Anerkennung einer Berufskrankheit gemäß BKV Anl. 1 Nr. 1301 in der gesetzlichen Unfallversicherung wegen eines Harnblasenkarzinoms; Keine haftungsbegründende Kausalität
bei deutlicher Unterschreitung eines Orientierungswertes einer Risikoverdopplung
Tatbestand:
Streitig ist, ob beim Kläger wegen eines Harnblasenkarzinoms eine Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur
Berufskrankheiten-Verordnung (BK 1301) anzuerkennen ist.
Der 1940 geborene Kläger arbeitete nach seiner Berufsausbildung und Tätigkeit im Bergbau, einer anschließenden Beschäftigung
als Zuschneider in der Glasherstellung sowie einem nachfolgenden Studium zum Mineralogen von 1968 bis Ende Juli 1983 als wissenschaftlicher
Mitarbeiter am Institut für Zement in D. Vom 1. August 1983 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Berufsleben am 28. Februar 2003
war er im M.- A. bzw. dessen Nachfolgeunternehmen, dem Werk A. der D.-werke AG, beschäftigt.
Am 7. April 2004 erfolgte beim Kläger die operative Entfernung eines im März 2004 durch Blasenspiegelung festgestellten Harnblasenkarzinoms
(Nachresektion am 6. Mai 2004). Im August 2004 wurde bei ihm durch histologische Untersuchung außerdem ein Prostatakarzinom
festgestellt, das bis November 2004 mittels Bestrahlung therapiert wurde (Arztbriefe der Urologischen Klinik des Diakonissenkrankenhauses
D. vom 22. und 24. April 2004 sowie der Klinik für Strahlentherapie des Städtischen Klinikums D. vom 10. Dezember 2004).
Mit einem am 10. Mai 2007 bei der (Rechtsvorgängerin der) Beklagten eingegangenen Schreiben vom 7. Mai 2007 beantragte der
Kläger die Anerkennung einer BK und verwies zur Begründung auf seine berufliche Tätigkeit. Nach seinem Studium zum Mineralogen
sei er von 1968 bis 1983 als wissenschaftlich-technischer Mitarbeiter im Institut für Zement in D. beschäftigt gewesen. Insoweit
habe er bei der Herstellung mikroskopischer Anschliffpräparate Umgang mit möglicherweise krebserzeugenden Stoffen gehabt.
Während seiner Tätigkeit in A. sei er von 1983 bis 1988 direkt in die Inbetriebnahme und Produktüberführung zur Herstellung
basischer Feuerfestprodukte mit Heißbindeteer und Bindepech eingebunden gewesen. In den Jahren 1989 bis 1999 sei seine Mitarbeit
bei der Einführung neuer Produkte diskontinuierlich gewesen; der Tätigkeitsschwerpunkt habe wieder mehr bei der mineralogisch-mikroskopischen
Präparatherstellung gelegen. Von 2000 bis 2003 habe sich seine Tätigkeit auf die Qualitätskontrolle konzentriert, was den
ständigen Umgang mit Einbettharzen, Härtern und Lösungsmitteln mit sich gebracht habe.
Laut der Anzeige des (ehemaligen) Arbeitgebers des Klägers über den Verdacht des Vorliegens einer BK vom 14. Juli 2007 habe
dessen Haupttätigkeit in der Wahrnehmung allgemeiner Verwaltungsaufgaben bestanden. Von Anfang August 1983 bis Ende September
1984 sei er zunächst Forschungsingenieur und anschließend bis Ende Dezember 1984 Leiter des Feuerfestlabors gewesen. Ab 1986
habe er die Funktion als Gruppenleiter des Forschungslabors übernommen und sei dort anschließend als Abteilungsleiter tätig
gewesen. Ab Anfang Februar 1988 habe der Kläger die Funktion des Bereichsleiters des Wissenschaftlich-Technischen Zentrums
ausgeübt, das nach 1990 dem Bereich Technik zugeordnet worden sei. Von August 1993 bis Februar 1994 sei er arbeitsunfähig
erkrankt gewesen und habe ab Juni 1997 bis zu seinem Ausscheiden auf dem Unternehmen schließlich als Leiter des Labors und
der Rohstoffauditierung fungiert. Eine gefährdende Exposition habe nicht bestanden. Zeitweise habe der Kläger Proben für die
mineralogische Mikroskopie sowie die petrographische Bewertung hergestellt. Gefährdungsbeurteilungen sowie Messungen am Arbeitsplatz
lägen nicht vor.
