Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungsausschluss für Auszubildende bei nicht betriebener Ausbildung
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes um Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 06.11.2009 bis 28.02.2010.
Der 1979 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Bg.) ist seit dem 01.10.2003 an der Hochschule für Wirtschaft,
Technik und Kultur L ... (HTWK) immatrikuliert. Die Förderungshöchstdauer nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz endete im August 2007. Seit 1998 leidet der Bf. an Colitis ulcerosa. Im Jahre 2007 erfolgte eine Cholezystektomie.
Am 01.09.2009 beantragte der Bg. bei der Antragsgegnerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf.) unter Vorlage einer Immatrikulationsbescheinigung
für das Wintersemester 2009/2010 sowie einer Bescheinigung der HTWK vom 14.09.2009 Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.09.2009.
Er sei wegen Krankheit vom Studium im Wintersemester 2009/2010 beurlaubt. Aus der Immatrikulationsbescheinigung vom 30.08.2009
geht unter anderem eine Regelstudienzeit von acht Fachsemestern für den derzeitigen Studiengang des Bg. (Bauingenieurwesen)
hervor. Des Weiteren ist angegeben, dass sich der Bg. im 15. Hochschulsemester und im 12. Fachsemester befindet. Der Bg. legte
den Mietvertrag über sein 21 m² großes Apartment in einem Studentenwohnheim bei, für das er monatlich 199,00 EUR zuzüglich
19,39 EUR Heizkostenvorauszahlung zu entrichten hat. Außerdem legte der Bg. eine ärztliche Bescheinigung vom 31.08.2009 vor,
wonach wegen einer verzehrenden Erkrankung, bei der ein schneller, krankheitsbedingter Gewichtsverlust von über 5% im Vergleich
zu den vorausgegangenen drei Monaten zu verzeichnen sei, Krankenkost für die Zeit vom 01.09.2009 bis zum 01.02.2010 erforderlich
sei. Nachdem die Bf. den Bg. mit (unvollständig adressiertem) Schreiben vom 29.09.2009 erfolglos zur Vorlage weiterer Unterlagen
aufgefordert hatte, versagte sie ihm mit Bescheid vom 29.09.2009 die begehrten Leistungen wegen mangelnder Mitwirkung. Über
den hiergegen anlässlich der bei persönlicher Vorsprache des Bg. am 02.10.2009 erfolgten Aushändigung des postalisch nicht
zugestellten vorgenannten Bescheides eingelegten Widerspruch liegt noch keine Entscheidung vor. Der Bg. hat bei dieser Vorsprache
erklärt, bisher hätten seine Eltern seinen Lebensunterhalt sichergestellt, nachdem die Förderungshöchstdauer nach dem
BAföG abgelaufen sei. Am 28.10.2009 legte der Bf. ärztliche Atteste der Universitätsklinik L. und seiner behandelnden Ärztin vor,
wegen deren Inhalts auf Bl. 50 und 61 der Leistungsakte der Bf. Bezug genommen wird.
Am 06.11.2009 hat der Bg. beim Sozialgericht Leipzig (SG) vorläufigen Rechtsschutz beantragt. Er sei leistungsberechtigt, insbesondere nicht gemäß § 7 Abs. 5 SGB II von den Leistungen des SGB II ausgeschlossen.
Mit Beschluss vom 13.11.2009 hat das SG die Bf. verpflichtet, dem Bg. vorläufig ab dem 06.11.2009 bis zum 28.02.2010 Leistungen i.H.v. 550,00 EUR monatlich, längstens
bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache zu gewähren. Aufgrund der Beurlaubung habe der Bg. dem Grunde nach keinen Anspruch
auf Leistungen nach dem
BAföG, so dass er nicht gemäß §
7 Abs.
5 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen sei. Dies gelte jedenfalls dann, wenn wie hier die Beurlaubung nicht
nur zur Vorbereitung einer Prüfung erfolge, kein faktisches Weiterbetreiben des Studiums im Urlaubssemester erfolge und damit
keine gleichsam nur "pro forma" ausgesprochene Beurlaubung vorliege. Die Beurlaubung wegen Krankheit habe Tatbestandswirkung.
