am 19. August 2015 Berufung erhoben und eine Stellungnahme der C eingereicht.
Frau Dr. S hat für den MDK ergänzende sozialmedizinische Gutachten verfasst (vom 4. November 2015, vom 26. Februar 2016 sowie
vom 2. Mai 2016).
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte angefordert. Er hat weiter auf einen entsprechenden Eilantrag hin die
Beklagte mit Beschluss vom 24. November 2015 im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, ab sofort bis zum Ergehen einer
rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 30. November 2016 die Kosten für eine Versorgung
des Antragstellers mit dem Arzneimittel Fampyra® nach ärztlicher Verordnung zu übernehmen (Aktenzeichen L 1 KR 476/15 ER). Die Beklagte hat sich bereit erklärt, vorläufig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht auch ab Januar 2017 die Kosten
für die Verordnung von Fampyra® im notwendigen Umfang zu übernehmen.
Zur Berufungsbegründung hat der Kläger ausgeführt, nach Ablehnung der Kostenübernahme für Fampyra® durch das SG sei es zu einer deutlichen Zunahme der Episoden der Ataxie mit Übelkeit, Koordinationsstörungen und Fallneigungen gekommen.
Er sei über die Rettungsstelle stationär aufgenommen worden. Während der stationären Behandlung habe er Fampyra® erhalten,
so dass es zu einer Besserung gekommen sei. Es könne nicht das Ziel sein, ihn dauerhaft stationär unterzubringen. Ohne die
Behandlung drohten Exsikkose und hohe Sturzgefahren. Er versuche nunmehr zum dritten Mal, eine berufliche Ausbildung zu absolvieren.
Dies gehe nur unter der angegebenen Medikation.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Juli 2015 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Februar 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger bei ärztlicher Verordnung
mit dem Arzneimittel Fampyra® zu versorgen und die Kosten für die vorläufige Versorgung endgültig zu tragen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hat sich die MDK-Gutachten zu Eigen gemacht.
Mit Beweisanordnung vom 8. Februar 2017 hat der Senat ein neurologisches Sachverständigengutachten von dem Oberarzt Dr. med.
I W, Facharzt für Neurologie, angefordert. Der Sachverständige hat den Kläger am 13. September 2017 untersucht. In seinem
Gutachten vom 15. Oktober 2017 gelangt er zu den Diagnosen, dass der Kläger an Episodischer Ataxie Typ II, Acetazolamid (Diamox)-Unverträglichkeit,
Fieberkrämpfen im Kindesalter, kongenitale Skoliose, Morbus Basedow, einem milden Faktor XIII-Mangel leide sowie der Verdacht
auf Morbus Behçet (HLA B 51 positiv) bestehe.
Auf die im Urteil genannten ärztlichen Gutachten und Studien sowie eingeholten Befundberichte wird ergänzend Bezug genommen.
Der Verwaltungsvorgang der Beklagten lag zur mündlichen Verhandlung vor und war Gegenstand der Erörterung.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat Erfolg. Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid vom 26. Februar 2013 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 13. August 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Der Kläger hat einen
Anspruch auf Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Fampyra® nach ärztlicher Verordnung im Rahmen ambulanter Behandlung seiner
Episodischen Ataxie Typ II.
Grundsätzlich sind nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Fertigarzneimittel mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§
2 Abs.
1 Satz 3, §
12 Abs.
1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach §
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 und
3, §
31 Abs.
1 Satz 1
SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. BSG, Urteil vom 13. Dezember 2016 - B 1 KR 1/16 R - Rdnr. 11 mit Nachweisen der ständigen Rechtsprechung). Fampyra® mit dem Wirkstoff Fampridin (4-Aminopyridin) ist nur zugelassen
zur Verbesserung der Gehfähigkeit von erwachsenen Patienten mit MS, nicht hingegen zur Behandlung der episodischen Ataxie
II.
