Kindererziehungszeiten; Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung; Erziehung im Ausland
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung
für Zeiträume, während derer die Klägerin und der Beigeladene mit ihren gemeinsamen Kindern in den Niederlanden wohnten und
die Kinder dort erzogen.
Die 1954 geborene Klägerin spanischer Staatsangehörigkeit ist seit 19. Februar 1983 mit dem Beigeladenen verheiratet. Aus
der Ehe gingen vier Kinder hervor (D., geboren 1983 in H-Stadt [Brsg.], E., geboren 1985 in H-Stadt [Brsg.], F., geboren 1987
in J-Stadt, und G., geboren 1989 in J-Stadt). Die Klägerin, der Beigeladene und die beiden erstgeborenen Kinder wohnten zunächst
in Deutschland. (Spätestens) ab 1. Juli 1985 bis 1. Juli 1994 (Bl. 49 ff. der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten -
im Folgenden: VA -) hatte die Familie ihren Wohnsitz in den Niederlanden (wobei die Beteiligten übereinstimmend von einer
Unterbrechung des Auslandsaufenthalts für die Zeit vom 16. Mai 1989 bis zum 25. Mai 1990 ausgehen, während derer die Klägerin
und die anderen Familienmitglieder wegen der Pflege eines Familienangehörigen in Deutschland gemeldet waren [vgl. Bl. 103
der Gerichtsakte - GA -]). Der beigeladene Ehemann der Klägerin arbeitete während der Zeit, in der die Familie ihren Wohnsitz
in den Niederlanden hatte, als Grenzgänger an einem Klinikum in J-Stadt; die Kinder gingen dort zur Schule. Ab Juli 1994 nahmen
die Klägerin und die übrigen Familienmitglieder ihren Wohnsitz wieder in der Bundesrepublik Deutschland.
Der Versicherungsverlauf der Klägerin weist vor der ersten Pflichtbeitragszeit wegen Kindererziehung (im April 1983) keine
inländischen Beitragszeiten, sei es wegen Beschäftigung, sei es aus anderen Gründen, auf: Nach ihren Angaben bei der Antragstellung
sei sie vor der Geburt ihrer Kinder vom 1. September 1981 bis 31. Dezember 1981 bei K. H-Stadt als Sprachlehrerin selbständig
tätig und vom 1. Januar 1982 bis 31. Dezember 1982 beim Bildungszentrum H-Stadt beschäftigt gewesen, und zwar im Rahmen einer
Teilzeittätigkeit von acht Stunden pro Woche, die mit 500 DM monatlich entlohnt worden sei (vgl. Bl. 6R VA). In der Zeit,
in der sie mit ihrer Familie in den Niederlanden wohnte, ging sie weder dort noch in Deutschland einer Beschäftigung nach.
Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland übte sie ab 1. April 1999 eine geringfügige versicherungspflichtige
Tätigkeit aus. Schließlich sind ab Mai 2004 in ihrem Versicherungskonto Pflichtbeitragszeiten wegen einer Beschäftigung gespeichert.
Im Rahmen eines am 13. September 2006 bei der Beklagten eingegangenen Antrags auf Kontenklärung beantragte die Klägerin, Kindererziehungszeiten
und Berücksichtigungszeiten wegen der Erziehung ihrer vier Kinder zu ihren Gunsten festzustellen. Sie habe die Kinder gemeinsam
mit dem Beigeladenen, der für jedes Kind eine dies bestätigende Erklärung abgab (VA Bl. 6 ff.), erzogen. Ergänzend teilte
der Beigeladene in einem Schreiben vom 27. Januar 2006 (VA Bl. 28) für die Klägerin u.a. mit, sie, die Kinder und er hätten
von Juli 1985 bis Juni 1994 in L./Niederlanden gelebt. Die Klägerin habe sich um die Kindererziehung gekümmert. Er habe als
sogenannter Grenzgänger in J-Stadt am Klinikum gearbeitet.
Mit dem angegriffenen Bescheid vom 4. September 2007 stellte die Beklagte auf der Grundlage von §
149 Abs.
5 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (
SGB VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - rentenrechtliche Zeiten der Klägerin verbindlich fest. Der Bescheid enthielt unter anderem
folgende Regelungen: Wegen F. merkte die Beklagte die Zeit vom 1. Juli 1994 bis 14. September 1997 als Berücksichtigungszeit
wegen Kindererziehung vor. Die Feststellung einer Kindererziehungszeit und einer Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung
im Zeitraum vom 15. September 1987 bis 30. Juni 1994 lehnte sie im Hinblick darauf, dass die Erziehung im Ausland erfolgt
sei, ab. Wegen der Erziehung von G. stellte sie die Zeit vom 1. Juli 1994 bis 7. November 1999 als Berücksichtigungszeit wegen
Kindererziehung fest. Die Zeit vom 8. November 1989 bis 30. Juni 1994 könne - wiederum wegen der Erziehung im Ausland - nicht
als Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung anerkannt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf den
Bescheid (Bl. 4 GA) Bezug genommen.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 27. September 2007 (Bl. 97 VA) Widerspruch
ein. Während der abgelehnten Zeiten habe die Familie ihren Wohnsitz in den Niederlanden gehabt, der Kindesvater habe jedoch
als Grenzgänger im Klinikum J-Stadt beitragspflichtig gearbeitet. Es bestehe daher eine Gleichstellung mit einer Erziehung
im Inland im Sinne des §
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2 SGB VI.
Mit Schreiben vom 2. Januar 2008 (Bl. 104 VA) wies die Beklagte die Klägerin unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen
Gerichtshofs (EuGH) vom 23. November 2000 in der Sache Elsen (C-135/99) darauf hin, dass Kindererziehungszeiten in einem Mitgliedsstaat der Europäischen Union bei einem Wohnort in einem anderen
Staat (nur) anerkannt werden könnten, wenn der Erziehende unmittelbar vor Geburt des Kindes aufgrund einer Beschäftigung oder
selbständigen Tätigkeit nach deutschen Rechtsvorschriften versicherungspflichtig gewesen sei oder wenn der Erziehende bei
gewöhnlichem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat eine versicherungspflichtige Beschäftigung beziehungsweise versicherungspflichtige
selbständige Tätigkeit in Deutschland ausgeübt habe. Das sei bei der Klägerin nicht der Fall gewesen. Mit Widerspruchsbescheid
vom 9. Juni 2008 (Bl. 107 VA) wies die Beklagte sodann unter Verweis auf dieses Schreiben den Widerspruch zurück.
Am 9. Juli 2008 hat die Klägerin daraufhin Klage zum Sozialgericht (SG) Darmstadt erhoben.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte durch Schreiben vom 2. März 2009 im Hinblick auf die Meldung der Familienmitglieder
in Deutschland in der Zeit vom 16. Mai 1989 bis 25. Mai 1990 Berücksichtigungszeiten wegen der Erziehung von D., E. und F.
für die Zeit vom 1. Mai 1989 bis 31. Mai 1990 anerkannt. Für die Erziehung von G. hat sie die Zeit vom 1. Dezember 1989 bis
31. Mai 1990 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 8. November 1989 bis 31. Mai 1990 als Berücksichtigungszeit festgestellt
(Bl. 52 GA). Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen (Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 30. September
2009, Bl. 56 GA).
Das SG hat bei der Klägerin angefragt, ob sie vor der Geburt der Kinder abhängig, selbständig oder versicherungsfrei (in der Bundesrepublik
Deutschland) tätig war. Nach zwei daraufhin von der Klägerin vorgelegten Schreiben des Bildungswerks der Erzdiözese H-Stadt
vom 22. März 2012 (Bl. 91 GA) bzw. 21. Juni 2012 (Bl. 102 GA) sei die Klägerin dort von März 1982 bis Januar 1985 (bzw. 21.
Dezember 1984) als freie Mitarbeiterin im Fachbereich Spanisch tätig gewesen.