Gegen den ihr am 17.11.2009 zugestellten Beschluss hat die Bf., nachdem sie auf Bl. 79 ihrer Leistungsakte vermerkt worden
war, dass ""lt. Beschluss zum eR keine Gewährung MB Ernährung" erfolgt sei, am 09.12.2010 Beschwerde eingelegt und vorgetragen,
ein Nachweis über das Nichtbetreiben des Studiums liege nicht vor. Der Bg. habe am 22.10.2009 vorgetragen, er sei aus privaten
Gründen beurlaubt; die HTWK habe bestätigt, dass bis zum 12. Fachsemester kein Nachweis über den Grund der Beurlaubung vorgelegt
werden müsse. Auch sei nicht nachgewiesen, dass der Bg. während der Beurlaubung seine Ausbildung krankheitshalber tatsächlich
nicht betreiben könne. Die Bf. beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 13.11.2009 aufzuheben und den Antrag abzulehnen.
Der Bg. beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen. sowie ihm für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten
zu bewilligen.
Er hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend. Weiter hat er eine Bescheinigung seiner behandelnden Ärztin vom 12.11.2009
vorgelegt, wonach wegen der Schwere seiner chronischen Erkrankung aus ärztlicher Sicht ein Urlaubssemester angeraten sei.
Am 20.01.2010 ging die Erklärung des Bg. über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen hierzu ein.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten aus beiden
Rechtszügen und die Verwaltungsakten der Antragsgegnerin verwiesen.
Nach §
86b Abs.
2 Satz 2
SGG können die Gerichte auf Antrag, der gemäß §
86b Abs.
3 SGG bereits vor Klageerhebung zulässig ist, zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis
eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn die Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Dazu sind gemäß
§
86b Abs.
2 Satz 4
SGG i. V. m. §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sowohl der durch die Anordnung zu sichernde, im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) als auch
der Grund, weshalb die Anordnung ergehen und dieser Anspruch vorläufig bis zur Entscheidung der Hauptsache gesichert werden
soll (Anordnungsgrund), glaubhaft zu machen. Außerdem kann das Gericht dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend
grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und dem Ast. nicht schon in vollem Umfang das gewähren, was er im Hauptsacheverfahren
erreichen kann. Die summarische Prüfung kann sich insbesondere bei schwierigen Fragen auch auf Rechtsfragen beziehen (Keller
in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl., §
86b RdNr. 16c; vgl. hierzu auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.12.2008 - L 9 B 192/08 KR ER), wobei dann die Interessen- und Folgenabwägung stärkeres Gewicht gewinnt (Binder in Hk-
SGG, 2. Aufl., §
86b RdNr. 42). Zu berücksichtigen ist insoweit, dass dann, wenn ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare,
anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen können, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr beseitigt werden
können und wenn sich das Gericht in solchen Fällen an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren will, die Sach- und
Rechtslage abschließend geprüft werden muss. Ist eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht
möglich, ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05). Letzteres bestätigend hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 25.02.2009 - 1 BvR 120/09 weiter ausgeführt, dass das Interesse an einer vorläufigen Regelung oder Sicherung der geltend gemachten Rechtsposition umso
weniger zurückgestellt werden darf, je schwerer die Belastungen des Betroffenen wiegen, die mit der Versagung vorläufigen
Rechtsschutzes verbunden sind. Art
19 Abs.
4 Grundgesetz verlange auch bei Vornahmesachen jedenfalls dann vorläufigen Rechtsschutz, wenn ohne ihn schwere und unzumutbare, anders
nicht abwendbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in
der Lage wäre.
