Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine ambulant durchgeführte Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems
an Armen und Beinen
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine Liposuktion (Absaugung von Fettdepotansammlungen) mit sechs Behandlungseinheiten.
Die 1974 geborene und bei der Beklagten versicherte Klägerin leidet an einem Lipödem-Syndrom der Beine und Arme. Unter Beifügung
einer ärztlichen Bescheinigung von Dr. QQ., Oberarzt der Hautklinik des Klinikums B-Stadt, vom 9. Dezember 2010 beantragte
die Klägerin die Kostenübernahme für die Durchführung einer Liposuktion in Tumeszenz-Lokalanästhesie. Dr. QQ. führte insoweit
aus, dass die Behandlung in sechs Sitzungen (vier Sitzungen für die Beine, zwei Sitzungen für die Arme) ambulant durchgeführt
werden könne und sich die Kosten hierfür auf ca. 2.604,16 EUR je Sitzung beliefen. Die Behandlung sei indiziert und wirtschaftlich,
da die Kompressionstherapie und Lymphdrainagen nur gegen das Ödem wirkten und langfristig gesehen deutlich kostenintensiver
seien. Mit Bescheid vom 6. Januar 2011 lehnte die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme ab. Die Liposuktion gehöre zu den
so genannten neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV). Der Gemeinsame Bundesausschuss müsse feststellen, ob bei der Liposuktion ein diagnostischer oder therapeutischer Nutzen
nachgewiesen werden könne. Eine diesbezügliche Bewertung des Gemeinsamen Bundesausschusses liege bisher noch nicht vor. Auf
den von der Klägerin am 9. März 2011 erhobenen Widerspruch, dem sie ein Widerspruchsattest von Dr. QQ. vom 3. März 2011 beifügte,
holte die Beklagte eine sozialmedizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), Dr. WW.
vom 12. April 2011 ein und wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2011 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 30. Juni 2011 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass
das Lipödem nach einer Schwangerschaft erstmalig aufgetreten sei. Sie leide aufgrund des Lipödems unter Schmerzen, die auch
ihre Arbeitsfähigkeit einschränkten, und im Sommer unter wunden Stellen an den Schenkelinnenseiten. Seit der Diagnostizierung
des Lipödems 2006 trage sie konsequent die Kompressionsbestrumpfung, was die Beschwerden jedoch nur geringgradig verbessert
habe. Trotz Fitnesstraining und gesunder Ernährung sei insoweit nur ein geringer Erfolg erzielt worden, so dass sie nach wie
vor unter einer Druckdolenz und einem Ruheschmerz in den betroffenen Bereichen, einer Fettkragenbildung über den Gelenken
und einem disproportionierten Körper trotz eines Übergewichtes leide. Die einzig Erfolg versprechende Behandlungsmethode sei
eine Liposuktion. Zudem liege ein Systemversagen vor. Ein nicht zeitgerecht durchgeführtes Anerkennungsverfahren stelle einen
Unterfall des Systemmangels dar. Es bestünden keine Behandlungsmethoden, die ähnlich Erfolg versprechend wirkten. Die Kompressionstherapie
und die Lymphdrainagen wirkten nur gegen das Ödem selbst, nicht jedoch gegen das Krankheitsbild an sich. Die Beklagte hat
im Klageverfahren an ihrer Rechtsauffassung, dass eine Kostenübernahme bei der unkonventionellen Methode, bei der der Gemeinsame
Bundesausschuss keine Empfehlung ausgesprochen habe, nicht in Betracht komme, festgehalten. Nach Anhörung der Beteiligten
hat das Sozialgericht Darmstadt mit Gerichtsbescheid vom 22. Dezember 2011 die Klage abgewiesen. Als nicht vom Gemeinsamen
Bundesausschuss empfohlene neue Methode sei die ambulante Fettabsaugung bei Lipödemen grundsätzlich kein Leistungsgegenstand
der GKV. Es liege zudem kein Seltenheitsfall vor und Anhaltspunkte für ein Systemversagen seien nicht ersichtlich. Auch unter
Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich unter dem Blickwinkel einer grundrechtsorientierten
Auslegung wegen einer regelmäßig tödlich verlaufenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung kein Anspruch. Ein Anspruch auf Kostenübernahme
scheide im Ergebnis auch deshalb aus, weil die Therapie weder zweckmäßig noch notwendig sei. Bisher seien die konservativen
Behandlungsmethoden auch noch nicht ausgeschöpft. So weise Dr. WW. im Rahmen seines Gutachtens vom 12. April 2011 auf die
Möglichkeit einer manuellen Lymphdrainage-Therapie als kontinuierliche Dauerbehandlungsmaßnahme, die Behandlung in einer lymphologischen
Fachklinik und die Verordnung eines 12-Kammer-Expressionsgerätes zur Heimanwendung hin.