Nach einem Hinweis des SG auf die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. April 2011 (B 5 R 22/10 R) hat die Beklagte zudem beim niederländischen Rentenversicherungsträger ermittelt, dass dort Versicherungszeiten zu Gunsten
der Klägerin für die Zeit vom 22. August 1985 bis 30. Juni 1994 vorgemerkt sind. Unter Bezugnahme auf die genannte Entscheidung
des BSG und Art. 44 Verordnung - VO - (EG) Nr. 987/2009 hat die Beklagte sodann mit Schreiben vom 8. Januar 2013 (Bl. 109 GA) - vor dem Hintergrund
der bis zum Januar 1985 ausgeübten nicht versicherungspflichtigen Tätigkeit der Klägerin - wegen der Erziehung von D. und
E. weitere Zeiten anerkannt. Hinsichtlich dieser beiden Kinder sei die Klägerin damit klaglos gestellt. Für die anderen beiden
Kinder komme eine Anerkennung zusätzlicher Zeiten nicht in Betracht, weil durch den seit Juni 1985 bestehenden Auslandsaufenthalt
und das Ende der Tätigkeit der Klägerin in Deutschland im Jahr 1985 zum Zeitpunkt von deren Geburt kein Bezug der Klägerin
mehr zur deutschen Erwerbswelt gegeben gewesen sei, sondern durch die im niederländischen System der Sozialversicherung anerkannten
rentenrechtlichen Zeiten vom 22. August 1985 bis 30. Juni 1994 eine "Vorversicherung" gegeben sei, die eine Anerkennung im
Sinne von Art. 44 Abs. 2 VO (EG) 987/2009 ausschließe. Die Klägerin hat auch dieses Teilanerkenntnis - durch Schriftsatz ihrer
Bevollmächtigten vom 8. Februar 2013 (Bl. 113 GA) - angenommen.
Während des Verfahrens haben die Klägerin und ihr Ehemann, den das SG durch Beschluss vom 23. Februar 2012 (Bl. 79 GA) nach §
75 Abs.
2 Alt. 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zum hiesigen Verfahren beigeladen hat, zudem die Prüfung veranlasst, ob die streitgegenständlichen Zeiten zu Gunsten des
Beigeladenen, der durchweg in Deutschland gearbeitet habe, festgestellt werden könnten. Die Klage des Beigeladenen (Az.: S
6 R 346/12 des SG Darmstadt) gegen den dieses ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 23. November 2011 in Gestalt eines Widerspruchsbescheides
vom 30. Mai 2012 hat das SG Darmstadt durch Urteil vom 13. Oktober 2014 abgewiesen; die Berufung hiergegen, die beim Senat
unter dem Aktenzeichen L 2 R 349/14 anhängig gewesen ist, hat der Beigeladene im Rahmen eines Erörterungstermins vom 13. Januar 2015 zurückgenommen.
Zur Begründung ihrer Klage, die sie wegen der weiterhin teilweise nicht anerkannten rentenrechtlichen Zeiten für die Erziehung
von F. und G. fortgeführt hat, hat die Klägerin im Wesentlichen geltend gemacht, die einschlägigen deutschen Vorschriften
(§§
56 f.
SGB VI) seien europarechtskonform dahin auszulegen, dass die streitigen Zeiten trotz ihres Wohnsitzes in den Niederlanden zu berücksichtigen
seien, und sich hierzu insbesondere auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Reichel-Albert (Urteil vom 19. Juli 2012
- C-522/10) berufen. Unter Verweis auf ein Schreiben der Sociale Verzekeringsbank, also des niederländischen Rentenversicherungsträgers,
vom 3. Juni 2013 (Bl. 121 GA) hat sie zudem ausgeführt, im niederländischen Recht würden keine Erziehungszeiten berücksichtigt.
Sie sei zwar im Zeitraum vom 22. August 1985 bis 30. Juni 1994 als Einwohnerin der Niederlande pflichtversichert gewesen und
werde, wenn sie das maßgebliche Renteneintrittsalter erreiche, aufgrund dieser Versicherung Rente aus den Niederlanden beziehen.
Die Kindererziehung sei damit aber nicht berücksichtigt.
Das SG hat die Klage durch Urteil vom 19. Mai 2014 (GA Bl. 180 ff.) abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt,
im vorliegenden Fall sei für die streitgegenständlichen Zeiten deutsches Recht anwendbar. Dies ergebe sich, wie das SG sodann näher ausgeführt hat, aus den Kollisionsregeln der hier noch maßgeblichen VO (EWG) Nr. 1408/71 (Hinweis auf EuGH,
Urteil v. 19. Juli 2012, Rs. C-522/10, Reichel- Albert, Rn. 27 f.; 31 ff.).
Die Klägerin habe jedoch mangels Vorliegens der Voraussetzungen der §§
56,
57 SGB VI und §
249 SGB VI keinen Anspruch auf Vormerkung der noch streitigen Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten. Bei einer am Wortlaut
orientierter Auslegung der §§
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2,
57 SGB VI seien diese nicht als Kindererziehungs- und Berücksichtigungszeiten anzuerkennen, da die Erziehung der Kinder nicht im Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland erfolgt sei. Der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin mit ihren Kindern in den Niederlanden
stehe einer Inlandserziehung auch nicht nach §
56 Abs.
3 S. 2 und 3
SGB VI gleich: Weder die Klägerin noch der Beigeladene hätten während der Zeit der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt ihrer
in J-Stadt geborenen Kinder Pflichtbeitragszeiten in der deutschen Sozialversicherung wegen einer im Ausland ausgeübten Beschäftigung
oder selbständigen Tätigkeit gehabt. Eine über den wörtlichen Anwendungsbereich hinausgehende erweiternde Auslegung von §
56 Abs.
3 SGB VI mit dem Ziel der Gleichstellung einer Auslandserziehung mit einer Inlandserziehung in den Fällen, in denen der nicht erziehende
Ehegatte in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigt sei, während der Erziehende und das Kind im Ausland lebten, komme nach
der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht in Betracht. Denn die Nichtberücksichtigung von Kindererziehungszeiten im
Ausland in diesen Fällen sei keine planwidrige Regelungslücke (Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 - 4 RA 3/93): Der Gesetzgeber honoriere grundsätzlich ausschließlich die Erziehungsleistung in der Bundesrepublik Deutschland, weil grundsätzlich
nur unter diesen Umständen gerade wegen der Kindererziehung ein Nachteil in der hiesigen Altersversorgung eintreten könne.
Lediglich dann werde ein ausländischer Erziehungsort einem inländischen - ausnahmsweise - gleichgestellt, wenn der Erziehende
vor der Geburt oder während der Kindererziehung in enger Beziehung zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben gestanden habe
(§
56 Abs.
2 Satz 2
SGB VI). Das Prinzip eines engen Bezugs des Erziehenden zum inländischen Arbeits- und Erwerbsleben bei der Gleichstellung des inländischen
mit dem ausländischen Erziehungsort werde in §
56 Abs.
3 Satz 3
SGB VI lediglich aus verfassungsrechtlichen Gründen - ausnahmsweise - durchbrochen und der Inlandsbezug des Erziehenden mittelbar
über den Ehegatten hergestellt. Denn im Hinblick auf die Schutzpflicht des Staates für Ehe und Familie (Art.
6 Abs.
1 Grundgesetz -
GG -) solle es dem erziehenden und nicht erwerbstätigen Elternteil nicht zum Nachteil gereichen, wenn er das Inland verlasse,
um mit dem vorübergehend im Ausland erwerbstätigen Ehegatten, der - weiterhin - in ein inländisches Arbeitsverhältnis eingebunden
sei, und mit dem Kind zusammenzuleben (Hinweis auf BSG, Urteil vom 17. November 1992 - 4 RA 15/91, BSGE 71, 227). Wer [sonst] im Ausland Kinder erziehe und nicht erwerbstätig sei, habe keinen derartigen Bezug zum inländischen Arbeits-
und Erwerbsleben. Bei ihm könne - typisierend und pauschalierend - nicht davon ausgegangen werden, dass ihm [gerade] wegen
der Kindererziehung Pflichtbeitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung entgangen seien. Das Regelungskonzept des §
56 SGB VI sei abschließend und gebiete in diesen Fällen nicht eine mittelbare Anknüpfung an den Status des Ehemannes (Hinweis auf BSG, Urteil vom 25. Januar 1994 - 4 RA 3/93).