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn sich aus den glaubhaft gemachten Tatsachen ergibt, dass es die individuelle Interessenlage
des Antragstellers unter Umständen auch unter Berücksichtigung der Interessen des Antragsgegners, der Allgemeinheit oder unmittelbar
betroffener Dritter unzumutbar erscheinen lässt, den Antragsteller zur Durchsetzung seines Anspruchs auf das Hauptsacheverfahren
zu verweisen (Finkelnburg u.a., Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl. 2008, RdNr. 108 m.w.N.; ähnlich:
Krodel, NZS 2002, 234 ff). Ob die Anordnung derart dringlich ist, beurteilt sich insbesondere danach, ob sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile
oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen, ebenso schwer wiegenden Gründen nötig erscheint. Dazu müssen Tatsachen
vorliegen bzw. glaubhaft gemacht sein, die darauf schließen lassen, dass der Eintritt des wesentlichen Nachteils im Sinne
einer objektiven und konkreten Gefahr unmittelbar bevorsteht (vgl. Keller, aaO., § 86b RdNr. 27a).
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander. Vielmehr verhalten sie sich in einer Wechselbeziehung
zueinander, in welcher die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden
Nachteils (des Anordnungsgrundes) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich
aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (HessLSG, Beschluss vom 29.09.2005 - L 7 AS 1/05 ER; Keller, aaO., § 86b RdNrn. 27 und 29 m.w.N). Ist eine Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet,
so ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes
Recht nicht vorhanden ist. Ist eine Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen
an den Anordnungsgrund, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem
Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- oder Rechtslage im Verfahren des einstweiligen
Rechtsschutzes nicht möglich ist, hat das Gericht im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden, welchem Beteiligten ein Abwarten
der Entscheidung in der Hauptsache eher zuzumuten ist.
Gemessen hieran hat der Bg. einen Anordnungsanspruch nur zum Teil glaubhaft gemacht. Nach summarischer Prüfung erfüllt er
die Voraussetzungen des § 19 i.V.m. § 7 Abs. 1 SGB II, da er das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht
vollendet hat. Er ist bei summarischer Prüfung deswegen, weil auch die von ihm zur Begründung seiner Beurlaubung vom Studium
angegebenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen per se keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit auf unter drei Stunden täglich
bewirken und weitergehende Sachaufklärung mangels entsprechender Anhaltspunkte für eine solche Einschränkung des Leistungsvermögens
des Bf. nicht erforderlich ist, als imstande anzusehen, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens
drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, mithin erwerbsfähig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 Abs. 1 SGB II). Weiter ist er
hilfebedürftig (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland
(§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II). Von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ist er aber gemäß
§ 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II als Auszubildender ausgeschlossen.
Nach §
7 Abs.
5 Satz 1 SGB II haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (
BAföG) dem Grunde nach förderungsfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Die Ausschlussregelung
ist auf die Erwägung zurückzuführen, dass bereits die Ausbildungsförderung nach dem
BAföG auch die Kosten des Lebensunterhalts umfasst und deshalb im Grundsatz die Grundsicherung nicht dazu dient, durch Sicherstellung
des allgemeinen Lebensunterhalts das Betreiben einer dem Grunde nach anderweitig förderungsfähigen Ausbildung zu ermöglichen.
Die Ausschlussregelung soll die nachrangige Grundsicherung davon befreien, eine - versteckte - Ausbildungsförderung auf zweiter
Ebene zu ermöglichen (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R, RdNr. 13). Der Bg. ist auch im hier streitgegenständlichen Winterersemester 2009/2010 an einer Hochschule immatrikuliert.