In seiner Expositionsanalyse vom 27. August 2007 stellte der Präventionsdienst der Beklagten dar, zur Herstellung des vom
Kläger in den Jahren 1989 bis 1999 untersuchten Probenmaterials seien Harze und Härter der Firma S. verwendet worden. Diese
seien nach den beigezogenen Sicherheitsdatenblättern frei von aromatischen Aminen gewesen. Auch im Zeitraum von 2000 bis zu
seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen Ende Februar 2003 sei der Kläger während der Tätigkeit als Qualitätskontrolleur nicht
gegenüber aromatischen Aminen exponiert gewesen. Entsprechendes gelte für die Zeit von 1968 bis 1983. In der Zeit seiner Tätigkeit
von 1984 bis 1988 sei der Kläger auch direkt in die Inbetriebnahme und Produktüberführung an den Produktionsanlagen zur Herstellung
von Feuerfestprodukten mit Heißbindeteer und Bindepech eingebunden gewesen. Nach den übereinstimmenden Angaben aller im Unternehmen
befragten Mitarbeiter habe der zeitliche Anteil dabei allerdings insgesamt maximal acht Wochen betragen. Bei der Verwendung
von Imprägnierpech zur Tränkung von Schamotte bzw. Magnesitsteinen trete eine Exposition gegenüber polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen auf. Insbesondere beim Anfahren der Anlagen könne es dabei zu Überschreitungen der einschlägigen Grenzwerte
kommen. Messtechnisch habe eine Belastung der Atemluft mit aromatischen Aminen nicht belegt werden können. Es existierten
lediglich Informationen darüber, dass ein in A. verwendetes Imprägnierpech (FF70KS) bis etwa 1998 85ppm 2-Naphtylamin enthalten
habe. Seiher seien durch technologische Änderungen noch etwa 15ppm 2-Naphtylamin enthalten. Nach betrieblichen Informationen
sei das Imprägniermittel FF70KS erst 1991 und nur einmalig eingesetzt worden. Von 1983 bis 1990 habe der Betrieb Pech und
Teer vom Teerwerk E. bezogen. Ob insoweit von einer Belastung mit aromatischen Aminen auszugehen sei, werde noch geprüft.
Die Teertränkanlage in A. sei im Jahr 2002 außer Betrieb genommen und entsorgt worden.
In seiner arbeitsmedizinischen Stellungnahme vom 8. Oktober 2007 gelangte Dr. P. zu der Einschätzung, eine BK 1301 liege nicht
vor. Nach medizinisch-wissenschaftlichem Erkenntnisstand liege das Verdopplungsrisiko zum Entstehen von beruflich bedingten
Harnblasenkarzinomen bei einer Dosis von ca. 6 mg 2-Naphthylamin. Entsprechend den Ausführungen des Präventionsdienstes sei
die Exposition des Klägers als sehr gering anzusehen. Unter Berücksichtigung der Tätigkeitsbeschreibung sei es höchst unwahrscheinlich,
dass er im Rahmen seiner insgesamt auf acht Wochen zu veranschlagenden Arbeit in der Produktion in einem derartigen Umfang
gegenüber 2-Naphtylamin exponiert gewesen sei.
Mit Bescheid vom 20. November 2007 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 1301 daraufhin ab. Die geringgradige Exposition
des Klägers gegenüber aromatischen Aminen sei nicht geeignet gewesen, eine BK 1301 zu verursachen.
Hiergegen erhob der Kläger am 13. Dezember 2007 Widerspruch und nahm zur Begründung auf seinen Antrag vom 7. Mai 2007 Bezug.
Die Beklagte habe bei ihrer Entscheidung nicht sämtliche der dort benannten beruflichen Belastungen berücksichtigt. Der Kläger
fügte seinem Widerspruch weitere Sicherheitsdatenblätter von sechs Produkten bei, mit denen er bei der mikroskopischen Präparatherstellung
Umgang gehabt habe. Ergänzend trug er vor, während seiner Studienzeit von 1965 bis 1967 beim Mikroskopieren einen Tag wöchentlich
mit Immersionsflüssigkeiten umgegangen zu sein, zu denen auch aromatische Amine zählten. Entsprechendes gelte für die Zeit
seiner Tätigkeit im Institut für Zement D. von 1968 bis 1983, wobei der zeitliche Expositionsanteil bei 20 bis 25 Stunden
wöchentlich anzusiedeln sei. Zudem sei er während dieses Zeitraums bei der Probenpräparation 40 bis 45 Stunden monatlich gegenüber
Acrylharz und Acrylharzhärtern exponiert gewesen. Als Reinigungsmittel sei an 10 bis 15 Stunden monatlich schließlich Trichlorethanolamin
zum Einsatz gekommen.