Der gewöhnliche Aufenthalt der Klägerin in den Niederlanden stehe auch nicht unter Beachtung europarechtlicher Vorschriften
einem solchen im Inland gleich. Maßstab für die Prüfung der Vereinbarkeit mit Sekundärrecht sei nicht Art. 44 Abs. 2 VO (EG)
Nr. 987/2009, denn diese Verordnung sei nur anwendbar für Fälle, in denen die angegriffenen Verwaltungsentscheidungen nach
dem 1. Mai 2010 ergangen seien (Hinweis auf EuGH, Urteil v. 19. Juli 2012, Rs. C-522/10, Reichel-Albert). Die Vorgängervorschrift VO (EWG) Nr. 1408/71 enthalte keine Bestimmung über die Anerkennung von Kindererziehungszeiten
(nochmals Hinweis auf EuGH, Urteil v. 19. Juli 2012, Rs. C-522/10, Reichel-Albert). Auch europäisches Primärrecht gebiete für die jetzt noch streitigen Zeiten, für die die Klägerin in den
Niederlanden einen Rentenanspruch erworben habe, nicht die Gleichstellung ihres gewöhnlichen Aufenthalts in den Niederlanden
mit einem inländischen Aufenthalt. Die Nichtanerkennung verstoße insbesondere nicht gegen die Unionsbürgerfreizügigkeit (Art.
21 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV -). Die Klägerin werde vorliegend bei deren Ausübung nicht wegen ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert (Hinweis auf Magiera-Streinz,
2. Aufl., EUV/AEUV, Art. 21 Rz. 15 zur Ausprägung der Unionsbürgerfreizügigkeit als Diskriminierungsverbot). Die Nichtanerkennung
der Wohnsitzzeiten der Klägerin in den Niederlanden als Zeiten nach §§
56,57
SGB VI im jetzt noch streitigen Umfang stelle allerdings eine Beschränkung der Unionsbürgerfreizügigkeit dar. Dies sei nach der
Rechtsprechung des EuGH bereits dann der Fall, wenn nationale Bestimmungen die Inanspruchnahme der Freizügigkeit unwahrscheinlicher
machten (Hinweis auf Oppermann, Europarecht, 4. Aufl., S. 302 Rn. 17 und Magiera-Streinz, 2. Aufl., EUV/AEUV, Art. 21 Rn.
15 zur Ausprägung der Unionsbürgerfreizügigkeit als Benachteiligungsverbot). In den Urteilen Elsen und Reichel- Albert habe
der EuGH [zwar] deutlich gemacht, dass aus seiner Sicht §§
56,
57 SGB VI wegen der Nichtanerkennung ausländischer Wohnsitzzeiten als Kindererziehungszeiten gegen europäische Grundfreiheiten verstießen.
Denn eine nationale Regelung, die bestimmte Inländer allein deshalb benachteilige, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht
hätten, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, führe zu einer Ungleichbehandlung, die den Grundsätzen
widerspreche, auf denen der Status eines Unionsbürgers beruhe, nämlich der Garantie der gleichen rechtlichen Behandlung bei
der Ausübung seiner Freizügigkeit (Hinweis auf EuGH, Urteil v. 19. Juli 2012 - C- 522/19, Reichel-Albert; EuGH, Urteil v.
23. November 2000 - C-135/99, Elsen).
Dennoch könne die Klage keinen Erfolg haben: Im Unterschied zum Fall Reichel-Albert habe die Klägerin im vorliegenden Fall
während der noch streitigen Zeiten in den Niederlanden Rentenansprüche aufgrund ihres dortigen Wohnsitzes erworben (Hinweis
auf Bokeloh, Anmerkung zum Urteil Reichel-Albert, ZESAR 2012, 483/490). Aus Sicht des Gerichts treffe die Klägerin damit vorwiegend
ein systemimmanenter Nachteil, der seine Wurzel darin habe, dass die Systeme der sozialen Sicherheit bisher lediglich koordiniert
und nicht harmonisiert seien. Im Bereich der sozialen Sicherheit könnten die Versicherten bisher nicht verlangen, dass ihr
Umzug in einen anderen Mitgliedstaat keine Auswirkungen auf die Art oder das Niveau der Leistungen hätten, die sie in ihrem
Herkunftsstaat beanspruchen könnten. Die Tatsache, dass die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit hinsichtlich seiner Auswirkungen
auf die soziale Sicherheit möglicherweise nicht neutral sei, d.h. je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile haben könne,
sei die unmittelbare Folge dessen, dass der zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehende Unterschied beibehalten
worden sei (Hinweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Niilo Jääskinen vom 1. März 2012, Rechtssache C-522/10, Reichel-Albert). Zwar seien zu Gunsten der Klägerin wie im Fall Reichel-Albert die noch streitgegenständlichen Zeiten der
Kindererziehung als solche weder in Deutschland noch in den Niederlanden anerkannt worden. Die Lücke in ihrer Erwerbsbiographie,
die aufgrund der Erziehung ihrer Kinder entstanden sei, werde jedoch dem Grunde nach vorliegend durch einen auf anderen rentenrechtlichen
Anknüpfungspunkten fußenden Rentenanspruch in den Niederlanden geschlossen, so dass das Gericht anders als im Fall Reichel-Albert
keinen Anlass zu einer rechtsfortbildenden Entscheidung sehe.
Die Klägerin hat - nach Zustellung des Urteils bei ihren Prozessbevollmächtigten am 11. Juni 2014 - am 7. Juli 2014 Berufung
(GA Bl. 201) eingelegt. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, die Ablehnung der Anerkennung der streitigen Zeiten
führe zu einer Benachteiligung, die sowohl nach nationalem als auch nach europäischem Recht nicht mehr hinnehmbar sei. Sinn
und Zweck der Kindererziehungszeiten sei es, meistens für die Mutter den Ausfall von Beiträgen zur Altersversorgung zu kompensieren
und gleichzeitig die Leistung zu würdigen, die der Gesellschaft durch die Leistung der Erziehenden und damit auch dem Rentensystem
zu Gute komme.
Maßgeblich sei in diesem Zusammenhang auch nach dem Urteil Reichel-Albert, ob der Betroffene vor und nach der Kindererziehung
ausschließlich in das Erwerbsleben der Bundesrepublik Deutschland integriert und der Aufenthalt im Ausland, hier in den Niederlanden,
nur vorübergehend gewesen sei. In diesem Falle könnten die Lücken in der Erwerbsbiographie, die auf die Kindererziehung zurückzuführen
seien, nur durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung geschlossen werden.
Zudem habe der Beigeladene in der fraglichen Zeit in der Bundesrepublik versicherungspflichtig gearbeitet, so dass auch §
56 Abs.
1 S. 2 Nr.
2 Alt. 2
SGB VI, also die Gleichstellung mit inländischen Zeiten, zur Anwendung kommen müsse. Auch hätten ihre Kinder in Deutschland die
Schule bzw. Betreuungseinrichtungen besucht. Eine Nichtanerkennung der streitigen Zeiten führe unter diesen Umständen zu einer
nicht nachvollziehbaren Benachteiligung einer Mutter nur deswegen, weil sie vorübergehend mit der gesamten Familie wenige
Kilometer hinter der deutschen Grenze gewohnt habe. Daraus resultiere eine "Diskriminierung wegen der Kindererziehung".
Der Ausfall der streitigen Zeiten werde auch nicht durch die Rentenansprüche in der niederländischen Rentenversicherung kompensiert.
Wie die Auskunft der Sociale Verzekeringsbank vom 3. Juni 2013 ergeben habe, würden in den Niederlanden keine Erziehungszeiten
anerkannt. Im Übrigen müsse Art. 44 Abs. 2 VO (EG) Nr. 987/2009, aus dem sich ein entsprechender Anspruch zu Gunsten der Klägerin
ergebe, auch für noch nicht bestandskräftige Bescheide gelten. Es könne insoweit nicht auf den Erlass des Erst- oder Widerspruchsbescheides
ankommen.
