Entschädigung für die unangemessene Dauer eines Gerichtsverfahrens
Abwehr einer Erstattungsforderung eines Leistungsträgers
Überlegungszeit und Bearbeitungszeit nach Einreichung von Schriftsätzen
Keine Verzinsung eines Entschädigungsanspruchs
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht P zuletzt unter dem Aktenzeichen
S 49 AS 1276/15 geführten Verfahrens. Dem abgeschlossenen Ausgangsverfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Zeitraum
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Geschehen
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01. Juli 2015
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Klage gegen einen Bescheid des Jobcenters, mit dem dieses für den Zeitraum von Februar bis Juli 2014 die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen
wegen des Bezugs von Einkommen teilweise aufgehoben und eine Erstattungsforderung in Höhe von 467,04 € geltend gemacht hat.
Eingewandt wird im Wesentlichen, dass der Forderung ein im Verfahren S 30 AS 73/15 erklärtes Anerkenntnis entgegenstehe. Zugleich Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
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22. Juli 2015
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Bestätigung des Eingangs der zunächst unter dem Aktenzeichen S 33 AS 1276/15 registrierten Klage. Aufforderung des beklagten Jobcenters zur Erwiderung binnen sechs Wochen.
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02. September 2015
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Eingang Erwiderung
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08. September 2015
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Weiterleitung an Bevollmächtigte zur Stellungnahme.
Intern Frist von sechs Wochen gesetzt.
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04. September 2015
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Eingang Verwaltungsakten
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08. September 2015
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Anforderung der Akte S 30 AS 73/15
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15. September 2015
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Eingang Stellungnahme der Bevollmächtigten
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16. September 2015
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Bewilligung von Prozesskostenhilfe
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21. September 2015
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Sache wird ins Sitzungsfach gelegt
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zum 01. April 2016
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Wechsel wohl im Kammervorsitz
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11. Mai 2016
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Erfolgloser Versuch, telefonisch mit den Bevollmächtigten einen Termin abzustimmen.
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September 2016
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Sache geht in die 49. Kammer über, Aktenzeichen jetzt: S 49 AS 1276/15
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24. April 2017
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Eingang Verzögerungsrüge
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03. Mai 2017
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Telefonischer Versuch, mit den Bevollmächtigten für den 31. Mai 2017, 13.00 Uhr einen Termin zur mündlichen Verhandlung abzustimmen.
Er ist dann verhindert.
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23. November 2017
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Eingang weiterer Verzögerungsrüge
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05. Dezember 2017
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Rechtlicher Hinweis des Gerichts; Anfrage, ob Einverständnis mit Entscheidung ohne mündliche Verhandlung besteht, Fristsetzung
zur Antwort von drei Wochen.
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02. Januar 2018
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Eingang der Erklärung des Bevollmächtigten, dass kein Einverständnis besteht.
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31. Mai 2018
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Terminierung und Ladung auf den 11. Juli 2018
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11. Juli 2018
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Termin zur mündlichen Verhandlung, Vertagung unter Auflage mit Fristsetzung von vier Wochen an den Bevollmächtigten.
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Juli bis September
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Rückforderung wohl versehentlich an das beklagte Jobcenter geschickter Verwaltungsvorgänge.
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13. September 2018
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Eingang Stellungnahme des Bevollmächtigten, zugleich Anfrage bzgl. Offenlegung u.a. der Freibeträge.
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17. September 2018
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Weiterleitung an das beklagte Jobcenter zur Stellungnahme
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22. Oktober 2018
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Erinnerung des damaligen Beklagten
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07. November 2018
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Eingang der Verwaltungsakten, Bitte um Fristverlängerung bzgl. Berechnung der Freibeträge.
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12. Dezember 2018
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Erinnerung des beklagten Jobcenters, Zwischennachricht an Bevollmächtigte.
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09. Januar 2019 verf.