In seinen daraufhin eingeholten Stellungnahmen vom 24. Januar und 14. März 2008 führte der Präventionsdienst aus, in einem
der vom Kläger angeschuldigten Produkte sei laut Sicherheitsdatenblatt Triethylentetramin, ein aliphatisches Amin, enthalten.
Entsprechendes gelte für das als Reinigungsmittel verwendete Trichlorethanolamin. Aliphatische Amine stünden nach gegenwärtigem
wissenschaftlichen Erkenntnisstand nicht im Verdacht, Erkrankungen im Sinne der BK 1301 zu verursachen. Hinsichtlich der vom
Kläger aufgeführten Immersionsflüssigkeiten handele es sich lediglich bei Anilin um ein aromatisches Amin. Nach dem Merkblatt
zur BK 1301 werde dem reinen Anilin eine kanzerogene Wirkung jedoch abgesprochen. Inwieweit das vom Kläger verwendete Anilin
Verunreinigungen mit krebserzeugenden aromatischen Aminen enthalten habe, lasse sich aus heutiger Sicht nicht einschätzen.
Insgesamt sei eine gefährdungsrelevante Einwirkung aromatischer Amine damit nicht belegbar.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Juli 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück und berief sich zur Begründung auf das
Ergebnis ihrer Ermittlungen.
Am 14. August 2008 hat der Kläger vor dem Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau Klage erhoben und geltend gemacht, insbesondere von 1983 bis 1988 mit Naphtylamin als einer der bedeutendsten
kanzerogenen Substanzen umgegangen zu sein.
Das SG hat von Dr. B. das arbeitsmedizinische Gutachten vom 8. Juni 2009 eingeholt. Gegenüber dieser hat der Kläger im Rahmen der
am 5. März 2009 durchgeführten ambulanten Untersuchung ergänzend angegeben, im Magnesitwerk seien aus Magnesiumoxid, Graphit
und Bindemitteln Feuerfeststeine für den Hochofenbau hergestellt worden. Bis 1988 sei er zu ca. 40 % der Arbeitszeit auch
in der Produktion bei der Einführung neuer Verfahren tätig gewesen. Von 1988 bis 1990 habe er als Direktor des Wissenschaftlich-Technischen
Zentrums vorwiegend administrative Aufgaben wahrgenommen. Von 1991 bis 2003 sei er wieder in der Qualitätskontrolle tätig
gewesen, habe vorwiegend mikroskopiert und nur ca. 15 % der Arbeitszeit in der Produktion verbracht. Die Sachverständige h.
dargelegt, während seiner Tätigkeit im Bergbau (1954 bis 1963) habe seitens des Klägers keine Exposition gegenüber aromatischen
Aminen bestanden. Im Rahmen seiner Studienzeit (1963 bis 1968) habe der Kläger bei mikroskopischen Untersuchungen Umgang mit
Naphthalinen gehabt. Von diesen polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen gehe keine krebserzeugende Wirkung auf die
Harnblase aus. In der Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Zentrum für Zement (1968 bis 1983) habe der Kläger bei den
durchgeführten mikroskopischen Untersuchungen Gestein in Epoxidharz oder Acrylharze eingebettet, die keine aromatischen Amine
enthielten. Bei dem verwendeten Reinigungsmittel (Triethanolamin) handele es sich zwar um ein Amin, jedoch gehe von diesem
keine krebserzeugende Wirkung aus. Von 1983 bis 1988 habe der Kläger auch Kontakt zum Produktionsprozess gehabt. Manche der
hergestellten Produkte seien mit Heißbindeteer und Bindepech eingebettet gewesen. Als gefährdende Arbeitsstoffe enthielten
Teerverbindungen in erster Linie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe, deren Zielorgan jedoch nicht die Harnblase
sei. Daneben könnten Teerverbindungen aber auch aromatische Amine beinhalten. Ein in A. verwendetes Imprägnierpech habe auch
den K1-Stoff 2-Naphthylamin enthalten. Allerdings sei dessen Anteil relativ gering gewesen (bis 1985 ca. 85 ppm). Dr. B. ist
im Ergebnis zu der Einschätzung gelangt, ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Exposition des Klägers mit
aromatischen Aminen und der Harnblasenkrebserkrankung sei angesichts einer maximal über acht Wochen andauernden geringgradigen
Belastung mit 2-Naphthylamin nicht hinreichend wahrscheinlich. Hautkontakt habe nicht bestanden. Durch die berufliche Einwirkung
habe der Kläger bei Weitem keine Expositionshöhe an aromatischen Aminen erreicht, wie er sie durch das Rauchen aufgenommen
habe. Zigarettenrauch enthalte ebenfalls aromatische Amine wie 2-Naphthylamin und sei die wichtigste Ursache von Harnblasenkarzinomen.