Zum Umfang der Erziehung ihrer vier Kinder hat die Klägerin geltend gemacht, dass diese überwiegend und unter ausschließlicher
Beteiligung des Beigeladenen in ihren Händen gelegen habe. Dritte Personen seien an der Erziehung und Versorgung - mit Ausnahme
von Lehrkräften - nicht beteiligt gewesen.
Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Darmstadt vom 19. Mai 2014 den Bescheid vom 4. September 2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2008, abgeändert durch die angenommenen Teilanerkenntnisse der Beklagten vom 2. März 2009
und 8. Januar 2013, abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, zu Gunsten der Klägerin
-
die Zeit vom 1. Oktober 1987 bis 30. September 1988 als Kindererziehungszeit wegen der Erziehung des Kindes F. C., geboren
1987,
-
zusätzlich die Zeit vom 1. Juni 1990 bis 30. November 1990 als Kindererziehungszeit wegen der Erziehung des Kindes G. C.,
geboren 1989, sowie
-
die Zeit vom 6. März 1993 bis 30. Juni 1994 als gleichzeitige Berücksichtigungszeit wegen der Erziehung mehrerer Kinder vorzumerken.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und ihre Bescheide. Dabei weist sie darauf hin, dass auf Grund der in der
niederländischen Sozialversicherung anerkannten Wohnsitzzeiten vom 22. August 1985 bis 30. Juni 1994 sehr wohl eine Anbindung
der Klägerin an das niederländische Sozialversicherungssystem vorhanden sei.
Auf Anfrage des Berichterstatters hat sie mitgeteilt, dass bislang keine Änderungsbescheide im Hinblick auf die Änderungen
des §
249 SGB VI zum 1. Juli 2014 durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23. Juni 2014 (BGBl.
I S. 787) erteilt worden seien.
Der Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt. Er hat allerdings unter dem 9. Juli 2015 erklärt, dass er (sowohl) im
Verwaltungsverfahren (als auch im gerichtlichen Verfahren) wegen der streitigen Zeiten ausreichend beteiligt gewesen sei und
keine Wiederholung dieses Verfahrens wünsche.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowohl zum hiesigen wie zum
Verfahren des Beigeladenen (SG Darmstadt - S 6 R 315/14; Hess. LSG - L 2 R 349/14) sowie der zur Klägerin geführten Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber nicht begründet. Das angegriffene Urteil ist nicht zu beanstanden; die Klägerin hat keinen
über das zweite Teilanerkenntnis der Beklagten vom 8. Januar 2013 hinausgehenden Anspruch auf Vormerkung rentenrechtlicher
Zeiten.
Der Senat hat dabei keinen ausreichenden Anlass gesehen, den Rechtsstreit auszusetzen und die Frage, ob §
56 SGB VI (ggf. i.V.m. §
57 SGB VI) im Lichte von Art. 21 AEUV so anzuwenden ist, dass es auf den Auslandsaufenthalt der Klägerin nicht ankommt, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen.
Eine Vorlagepflicht besteht nicht: Diese ist in Art. 267 Abs. 3 AEUV nur für den Fall vorgesehen, dass die Entscheidung des nationalen Gerichts nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen angegriffen
werden kann. Dazu gehört neben der Revision selbst auch die Nichtzulassungsbeschwerde wegen einer nichtzugelassenen Revision
(vgl. Wegener, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 267 AEUV Rn. 26 und Ehricht, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 267 AEUV Rn. 42), die hier statthaft ist. Die Frage, ob eine Vorabentscheidung eingeholt wird, stand damit im Ermessen des Senats.
Bei dessen Ausübung hat der Senat namentlich berücksichtigt, dass es sich hier um einen auslaufenden Rechtszustand handelt
und zudem die hiesige Fallgestaltung sich von den bisher durch den EuGH entschiedenen doch so deutlich unterscheidet, dass
der Senat seine Entscheidung auch nicht als Abweichung von dessen Rechtsprechung versteht.
I. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind die Kindererziehungszeiten und Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung und
der diesbezüglich von der Beklagen erlassene Bescheid vom 4. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni
2008, den die Beklagte zwischenzeitlich durch die beiden - jeweils angenommenen - Teilanerkenntnisse vom 2. März 2009 und
8. Januar 2013 zu Gunsten der Klägerin geändert hat, ohne damit deren Begehren vollständig zu entsprechen: So hat die Beklagte
inzwischen Pflichtbeitragszeiten für Kindererziehung für die Zeiten vom 1. April 1983 bis 31. März 1984 (wegen D.), vom 1.
März 1985 bis 28. Februar 1986 (wegen E.) und vom 1. Dezember 1989 bis 31. Mai 1990 (wegen G.) anerkannt (wobei Letzteres
darauf beruht, dass die Beklagte von einem zwischenzeitlichen Inlandsaufenthalt der Familie ausgegangen ist). Streitig ist
daher im hiesigen Verfahren (nur) noch die Vormerkung von Kindererziehungszeiten vom 1. Oktober 1987 bis 30. September 1988
(wegen F. - wegen der bisher Kinderziehungszeiten noch gar nicht anerkannt sind) und vom 1. Juni 1990 bis 30. November 1990
(wegen G. - für die Zeit, nachdem die Klägerin mit ihrer Familie wieder in die Niederlande verzogen war); die Klägerin hat
ihren Antrag dementsprechend formuliert.
Die auf Grund der Änderung des §
249 Abs.
1 SGB VI zum 1. Juli 2014 durch das Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung vom 23. Juni 2014 (BGBl.
I S. 787) im Raum stehende Frage nach der Anerkennung weiterer Kindererziehungszeiten (für das zweite Lebensjahr des jeweiligen Kindes)
ist nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens: Die Beklagte hat diesbezüglich, wie sie auf Anfrage mitgeteilt hat, noch keine
Bescheide erlassen, die über §
96 SGG (i.V.m. §
153 Abs.
1 SGG) in das Verfahren einzubeziehen sein könnten; die Klägerin hat ihre Klage auf entsprechende Ansprüche nicht erweitert.
Den Antrag wegen der Vormerkung weiterer Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung hat die Klägerin in der mündlichen
Verhandlung sinnvollerweise auf das Begehren beschränkt, die Zeit vom 6. März 1993 bis 30. Juni 1994 sei als gleichzeitige
Berücksichtigungszeit wegen der Erziehung mehrerer Kinder vorzumerken: Die Beklagte hat Berücksichtigungszeiten nämlich bereits
durchgängig für die Zeit vom 6. März 1983 bis zum 7. November 1999 vorgemerkt; da Berücksichtigungszeiten auch in der Zeit,
in der der oder die Betroffene mehrere Kinder gleichzeitig erzogen hat, nur einfach vorliegen und sich der Gesamtzeitraum
- anders als bei den Kindererziehungszeiten - durch die parallele Erziehung mehrerer Kinder nicht verlängert (vgl. für viele
Gürtner, in: Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, §
57 SGB VI Rn. 6), ist insofern grundsätzlich kein Raum für weiteren Streit. Allerdings knüpft die Vorschrift des §
70 Abs.
3a Satz 2 Bst. b
SGB VI für die Zeit ab 1. Januar 1992 die dort vorgesehene Gewährung zusätzlicher Entgeltpunkte an die zeitgleiche Erziehung mehrerer
Kinder bis zum vollendeten zehnten Lebensjahr. Nachdem entsprechende Feststellungen der Beklagten bislang nur für die Zeiten
vom 1. Januar 1992 bis 5. März 1993 und vom 1. Juli 1994 bis 14. September 1997 vorliegen, besteht an der Vormerkung einer
Berücksichtigungszeit wegen der Erziehung mehrerer Kinder (nur) für die Zwischenzeit durchaus ein Rechtsschutzinteresse; die
Klägerin hat ihren Antrag in der mündlichen Verhandlung auf diese rechtliche Lage eingestellt.
