Anspruch auf Sozialhilfe; Übernahme der Kosten für den Betrieb und die Reparatur eines Kraftfahrzeugs eines schwerbehinderten
Menschen
Gründe:
Die am 26. Mai 2011 eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Oldenburg vom 4. Mai 2011 ist gemäß §§
172,
173 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, aber nicht begründet. Unter Berücksichtigung der gesetzlichen Voraussetzungen hat das Sozialgericht zu Recht den
Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, denn die Beschwerdeführerin hat keinen Anordnungsanspruch gegen
den Antragsgegner im Hinblick auf die Übernahme der Kosten für den Betrieb und die Reparatur ihres Kraftfahrzeugs glaubhaft
gemacht.
Hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts, der heranzuziehenden Rechtsnormen sowie der Entscheidungsgründe nimmt der Senat
zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen in Anwendung der Vorschrift des §
142 Abs.
2 Satz 3
SGG auf die ausführlichen und zutreffenden Ausführungen des SG Oldenburg in dem angefochtenen Beschluss vom 4. Mai 2011 (Az.:
S 45 AS 696/11 ER) Bezug.
Das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin gibt keinen Anlass, die Rechtslage im Beschwerdeverfahren anders als das SG Oldenburg
in seinem angefochtenen Beschluss zu bewerten.
Zunächst weist der Senat darauf hin, dass das Begehren der Antragstellerin auf Übernahme der Kosten für den Betrieb ihres
Kraftfahrzeugs eine Teilhabeleistung (§
4 Abs.
1 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB IX -) zugunsten der Antragstellerin in ihrer Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch (§
2 Abs.
2 SGB IX) betrifft, mit Bezügen zur medizinischen Rehabilitation (§§
26 ff.
SGB IX, in Bezug auf Fahrten zu Ärzten), zur Hilfe zur Pflege (§§
61 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch - SGB XII -, in Bezug auf Fahrten zum Einkaufen) und insbesondere mit Bezügen zur Teilhabe
am Leben in der Gemeinschaft nach §§
53 Abs.
3 Satz 2 SGB XII, 55 Abs.
1 SGB IX. Durch den letztgenannten Leistungskomplex soll dem behinderten Menschen soweit wie möglich eine Teilhabe am Leben in der
Gesellschaft ermöglicht werden. Die durch die Behinderung eingeschränkte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben soll soweit
wie möglich ausgeglichen werden. Teilhabe ist daran zu messen, ob es gelingt, die Selbstbestimmung und gleichberechtigte Teilhabe
am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden und ihnen entgegenzuwirken; Ziel der genannten Bestimmungen
ist es auch, dem behinderten Menschen den Kontakt zu seiner sozialen Umwelt zu erhalten und ihm die Teilnahme auch am öffentlichen
und kulturellen Leben zu ermöglichen (Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen vom 27. Juli 2010 - L
8 SO 139/10 B ER - juris Rn. 21 m. w. N.).
In Hinblick auf Kraftfahrzeugkosten einschlägig ist insoweit § 10 Abs. 6 der auf Grundlage der in § 60 SGB XII enthaltenen Verordnungsermächtigung ergangenen Eingliederungshilfeverordnung, wonach Hilfe in angemessenem Umfange auch zur Instandhaltung sowie durch Übernahme von Betriebskosten eines Kraftfahrzeuges
gewährt werden kann, wenn der behinderte Mensch wegen seiner Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges
angewiesen ist (zur Auslegung dieser Vorschrift vgl. etwa Bayerisches LSG, Urteil vom 29. Juni 2010 - L 8 SO 132/09 - SAR
2010, 110 - juris Rn. 35).
Befinden sich mithin im 6. Kapitel des SGB XII - bzw. in Bezug auf die Notwendigkeit von Arztbesuchen im 5. Kapitel des SGB
XII, und ggf. in Bezug auf Hilfe zur Pflege im 7. Kapitel des SGB XII - Sondervorschriften (diesbezügliche Leistungen kommen
zu den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Einzelfall hinzu: vgl. Adolph, in: Linhart/ders., SGB II, Stand
April 2011, § 5 Rn. 32; Brühl, in: Münder (Hrsg.), LPK-SGB II, 3. Aufl. 2009, § 5 Rn. 50), nach denen die Antragstellerin
beim Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen die erforderliche Hilfe ggf. erhalten kann, so bedarf es einer Leistung des
Antragsgegners nach § 21 Abs. 6 SGB II in der seit dem 1. April 2011 geltenden, nunmehr mit Datum vom 13. Mai 2011 (BGBl.
