Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungsausschluss für Auszubildende; abstrakte Förderungsfähigkeit nach
BAföG bei Urlaubssemester
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten um vorläufige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II) für den Zeitraum April 2010 bis September 2010.
Die 1981 geborene Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (im Folgenden: Antragstellerin) studiert an der Technischen Universität
D. seit dem Wintersemester 2004/2005 Volkswirtschaftslehre. Am 27.01.2010 beantragte sie unter Vorlage einer Immatrikulationsbescheinigung
für das Sommersemester 2010 Leistungen nach dem SGB II ab 01.04.2010. Sie sei zum Sommersemester 2010 (01.04.2010 bis 30.09.2010)
vom Studium beurlaubt. Aus der Immatrikulationsbescheinigung vom 01.02.2010 geht unter anderem eine Regelstudienzeit von acht
Fachsemestern hervor. Des Weiteren ist angegeben, dass sich die Antragstellerin im Fachsemester neun befindet. Auf Nachfrage
durch die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragsgegnerin), weshalb sich die Antragstellerin im Urlaubssemester
befindet, teilte sie mit, der Grund für das Urlaubssemester sei die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung.
Mit Bescheid vom 17.03.2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag der Antragstellerin ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch
vom 12.04.2010 wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 26.04.2010 als unbegründet zurück.
Am 26.04.2010 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Leipzig einstweiligen Rechtsschutz beantragt.
Mit Beschluss vom 07.05.2010 hat das SG die Antragsgegnerin verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig für den Monat April 2010 Leistungen in Höhe von 69,00 EUR,
für den Monat Mai 2010 412,00 EUR und für Juni 2010 bis September 2010 552,00 EUR monatlich zu gewähren. Aufgrund der Beurlaubung
habe die Antragstellerin dem Grunde nach keinen Anspruch auf Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz (
BAföG), so dass sie nicht gemäß §
7 Abs.
5 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Die Gründe der Beurlaubung seien unerheblich, die Beurlaubung habe
Tatbestandswirkung.
Gegen den ihr am 11.05.2010 zugestellten Beschluss hat die Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin am 19.05.2010 Beschwerde
eingelegt und beantragt,
den Beschluss vom 07.05.2010 des SG Dresden S 38 AS 2438/10 ER aufzuheben.
Die Antragstellerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Am 04.06.2010 hat die Antragstellerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X, D ... beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden
Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
II. Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) können die Gerichte auf Antrag, der gemäß §
86b Abs.
3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß
§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i.V.m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch
der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden
soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend
grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Ast. nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren
erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08 KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-
SGG, 2. Aufl., §
86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare,
anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden
können und wenn sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und
Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Letzteres bestätigend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 weiter ausgeführt, dass das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso
weniger zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes verbunden sind. Art
19 Abs.
4 Grundgesetz verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage wäre.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage
des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar
betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren
zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich:
Krodel, NZS 2002, 234 ff). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen
vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne
einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, aaO., § 86b RdNr. 27a).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung
zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden
Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich
aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HessLSG, Beschluss vom 29.09.2005 - L 7 AS 1/05 ER; Keller, aaO., § 86b RdNrn. 27 und 29 m.w.N). Wäre eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet,
so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes
Recht nicht vorhanden ist. Wäre eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen
an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem
Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten
der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.
Gemessen hieran hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Zwar erfüllt sie die Voraussetzungen
des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II, da sie das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat und
imstande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu
sein, mithin erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II) und hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB
II) ist und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Gleichwohl
kann sie keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beanspruchen, weil sie gemäß § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II als Auszubildende
von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen ist und keiner der Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 6 SGB
II vorliegt.
Nach §
7 Abs.
5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des
BAföG dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Ausschlussregelung
ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass die Ausbildungsförderung nach dem
BAföG auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu dient, durch Sicherstellung des
allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen.
Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter
Ebene zu ermöglichen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R, RdNr. 13). Die Antragstellerin ist seit dem 01.10.2004 als Studentin der Volkswirtschaftslehre an der Technischen Universität
D. immatrikuliert. Sie ist auch im hier streitgegenständlichen Sommersemester 2010 immatrikuliert. Bei einem Hochschulstudium
handelt es sich um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des §
2 Abs.
1 Nr.
6 BAföG. Hieraus folgt für die Antragstellerin ein Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach zieht nämlich die Folge des § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nach sich.
Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten sind, bleiben außer Betracht
(BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R, RdNr. 15 ff. m.w.N.) Maßgeblich ist nicht allein, wie die Antragstellerin und das SG meinen, dass die Antragstellerin wegen des Urlaubssemesters (und wohl auch wegen des Überschreitens der Forderungshöchstdauer
nach dem
BAföG) keinen Anspruch auf Leistungen nach dem
BAföG hat. Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass die Ausbildung vorliegend trotz des Urlaubssemesters weiter betrieben wird. Nach
ihren eigenen Angaben hat die Antragstellerin das Urlaubssemester beantragt, um sich auf die Abschlussprüfung vorzubereiten
(Bl. 39 der Behördenakte). Damit betreibt sie das Studium, die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung ist zwangsläufig Teil
eines ordnungsgemäßen Studiums (vgl. Verwaltungsgericht Karlsruhe, Urteil vom 20.05.2009, 7 K 2174/07, RdNr. 24; vgl. auch Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 25.08.1999 - 5 B 153/99).
Deshalb kommt es vorliegend nicht darauf an, ob sich der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R - RdNr. 14) darüber hinaus sogar entnehmen lässt, dass schon die Förderungsfähigkeit der Ausbildung als solche bei gegebener
Immatrikulation zum Ausschluss führt, selbst wenn das Studium nicht betrieben wird oder nicht mit gewisser Regelmäßigkeit
Prüfungsleistungen erbracht werden.
Die Antragstellerin ist nicht exmatrikuliert, sie ist ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung auch während des Urlaubssemesters
immatrikuliert. Während der Zeit der Beurlaubung bleiben die Rechte und Pflichten des Studenten gemäß § 22 Sächsisches Hochschulgesetz
(SächsHSG), mit Ausnahme der Verpflichtung zum ordnungsgemäßen Studium, unberührt. Während der Beurlaubung soll den Studenten
gemäß § 20 Abs. 3 SächsHSG sogar ermöglicht werden, Studien- und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung
ausgesprochen wurde, zu erbringen.
Soweit die Antragstellerin und das SG auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Bezug nehmen, ergibt sich daraus nichts anderes. Das Bundesverwaltungsgericht
hat in der in Bezug genommenen Entscheidung vom 25.08.1999 - 5 B 153/99, 5 PKH 53/99 ausgeführt, § 26 BSHG, der Sozialhilfe im Fall einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung ausschließe, stehe einem Anspruch auf Sozialhilfe
für die Zeit der Beurlaubung nicht entgegen. Denn diese Entscheidung bezieht sich ausschließlich auf den Fall einer Beurlaubung
wegen der Betreuung der kurz zuvor geborenen Tochter und ist nicht verallgemeinerungsfähig. Das Bundesverwaltungsgericht hat
die Missbrauchsbefürchtung nur für diesen Fall nicht für gerechtfertigt gehalten. Hierbei ist das Bundesverwaltungsgericht
von einer rechtmäßigen Beurlaubungspraxis der Hochschulen ausgegangen, welche eine Beurlaubung nur aus wichtigem Grund zulässt,
da der Entscheidung die Fallgestaltung zugrunde lag, dass ein beurlaubter Student das Studium während der Beurlaubung tatsächlich
nicht betreibt, während die Antragstellerin ihr Studium durch Vorbereitung auf die Abschlussprüfung ausdrücklich betreibt.