Bei einem Hochschulstudium handelt es sich um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung im Sinne des §
2 Abs.
1 Nr.
6 BAföG. Allein die Förderungsfähigkeit der Ausbildung dem Grunde nach zieht die Folge des §
7 Abs. 5 Satz 1 SGB II nach sich. Individuelle Versagensgründe, die im Verhältnis zum Träger der Förderungsleistung eingetreten
sind, bleiben außer Betracht (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 36/06 R, RdNr. 15 ff. m.w.N.) Dies gilt auch dann, wenn die Ausbildung tatsächlich nicht betrieben wird. Nach seinen - durch ärztliche
Atteste beleg-ten - Angaben hat der Bg. das Urlaubssemester deswegen beantragt, weil er ein durchgängiges Studium krankheitsbedingt
nicht betreiben sollte. Anhaltspunkte dafür, dass er sich tatsächlich weiter um das Fortkommen in seinem Studiengang bemüht,
also die Beurlaubung aus gesundheitlichen Gründen nur vorgeschoben wäre, liegen nicht vor. Etwaige Anhaltspunkte hierfür hat
auch die Bf. nicht vorgetragen, sondern sich lediglich darauf gestützt, dass das tatsächliche Nichtbetreiben des Studiums
nicht nachgewiesen sei. Unabhängig von der Frage, ob sich etwas nicht Existentes beweisen lassen kann und hierfür nicht die
Bf. die Folgen objektiver Beweislosigkeit tragen würde, ist die Vorlage eines solchen Nachweises jedoch schon deshalb nicht
zu fordern, weil bei summarischer Prüfung nichts dafür spricht, dass sich der Bg. etwa lediglich hätte beurlauben lassen,
um sich auf die Prüfungen oder die Abschlussprüfung vorzubereiten. Vorliegend ist dies ohnehin nicht entscheidungserheblich,
da schon die Förderungsfähigkeit der Ausbildung als solche bei gegebener Immatrikulation zum Ausschluss führt, selbst wenn
das Studium nicht betrieben wird oder nicht mit gewisser Regelmäßigkeit Prüfungsleistungen erbracht werden (so bereits BSG,
Urteil vom 01.07.2009 - B 4 AS 67/08 R, RdNr. 14).
Hiernach hat der Bg. keinen Anspruch auf die Regelleistung einschließlich der Kosten der Unterkunft und Heizung. Er ist nicht
exmatrikuliert, sondern ausweislich der Immatrikulationsbescheinigung auch während des Urlaubssemesters immatrikuliert. Während
der Zeit der Beurlaubung bleiben die Rechte und Pflichten des Studenten gemäß § 22 Sächsisches Hochschulgesetz (SächsHSG),
mit Ausnahme der Verpflichtung zum ordnungsgemäßen Studium, unberührt; es wird Studenten gemäß § 20 Abs. 3 SächsHSG sogar
ermöglicht, Studien- und Prüfungsleistungen an der Hochschule, an der die Beurlaubung ausgesprochen wurde, zu erbringen.
Soweit das SG Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nimmt, ergibt sich daraus nichts anderes. Das Bundesverwaltungsgericht
hat in der in Bezug genommenen Entscheidung vom 25.08.1999 - 5 B 153/99, 5 PKH 53/99 ausgeführt, § 26 BSHG, der Sozialhilfe im Fall einer dem Grunde nach förderungsfähigen Ausbildung ausschließe, stehe einem Anspruch auf Sozialhilfe
für die Zeit der Beurlaubung jedenfalls für den hier vorliegenden Fall einer Beurlaubung wegen der Betreuung der kurz zuvor
geborenen Tochter nicht entgegen. Zu weiterem Eingehen auf vom Berufungsgericht noch erörterte andere Fallgestaltungen einer
Beurlaubung bestehe kein Anlass, denn im Falle eines Revisionsverfahrens wäre nach den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts
von einer Beurlaubung wegen der Pflege und Erziehung der kleinen Tochter der Klägerin auszugehen. Insofern sei die Missbrauchsbefürchtung
des Beklagten nicht gerechtfertigt. Diese Entscheidung bezieht sich ausschließlich auf den Fall einer Beurlaubung wegen der
Betreuung der kurz zuvor geborenen Tochter und ist nicht verallgemeinerungsfähig; das Bundesverwaltungsgericht hat die Missbrauchsbefürchtung
nur für diesen Fall nicht für gerechtfertigt gehalten. Ob diese Rechtsprechung auch im Rahmen des SGB II Fortwirkung hat,
braucht der Senat hier nicht zu entscheiden; es liegt aber insoweit nahe, das erforderliche sozialstaatliche Korrektiv bei
der Auslegung des § 7 Abs. 5 SGB II in der Härteregelung des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II zu erblicken und diese Regelung als
abschließend anzusehen.