2011 I, S. 850) neu bekannt gemachten Fassung (bislang § 20 Abs. 6 SGB II a. F.) schon aus diesem Grunde nicht. Insoweit normiert bereits
§ 5 SGB II einen allgemeinen Nachranggrundsatz der Grundsicherungsleistungen (vgl. Löschau, in: Estelmann (Hrsg.), SGB II,
Stand Mai 2011, § 5 Rn. 2). Hinzu kommt, dass § 21 Abs. 6 SGB II der allein einzig in Betracht kommende Anspruchsgrundlage
im SGB II in Umsetzung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 9. Februar 2010 (1 BvL 1/09 u. a., BVerfGE 125, 175 = NJW 2010, 505) lediglich eine Härtefallklausel enthält, wonach erwerbsfähige Hilfebedürftige einen Mehrbedarf erhalten, soweit im Einzelfall
ein unabweisbarer, laufender, nicht nur einmaliger besonderer Bedarf besteht. Ein solcher Sonderbedarf bezieht sich somit
auf die Deckung eines menschenwürdigen Existenzminimums. Dies ist auch Maßstab für die Auslegung des Begriffs "unabweisbar";
nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/1465 S. 8 f.) soll der Anspruch angesichts seiner engen und strikten Tatbestandsvoraussetzungen
auf wenige Fälle begrenzt sein (vgl. auch BVerfG, aaO.). Unabweisbar ist ein Sonderbedarf somit erst dann, wenn bei Verzicht
auf die beanspruchte Leistung das menschenwürdige Existenzminimum nicht sichergestellt ist (Schleswig-Holsteinisches LSG,
Beschluss vom 26. Oktober 2010 - L 3 AS 181/10 PKH). Die Möglichkeit anderweitiger Sicherstellung ergibt sich hier aber aus dem Leistungsinstrumentarium der zugunsten behinderter
Menschen vorgesehenen Teilhabeleistungen.
Die Antragstellerin ist folglich ggf. auf die Geltendmachung von Teilhabeleistungen i. S. des die Rehabilitation und Teilhabe
behinderter Menschen regelnden
SGB IX zu verweisen, wobei ein entsprechender Leistungsantrag grundsätzlich bei jedem Rehabilitationsträger i. S. des §
6 Abs.
1 SGB IX - zu denen die Jobcenter nicht gehören - bzw. bei den gemeinsamen Servicestellen nach §
23 SGB IX gestellt werden kann. Hierbei ist durch das Verfahren der Zuständigkeitsklärung nach §
14 SGB IX zudem sichergestellt, dass für die Antragstellerin ein zuständiger Träger als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Im Übrigen
ist auch der Antragsgegner in Fällen der vorliegenden Art gehalten, den Antrag gemäß § 16 Abs. 2 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch
an den seiner Auffassung nach zuständigen Rehabilitationsträger weiterzuleiten.
Von einer in derartigen Fällen grundsätzlich möglichen Beiladung (§
75 SGG) eines Rehabilitationsträgers, etwa des örtlich zuständigen Sozialhilfeträgers, hat der Senat in Ausübung pflichtgemäßen
Ermessens indes abgesehen. Denn die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
im Hinblick auf die Übernahme der Kosten für den Betrieb und die Reparatur ihres Kraftfahrzeugs durch einen anderen Sozialleistungsträger
vorliegen. Hierfür wäre nach § 10 Abs. 6 der Eingliederungshilfeverordnung etwa zu fordern, dass die Antragstellerin wegen ihrer Behinderung auf die regelmäßige Benutzung eines Kraftfahrzeuges angewiesen
ist. Dieser Nachweis bzw. zumindest die Glaubhaftmachung dieser Voraussetzung ist der Antragstellerin jedoch nicht gelungen.
Ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund sind glaubhaft gemacht, wenn deren tatsächliche Voraussetzungen überwiegend
wahrscheinlich sind. Dies erfordert, dass mehr für als gegen die Richtigkeit der Angaben spricht (Keller, in: Meyer-Ladewig
u. a.,
SGG, 9. Aufl. 2008, §
86b Rn. 16b). Hiervon geht der Senat - wie bereits das Sozialgericht - im Falle der Antragstellerin nicht aus. Dass die im zentralen
Bereich einer Großstadt (F.) wohnende Antragstellerin ohne Kraftfahrzeug nach den Umständen ihres Einzelfalles nicht menschenwürdig
leben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Die hierfür geltend gemachten medizinischen Gründe verbleiben im Wesentlichen
- jedenfalls in dem für die Angewiesenheit auf ein Kraftfahrzeug relevanten Ausmaß, wofür wiederum insbesondere die geltend
gemachten Schwindelanfälle, die Migräne und die Magenschmerzen von Bedeutung sind - auf der Ebene bloßer Behauptungen, für
die es in diesem Eilverfahren an belastbaren ärztlichen Feststellungen fehlt.