Nach den zu Rauchern gewonnenen wissenschaftlichen Erkenntnissen trete bei einem Orientierungswert von 6 mg 2-Naphthylamin
eine Risikoverdopplung ein. Ein solcher Wert werde ab einer Dosis von 15 packyears erreicht; bei 30 packyears sei das Erkrankungsrisiko
um das Fünffache erhöht. Nach seinen Angaben habe der Kläger von 1957 bis 1977 ca. 20 Zigaretten täglich konsumiert, was 20
packyears entspreche. Seine Erkrankung sei im Alter von 64 Jahren aufgetreten. Die allermeisten Harnblasenkarzinome entstünden
ab dem 65. Lebensjahr. Eine deutliche Vorverlagerung des Erkrankungsalters, die für eine berufliche Verursachung sprechen
könne, liege damit ebenfalls nicht vor.
Der Kläger hat hierzu insbesondere eingewandt, entgegen der Annahme der Sachverständigen sei er während seiner Tätigkeiten
in A. nicht lediglich acht Wochen, sondern insgesamt über vier Jahre im Produktionsbereich gefährdend gegenüber aromatischen
Aminen exponiert gewesen.
Mit Urteil vom 7. Oktober 2009 hat das SG die Klage abgewiesen und sich zur Begründung insbesondere auf die Ausführungen von Dr. B. gestützt.
Gegen das ihm am 21. Oktober 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger am 5. November 2009 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
Berufung eingelegt und an seiner Ansicht festgehalten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 7. Oktober 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 20. November 2007 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2008 aufzuheben und sein Harnblasenkarzinom mit Wirkung von März 2004
an als Berufskrankheit nach Nr. 1301 der Anlage 1 der
Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid sowie die Entscheidung des SG.
Auf Anforderung des Senats hat die Beklagte die Expositionsabschätzung ihres Präventionsdienstes vom 11. Juli 2011 übermittelt.
Danach habe die in einem abgetrennten Raum der Produktionshalle befindliche Teertränkanlage aus einem Druckkessel mit den
darin im Tränkkorb eingebrachten Steinen bestanden. In den Kessel sei das Imprägnierpech eingeleitet worden, bis die Steine
vollkommen bedeckt gewesen seien. Während des Imprägniervorgangs sei der Raum verschlossen gewesen und mittels technischer
Lüftung abgesaugt worden. Nach dem Imprägnierprozess seien die Steine automatisch durch eine von der Teertränkanlage zum Trockner
führende Tür transportiert und dort in einem ebenfalls abgetrennten Bereich getrocknet worden. Nach Untersuchungen der Berufsgenossenschaft
der Bauwirtschaft seien beim Verkleben von vergleichbaren Teermassen Konzentrationen von ca. 1 µg/m3 2-Naphthylamin gemessen
worden. Aufgrund der besseren Lüftungsverhältnisse im Feuerfestbetrieb sei vorliegend stattdessen eine Konzentration von maximal
0,1 µg/m3 anzunehmen. Bei einer derartigen Konzentration müsse laut Prof. Dr. B. (Institut für Prävention und Arbeitsmedizin
der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung - IPA) über ca. 26 Jahre eine Einwirkung erfolgt sein, um zu einer Verdopplungsdosis
zu gelangen. Aus technischer Sicht sei damit eine relevante berufliche Exposition des Klägers gegenüber aromatischen Aminen
auszuschließen.
Der Kläger hat daraufhin unter dem 7. Februar 2012 vorgetragen, die vom Präventionsdienst konsultierte Sicherheitsfachkraft
B. sei in den 1980er Jahren nicht im Betrieb tätig gewesen. Von 1983 bis 1987 sei er zu 80 % seiner Arbeitszeit direkt im
Bereich der Produktionsanlagen tätig gewesen. Das an den Heißpressen eingesetzte Bindepech habe eine Temperatur von ca. 41°C
aufgewiesen. Diese Masse sei nach dem Befüllen in offenen Kübeln aus dem Heißmischer durch die Halle zu den ebenfalls offenen
Pressbunkern gefahren worden. Eine Absauganlage sei im Heißpressenbereich erst Mitte der 1990er Jahre installiert worden.