Der Kläger kann die Versorgung jedoch im Rahmen eines Off-Label-Uses verlangen.
Zwar handelt es sich bei der Therapie mit Fampyra® nicht um einen durch §
35 c Abs.
1 SGB V sowie den Regelungen in Abschnitt K und Anlage VI der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) über die Verordnung
von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Arzneimittelrichtlinie-AM-RL - vom 12. Dezember 2008/22. Januar 2009,
BAnz 2009, Nr. 49 a, zuletzt geändert am 15. Februar 2018, B 1 AT 08.03.2018 B 2) gedeckten Off-Label-Use. Fampridin ist in
dieser Anlage nicht aufgelistet. Auch die Voraussetzungen des §
35 c Abs.
2 SGB V sind nicht erfüllt. Der Kläger nahm und nimmt nicht an einer klinischen Studie nach den dort geregelten Maßgaben teil.
Ein Off-Label-Use ist hier aber ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zu leisten, weil es im Einzelfalle
des Klägers um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung geht, keine andere Therapie verfügbar ist und aufgrund der
Datenlage zum Zeitpunkt der Behandlung Gründe für die Aussicht bestanden haben und bestehen, dass mit dem Wirkstoff ein kurativer
Behandlungserfolg erzielt werden kann (vgl. zu den Anforderungen BSG, a.a.O. Rdnr. 15).
Der Kläger leidet an einer schwerwiegenden, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung. Dieser
Umstand steht zwischen den Beteiligten außer Streit. Auch die Sachverständige des MDK bezeichnet dies als unstrittig (sozialmedizinisches
Gutachten vom 26. Februar 2016 S. 27). Die Aussagen des gerichtlichen Sachverständigen zusammenfassend ist die Gehfähigkeit
beim Kläger aufgrund der selten vorkommenden Erbkrankheit der Episodischen Ataxie II deutlich eingeschränkt. Hinzu kommen
nach den Feststellungen des Gerichtssachverständigen Dr. Schwindelattacken, während deren das Gehen unmöglich ist, sowie beim
Kläger auch eine verwaschene Sprache (Dysarthrie). Als Behandlung existieren bislang nur pragmatische Therapieansätze. Fampyridin
ist für die Behandlung der Gangunsicherheit erwachsener an multipler Sklerose erkrankter Patienten zugelassen. Ein ähnlicher
Effekt werde nach den Angaben des Sachverständigen auch bei der Gangunsicherheit von an Episodischer Ataxie Typ II erkrankter
Patienten angenommen und beobachtet.
Es liegen auch Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder
Placebo) vor. Mittlerweile ist die bereits im vorgenannten MDK-Gutachten erwähnte Phase-III-Studie "Pharmakologische Therapie
der Episodischen Ataxie Typ II: placebokontrollierter Vergleich der Wirksamkeit von retardiertem 4-Aminopyridin (Fampyra ®)
und Acetazolamid (Acemit ®)" vom 5. Oktober 2017 veröffentlicht und vom Senat in das Verfahren eingeführt worden. Dabei wurde
als Hauptindikator für den Wirksamkeitsnachweis die Anzahl der Attacken mit Schwindel und Gangunsicherheit innerhalb der letzten
30 Tage unter einer 12-wöchigen Behandlung untersucht. Im Ergebnisbericht heißt es, dass sowohl Acemit ® 750 mg pro Tag als
auch Fampyra ® 20 mg pro Tag einen deutlichen Effekt bei der Reduktion der Attackenzahl bei Patienten mit Episodischer Ataxie
Typ II im Vergleich zu Placebo zeigten. Die Attackenzahl wurde mit Fampyra® auf 63 Prozent gesenkt. Bei der Untersuchung traten
keine unerwarteten schwerwiegenden Nebenwirkungen auf. Diese Ergebnisse decken sich mit den Erfahrungen der Ärzte des Klägers
bei dessen Behandlung. Dieser hat dem Sachverständige Dr. W gegenüber erklärt, dass sich die Zahl der Schwindelattacken bei
ihm mehr als halbiert hätten.