Weiter ging es, auch wenn der schriftsätzlich formulierte Antrag insoweit missverständlich gefasst war, im Verfahren von Anfang
an erkennbar nicht darum, zu Gunsten des jeweiligen Kindes ("für das Kind R") irgendwelche Zeiten vorzumerken; Begünstigte
und damit richtige Aktivbeteiligte war und ist vielmehr die Klägerin, in deren Versicherungskonto ("wegen der Erziehung des
Kindes R" bzw. "zu Gunsten der Klägerin für das Kind ..") entsprechende Zeiten ggf. vorzumerken sind; der in der mündlichen
Verhandlung dann unmissverständlich formulierte Antrag stellt vor diesem Hintergrund keine Klageänderung dar, sondern führt
nur zu einer Klarstellung.
Schließlich hatte die Klägerin schriftsätzlich ihr Begehren als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ausgestaltet,
indem sie unmittelbar die Anerkennung entsprechender Zeiten (durch das Gericht) - und nicht die Verpflichtung der Beklagten
hierzu - verlangt hatte. Statthafte Klageart für das Vormerkungsbegehren der Klägerin ist jedoch allein die kombinierte Anfechtungs-
und Verpflichtungsklage auf der Grundlage von §§
54 Abs.
1 Satz 1,
56 SGG (vgl. nur BSG, Urtl. v. 11. Mai 2011 - B 5 R 22/10 R). Die Klägerin hat den in der mündlichen Verhandlung gestellten Antrag entsprechend angepasst; dabei dürfte es sich nicht
einmal um eine Klageänderung handeln, vielmehr ein Fall des §
99 Abs.
3 Nr.
2 SGG vorliegen; auch eine Klageänderung wäre aber in jedem Falle sachdienlich und damit zulässig (§
99 Abs.
1 SGG).
II. Mit diesem Gegenstand ist die Berufung statthaft (§
143 f.
SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht (§
151 SGG) eingelegt.
III. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Klägerin kann die Vormerkung der noch streitigen Zeiten nicht verlangen.
Jedenfalls hinsichtlich des noch streitigen Begehrens war die Klage allerdings statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere
form- und fristgerecht erhoben (§§
87,
90 SGG). Auch ist das Verfahren des SG nicht zu beanstanden; insbesondere hat es den Ehemann der Klägerin und Vater der Kinder beigeladen (vgl. zu dieser regelmäßig
bestehenden Notwendigkeit für viele nochmals BSG, Urtl. v. 11. Mai 2011 - B 5 R 22/10 R, außerdem: BSG, Urteil vom 27. Juni 1990 - 5 RJ 6/90 - SozR 3-1500 § 75 Nr. 3 sowie BSG, Urteil vom 29. Oktober 1991 - 13/5 RJ 22/89 -).
Die Klägerin kann mit ihrem Begehren jedoch in der Sache keinen Erfolg haben.
Dabei bleibt zunächst der sich aus § 12 Abs. 2 Satz 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - ergebende Verfahrensfehler ohne Folgen: Die Vorschrift sieht vor, dass
ein Dritter, wenn der Ausgang eines Verwaltungsverfahrens rechtsgestaltende Wirkung für ihn hat, auf Antrag als Beteiligter
zu dem Verfahren hinzuzuziehen ist; soweit er der Behörde bekannt ist, hat sie ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen.
Da eine rechtsgestaltende Wirkung im Sinne der Vorschrift schon dann anzunehmen ist, wenn der Verwaltungsakt, der erlassen
werden soll, unmittelbar in die Rechtssphäre des Dritten eingreift, auch wenn es sich nicht um einen rechtsgestaltenden Verwaltungsakt
im engeren Sinne handelt (vgl. für viele Vogelgesang, in: Hauck/Noftz, SGB, § 12 SGB X Rn. 36 ff. m.w.Nw.), hätte die Beklagte den Beigeladenen - entsprechend der Beiladung im gerichtlichen Verfahren - von der
Einleitung des Verwaltungsverfahrens benachrichtigen müssen (vgl. wiederum BSG, Urtl. v. 11. Mai 2011 - B 5 R 22/10 R). Auch ist dieser Mangel nicht etwa deswegen unbeachtlich, weil der Beigeladene um das Verfahren wusste; eine ordnungsmäßige
Benachrichtigung ist nämlich nur dann erfolgt, wenn sie den Hinweis enthält, dass ein Antrag auf Beteiligung an dem Verfahren
gestellt werden kann; nur dann ist der Dritte in der Lage, seine Rechte wahrzunehmen (vgl. BSG, Urtl. v. 12. Juni 2001 - B 4 RA 37/00, SozR 3-1300 § 12 SGB X Nr. 2 und Vogelgesang in: Hauck/Noftz, SGB, § 12 SGB X Rn. 41).
Der entsprechende Fehler ist aber jedenfalls zwischenzeitlich als folgenlos zu behandeln, nachdem der Beigeladene ausdrücklich
auf eine Wiederholung des Verfahrens verzichtet hat (vgl. zu dieser Möglichkeit wiederum BSG, Urtl. v. 11. Mai 2011 - B 5 R 22/10 R). Überdies hat der Beigeladene sein Verfahren, in dem er die Vormerkung entsprechender Zeiten zu seinen Gunsten verlangt
hatte, durch Rücknahme der Berufung beendet; der ablehnende Bescheid vom 23. November 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 30. Mai 2012 ist damit zu seinen Lasten bindend geworden. Unter diesen Umständen könnte eine Entscheidung zu Gunsten der
Klägerin im hiesigen Verfahren sich nicht (mehr) nachteilig auf seine Rechtsposition auswirken, weil zwischen ihm und der
Beklagten ohnehin feststeht, dass er keinen Anspruch auf Feststellung entsprechender Zeiten hat. Da § 12 Abs. 2 SGB X ausschließlich der Wahrung seiner Rechte dient, hat die fehlende förmliche Unterrichtung des Beigeladenen keine Relevanz
mehr.
Inhaltlich kann die Klägerin die Vormerkung weiterer im hiesigen Verfahren streitiger Zeiten nicht verlangen. Anspruchsgrundlage
für die begehrte Vormerkung ist dabei §
149 Abs.
5 Satz 1
SGB VI. Nach dieser Vorschrift stellt der Versicherungsträger, nachdem er das Versicherungskonto geklärt hat, die im Versicherungsverlauf
enthaltenen und nicht bereits festgestellten Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, durch Bescheid fest (sog.
Vormerkungsbescheid). Eine Kindererziehungszeit ist in diesem Rahmen gemäß §
56 Abs.
1 Satz 2
SGB VI für einen Elternteil vorzumerken, wenn (1.) die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist, (2.) die Erziehung im Gebiet
der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und (3.) der Elternteil nicht von der Anrechnung
ausgeschlossen ist. Für die Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung nimmt §
57 Satz 1
SGB VI im Wesentlichen Bezug auf diese Voraussetzungen: Danach ist nämlich die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem
zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit
nach §
56 SGB VI auch in dieser Zeit vorliegen.
Dabei kann sich ein Anspruch auf Vormerkung von (Kindererziehungs-)Zeiten (bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung)
zur deutschen Rentenversicherung nur aus dem deutschen (ggf. durch europäische Normen überlagerten) Recht ergeben. Das europäische
Recht hat erst im Zusammenhang mit der Frage, ob §§
56,
57 SGB VI (zwar anwendbar, ihrem Wortlaut nach jedoch nicht erfüllt, aber) auf Grund europäischen Rechts erweiternd auszulegen sind
(bzw. bestimmte, den Anwendungsbereich dieser Vorschriften einschränkende Tatbestandsvoraussetzungen unangewendet bleiben
müssen), Bedeutung; unmittelbar anspruchsbegründende Normen für die Vormerkung inländischer rentenrechtlicher Zeiten aus dem
europäischen Recht - das nur koordinierende Funktion hat - oder gar aus dem niederländischen Recht existieren nicht.