14. Februar 2019 gef.
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Erneute Erinnerung des damaligen Beklagten unter Fristsetzung von zwei Wochen.
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15. Februar 2019
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Terminierung und Ladung auf den 27. März 2019
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21. März 2019
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Eingang der Berechnungen, Weiterleitung an Bevollmächtigte
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26. März 2019
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Klagerücknahme
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Am 10. Juli 2019 stellte die Klägerin beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg einen isolierten Antrag auf Bewilligung
von Prozesskostenhilfe, legte einen Klageentwurf vor, der auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 2.000,00
EUR wegen überlanger Dauer des zuletzt unter dem Aktenzeichen S 49 AS 1276/15 geführten Verfahrens zzgl. 255,85 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem
jeweiligen Basiszinssatz gerichtet war, und machte zugleich den Anspruch als außergerichtliche Entschädigung gegenüber dem
potentiellen Beklagten geltend. Letzterer lehnte unter dem 23. August 2019 außerprozessual die Gewährung einer Entschädigung
ab.
Nachdem der Senat der Klägerin mit Beschluss vom 17. Januar 2020 für eine beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe bewilligt
hatte, soweit diese auf Entschädigung in Höhe von insgesamt 1.701,71 EUR gerichtet ist, hat die Klägerin mit dem Beklagten
am 03. Februar 2020 zugestellter Klage vom 27. Januar 2020 die Gewährung einer Entschädigung in Höhe von mindestens 1.500,00
EUR zzgl. Anwaltskosten in Höhe von 201,71 EUR für die außergerichtliche Geltendmachung, jeweils zzgl. 5 % Zinsen über dem
jeweiligen Basiszinssatz gefordert.
Zur Begründung hat sie unter Bezugnahme auf den Prozesskostenhilfe bewilligenden Beschluss des Senats ausgeführt, dass das
eine durchschnittliche Schwierigkeit und Komplexität aufweisende Ausgangsverfahren jedenfalls in den Monaten von Oktober 2015
bis April 2016, Juni 2016 bis April 2017, Juni 2017 bis November 2017 und Februar 2018 bis April 2018, mithin in mindestens
27 Kalendermonaten nicht betrieben worden sei. Der Beklagte habe sie für die Zeit, die über die hinzunehmende Vorbereitungs-
und Bedenkzeit von zwölf Monaten hinausgehe, mit 100,00 EUR im Monat zu entschädigen. Darüber hinaus habe der Beklagte sie
von den für die außergerichtliche Geltendmachung des Entschädigungsanspruches angefallenen Rechtsanwaltskosten in der geltend
gemachten Höhe freizustellen. Die Anwaltskosten seien als adäquate Folge der unangemessenen Verfahrensdauer vom Beklagten
zu ersetzen.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, ihr wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht P zuletzt unter dem Aktenzeichen S 49 AS 1276/15 geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von mindestens 1.500,00 EUR zzgl. 201,71 EUR außergerichtliche Rechtsanwaltskosten,
jeweils zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 03. Februar 2020 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, dass es im streitgegenständlichen Verfahren zwar tatsächlich im Umfang von 24 Kalendermonaten (November 2015 bis
April 2016, Juni 2016 bis August 2016, Oktober 2016 bis April 2017, Juni 2017 bis Oktober 2017 und Februar 2018 bis April
2018) zu gerichtlicher Inaktivität gekommen sei. Dies rechtfertige jedoch nicht die Gewährung einer Entschädigung, da das
Ausgangsverfahren für die Klägerin von unterdurchschnittlicher Bedeutung gewesen sei. Sofern - wie hier - im Mittelpunkt eines
Verfahrens die Abwehr von Erstattungsforderungen eines Leistungsträgers stehe, könne in der Regel davon ausgegangen werden,
dass der Betroffene kein besonderes Interesse an einer raschen gerichtlichen Entscheidung habe, wenn seine Klage aufschiebende
Wirkung habe (Verweis auf: Sächsisches LSG, Urteil vom 12.07.2016 - L 11 SF 50/15 EK - juris, Rn. 32). Vor dem Hintergrund des Suspensiveffekts der Klage und des damit vorläufigen Erreichens des Klageziels
allein mit der Klageerhebung sei kein Interesse der Klägerin an einer raschen Entscheidung erkennbar, sodass die den Gerichten
zustehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten je Instanz mindestens zu verdoppeln sei. Eine Entschädigung stehe
der Klägerin daher nicht zu.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze
nebst Anlagen, den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte und auf die Akten des Ausgangsverfahrens verwiesen, die dem Senat vorgelegen