Der Bg. hat auch keinen Anspruch auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts in Form eines Darlehens nach § 7 Abs. 5 Satz
2 SGB II.
Danach können in besonderen Härtefällen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, allerdings nur als Darlehen und nicht
als Beihilfe oder Zuschuss gewährt werden. Liegt ein besonderer Härtefall vor, hat die Verwaltung unter Ausübung pflichtgemäßen
Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen. Im Hinblick auf das "Ob" der Leistungsgewährung wird alsdann im
Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein (vgl. Valgolio in Hauck/Noftz SGB II, Stand Februar 2007,
§ 7 RdNr. 93; so wohl auch Brühl/Schoch in Münder, SGB II, 2. Aufl, 2007, § 7 RdNr. 103).
Bei dem Begriff des "besonderen Härtefalls" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung in vollem
Umfang der rechtlichen Überprüfung durch das Gericht unterliegt (vgl. zum Vorliegen einer besonderen Härte im Rahmen von §
9 Abs 1 Nr. 2 i.V.m. § 3 KfzHV auch BSG, Urteil vom 08.02.2007 - B 7a AL 34/06 R). Die Verwaltung hat keinen Beurteilungsspielraum; ihr steht auch keine
Einschätzungsprärogative zu (vgl. hierzu auch BSGE 89, 44). Die Bestimmung des Härtefalls ist auch kein Teil der Ermessensausübung. Die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe stellt
vielmehr eine genuine Aufgabe der Rechtsprechung dar (vgl. BSGE 90,90). Die Konkretisierung folgt der im Rahmen der Normanwendung
geforderten Interpretation abstrakt-genereller Vorgaben. Demgemäß kommen die üblichen Grundsätze der Normauslegung zum Tragen.
Von Bedeutung ist insoweit insbesondere der spezielle Kontext des in Frage stehenden Rechtsgebietes und die Funktion der Regelung
innerhalb des jeweiligen Norm- und Gesetzeszusammenhanges (vgl. hierzu auch SozR 3-5060 Art. 6 § 4 Nr. 1). Aus dem Wortlaut