Gegen den, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 29. Dezember 2011 zugestellten Gerichtsbescheid, hat diese am 24. Januar
2012 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Zur Begründung weist sie darauf hin, dass ein so genanntes Systemversagen
vorliege. Sie habe sämtliche konservative Möglichkeiten zur Gewichtsreduktion bzw. die bestehenden Behandlungsmethoden ausgereizt,
ohne dass es an den betroffenen Stellen zu einer Verbesserung gekommen wäre. Insoweit benutze sie auch seit einigen Wochen
ein 12-Kammer-Expressionsgerät. Die Beklagte sei aus den §§
1,
2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (
SGB V) verpflichtet, unter Berücksichtigung des Wirtschaftlichkeitsgebotes alles zu tun, um die Gesundheit der Versicherten zu
erhalten oder wiederherzustellen. Deshalb sei sie auch verpflichtet, für eine neue, von Experten anerkannte Methode einen
Antrag beim Gemeinsamen Bundesausschuss zu stellen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Darmstadt vom 22. Dezember 2011 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides
vom 6. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2011 zu verurteilen, die Kosten einer Liposuktion
bei ihr mit sechs Behandlungseinheiten zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Der Senat hat aus einem Parallelverfahren eine Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 23. Mai 2012 beigezogen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge
der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die Berichterstatterin konnte im vorliegenden Fall anstelle des Senats entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis
erklärt haben, §
155 Abs.
3 und Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 6. Januar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 2011 ist nicht rechtswidrig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine Kostenübernahme für eine Liposuktion
mit sechs Behandlungseinheiten in Höhe von insgesamt ca. 15.624,96 EUR.
Nach §
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
1 SGB V haben Versicherte zwar Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen,
ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern, wobei die Krankenbehandlung die ärztliche Behandlung
umfasst. Der Anspruch eines Versicherten auf eine notwendige Behandlung nach §
27 Abs.
1 Satz 1 und Satz 2 Nr.
1 SGB V unterliegt jedoch den sich aus den §§
2 Abs.
1 und
12 Abs.
1 SGB V ergebenden Einschränkungen.
Er umfasst nur solche Leistungen, deren Qualität und Wirksamkeit u. a. dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entsprechen. Dies ist bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen Versorgung gemäß §
135 Abs.
1 Satz 1
SGB V nur dann der Fall, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss in Richtlinien nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
5 SGB V eine positive Empfehlung über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen der Methode abgegeben hat. Durch Richtlinien
nach §
92 Abs.
1 Satz 2 Nr.
5 i.V.m. §
135 Abs.
1 SGB V wird nämlich nicht nur geregelt, unter welchen Voraussetzungen die zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringer
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu Lasten der Krankenkassen erbringen und abrechnen dürfen. Vielmehr wird durch
diese Richtlinien auch der Umfang der den Versicherten von den Krankenkassen geschuldeten ambulanten Leistungen verbindlich
festgelegt (ständige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R; Urteil vom 7. November 2006, B 1 KR 24/06 R). Die Liposuktion stellt eine "neue" Untersuchungs- und Behandlungsmethode dar, da sie nicht als abrechnungsfähige ärztliche
Leistung im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für vertragsärztliche Leistungen (EBM-Ä) enthalten ist (Bundessozialgericht, Urteil
vom 16. Dezember 2008, B 1 KR 11/08 R). Eine positive Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses liegt nicht vor.
Der Senat sah vorliegend keine Notwendigkeit zur weiteren Beweiserhebung. Die medizinische Notwendigkeit der Fettabsaugung
bei der Klägerin wird vorliegend nicht in Zweifel gezogen. Ausweislich der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie
Lipödeme -(Erstellungsdatum: 6/2009), die auch das Gutachten des MDK vom 12. April 2011, Dr. WW., zu Grunde legt, existiert
keine eigentliche kausale Behandlung für das Lipödem. Mittels konservativer Maßnahmen (physikalische Entstauungstherapie)
soll zwar durch eine Ödemreduzierung eine Beschwerdebesserung/Beseitigung erzielt werden. Eine Reduktion des krankhaft vermehrten
Fettgewebes ist damit jedoch nicht möglich. Hierzu wird das Verfahren der Liposuktion eingesetzt. Zudem tritt auch bei einer
medizinisch notwendigen Behandlung beim Fehlen einer positiven Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses im Rahmen der
vertragsärztlichen Versorgung bei neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden die oben dargestellte Einschränkung des Leistungsanspruches
ein.
Ein Ausnahmefall, in dem es keiner Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses bedarf, liegt bei der Klägerin nicht vor.
Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von diesem Erfordernis erwogen werden könnte, ist nichts vorgetragen und
für den Senat auch nichts ersichtlich (vgl. hierzu: Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006, B 1 KR 24/06 R). Bei einem Lipödem der Arme/Beine handelt es sich nicht um eine Krankheit, die nur extrem selten auftritt und die deshalb
im nationalen wie im internationalen Rahmen weder systematisch erfasst noch systematisch behandelt werden kann und bei der
deshalb eine erweiterte Leistungspflicht der Krankenkassen in Betracht zu ziehen wäre (Bundessozialgericht, Urteil vom 19.
Oktober 2004, B 1 KR 27/02 R; Urteil vom 16. Dezember 2008, B 1 KN 3/07 KR R). Ausweislich der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie -
Lipödeme - ergeben Umfragen in lymphologischen Fachkliniken bei stationären Patientinnen diesbezüglich bereits einen Anteil
von 8 bis 17 %. Anhaltspunkte für ein Systemversagen bestehen nicht (so auch: Bundessozialgericht, Urteil vom 16. Dezember
2008, B 1 KR 11/08 R). Ein Systemversagen kann angenommen werden, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode
darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen
formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde (Bundessozialgericht, Urteil vom
7. November 2006, B 1 KR 24/06 R). Ein solcher Fall des Systemversagens liegt schon deshalb nicht vor, weil das Verfahren vor dem Bundesausschuss antragsabhängig
ist und ein entsprechender Antrag beim Bundesausschuss ausweislich der Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 23.
Mai 2012 nicht gestellt worden ist. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Antragstellung hintertrieben, verhindert
oder in einer den Krankenkassen oder dem Bundesausschuss sonst zurechenbaren Weise unzulässig verzögert sein könnte. Neben
den Krankenkassen haben im Weiteren auch die für die Wahrnehmung der Interessen der Patienten und der Selbsthilfe chronisch
kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene maßgeblichen Organisationen nach §
140f Abs.
2 Satz 5
SGB V das Recht, bei Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses nach §
137c SGB V Anträge für die Einleitung des Verfahrens zu stellen. Nach der Gesetzesbegründung zu §
140f SGB V sollen die Patientenorganisationen zu den versorgungsrelevanten Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses ein Antragsrecht
erhalten, z. B. auf Aufnahme neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in den Leistungskatalog der GKV nach §
135 Abs.
1 SGB V (Bundestagsdrucksache 15/1525, S. 133; Flint und Hohnholz in: Hauck/Noftz, Gesetzliche Krankenversicherung, Kommentar, Stand:
Mai 2012, §
135 Rdnr. 55 und §
140f Rdnr. 5; Ihle in: juris-PK-
SGB V, 2. Auflage 2012, §
135 SGB V Rdnr. 35 ff). Eine Antragspflicht der Beklagten könnte zudem nur dann angenommen werden, sobald nach dem Stand der medizinischen
Erkenntnisse eine positive Abschätzung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode
durch den Gemeinsamen Bundesausschuss wahrscheinlich ist und auch im Übrigen eine positive Bewertung der Methode - etwa wegen
fehlender Wirtschaftlichkeit - nicht ausgeschlossen ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 10/07 R). Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn Kriterien der evidenzbasierten Medizin erfüllt sind. Voraussetzung dafür ist der
Beleg von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Behandlungsmethode anhand so genannter randomisierter, doppelblind
durchgeführter und placebokontrollierter Studien (Bundessozialgericht, Urteil vom 12. August 2009, B 3 KR 10/07 R unter Bezugnahme auf die Richtlinie Methoden vertragsärztlicher Versorgung i.V.m. §§ 7 ff des 2. Kapitels der Verfahrensordnung
des Gemeinsamen Bundesausschusses; Ihle, aaO., § 135 Rdnr. 41 ff). Ausweislich des für den Senat überzeugenden Gutachtens
des MDK vom 12. April 2011, Dr. WW., fehlt es jedoch an diesen. Auch ist die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie
- Lipödeme - eine Leitlinie der Entwicklungsstufe I, die im Rahmen einer Konsensuskonferenz von Experten 2008 verabschiedet
wurde und stellt keine evidenzbasierte Leitlinie dar. Insoweit sah der Senat vorliegend keine Notwendigkeit der weiteren Beweiserhebung.
Anhaltspunkte für eine gebotene grundrechtsorientierte Auslegung sind zudem weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich.
Die verfassungskonforme Auslegung setzt u.a. voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder
eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Daran fehlt es im vorliegenden Fall.
Die Klägerin kann die Liposuktion auch nicht in Form einer Krankenhausbehandlung beanspruchen. Die medizinische Notwendigkeit
einer Krankenhausbehandlung ist vorliegend zu verneinen. Ausweislich der Bescheinigung von Dr. QQ. vom 9. Dezember 2010 kann
die Behandlung ambulant durchgeführt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.