haben und Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der nach §
201 Abs.
1 des
Gerichtsverfassungsgesetzes (
GVG) sowie §
202 Satz 2 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG), jeweils in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
(GRüGV) vom 24. November 2011 (BGBl. I, S. 2302) und des Gesetzes über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer
gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 06. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2554) für die Entscheidung über die Entschädigungsklage zuständige Senat konnte über diese nach §
201 Abs.
2 Satz 1
GVG i.V.m. §§
202 Satz 2,
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheiden, nachdem die Beteiligten hierzu unter dem 30. April bzw. 05. Mai 2020 ihr Einverständnis
erteilt hatten.
A. Die als allgemeine Leistungsklage statthafte, auf Gewährung einer Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht
P zuletzt unter dem Aktenzeichen S 49 AS 1276/15 geführten Verfahrens gerichtete Klage ist zulässig. Insbesondere bestehen weder an der Wahrung der gemäß §
90 SGG für die Klage vorgeschriebenen Schriftform noch an der Einhaltung der nach §
198 Abs.
5 Satz 2
GVG zu wahrenden Klagefrist von sechs Monaten nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder
einer anderen Erledigung des Verfahrens Zweifel. Denn nachdem das streitgegenständliche Ausgangsverfahren am 26. März 2019
durch Klagerücknahme geendet hatte, hat die Klägerin am 10. Juli 2019 beim Landessozialgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe
in Vorbereitung einer Entschädigungsklage gestellt und nach entsprechender Bewilligung durch Beschluss des Senats vom 17.
Januar 2020 am 27. Januar 2020 Klage erhoben, die dem Beklagten am 03. Februar 2020 zugestellt wurde.
B. Die sich unter Berücksichtigung des §
200 Satz 1
GVG zu Recht gegen das hier passivlegitimierte Land Brandenburg richtende Entschädigungsklage ist auch begründet.
I. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung sowohl wegen des erlittenen immateriellen Nachteils als auch
zum Ausgleich des ihr entstandenen Vermögensschadens.
Nach §
198 Abs.
1 Satz 1
GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil
erleidet. Für einen Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach
den Umständen des Einzelfalls Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Abs.
4 GVG ausreichend ist (§
198 Abs.
2 S. 2
GVG). Eine Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur dann, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer
des Verfahrens gerügt hat (§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin hat erstmals am 24. April 2017 nach damals etwa 21monatiger Verfahrensdauer
Verzögerungsrüge erhoben. Ob dies möglicherweise verfrüht war, kann hier dahinstehen. Denn dies würde jedenfalls nicht mehr
für die weitere am 23. November 2017 erhobene Verzögerungsrüge gelten. Gegen das Vorliegen zumindest einer ordnungsgemäßen
Verzögerungsrüge spricht auch nicht, dass das Sozialgericht telefonisch - erfolglos - versucht hatte, mit den Bevollmächtigten
Termine abzusprechen und die Verzögerungsrügen erst danach erfolgten. Zwar hatte das Gericht damit gezeigt, aktiv werden zu
wollen. Es waren nach den Versuchen jedoch jeweils wieder mehrere Monate vergangen, ohne dass dem Verfahren Fortgang gewährt
worden wäre. So stammte der erste Versuch vom 11. Mai 2016, die Verzögerungsrüge folgte am 24. April 2017. Zwischen dem zweiten
- erfolglosen - Versuch vom 03. Mai 2017 bis zur nächsten Verzögerungsrüge vergingen dann wieder mehr als sechs Monate.