von § 7 Abs. 5 SGB II lässt sich ein Regel-Ausnahmeverhältnis entnehmen. Nach §
7 Abs.
5 Satz 1 SGB II werden bei Vorliegen einer dem Grunde nach gemäß dem
BAföG oder §§
60 bis
62 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB III) förderungsfähigen Ausbildung keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gewährt. Nur ausnahmsweise können im Einzelfall
gleichwohl Leistungen bewilligt werden, wenn trotz des generellen Leistungsausschlusses im Hinblick auf Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts, die Gewährung derartiger Leistungen geboten erscheint. Eine besondere Härte liegt daher nur dann vor,
wenn die Folgen des Anspruchsausschlusses über das Maß hinausgehen, das regelmäßig mit der Versagung von Hilfe zum Lebensunterhalt
für eine Ausbildung verbunden und vom Gesetzgeber in Kauf genommen worden ist (BVerwGE 94, 224). Welche Faktoren die Ausnahmesituation im SGB II bedingen und ob auch insoweit auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
zurückgegriffen werden kann, bestimmt sich nach dem systematischen Zusammenhang des § 7 Abs. 5 SGB II und seinem Sinn und
Zweck. Hintergrund des Leistungsausschlusses für Auszubildende nach dem SGB II ist, wie bereits dargelegt, die Herstellung
eines Gleichklangs der Regelungen zwischen SGB II und SGB XII (BT-Drucks. 15/1728, S. 172). SGB II und SGB XII zusammen -
als sich gegenseitig im Hinblick auf die Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 5 Abs. 2 SGB II und § 21 SGB XII ausschließende
Systeme - sollen von Leistungen zur Ausbildungsförderung freigehalten werden, soweit der Hilfebedarf im Hinblick auf den Lebensunterhalt
durch die Ausbildung entsteht. Ausgeschlossen sind mithin nur Leistungen für ausbildungsbedingten Bedarf. Ein Mehrbedarf,
der unabhängig von der Ausbildung ist, ist daher gleichwohl nach § 21 SGB II oder § 23 SGB XII zu erbringen. Auf Grund des
Regel-Ausnahmeverhältnisses von § 7 Abs. 5 Sätze 1 und 2 SGB II muss dieses auch für die Leistungserbringung im "besonderen
Härtefall" gelten. Die Fallgruppen, die Leistungen für Mehrbedarfe prägen, lösen demnach keinen "besonderen Härtefall" i.S.
des § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II aus (z.T. a.A. OVG Lüneburg Urteil vom 26.06.2002 - 4 LB 35/02). Insoweit kann daher auf die Rechtsprechung des BVerwG zu § 26 BSHG zurückgegriffen werden. Nach dieser müssen zum Härtefall an sich im Einzelfall Umstände hinzutreten, die einen Ausschluss
von der Ausbildungsförderung durch Hilfe zum Lebensunterhalt auch mit Rücksicht auf den Gesetzeszweck, die Sozialhilfe von
den finanziellen Lasten einer Ausbildungsförderung freizuhalten, als übermäßig hart, dh als unzumutbar oder in hohem Maße
unbillig erscheinen lassen (vgl. nur BVerwGE, aaO., zitiert nach Juris, RdNr. 10). Eine, nach Auffassung des BVerwG wegen
des gestuften Sozialleistungssystems in der Regel hinnehmbare Konsequenz hieraus ist es, dass von einem Hilfebedürftigen,
der nach den Ausbildungsförderungsvorschriften nicht mehr gefördert wird, verlangt werden kann, von der Ausbildung ganz oder
vorübergehend Abstand zu nehmen, um die Hilfebedürftigkeit abzuwenden. Im Hinblick auf den das SGB II prägenden Grundsatz
des Forderns und Förderns kann diese Rechtsauffassung bei der Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "besonderen Härtefalls"
in § 7 Abs. 5 Satz 2 SGB II nicht ohne weiteres übernommen werden.