Auch in ihrem Beschwerdevorbringen hat die Antragstellerin umfangreiche und erhebliche, aber sämtlich nicht durch belastbare
ärztliche Feststellungen gestützte, Gesundheitsbeeinträchtigungen geltend gemacht. Auffällig ist auch, dass die Antragstellerin
insoweit trotz des behaupteten erheblichen Leidensdrucks auf sämtliche denkbaren Therapieansätze mit Ausnahme homöopathischer
Mittel verzichtet, mit dem Hinweis auf eine - ebenfalls wenig wahrscheinliche, wenn auch von Dr. G. mit Befundbericht vom
2. Februar 2011 attestierte - generelle Arzneimittelunverträglichkeit; so hat etwa auch Dr. H. vom Ärztlichen Dienst des Nds.
Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie in einer gutachtlichen Stellungnahme vom 29. März 2011 (Bl. 31 der beigezogenen
Akten des Rechtsstreits S 1 SB 295/10 des SG Oldenburg) darauf hingewiesen, angesichts der behaupteten Häufigkeit der Migräneattacken sei die Nichtdurchführung
fachärztlicher neurologischer Behandlung kaum nachvollziehbar. Auch eine Histaminintoleranz, welcher die Antragstellerin lange
Ausführungen widmet, ist nicht belegt, sondern wird im Gegenteil in dem aufgrund einer Untersuchung der Antragstellerin erstellten
fachinternistischen Gutachten von I. vom 12. Mai 2011 explizit ausgeschlossen (Seite 9 des Gutachtens); zudem hat dieser Arzt
überzeugend dargelegt, dass die von der Antragstellerin geltend gemachten Nahrungsintoleranzen in ihrem Ausmaß nicht nachzuvollziehen
und teilweise durch Labordaten oder durch anamnestische Angaben der Antragstellerin auszuschließen sind. Der Senat erachtet
die Feststellungen des J. insgesamt für plausibel und sieht keinen hinreichenden Grund, dieses Gutachten nicht zu berücksichtigen,
wie die Antragstellerin in ihrem Schriftsatz vom 25. Juni 2011 angeregt hat. Richtig ist zwar, dass I. ein falsches Geburtsdatum
und ein falsches Alter der Antragstellerin im Text seines Gutachtens angibt; eine vollständige Patientenverwechslung ist hiermit
aber nicht verbunden, wie sich dem übrigen Text des Gutachtens eindeutig entnehmen lässt. Der Senat stimmt I. auch insoweit
zu, als er - Dr. Neumeyer - in den Befunden von Dr. G., welche (allein) die wesentlichen Angaben der Antragstellerin stützen,
eine medizinisch-wissenschaftliche Nachvollziehbarkeit vermisst. Zudem kommt der Amtsarzt des Gesundheitsamtes der Stadt F.,
Dr. Petermann in einer in den Verwaltungsakten enthaltenen ärztlichen Stellungnahme vom 18. Februar 2011, ebenfalls in überzeugender
Weise, zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Dr. Neumeyer, insbesondere im Hinblick auf fehlende Nachweise für geltend gemachte
Unverträglichkeiten. Auch er hält im Übrigen andere Therapieansätze für geboten.
Schließlich wäre aber selbst dann, wenn die Darstellung der Antragstellerin in Bezug auf ihre gesundheitliche Situation zutreffen
sollte - und dies stellt eine selbständig tragende Erwägung des Senats dar - der von ihr geltend gemachte Anspruch auf Übernahme
der Kosten für den Betrieb ihres Kraftfahrzeugs nicht gegeben. Denn in diesem Falle wäre die Antragstellerin zum sicheren
Führen eines Kraftfahrzeuges nicht in einer Weise in der Lage, dass die Sicherheit des Straßenverkehrs in ausreichendem Maße
gewährleistet wäre, worauf bereits das Sozialgericht im Schreiben vom 21. April 2011 zutreffend hingewiesen hat. In einem
solchen Fall kann aber auch kein "unabweisbarer Bedarf" für die Finanzierung eines derartigen Gefährdungspotentials aus Steuergeldern
bestehen. Vielmehr wäre die Antragstellerin in diesem Falle entweder auf die Inanspruchnahme von Fahrdiensten oder auf die
Inanspruchnahme anderer - ggf. aus Steuergeldern zu finanzierender - Hilfspersonen zu verweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§
177 SGG).