Auch weist das sich ab Klageerhebung am 01. Juli 2015 bis zur Erledigung durch Rücknahme am 26. März 2019 über drei Jahre
und acht Monate hinziehende Verfahren eine unangemessene Dauer auf.
Gemäß §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG kommt es für die Beurteilung der Verfahrensdauer auf die Umstände des Einzelfalls, insbesondere das Verhalten der Verfahrensbeteiligten
und Dritten sowie die Schwierigkeit, Komplexität und Bedeutung des Verfahrens an, wobei nicht nur die Bedeutung für den auf
Entschädigung klagenden Verfahrensbeteiligten aus der Sicht eines verständigen Betroffenen von Belang ist, sondern auch die
Bedeutung für die Allgemeinheit.
1. Das Ausgangsverfahren, in dem sich die Klägerin gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld II und die Geltendmachung
einer Erstattungsforderung in Höhe von 467,04 EUR wandte, war von durchschnittlicher Schwierigkeit und Komplexität. Ebenso
ist zur Überzeugung des Senats die Bedeutung des Verfahrens als durchschnittlich einzustufen.
Die Bedeutung des Verfahrens ergibt sich zum einen aus der allgemeinen Tragweite der Entscheidung für die materiellen und
ideellen Interessen der Beteiligten. Zum anderen trägt zur Bedeutung der Sache im Sinne des §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Kontext des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz maßgeblich das Interesse des Betroffenen gerade an einer raschen Entscheidung
bei. Entscheidend ist deshalb auch, ob und wie sich der Zeitablauf nachteilig auf die Verfahrensposition eines Klägers und
das geltend gemachte materielle Recht sowie möglicherweise auf die weiteren geschützten Interessen auswirkt (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 -, Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R -, Rn. 31, - B 10 ÜG 12/13 R -, Rn. 35, - B 10 ÜG 2/14
R -, Rn. 38, vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 7/14 R -, Rn. 30 sowie vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R -, Rn. 34, jeweils zitiert nach
juris).
Soweit der Beklagte meint, die Bedeutung des Verfahrens sei unterdurchschnittlich gewesen, da im Mittelpunkt die Abwehr einer
Erstattungsforderung eines Leistungsträgers gestanden habe und daher davon auszugehen sei, dass die Klägerin kein Interesse
an einer raschen gerichtlichen Entscheidung gehabt, sie vielmehr angesichts des Suspensiveffekts ihrer Klage mit deren Erhebung
ihr Ziel bereits vorläufig erreicht gehabt habe, folgt der Senat ihm nicht.