Eine andere Therapie ist nicht vorhanden: Wie Dr. W in seinem Gutachten aus Sicht des Senats widerspruchsfrei und überzeugend
ausgeführt hat, kommt eine alternative Behandlung (ebenfalls im Off-Label-Use) mit Arzneimittel mit dem Wirkstoff Acetazolamid
nicht in Betracht, weil beim Kläger eine Unverträglichkeit aufgetreten ist. Soweit der MDK den Kläger auf Ergotherapie und
eine psychotherapeutische Behandlung verweist, steht nicht die Therapie der Ataxie im Raum, sondern lediglich das Bemühen
um eine Linderung der Symptome. Da die Zahl der Attacken nur vermindert wird und weiterhin auch die Sprache betroffen ist,
sind diese nichtmedikamentösen Behandlungen zusätzlich vonnöten.
Eine Kontraindikation für den Einsatz von Fampyra® liegt nicht vor: Eine solche stellen nach der Fachinformation für das Arzneimittel
als auch als Ausschlussgrund der genannten Phase III-Studie Krampfanfälle dar. Die Fachinformation im Anwendungsgebiet des
Arzneimittels zur Verbesserung der Gehfähigkeit von erwachsenen Patienten mit MS nennt als Gegenanzeige "Patienten mit Krampfanfällen
in der Vorgeschichte oder Patienten, die gegenwärtig an Krampfanfällen leiden". Bei der Studie waren Patienten mit "Epileptischem
Anfall aktuell oder in der Vergangenheit" ausgeschlossen. Der Sachverständige Dr. W führt hierzu aus, dass die in der Krankenvorgeschichte
beim Kläger beschriebenen Anfälle von der Gutachterin des MDK Dr. S und den behandelnden Ärzten in der C unterschiedlich bewertet
würden. Im Arztbericht vom April 1996 seien bis zu diesem Zeitpunkt acht epileptische Anfälle im Zusammenhang mit Fieber dokumentiert,
erstmals im Alter von vier Monaten. Diese seien nur im Zusammenhang mit Fieber aufgetreten. Fieber sei zwar als Auslöser von
Anfällen bei einer Epilepsie denkbar, jedoch seien diese beim Vorliegen einer Epilepsie auch ohne den Trigger Fieber zu erwarten.
Anfälle ohne Fieber seien beim Kläger jedoch nicht beschrieben worden. Fieberkrämpfe fielen zwar per Definition nicht unter
eine Epilepsie, könnten aber ursächlich hiervon nicht komplett getrennt werden. Sie könnten symptomatischen und ideopathischen
Epilepsien vorausgehen, jedoch erkrankten nur etwa drei bis vier Prozent der Kinder mit Fieberkrämpfen später an einer Epilepsie.
Der Auffassung der Ärzte der C sei zu folgen, weil beim Kläger die Anfälle nur im Zusammenhang mit Fieber aufgetreten seien
und weitere Anfälle trotz fehlender antiepileptischer Therapie ausgeblieben seien. Auch der Umstand, dass der Kläger bei langjährigem
Einsatz von Fampyra®, welches aufgrund krampfschwellensenkender Eigenschaften zu Anfällen führen hätte müssen, keine epileptischen
Anfälle aufgetreten seien, spreche gegen eine Epilepsie. Der Senat diese Einschätzung für schlüssig und überzeugend.
Der Sachverständige schließt auch eine Abhängigkeit des Klägers vom Wirkstoff aus, auch wenn der emotionale Stress durch den
Rechtsstreit mit der Beklagten und die zwischenzeitliche Aussetzung zu einer deutlichen Verschlechterung der Symptome geführt
hätten.