Im konkreten Fall kann die begehrte Feststellung wegen der Erziehung im Ausland nicht erfolgen; die übrigen Anspruchsvoraussetzungen
sind dagegen zur Überzeugung des Senats erfüllt (nachdem dies vorliegend nicht entscheidungserheblich ist, ist dazu nur auszuführen,
dass der Senat auf Grund der Ausführungen der Klägerin - zuletzt in ihrer schriftlichen Erklärung vom 9. Juli 2015 - und des
Beigeladenen - schon im Verwaltungsverfahren -, an denen zu zweifeln keinerlei Anlass besteht und die auch von der Beklagten
nicht in Frage gestellt wurden, überzeugt ist, dass die Klägerin die Kinder zwar nicht alleine, sondern zusammen mit dem Beigeladenen,
aber - angesichts von dessen Vollzeittätigkeit - überwiegend erzogen hat und Dritte die Erziehung nicht in erheblichem Umfang
substituierend übernommen haben; Gründe, warum die Klägerin von der Anrechnung nach §
56 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3, Abs.
4 SGB VI - für die Berücksichtigungszeiten i.V.m. §
57 SGB VI - ausgeschlossen sein könnte, sind nicht ersichtlich).
Eine Erziehung in der Bundesrepublik kann nur bejaht werden, wenn sich der erziehende Elternteil mit dem Kind dort gewöhnlich
aufgehalten hat (§
56 Abs.
3 Satz 1
SGB VI) - das ist im Falle der Klägerin unstreitig nicht der Fall gewesen und wird von ihr gerade nicht behauptet, so dass dies
zur Überzeugung des Senats ohne weitere Ermittlungen festgestellt werden kann -; vielmehr hatte die Klägerin in den streitigen
Zeiträumen ihren (Wohnsitz und) gewöhnlichen Aufenthalt (zum Begriff: §
30 Abs.
3 Satz 2
SGB I) mit ihren Kindern (und dem Beigeladenen) in den Niederlanden.
Die Gleichstellung einer tatsächlich im Ausland erfolgten Erziehung mit einer inländischen sieht das innerstaatliche Recht
- neben den hier von vornherein nicht einschlägigen Vorschriften für Vertriebene etc. in § 28b Fremdrentengesetz oder für eine Erziehung im früheren Geltungsbereich der Reichsversicherungsgesetze nach §
249 Abs.
2 Satz 1
SGB VI - (nur) vor, wenn sich der erziehende Elternteil mit seinem Kind im Ausland gewöhnlich aufgehalten und während der Erziehung
oder unmittelbar vor der Geburt des Kindes wegen einer dort, also im Ausland, ausgeübten Beschäftigung oder selbständigen
Tätigkeit Pflichtbeitragszeiten im Inland hat (vgl. §
56 Abs.
3 Satz 2
SGB VI). Dies gilt bei einem gemeinsamen Aufenthalt von Ehegatten im Ausland auch, wenn der Ehegatte des erziehenden Elternteils
solche Pflichtbeitragszeiten hat oder nur deshalb nicht hat, weil er zu den in §
5 Abs.
1 und 4
SGB VI genannten Personen gehört hat oder von der Versicherungspflicht befreit gewesen ist (§
56 Abs.
3 Satz 3
SGB VI). Angesprochen sind damit Entsendungsfälle, also Konstellationen, bei denen die Tätigkeit im Ausland über die Regelungen
zur sog. Ausstrahlung (vgl. § 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -) zu inländischen
Versicherungszeiten führen. Das Bundessozialgericht hat die Vorschrift allerdings nicht als abschließende Regelung des (auch)
bei Auslandserziehung begünstigten Personenkreises betrachtet, sondern in §
56 Abs.
3 Sätze 2 und 3
SGB VI eine lediglich beispielhafte Beschreibung besonders typischer Fallgestaltungen mit Auslandsbezug gesehen (vgl. zusammenfassend
Fichte, in: Hauck/Noftz,
SGB VI K §
56 Rn. 14 sowie Költzsch, DAngVers 1995, 109 und Funk, VSSR 1994, 119/124 ff.). Das Normprogramm des §
56 SGB VI komme, so das BSG, in Abs. 2 Sätze 2 und 3 nur unzureichend zum Ausdruck; dessen Anwendungsbereich sei deswegen - über den Wortlaut hinaus - auf weitere
Fälle zu erstrecken, in denen dem Betroffenen deutsche Rentenanrechte nicht (in erster Linie) wegen der Integration in eine
"ausländische Arbeitswelt", sondern im Wesentlichen wegen der Kindererziehung entgangen seien (vgl. hierzu grundlegend BSG, Urtl. v. 16. August 1990 - 4 RA 4/90 - SozR 3-2200 §1251a Nr. 6; außerdem BSG, Urtl. v. 17. November 1992 - 4 RA 15/91 - SozR 3-2600 § 56 Nr. 4 = BSGE 71, 227). Ob dem gefolgt werden kann, ist hier nicht zu entscheiden, da das Bundessozialgericht - mangels Regelungslücke - eine erweiternde
Auslegung doch jedenfalls dann abgelehnt hat, wenn der erziehende Elternteil oder sein Ehe- oder Lebenspartner - wie hier
- zwar im Ausland gelebt, die Beschäftigung oder Tätigkeit vor der Geburt oder während der Erziehung aber gerade nicht im
Ausland, sondern in der Bundesrepublik ausgeübt hat (vgl. BSG, Urteile v. 17. November 1992 - 4 RA 15/91 = BSGE 71, 227 = SozR 3-2600 § 56 Nr. 4 und v. 25. Januar 1994 2 4 RA 3/93 - SozR 3- 2600 §
56 Nr. 6 und hierzu Schuler-Harms, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VI, 2. Aufl. 2013, §
56 SGB VI Rn. 52). Das ist auch nach Auffassung des Senats überzeugend, und zwar selbst dann, wenn man mit dem BSG grundsätzlich bereit ist, über den vergleichsweise eindeutigen Wortlaut von §
56 Abs.
2 und
3 SGB VI hinauszugehen: Im Falle der Klägerin erfolgte die Übersiedlung in die Niederlande und die Kindererziehung dort nämlich gerade
nicht wegen einer im Ausland ausgeübten, aber mit dem innerstaatlichen System der sozialen Sicherung verbundenen Beschäftigung.
Vielmehr war der Beigeladene durchgängig im Inland (und die Klägerin selbst gar nicht) berufstätig; die Wahl des Wohnorts
in den Niederlanden war daher ersichtlich nicht durch die Berufstätigkeit veranlasst. Insofern passen die aus §
56 Abs.
2 und
3 SGB VI entnehmbaren Wertungsgesichtspunkte auf die hiesige Konstellation nicht, so dass sich eine (entsprechende) Anwendung der
Vorschrift verbietet.
Denkbar ist eine Gleichstellung daher nur auf europarechtlicher Grundlage; auch dies ist aber letztlich abzulehnen. Maßgeblich
ist dabei (noch) die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Zwar ist im Sozialgerichtsprozess für die Entscheidung über eine (Anfechtungs-
und) Verpflichtungsklage regelmäßig auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung abzustellen und daher unter Einbeziehung
der Grundsätze des intertemporalen Rechts grundsätzlich auch im Verlauf des gerichtlichen Verfahrens in Kraft getretenes Recht
zu berücksichtigen: Deshalb hat das BSG (Urt. v. 11. Mai 2011 - B 5 R 22/10 R) in einem vergleichbaren Fall auch die zwischenzeitlich - am 1. Mai 2010 - in Kraft getretenen Verordnungen VO (EG) Nr.
987/2009 und VO (EG) Nr. 883/2004 für anwendbar und daher insbesondere Art. 44 VO (EG) Nr. 987/2009 für einschlägig gehalten,
der die (weitere) Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach einem Umzug in einen anderen Mitgliedsstaat regelt (und den die
Beklagte im Übrigen zur Grundlage ihres Teilanerkenntnisses vom 8. Januar 2013 gemacht hat).