Zwar trifft es zu, dass in Verfahren, die streitige Aufhebungs- und Erstattungsbescheide zum Gegenstand haben, Kläger oftmals
durchaus Interesse an einer längeren Verfahrensdauer haben, weil sie dies (zunächst) von der anstehenden oder zumindest drohenden
Rückzahlung bereits erhaltener Leistungen befreit (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 3/16 R -, Rn. 26, LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.04.2018 - L 37 SF 38/17 EK AS -, Rn. 46, zitiert jeweils nach juris). Dies rechtfertigt es zur Überzeugung des Senats jedoch nicht, Klagen, die -
sei es im Zusammenhang mit Aufhebungs- oder Rücknahmeentscheidungen, sei es im Rahmen endgültiger Leistungsfestsetzungen -
im Wesentlichen Erstattungsforderungen zum Gegenstand haben, pauschal als unterdurchschnittlich bedeutsam einzustufen. Denn
auch der Suspensiveffekt einer Klage vermag an der Ungewissheit, ob die Forderung berechtigterweise durch die Behörde geltend
gemacht worden ist, nichts zu ändern; das Damoklesschwert der möglicherweise gebotenen Rückzahlung eines erheblichen Betrages
schwebt damit auch während eines anhängigen Klageverfahrens über einem Kläger. Bei vernünftig Handelnden dürfte dies mit dem
Bestreben einhergehen, Rücklagen für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtung zu bilden, und damit andere Ausgaben zu vermeiden,
was auf die Lebensgestaltung durchaus Einfluss hat. Zur Überzeugung des Senats sind daher ergänzend jedenfalls auch die Forderungshöhe
sowie die Frage zu berücksichtigen, ob im Verfahren eine realistische Aussicht zumindest auf einen Teilerfolg bestand oder
dieses ersichtlich im Wesentlichen eingeleitet wurde, um die Rückzahlung der - eigentlich von Anfang an als berechtigt erkannten
- Forderung hinauszuzögern. Mit Blick auf die Forderungshöhe ist dabei bei Empfängern (ergänzender) Grundsicherungsleistungen
zu berücksichtigen, dass sich der objektive Umfang für diese anders darstellt. Denn existenzsichernden Leistungen ist regelmäßig
eine überdurchschnittliche Bedeutung für ihren Empfänger beizumessen (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/14 R - juris, Rn. 39), weil ggf. Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts im Existenzminimumsbereich
fehlen und durch Einsparmaßnahmen bzw. die Aufnahme privater Darlehen kompensiert werden müssen (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R -, juris, Rn. 29). Dementsprechend bereitet diesen ggf. aber auch die Rückzahlung
bereits geringerer Beträge größere Probleme.
Gemessen daran kann vorliegend nicht angenommen werden, das Verfahren sei von nur unterdurchschnittlicher Bedeutung gewesen.
Abgesehen davon, dass eine Erstattungsforderung in für einen Empfänger von Grundsicherungsleistungen durchaus substantieller
Höhe von 467,04 EUR im Raume stand, lassen sich dem Verhalten der Klägerin im Prozess keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen,
dass es ihr bei der Klageerhebung im Wesentlichen um ein Hinauszögern der Rückzahlung ging. Dagegen spricht schon, dass seitens
der Klägerin bereits im April 2017 und damit verhältnismäßig frühzeitig Verzögerungsrüge erhoben wurde. Anderes kann schließlich
auch nicht daraus folgen, dass sie die Klage letztlich zurückgenommen hat. Denn dem war zum einen die Klärung vorangegangen,
ob ein in einem anderen Verfahren abgegebenes Anerkenntnis der Forderung des damaligen Beklagten entgegenstand. Zum anderen
hatte dieser in der Zwischenzeit seine zu der Forderung führenden Berechnungen vorgelegt.
2. Für die Entscheidung, ob eine überlange Verfahrensdauer vorliegt, sind aktive und inaktive Zeiten der Bearbeitung gegenüberzustellen.
Dabei sind dem Ausgangsgericht gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeiten, die regelmäßig je Instanz zwölf Monate betragen, als
angemessen zuzugestehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte als begründet und gerechtfertigt
angesehen werden können. Angemessen bleibt die Gesamtverfahrensdauer in Hauptsacheverfahren regelmäßig zudem dann, wenn sie
den genannten Zeitraum überschreitet, aber insoweit auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung des Gerichts beruht oder
durch Verhalten des Klägers oder Dritter verursacht wird, die das Gericht nicht zu vertreten hat (BSG, Urteil vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R - juris, Rn. 33, 54 f.). Bedeutsam ist dabei zudem, dass dann keine inaktive Zeit
der Verfahrensführung vorliegt, wenn ein Kläger während Phasen (vermeintlicher) Inaktivität des Gerichts selbst durch das
Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt. Denn eingereichte Schriftsätze, die
einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und
Bearbeitungszeit beim Gericht, die mit einem Monat zu Buche schlägt (BSG, Urteil vom 03.09.2014, B 10 ÜG 12/13 R, juris, Rn. 57). Weiter ist zu beachten, dass die Übersendung eines Schriftsatzes,
z.B. eines Gutachtens, einer gutachtlichen Stellungnahme oder auch der Berufungserwiderung an die Beteiligten zur Kenntnis
stets die Möglichkeit zur Stellungnahme beinhaltet sowie die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf eine mögliche Stellungnahme
zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, grundsätzlich noch seiner Entscheidungsprärogative
unterliegt und - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht
nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten ist (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 43). Schließlich ist kleinste relevante Zeiteinheit im Geltungsbereich
des GRüGV stets der Kalendermonat (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - 2. Leitsatz und Rn. 34, vgl. auch Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 12/13 R -,
Rn. 29, - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 25, - B 10 ÜG 2/13 - Rn. 24, jeweils zitiert nach juris).