Zum einen sollen nach § 7 Abs. 5 Satz 1 SGB II lediglich die Leistungen des 2. Abschnitts des 3. Kapitels des SGB II ausgeschlossen
sein. Leistungen zur Eingliederung in Arbeit können nach dem ausdrücklichen Wortlaut der Vorschrift daneben und unabhängig
von dem Ausschluss gewährt werden. Zum zweiten ist das SGB II, anders als das SGB XII neben dem Grundsatz des Forderns (§
2 SGB II), auch geprägt durch den des Förderns (§ 14 SGB II). Zudem sind nach dem SGB II ausschließlich erwerbsfähige Hilfebedürftige
originär leistungsberechtigt. Demnach soll nach § 1 Abs. 1 SGB II die Grundsicherung für Arbeitsuchende die Eigenverantwortlichkeit
von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen stärken und dazu beitragen, dass sie ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung
aus eigenen Mitteln und Kräften bestreiten können. Sie soll den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen u.a. bei der Aufnahme einer
Erwerbstätigkeit unterstützen. Die Leistungen der Grundsicherung sind daher insbesondere darauf auszurichten, durch eine Erwerbstätigkeit
Hilfebedürftigkeit zu vermeiden oder zu beseitigen. Hieraus folgt, dass ein besonderer Härtefall i.S. des § 7 Abs. 5 Satz
2 SGB II etwa auch dann anzunehmen ist, wenn wegen einer Ausbildungssituation Hilfebedarf (Bedarf an Hilfe zur Sicherung des
Lebensunterhalts) entstanden ist, der nicht durch
BAföG oder Ausbildungsbeihilfe gedeckt werden kann und wenn deswegen begründeter Anlass für die Annahme besteht, die vor dem Abschluss
stehende Ausbildung werde nicht beendet und damit drohe das Risiko zukünftiger Erwerbslosigkeit, verbunden mit weiter bestehender
Hilfebedürftigkeit. Diese Voraussetzung trägt zweierlei Rechnung: Zum einen entspricht sie dem gesetzgeberischen Willen, neben
den gesetzlich vorgesehenen "Ausbildungshilfen" über das SGB II kein weiteres Hilfesystem zu installieren. Die Hilfe zur Sicherung
des Lebensunterhalts aus dem SGB II muss die Ausnahme bleiben. Zum Zweiten gewährleistet sie den Grundsatz des "Forderns".
Es muss daher eine durch objektive Umstände belegbare Aussicht bestehen, nachweisbar beispielsweise durch Meldung zur Prüfung,
wenn alle Prüfungsvoraussetzungen bereits erfüllt sind, die Ausbildung werde mit Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
in absehbarer Zeit durch einen Abschluss zum Ende gebracht. Unter diesen Voraussetzungen kann von einem besonderen Härtefall
ausgegangen werden, wenn der Lebensunterhalt während der Ausbildung durch Förderung auf Grund von BAföG/SGB III-Leistungen
oder anderen finanziellen Mittel - sei es Elternunterhalt, Einkommen aus eigener Erwerbstätigkeit oder möglicherweise bisher
zu Unrecht gewährte Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts (Vertrauensschutz) - gesichert war, die nun kurz vor Abschluss
der Ausbildung entfallen. Gleiches gilt für den Fall der Unterbrechung der bereits weit fortgeschrittenen und bisher kontinuierlich
betriebenen Ausbildung auf Grund der konkreten Umstände des Einzelfalls wegen einer Behinderung oder Erkrankung. Denkbar ist
auch, dass die nicht mehr nach den Vorschriften des
BAföG oder der §§
60 bis
62 SGB III geförderte Ausbildung objektiv belegbar die einzige Zugangsmöglichkeit zum Arbeitsmarkt darstellt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007
- B 14/11b AS 36/06 R, RdNr. 21-24; BSG, Urteil vom 06.09.2007 - B 14/7b AS 28/06 R).