Der für die Auslegung europäischen Rechts maßgeblich zuständige Europäische Gerichtshof hat sich jedoch in einer (später ergangenen
und vom BSG daher noch nicht berücksichtigten) Entscheidung (EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - C-522/10 - Reichel- Albert; insoweit zust. Bokeloh in seiner Anm. zur genannten Entscheidung: ZESAR 2012, 487/488) gegen die Anwendung
des neuen Rechts in Fällen wie dem hiesigen ausgesprochen: Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbiete es, so der EuGH, im
Allgemeinen, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Union auf einen Zeitpunkt vor dessen Veröffentlichung zu legen,
sofern dies nicht ausnahmsweise aufgrund eines im Allgemeininteresse liegenden Ziels geboten und das berechtigte Vertrauen
der Betroffenen gebührend beachtet sei und aus Wortlaut, Zweck oder Aufbau der betreffenden Vorschriften eindeutig hervorgehe,
dass ihnen eine solche Wirkung beizumessen sei. Konkret habe der Unionsgesetzgeber in Art. 97 der Verordnung Nr. 987/2009
als Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung den 1. Mai 2010 festgelegt, ohne dass ein Erwägungsgrund oder eine andere
Vorschrift dieser Verordnung in dem Sinne verstanden werden könnte, dass die Geltung von Art. 44 der genannten Verordnung
zu einem früheren Zeitpunkt als dem der Veröffentlichung dieses Rechtsaktes beginnen solle. Vielmehr ergebe sich aus Art.
87 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004, der gemäß Art. 93 der Verordnung Nr. 987/2009 für die von dieser geregelten Sachverhalte
gelte, dass diese keine Ansprüche für den Zeitraum vor Beginn ihrer Anwendung, dem 1. Mai 2010, begründe. Daher sei festzustellen,
dass zu der Zeit, als der Rentenversicherungsträger seine im Ausgangsverfahren angefochtenen Bescheide [das war im Ausgangsverfahren
Reichel-Albert am 12. August und 28. Oktober 2008; der Widerspruchsbescheid stammte vom 29. Januar 2009] erlassen habe, die
Verordnung Nr. 987/2009 noch nicht anwendbar gewesen sei. Unter diesen Umständen seien auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens
grundsätzlich die Regeln der Union zur Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit wie die der Verordnung
(EWG) Nr. 1408/71 anzuwenden, die im Licht der einschlägigen Bestimmungen des AEUV und insbesondere der Bestimmungen über die Freizügigkeit auszulegen seien. Angesichts der Autorität, die der EuGH bei der
Auslegung europäischen Rechts beanspruchen kann, ist daher auch hier - der Ausgangsbescheid stammt vom 4. September 2007,
der Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2008 - davon auszugehen, dass die VO (EG) Nr. 987/2009 noch nicht anwendbar ist, sondern
das im Wesentlichen durch die VO (EWG) Nr. 1408/71 geprägte frühere Recht maßgeblich bleibt.
Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 selbst enthält keine spezielle Regel zur Anrechnung von in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten
Kindererziehungszeiten. Der EuGH hat vor diesem Hintergrund allerdings in der Entscheidung Reichel-Albert auf Art. 21 AEUV zurückgegriffen und diesen für die Beantwortung der Frage herangezogen, ob die zuständige Einrichtung eines ersten Mitgliedstaats
(hier wie dort: die DRV) dazu verpflichtet sei, diejenigen Kindererziehungszeiten wie im Inland zurückgelegte Zeiten zu berücksichtigen,
die in einem zweiten Mitgliedstaat von einer Person zurückgelegt wurden, die zur Zeit der Geburt ihrer Kinder ihre Berufstätigkeit
in dem ersten Mitgliedstaat eingestellt und ihren Wohnsitz vorübergehend im Hoheitsgebiet eines zweiten Mitgliedstaats begründet
hatte, ohne dort eine unselbständige oder selbständige Erwerbstätigkeit auszuüben (EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - C-522/10 - Reichel- Albert). Der EuGH hat dies unter Heranziehung des Art. 21 AEUV in seiner Ausprägung als Benachteiligungsverbot für den Fall bejaht, dass eine Person - wie die dortige Klägerin - ausschließlich
in ein und demselben Mitgliedstaat gearbeitet und Beiträge gezahlt hatte, und zwar sowohl vor als auch nach der vorübergehenden
Verlegung ihres Wohnsitzes aus rein familiären Gründen in einen anderen Mitgliedstaat, in dem sie zu keiner Zeit gearbeitet
oder Beiträge gezahlt hatte; in diesem Fall sei davon auszugehen, dass zwischen diesen Kindererziehungszeiten und den Versicherungszeiten,
die aufgrund einer Berufstätigkeit im erstgenannten Mitgliedstaat zurückgelegt worden seien, eine hinreichende Verbindung
bestehe (EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - C-522/10 - Reichel-Albert - unter Verweis auf die Urteile Elsen [vom 23. November 2000 - C-135/99 -] und Kauer [vom 7. Februar 2002 - C-28/00 -]). Die Mitgliedstaaten seien zwar weiterhin für die Ausgestaltung ihrer Systeme der sozialen Sicherheit zuständig, müssten
dabei jedoch das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des Vertrags über die nach Art. 21 AEUV gewährleistete Freizügigkeit beachten. Das schließe es aus, dass eine Person, die Kinder erziehe bzw. erzogen habe und während
der Erziehung oder unmittelbar vor der Geburt ihrer Kinder keine Pflichtbeitragszeiten wegen einer ausgeübten Beschäftigung
oder selbständigen Tätigkeit erworben habe, bei der Festsetzung der Höhe ihrer Altersrente allein deshalb, weil sie ihren
Wohnsitz vorübergehend in einen anderen Mitgliedstaat verlegt habe, keinen Anspruch auf Berücksichtigung ihrer Kindererziehungszeiten
besitze, selbst wenn sie in diesem zweiten Mitgliedstaat weder eine Beschäftigung noch eine selbständige Erwerbstätigkeit
ausgeübt habe. Dadurch werde eine solche Person nämlich in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitze, weniger
günstig behandelt, als wenn sie von den Erleichterungen, die ihr der AEUV in Bezug auf die Freizügigkeit gewährt, nicht Gebrauch gemacht hätte. Eine nationale Regelung, die bestimmte Inländer (und
Gleiches muss wohl für Bürger anderer Staaten der Europäischen Union - wie die Klägerin - mit hinreichender Beziehung zur
deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gelten) allein deshalb benachteilige, weil sie von ihrem Recht Gebrauch gemacht
hätten, sich in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und dort aufzuhalten, führe jedoch zu einer Ungleichbehandlung,
die den Grundsätzen widerspreche, auf denen der Status eines Unionsbürgers beruhe, nämlich der Garantie der gleichen rechtlichen
Behandlung bei der Ausübung seiner Freizügigkeit (EuGH, Urteil vom 19. Juli 2012 - C-522/10 - Reichel- Albert).
Die Entscheidung des EuGH erscheint jedoch schon für die dort maßgebliche Fallgestaltung nicht als zwingend, da die Feststellung
von Kindererziehungszeiten im deutschen Recht keinerlei Bezug zu einer vorherigen oder nachgehenden Beschäftigung hat, so
dass nicht wirklich ersichtlich ist, weshalb eine solche - bzw. die "Umrahmung" der Zeiten der Kindererziehung durch Beitragszeiten
wegen einer Beschäftigung, die der EuGH im Verfahren Reichel-Albert herausgestellt hat - für die Zuordnung einer im Ausland
zurückgelegten Kindererziehungszeit zum deutschen Rentenversicherungssystem von Bedeutung sein soll (krit. aus diesem Grunde
auch Bokeloh, a.a.O., S. 488).