Übereinstimmend und insoweit zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass es - von November 2015 bis April 2016, - von Juni
bis August 2016, - von Oktober 2016 bis April 2017, - von Juni bis Oktober 2017 sowie - von Februar bis April 2018 und damit
in 24 Kalendermonaten zu Phasen der gerichtlichen Inaktivität gekommen ist.
Darüber hinaus sind zur Überzeugung des Senats - und insoweit entgegen der Ansicht des Beklagten - auch die Monate Oktober
2015, September 2016 und November 2017 als Verzögerungsmonate zu bewerten. Der September 2015 war noch vom Austausch von Stellungnahmen
geprägt, bis am 16. September 2015 Prozesskostenhilfe bewilligt und der Vorgang eine knappe Woche später in das Sitzungs-Fach
verfügt wurde. Dass es im Oktober 2015 zu irgendeiner gerichtlichen Aktivität gekommen wäre, vermag der Senat nicht zu erkennen.
Gleiches gilt im Ergebnis für den September 2016, in dem das Verfahren von der 30. auf die 49. Kammer übergegangen ist. Im
November 2017 ist schließlich die Verzögerungsrüge eingegangen, nicht aber das Gericht aktiv geworden. Zwar hat die zuständige
Richterin in dem Verfahren am 24. November 2017 einen rechtlichen Hinweis verfügt. Ausgeführt wurde die Verfügung jedoch erst
am 05. Dezember 2017, was der Senat als maßgeblich ansieht.
Insgesamt ist es damit in 27 Kalendermonaten zu gerichtlicher Inaktivität gekommen.
3. Dies bedeutet indes nicht, dass der Klägerin eine Entschädigung für 27 Monate zustehen würde. Denn erst die wertende Gesamtbetrachtung
und Abwägung aller Einzelfallumstände ergibt, ob die Verfahrensdauer die äußerste Grenze des Angemessenen deutlich überschritten
und deshalb das Recht auf Rechtsschutz in angemessener Zeit verletzt hat (BSG, Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - juris, Rn. 33). Dabei sind - wie bereits ausgeführt - dem Ausgangsgericht Vorbereitungs-
und Bedenkzeiten von in der Regel zwölf Monaten je Instanz als angemessen zuzugestehen, falls sich nicht aus dem Vortrag des
Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen (BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 48, - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 49 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 56, jeweils zitiert
nach juris). Im Rahmen der Gesamtabwägung ist schließlich im Hinblick auf die Regelung des §
198 Abs.
3 Satz 4
GVG weiter zu prüfen, ob und inwieweit eine mögliche Verletzung der Hinweispflicht eines Klägers nach §
198 Abs.
3 Satz 3
GVG zu einer Verkürzung der entschädigungsrelevanten Überlänge beitragen kann (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris, Rn. 34).
Anlass, von der Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten für das Klageverfahren abzuweichen, besteht zur Überzeugung
des Senats weder nach Aktenlage noch nach dem Vortrag der Beteiligten.