Dass die Technische Universität D ... die Vorbereitung auf die Abschlussprüfung großzügig und rechtlich fragwürdig (vgl. Verwaltungsgericht
Karlsruhe, Urteil vom 20.05.2009, 7 K 2174/07, RdNr. 21-24) als wichtigen Grund für eine Beurlaubung anerkennt, diese Möglichkeit auf ihrer Internetseite anbietet und
dafür ein Formular zur Verfügung stellt (http://tu-d ...de/studium/organisation/beurlaubung/index htmlp5), führt nicht dazu,
dass Leistungen nach dem SGB II gewährt werden können. Zwar kommt in Fallgestaltungen wie der vorliegenden diese Beurlaubungspraxis
den Studenten und den Hochschulen zugute, denn Semester, in denen der Student beurlaubt wurde, werden nicht als Fachsemester
und nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet (§ 20 Abs. 2 Satz 4 SächsHSG). Diese großzügige und rechtlich fragwürdige Beurlaubungspraxis
mag mit der Wettbewerbssituation der Hochschulen und der Länder zusammenhängen, die einerseits Studierende gewinnen und andererseits
die Studiendauer begrenzen wollen. Sie kann aber nicht dazu führen, dass damit die Grundsicherung nach dem SGB II oder Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) als Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene eingreifen müsste.
Der Ausschlusstatbestand greift nach seinem Sinn und Zweck, die Sozialhilfe von einer Ausbildungsförderung auf zweiter Ebene
zu befreien, nämlich auch dann ein, wenn ein Auszubildender - betriebe er die dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung
nicht - aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen seine Arbeitskraft nicht zur Erzielung von Einkommen einsetzen könnte.
Für den Anspruchsausschluss ist allein entscheidend, dass die Hilfeleistung für den Auszubildenden auch in einem solchen Falle
Ausbildungsförderung ist, der Hilfesuchende also eine Ausbildung auf Kosten der Sozialhilfe betreibt (Bundesverwaltungsgericht,
Urteil vom 14.10.1993 - 5 C 16/91, RdNr. 9 m.w.N.).
Die Antragstellerin hat auch keinen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Darlehens nach § 7
Abs. 5 Satz 2 SGB II. Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, allerdings nur
als Darlehen und nicht als Beihilfe oder Zuschuss gewährt werden. Liegt ein besonderer Härtefall vor, hat die Verwaltung unter
Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen. Im Hinblick auf das "Ob" der Leistungsgewährung
wird alsdann im Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz SGB II, Stand
Februar 2007, § 7 RdNr. 93; so wohl auch Brühl/Schoch in Münder, SGB II, 2. Aufl, 2007, § 7 RdNr. 103).
Bei dem Begriff des "besonderen Härtfalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem
Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. zum Vorliegen einer besonderen Härte im Rahmen von §
9 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 KfzHV auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R). Die Verwaltung hat in diesen Fällen keinen Beurteilungsspielraum; ihr
steht auch keine Einschätzungsprärogative zu (vgl. hierzu auch BSGE 89, 44). Die Bestimmung des Härtefalls ist auch kein Teil der Ermessensausübung. Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe stellt
vielmehr eine genuine Aufgabe der Rechtsprechung dar (vgl. BSGE 90, 90). Die Konkretisierung folgt der im Rahmen der Normanwendung geforderten Interpretation abstrakt-genereller Vorgaben. Demgemäß
kommen die üblichen Grundsätze der Normauslegung zum Tragen. Von Bedeutung ist insoweit insbesondere der spezielle Kontext
des in Frage stehenden Rechtsgebietes und die Funktion der Regelung innerhalb des jeweiligen Norm- und Gesetzeszusammenhanges
(vgl hierzu auch SozR 3-5060 Art. 6 § 4 Nr. 1).