Zudem hat sich die Klägerin gerade nicht zum Zweck der Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit (oder einer der anderen Grundfreiheiten)
in den Niederlanden aufgehalten, sondern allein unter Ausübung der allgemeinen Unionsbürgerfreizügigkeit, was ebenfalls nicht
ohne Bedeutung ist: Zwar knüpft Art. 21 AEUV und die dort in Abs. 1 statuierte Unionsbürgerfreizügigkeit, auf die sich der EuGH stützt, nicht (mehr) die Grundfreiheiten an. Art. 21 AEUV selbst sieht als solcher gar keine sozialrechtliche Koordinierung vor. Das hier - gerade nach der oben dargelegten Auffassung
des EuGH - noch maßgebliche Koordinierungsregime der VO (EWG) Nr. 1408/71 ist dagegen noch in starkem Maße von der Absicherung
der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Selbständigen geprägt, wie sich schon an der Präambel zeigt - und das Gewicht von
Beschäftigungszeiten und hierfür gezahlter Beiträge hat den EuGH im Übrigen gerade dazu veranlasst, im Fall Reichel-Albert
von einer hinreichenden Verbindung zum deutschen Sozialversicherungssystem auszugehen. Wenn nun die für den hier streitigen
Zeitraum maßgebliche und insbesondere auf Arbeitnehmer und Selbständige zielende Koordinierungsverordnung (EWG) Nr. 1408/71
keine Regelung enthält, die eine Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach einer Wanderung als (oder mit einem) Arbeitnehmer
vorsieht, erscheint es problematisch, eine solche aus den allgemeinen Regeln des AEUV bei einer Wanderung allein auf Grund der allgemeinen Unionsbürgerfreizügigkeit zu postulieren.
Auch wenn man der Entscheidung des EuGH aber für die dort zugrunde liegende Fallkonstellation folgt, ist sie auf den hiesigen
Sachverhalt nicht übertragbar, nachdem die Klägerin vor den streitigen Zeiten gerade keine Beiträge wegen einer Beschäftigung
oder einer selbständigen Tätigkeit zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt hatte, sondern sich in ihrem Versicherungskonto
für die Zeit vorher nur weitere Kindererziehungszeiten bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung finden - die aber
gerade nicht auf einer Tätigkeit in der Bundesrepublik beruhen, sondern auf einem Wohnsitz im Inland (und der Kindererziehung)
dort, so dass kein Grund (und keine rechtliche Grundlage dafür) ersichtlich ist, warum die Verbindung der hier noch streitigen
Zeiten mit den Versicherungszeiten in Deutschland enger sein sollte als mit den in den Niederlanden auf Grund des Wohnsitzes
dort erworbenen Zeiten und warum sie daher nicht den Rechtsvorschriften des Staates unterliegen sollten, in dem die Klägerin
zum fraglichen Zeitpunkt wohnte.
Es ist zudem, worauf bereits das SG zu Recht hingewiesen hat, keineswegs so, dass Personen, die vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen, die Vorteile der
rentenrechtlichen Systeme, in deren Anwendungsbereich sie nach und nach gelebt haben, kombinieren könnten. Dies ist auch nach
Auffassung des Senats von zentraler Bedeutung, nachdem die Klägerin im streitigen Zeitraum (Wohnsitz-)Zeiten in der niederländischen
Rentenversicherung zurückgelegt: Damit ist zum einen eine Verbindung zum niederländischen System der sozialen Sicherung dokumentiert,
die überdies zeigt, dass auch der niederländische Rentenversicherungsträger gerade nicht von der Unanwendbarkeit der für ihn
maßgeblichen Vorschriften ausgegangen ist, was die Konsequenz der EuGH-Rechtsprechung wäre; zum anderen fehlt es aber aus
diesem Grunde auch an einer Sicherungslücke, die der im Fall Reichel-Albert vergleichbar wäre, da das für die dortige Klägerin
alternativ in Betracht kommende belgische Recht weder Wohnsitz- noch Kindererziehungszeiten vorsah. Aus diesem Zusammenhang
ergibt sich im Übrigen ein weiterer Einwand gegen die Rechtsprechung des EuGH: Da die VO (EWG) Nr. 1408/71 nur koordinierende
Funktion hat, müsste die Anwendbarkeit deutschen Rechts dazu führen, dass die niederländischen Vorschriften unangewendet blieben;
der Klägerin ständen dann die Rentenanwartschaften in den Niederlanden auf Grund der dortigen Wohnsitzzeiten - die angesichts
des vergleichsweise langen Aufenthalts dort wohlmöglich sogar höher sind als die hier noch streitigen Anwartschaften in der
deutschen gesetzlichen Sozialversicherung - nicht zu. Das Bestreben, eine Benachteiligung auf Grund der zwischenstaatlichen
Wanderung zu verhindern, könnte sich in sein Gegenteil verkehren (vgl. aus diesem Grunde krit. Bokeloh, a.a.O., S. 489).
Schließlich hätte die Übertragung der Grundsätze aus der Entscheidung Reichel-Albert auf den hiesigen Fall zur Folge, dass
die Klägerin die Wohnsitzzeiten aus den Niederlanden mit den Kindererziehungszeiten nach dem
SGB VI, die regelmäßig einen Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt im Inland voraussetzen, kombinieren könnte (falls der niederländische
Träger die dortige Vormerkung zu Gunsten der Klägerin nicht mehr korrigieren könnte) und damit rentenrechtlich so behandelt
würde, als hätte sie ihren Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt gleichzeitig in zwei Mitgliedsstaaten. Im hiesigen Verfahren
würde eine Anspruchsvoraussetzung fingiert, obwohl deren Annahme im Gegensatz zu den tatsächlichen Umständen steht und diese
bereits zu einem Anspruch im anderen System geführt haben - damit aber würde das auf Koordinierung ausgerichtete europäische
Sozialrecht ersichtlich seinen Zweck verfehlen.
Nach allem ist es - auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH - in Fällen wie dem hiesigen nicht gerechtfertigt,
wegen einer europarechtlichen Überformung des nationalen Rechts über den eindeutigen Wortlaut von §
56 SGB VI (ggf. i.V.m. §
57 SGB VI) hinauszugehen.
Ergänzend kann im Übrigen auf die zutreffenden Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils verwiesen werden (§
153 Abs.
2 SGG).
IV. Die Entscheidung zur Kostenfrage beruht auf §
193 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
V. Gründe für eine Revisionszulassung (§
160 Abs.
2 SGG) sind nicht ersichtlich: Da es sich angesichts der Ablösung der - hier noch anwendbaren - VO (EWG) Nr. 1408/71 um einen auslaufenden
Rechtszustand handelt, hat die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung.
Auch beruht die Entscheidung nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts: Der Senat folgt zwar,
wie ausgeführt, in der Frage des maßgeblichen Rechts dem EuGH und hält daher die VO (EG) Nr. 987/2009 - anders als das BSG im Urteil vom 11. Mai 2011 (B 5 R 22/10 R) - (noch) nicht für anwendbar. Die hiesige Entscheidung könnte aber auch nicht anders ausfallen (vgl. zu dieser Voraussetzung
für eine Revisionszulassung wegen Divergenz für viele Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG - Kommentar, 11. Aufl. 2014, §
160 Rn. 15), wenn die VO (EG) Nr. 987/2009 als maßgeblich anzusehen wäre. Diese enthält, anders als die VO (EWG) Nr. 1408/71,
eine konkrete Regelung zu rentenrechtlichen Zeiten im Zusammenhang mit der Kindererziehung, und zwar bestimmt sie in Art.
44 Abs. 2: Wird nach den Rechtsvorschriften des gemäß Titel II der Grundverordnung (VO [EG] Nr. 883/2004) zuständigen Mitgliedstaats
keine Kindererziehungszeit berücksichtigt, so bleibt der Träger des Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften nach Titel II
der Grundverordnung auf die betreffende Person anwendbar waren, weil diese Person zu dem Zeitpunkt, zu dem die Berücksichtigung
der Kindererziehungszeit für das betreffende Kind nach diesen Rechtsvorschriften begann, eine Beschäftigung oder eine selbständige
Erwerbstätigkeit ausgeübt hat, zuständig für die Berücksichtigung dieser Zeit als Kindererziehungszeit nach seinen eigenen
Rechtsvorschriften, so als hätte diese Kindererziehung in seinem eigenen Hoheitsgebiet stattgefunden. Da die Klägerin zu Beginn
der hier streitigen Kindererziehungs- bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung aber gerade keine Beschäftigung oder
selbständige Tätigkeit in der Bundesrepublik mehr ausgeübt hat, könnte die Klage auch bei Anwendbarkeit der VO (EG) Nr. 987/2009
keinen Erfolg haben. Die Frage, welche VO maßgeblich ist, ist daher nicht entscheidungserheblich.