Insbesondere sieht er es nicht als gerechtfertigt an, von der vom Beklagten geforderten Verdoppelung der Vorbereitungs- und
Bedenkzeit auszugehen, weil das streitgegenständliche Ausgangsverfahren einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zum Gegenstand
hatte. Abgesehen davon, dass der Streitgegenstand - wie oben ausgeführt - hier nicht dazu führen kann, dem Rechtsstreit eine
nur sehr geringe Bedeutung zuzusprechen, ist zu beachten, dass es bei der Frage der angemessenen Verfahrensdauer letztlich
um den Justizgewährleistungsanspruch geht und im Ausgangsverfahren Verfahrensbeteiligter nicht nur ein - jetzt eine Entschädigung
begehrender - Kläger ist, sondern auch die beklagte Behörde, um deren Aufhebungs- und Erstattungsbescheid es geht. Auch diese
Behörde, die ihre Leistungen aus Mitteln der Beitrags-/Steuerzahler finanziert, hat ein Interesse an einer zügigen Entscheidung
und ggf. der Rückerstattung überzahlter Leistungen. Die Gebietskörperschaften sind daher gehalten, für eine Personalausstattung
der Gerichte zu sorgen, die es nicht nötig macht, Verfahren, in denen es im Wesentlichen - sei es im Zusammenhang mit Aufhebungs-
oder Rücknahmebescheiden, sei es im Rahmen einer endgültigen Leistungsfestsetzung - um Erstattungsforderungen geht, länger
als zwölf Monate zurückzustellen.
Umgekehrt sieht der Senat jedoch auch keinen Anlass, zugunsten der Klägerin von einer Verkürzung der üblichen Vorbereitungs-
und Bedenkzeit von zwölf Monaten auszugehen, sodass das streitgegenständliche Ausgangsverfahren eine Überlänge von 15 Kalendermonaten
aufweist.
4. Durch diese überlange Verfahrensdauer hat die Klägerin einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits
aus §
198 Abs.
2 Satz 1
GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert
hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von
dem Beklagten nicht vorgebracht worden.
5. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß §
198 Absatz
4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, sieht der Senat
vorliegend nicht als ausreichend an (§
198 Abs.
2 Satz 2
GVG). Eine derartige Kompensation kommt unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu
Art. 6 und Art. 41 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) nur ausnahmsweise in Betracht (vgl. BSG, Urteile vom 21.02.2013 - B 10 ÜG 1/12 KL - Rn. 45, vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 2/13 R - Rn. 52 und - B 10 ÜG 12/13 R - Rn.
59 sowie vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 36 und - B 10 ÜG 7/14 R - Rn. 43, alle zitiert nach juris). Namentlich kann
dies dann der Fall sein, wenn das Verfahren für den Entschädigungskläger aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Lage
des Klägers keine besondere Bedeutung hatte oder dieser durch sein Verhalten erheblich zur Verlängerung des Verfahrens beigetragen
hat. Beides ist hier jedoch nicht der Fall. Wie bereits oben ausgeführt, ist mit Blick auf das streitgegenständliche Ausgangsverfahren
weder von geringer Bedeutung auszugehen noch der Klägerin vorzuwerfen, sie hätte zu dessen Verlängerung beigetragen.
6. Ausgehend von der entschädigungspflichtigen Überlänge von 15 Kalendermonaten und dem in §
198 Abs.
2 S. 3
GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich damit die der Klägerin zustehende angemessene