Der Kläger hat einen Anspruch auf Versorgung nicht nur bezogen auf den Zeitpunkt ab Veröffentlichung der genannten Studie
(Oktober 2017), sondern bereits ab Antragstellung:
Im Einzelfall des Klägers ist nicht nur von einer schwerwiegenden und zudem sehr seltenen Erkrankung auszugehen. Aufgrund
der Komorbiditäten stellt in seinem Falle die Ataxie II eine lebensbedrohliche Erkrankung dar. Dies folgt aufgrund der Kumulation
der Umstände, dass der Kläger ohne die Gabe des Arzneimittels nicht nur unter Schwindelattacken, sondern auch unter Schluckunfähigkeit
gelitten hat, wodurch ohne Behandlung durch Infusionstherapie eine reale Gefahr der Exsikkose bestanden hat, und dem Umstand,
dass der Kläger neben der Episodischen Ataxie Typ II auch an einem milden Faktor XIII-Mangel leidet. Der Sachverständige hat
sich für seine Einschätzung der relevanten Gefahr einer Exsikkose mit der Auffassung der MDK-Gutachterin Dr. S auseinandergesetzt,
für die eine Exsikkose nicht darstellbar gewesen ist, weil eine vorübergehende Verschlimmerung der Häufigkeit, Schwere und
Dauer der episodischen Vorfälle unmittelbar nach Absetzen der Therapie mit Fampyra® hinreichend durch die hiermit verbundene
emotionale Anspannung und der nachvollziehbaren negativen Erwartungshaltung erklärbar sei (so genannter negativer Placebo-Effekt).
Dr. W hat in seinem Gutachten eine Abhängigkeit des Klägers vom Wirkstoff ausgeschlossen und die reale Gefahr nachvollziehbar
aus der erfolgten stationären Aufnahme bei schlechtem Allgemein- und Ernährungszustand geschlossen. Hinzu tritt die zusätzliche
Erkrankung der verminderten Blutgerinnungsfähigkeit. Der Kläger leidet an einem milden Faktor XIII-Mangel. Beim ihm fallen
traumatische Blutungen mit höchster Wahrscheinlichkeit drastischer aus als üblicherweise. Im Falle eines schweren Sturzes
infolge der Schwindelattacken und/oder der Gangunsicherheit kann es deshalb weit häufiger zu lebensbedrohlichen Blutungskomplikationen
kommen als normal.
Beim Kläger liegt aufgrund der Kombination der beiden seltenen Erkrankungen episodische Ataxie II sowie des Faktor XIII-Defizits
ein Seltenheitsfall vor, der alleine deshalb zudem einen Off-Label-Use als pragmatischem Therapieansatz geboten hat:
Bereits bei der Episodischen Ataxie II handelt es sich um eine sehr seltene Erkrankung, für die nach den Ausführungen des
Sachverständigen keine zuverlässigen Informationen zur Inzidenz und Prävalenz vorliegen. Für die Ataxie Typ II werde die Prävalenz,
also die Gesamtanzahl der Erkrankungen, auf 1:100.000 der Bevölkerung geschätzt. Diese Zahl liegt noch deutlich unter der
dem Urteil des BSG vom 13. Dezember 2016 (B 1 KR 1/16 R -Rdnr. 2, 22) zu Grunde liegenden Zahl für die Krankheit Urtikariavaskulitis. Für diese ist als jährliche Inzidenz der Grunderkrankung
SLE (systemischer Lupus erythematodes), also die Anzahl alleine der Neuerkrankungen pro Jahr, mit 25:100.000 angegeben, wovon
10%-15% eine Urtikariavaskulitis entwickelten. Die episodische Ataxie II ist zwar einer wissenschaftlichen Erforschung nicht
gänzlich entzogen, wie die mittlerweile abgeschlossene Studie zeigt. Im Einzelfall des Klägers war diesem jedoch angesichts
des Schweregrades und der Blutgerinnungskrankheit unzumutbar, sich -wie vom MDK angesonnen - mit Ergotherapie und Entspannungstechniken
zu begnügen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder 2
SGG liegen nicht vor.