Dem Wortlaut von § 7 Abs. 5 SGB II lässt sich ein Regel-Ausnahmeverhältnis entnehmen. Nach §
7 Abs.
5 Satz 1 SGB II werden bei Vorliegen einer dem Grunde nach gemäß dem
BAföG oder gemäß §§
60 bis
62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) förderungsfähigen Ausbildung keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt. Nur ausnahmsweise können im Einzelfall
gleichwohl Leistungen bewilligt werden, wenn trotz des generellen Leistungsausschlusses im Hinblick auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts die Gewährung derartiger Leistungen geboten erscheint. Eine besondere Härte liegt daher nur dann vor,
wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt
für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist (BVerwGE 94, 224). Welche Faktoren die Ausnahmesituation im SGB II bedingen und ob auch insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
zurückgegriffen werden kann, bestimmt sich nach dem systematischen Zusammenhang des § 7 Abs. 5 SGB II und seinem Sinn und
Zweck. Hintergrund des Leistungsausschlusses für Auszubildende nach dem SGB II ist, wie bereits dargelegt, die Herstellung
eines Gleichklangs der Regelungen zwischen SGB II und SGB XII (BT-Drucks 15/1728 S. 172). SGB II und SGB XII zusammen - als
sich gegenseitig im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII ausschließende Systeme
- sollen von Leistungen zur Ausbildungsförderung freigehalten werden, soweit der Hilfebedarf im Hinblick auf den Lebensunterhalt
durch die Ausbildung entsteht. Ausgeschlossen sind mithin nur Leistungen für ausbildungsbedingten Bedarf. Ein Mehrbedarf,
unabhängig von der Ausbildung, ist daher gleichwohl nach § 21 SGB II oder § 23 SGB XII zu erbringen. Auf Grund des Regel -
Ausnahmeverhältnisses von § 7 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB II muss dieses auch für die Leistungserbringung im "besonderen Härtefall"
gelten. Die Fallgruppen, die Leistungen für Mehrbedarfe prägen, lösen demnach keinen "besonderen Härtefall" i.S. des § 7 Abs.
5 Satz 2 SGB II aus (z.T. a.A. OVG Lüneburg Urteil vom 26.06.2002 - 4 LB 35/02). Insoweit kann daher auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes zu § 26 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zurückgegriffen werden. Nach dieser müssen zum Härtefall an sich im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss
von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von
den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, d.h. als unzumutbar oder in hohem Maße
unbillig erscheinen lassen (vgl. nur BVerwGE aaO., zitiert nach Juris RdNr. 10). Eine, nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes
wegen des gestuften Sozialleistungssystems in der Regel hinnehmbare, Konsequenz hieraus ist es, dass von einem Hilfebedürftigen,
der nach den Ausbildungsförderungsvorschriften nicht mehr gefördert wird, verlangt werden kann, von der Ausbildung ganz oder
vorübergehend Abstand zu nehmen, um die Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Im Hinblick auf den das SGB II prägenden Grundsatz
des Forderns und Förderns kann diese Rechtsauffassung bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "besonderen Härtefalls"
in § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht ohne weiteres übernommen werden.
Zum einen sollen nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II lediglich die Leistungen des 2. Abschnitts des 3. Kapitels des SGB II ausgeschlossen
sein. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit können nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift daneben und unabhängig
von dem Ausschluss gewährt werden. Zum Zweiten ist das SGB II, anders als das SGB XII neben dem Grundsatz des Forderns (§
2 SGB II), auch geprägt durch den des Förderns (§ 14 SGB II). Zudem sind nach dem SGB II ausschließlich erwerbsfähige Hilfebedürftige
originär leistungsberechtigt. Demnach soll nach § 1 Abs. 1 SGB II die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortlichkeit
von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung
aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Sie soll den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen u.a. bei der Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit unterstützen. Die Leistungen der Grundsicherung sind daher insbesondere darauf auszurichten, durch eine Erwerbstätigkeit
Hilfebedürftigkeit zu vermeiden oder zu beseitigen. Hieraus folgt, dass ein besonderer Härtefall i.S. des § 7 Abs. 5 Satz
2 SGB II z.B. auch dann anzunehmen ist, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf (Bedarf an Hilfe zur Sicherung des
Lebensunterhalts) entstanden ist, der nicht durch
BAföG oder Ausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und wenn deswegen begründeter Anlass für die Annahme besteht, die vor dem Abschluss
stehende Ausbildung werde nicht beendet und damit drohe das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit, verbunden mit weiter bestehender
Hilfebedürftigkeit. Diese Voraussetzung trägt zweierlei Rechnung: Zum einen entspricht sie dem gesetzgeberischen Willen, neben
den gesetzlich vorgesehenen "Ausbildungshilfen" über das SGB II kein weiteres Hilfesystem zu installieren. Die Hilfe zur Sicherung
des Lebensunterhalts aus dem SGB II muss die Ausnahme bleiben. Zum Zweiten gewährleistet sie den Grundsatz des "Forderns".