Entschädigung auf 1.500,00 EUR. Soweit §
198 Abs.
2 Satz 4
GVG für atypische Sonderfälle (vgl. BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 37 ff., vgl. auch Urteile vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 50, 52 und
- B 10 ÜG 3/16 R - Rn. 33, jeweils zitiert nach juris) die Möglichkeit eröffnet, von der Entschädigungspauschale abzuweichen,
wenn sich nämlich das zu beurteilende Verfahren durch eine oder mehrere entschädigungsrelevante Besonderheiten in tatsächlicher
oder rechtlicher Hinsicht von vergleichbaren Fällen abhebt (BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - Rn. 39, vgl. auch Urteil vom 07.09.2017 - B 10 ÜG 1/16 R - Rn. 51 f., jeweils
zitiert nach juris), besteht dafür vorliegend kein Raum. Weder hatte das Ausgangsverfahren eine außergewöhnlich geringe Bedeutung
für die Klägerin noch wies das Verfahren eine nur kurzzeitige Verzögerung auf (vgl. zu diesen Varianten: BSG, Urteil vom 12.02.2015 - B 10 ÜG 11/13 R - juris, Rn. 39).
7. Darüber hinaus steht der Klägerin eine Entschädigung für den erlittenen Vermögensschaden in Form der für die vorprozessuale
Geltendmachung des Anspruchs angefallenen Rechtsanwaltskosten (vgl. insoweit BVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 5 C 1/13 D -, juris, Rn. 40, unter Bezugnahme auf BT-Drs. 17/3802, S. 19; siehe auch Röhl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl. 2017, §
198 GVG, Rn. 108) zu. Diese Kosten belaufen sich bei einem Wert von 1.500,00 EUR auf insgesamt 201,71 EUR [= 115,00 EUR (Geschäftsgebühr
§ 13 Nr. 2300 VV RVG) x 1,3 (Erhöhungsgebühr für außergerichtliche Vertretung, Nr. 2300 VV RVG) + 20,00 EUR (Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG) zzgl. 32,21 EUR (19 % Umsatzsteuer Nr. 7008 VV RVG)].
Dass die Klägerin die außergerichtliche Einigung erst zusammen mit ihrem beim Entschädigungsgericht gestellten Antrag auf
Bewilligung von Prozesskostenhilfe in Vorbereitung einer Entschädigungsklage angestrengt hat, rechtfertigt letztlich keine
andere Entscheidung. Zwar sieht der Senat dieses Vorgehen nicht als sinnvoll an, da dadurch bereits gerichtliche Kapazitäten
gebunden werden, obwohl sich dies im Folgenden als überflüssig erweisen mag. Auch vermag er angesichts der halbjährigen Klagefrist
kein Bedürfnis dafür zu erkennen, das vorprozessuale Verfahren mit dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu koppeln.
Letztlich aber entstehen dadurch keine zusätzlichen Kosten, sofern über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor einer
Entscheidung über den außerprozessualen Antrag entschieden wird. Die Annahme, die Klägerin treffe ein Mitverschulden bzgl.
der entstandenen Kosten, scheidet damit aus.
II. Da derEntschädigungsanspruch nach §
198 GVG außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche steht, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des §
44 des
Ersten Buches des Sozialgesetzbuches grundsätzlich nicht beansprucht werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 03.09.2014 - B 10 ÜG 9/13 R - Rn. 52, - B 10 ÜG 12/13 R - Rn. 61 und - B 10 ÜG 2/14 R - Rn. 54, alle zitiert
nach juris), war der Beklagte weiter in analoger Anwendung der §§
288 Abs.
1,
291 Satz 1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz zu verurteilen. Diese sind ab Rechtshängigkeit,
d.h. nach §
94 Satz 2
SGG ab Zustellung der Klage, hier ab dem 03. Februar 2020 zu zahlen. III. Soweit in §
198 Abs.
4 Satz 3
GVG schließlich die Möglichkeit vorgesehen ist, in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung auszusprechen, dass die Verfahrensdauer
unangemessen war, sieht der Senat hierfür keinen Grund. Er vermag bereits nicht zu erkennen, dass vorliegend ein schwerwiegender
Fall gegeben wäre.
V. Anlass, die Revision nach §§
160 Abs.
2 Nr.
1,
202 Satz 2
SGG,
201 Abs.
2 Satz 3
GVG zuzulassen, bestand nicht.