Die Voraussetzungen für die Annahme eines Härtefalls sind vorliegend weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Der Bg. befindet
sich vielmehr wie viele andere Studenten auch in der Situation, dass die Regelstudienzeit von acht Fachsemestern und damit
die Förderungshöchstdauer nach dem
BAföG überschritten ist, er das Studium aber innerhalb der Regelstudienzeit noch nicht abgeschlossen hat. Dies allein rechtfertigt
aber noch nicht die Annahme einer besonderen Härte, zumal Gründe für die Überschreitung der Regelstudienzeit weder vorgetragen
noch sonst ersichtlich sind. Auch die Krankheit des Bg. führt in der hier vorliegenden Fallgestaltung nicht zum Vorliegen
einer besonderen Härte. Auch im Falle einer die Ausbildung verzögernden Krankheit ist es erforderlich, dass die Ausbildung
bei Gewährung der Leistungen nach dem SGB II voraussichtlich in absehbarer Zeit abgeschlossen wird (BSG, Urteil vom 01.07.2009
- B 4 AS 67/08 R, RdNr. 20). Der vorliegende Fall unterscheidet sich von derjenigen, die der eben genannten Entscheidung des BSG zu Grunde
lag, dadurch, dass der dortige Kläger gesundheitliche Gründe für seine verzögerte Ausbildung benannt hat, aber kein Urlaubssemester
in Anspruch genommen hatte. Ein so wesentlicher Unterschied, der unter dem Licht des Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz zu einer unterschiedlichen Behandlung führen müsste, ist zwischen der dortigen Fallgestaltung und der hier vorliegenden nicht
zu erkennen. So hat der Bg. nicht dargetan, dass das Urlaubssemester aus gesundheitlichen Gründen zwingend erforderlich war,
vielmehr wird es aus ärztlicher Sicht lediglich angeraten. Dass aber derjenige, der unter gesundheitlichen Einschränkungen
leidend sein Studium fortbetreibt, schlechter stehen sollte, als derjenige, der das Erreichen des Studienzieles durch ein
nicht aus Gesundheitsgründen notwendiges, sondern der Gesundheit (nur) zuträgliches Urlaubssemester weiter hinauszögert, ist
nicht begründbar.
Der Bg. hat jedoch bei summarischer Prüfung Anspruch auf einen Mehrbedarf wegen kostenaufwändiger Ernährung gemäß § 23 Abs.
5 SGB II. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 5 SGB II erstreckt sich - wie bereits vorstehend ausgeführt - hierauf nicht.
Nach den aktuellen Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge zur Gewährung von Krankenkostzulagen
in der Sozialhilfe, denen auch im Bereich des SGB II zumindest die Bedeutung einer Richtschnur zukommt, ist bei konsumierenden
Erkrankungen, gestörter Nährstoffaufnahme bzw. Nährstoffverwertung ein Mehrbedarfszuschlag von 10% des Eckregelsatzes anzusetzen,
im vorliegend zu berücksichtigenden Zeitraum mithin ein Betrag von monatlich (nach § 41 Abs. 2 SGB II gerundet) 36,00 EUR.
In den Bereich dieser gesundheitlichen Störungen ist auch die Colitis ulcerosa einzuorden, sofern - wie beim Bg. auf Grund
der ärztlichen Bescheinigung vom 31.08.2009 dargelegt - wegen der Schwere des Krankheitsverlaufes ein erhöhter Kostbedarf
besteht. Da die Bescheinigung aber nur für die Zeit bis zum 01.02.2010 ausgestellt worden war, konnte ein entsprechender Mehrbedarf
auch nur in der Zeit vom 06.11.2009 bis zum 01.02.2009 berücksichtigt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt über die Quote des Obsiegens/Unterliegens (rechnerisch ca. 7%) hinaus, dass die Bf. nach dem aus dem Zeitraum
zwischen dem 17.11.2009 und 23.11.2009 stammenden internen Vermerk auf Bl. 79 der Leistungsakte bereits erkannt hatte, dass
ein Mehrbedarf zu gewähren sei, dem aber auch im Beschwerdeverfahren nicht Rechnung getragen hat.
III. Dem Bg. war für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Nach §
73a Abs.
1 Satz 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) in Verbindung mit §
114 Zivilprozessordnung (
ZPO) erhält ein Beteiligter, der die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe,
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig
erscheint. Im Beschwerdeverfahren vor dem Sächsischen Landessozialgericht sind allerdings die hinreichenden Erfolgsaussichten
nicht zu prüfen, wenn der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat (§
119 Satz 2
ZPO).
Vorliegend hat die vor dem Sozialgericht unterlegene Bf. das Rechtsmittel eingelegt. Da der Bg. bedürftig ist, ist ihm Prozesskostenhilfe
zu gewähren und gemäß §
121 Abs.
2 ZPO sein Prozessbevollmächtigter beizuordnen.
Diese Entscheidung ist endgültig, §
177 SGG.