Es muss daher eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen, nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung,
wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind, dass die Ausbildung mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zum Ende gebracht wird. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem besonderen Härtefall
ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen
oder andere finanzielle Mittel - sei es Elternunterhalt, Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit oder möglicherweise bisher
zu Unrecht gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts (Vertrauensschutz) - gesichert war, die nun kurz vor Abschluss
der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich
betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls z.B. wegen einer Behinderung oder Erkrankung. Denkbar
ist auch, dass die nicht mehr nach den Vorschriften des
BAföG oder der §§
60 bis
62 SGB III geförderte Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007
- B 14/11b AS 36/06 R, RdNr. 21-24; BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R).
Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls sind vorliegend weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Die Antragstellerin
befindet sich vielmehr wie viele andere Studenten auch in der Situation, dass die Regelstudienzeit von acht Fachsemestern
und damit die Förderungshöchstdauer nach dem
BAföG überschritten ist, sie das Studium aber innerhalb der Regelstudienzeit noch nicht abgeschlossen hat. Dies allein rechtfertigt
aber noch nicht die Annahme einer besonderen Härte, zumal Gründe für die Überschreitung der Regelstudienzeit weder vorgetragen
noch sonst ersichtlich sind.
III. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt X für das Beschwerdeverfahren ist
abzulehnen, denn die Voraussetzungen hierfür sind nicht gegeben. Zwar ist gemäß §
119 Abs.
1 Satz 2
Zivilprozessordnung (
ZPO) im höheren Rechtszug nicht zu prüfen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet
oder mutwillig erscheint, weil der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Die Bedürftigkeitsprüfung hat jedoch zu erfolgen
und ergibt, dass die Antragstellerin, die nach ihren eigenen Angaben über Vermögen aus Guthaben auf Sparkonten und Girokonten
sowie einem Wertpapierdepot i.H.v. 2.511,81 EUR verfügt, nicht bedürftig im Sinne des §
115 ZPO (i.V.m. §
73a Abs.
1 Satz 1
SGG) ist. Sie ist zwar nicht in der Lage, die Kosten der Prozessführung mit ihrem Einkommen zu decken bzw. zur Deckung der Kosten
beizutragen (§
115 Abs.
1 ZPO); sie kann jedoch die voraussichtlichen Verfahrenskosten durch Verwertung ihres Vermögens, ggf. in Form der Beleihung, selbst
aufbringen. Gemäß §
115 Abs.
3 ZPO hat ein Beteiligter zur Deckung der Verfahrenskosten auch sein Vermögen einzusetzen, soweit dies nach Maßgabe des § 90 Sozialgesetzbuch
Zwölftes Buch (SGB XII) zumutbar ist. Dies ist im vorliegenden Fall zu bejahen.
Von dem einzusetzenden Vermögen in Höhe von 2.511,81 EUR ist nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 a) der
Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII ein Freibetrag in Höhe von 1.600,00 EUR abzusetzen. Das verbleibende
Vermögen in Höhe von 911,81 EUR deckt die voraussichtlichen Verfahrenskosten und ist daher zur Prozessführung einsetzen, so
dass PKH abzulehnen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Diese Entscheidung ist endgültig, §
177 SGG.