Bis 1990 sei Bindepech mit einem Anteil von mindestens 150 ppm 2-Naphthylamin zum Einsatz gekommen. Erst danach habe der Wert
bei weniger als 100 ppm gelegen. Insgesamt sei danach im relevanten Zeitabschnitt von Anfang Oktober 1983 bis Ende Januar
1988 (40 Monate) über insgesamt 2,6 Jahre (40: 12 x 0,8) von einer 2-Naphthylamin-Belastung von 1 µg/m3 auszugehen.
Im nichtöffentlichen Termin am 5. Juli 2012 hat der Kläger erklärt, er habe während der Zeit von 1983 bis 1988 etwa zwei Drittel
der Arbeitszeit im Produktionsbereich verbracht. In der Produktionshalle habe sich neben einem Tunnelofen und der Teertränkanlage
auch ein Brennofen zur Schieberplattenfertigung befunden. Die Maschinen hätten auf Hochtemperaturbasis gearbeitet; in der
Sommerzeit hätten in der Halle nicht selten Temperaturen von 50°C geherrscht. Die Massen der durch die Heißmischer befüllten
Wagen hätten Temperaturen von etwa 140°C gehabt. Die Formkörper hätten etwa Temperaturen von 100°C aufgewiesen.
In ihren ergänzenden Stellungnahmen vom 1. April und 31. August 2011 sowie 25. November 2013 ist Dr. B. im Ergebnis bei ihrer
gutachtlichen Bewertung geblieben. Eine vom Gericht erwogene kumulative Dosis von 0,52 mg 2-Naphthylamin (1 µg/m3 x 1 [8 Stunden
täglich] x 220 Schichten x 2,6 Jahre: 1.000) könne nicht angenommen werden, da der Kläger nicht einen Kubikmeter Luft pro
Stunde eingeatmet habe, sondern weniger. Daneben könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass 100 % der Luftkonzentration
über die Lunge aufgenommen worden sei. Die Resorptionsraten seien deutlich niedriger.
Auf Anforderung des Senats hat die Beklagte die von Prof. Dr. B. und Dr. W. (IPA) erstellte Expositionsabschätzung vom 17.
Januar 2014 nebst der hierzu gefertigten Stellungnahme Dr. P.s vom 25. Februar 2014 übersandt. Prof. Dr. B. und Dr. W. sind
zu dem Ergebnis gekommen, dass sich bei Annahme eines Expositionszeitraums von 2,6 Jahren, einer Expositionsdauer von 8 Stunden
täglich über 220 Schichten im Jahr, einer nicht unrealistischen Expositionshöhe von 1 µg/m3 2-Napthylamin sowie einem Atemzeitvolumen
von 10 m3, das der Arbeitsleistung eines 70 kg schweren Mannes von etwa 50 Watt entspreche, eine kumulative Dosis von 5,72
mg ergebe (1 µg/m3 x 220 Schichten x 2,6 Jahre x 10 m3: 1.000). Unter derartigen Voraussetzungen liege eine hinreichende Wahrscheinlichkeit
dafür vor, dass für den Kläger beruflich ein Verdopplungsrisiko zur Entstehung eines Harnblasenkarzinoms bestanden habe.
Dr. P. hat insoweit zu bedenken gegeben, dass der Kläger im Produktionsbereich ausschließlich mit Aufsichts- und Überwachungstätigkeiten
befasst gewesen sei. Damit erscheine die Annahme eines Atemzeitvolumens von 10 m3 in einer Achtstundenschicht, für welches
die Verrichtung körperlicher Arbeit erforderlich sei, lebensfern. Unter Zugrundelegung der Funktionsweise der Druckimprägnierung
bei einer Betriebstemperatur von 41°C und des Siedepunktes von 2-Naphthylamin (306°C) lasse sich auch keine Raumluftkonzentration
von 1 µg/m3 ableiten. So sei z.B. auf der Ofendecke einer nicht dem Stand der Technik entsprechenden Kokerei eine Konzentration
von 0,1 µg/m3 gemessen worden. In einer Söderhalle, in der Teerpech an Kohlenelektroden verbrannt worden sei, habe ein Messwert
von 0,4 µg/m3 festgestellt werden können. In beiden Fällen hätten Temperaturen weit oberhalb des Siedepunktes von 2-Naphthylamin
geherrscht.
Ergänzend haben Prof. Dr. B. und Dr. W. unter dem 26. Juni 2014 daraufhin ausgeführt, bei Ansatz einer Betriebstemperatur
während der Produktion von nicht wesentlich über 41°C sei von keiner Arbeitsplatzkonzentration von 0,1 µg/m3 2-Naphthylamin
auszugehen. Da der Kläger im Produktionsbereich vornehmlich Kontrolltätigkeiten ausgeführt habe, habe sich seine damit verbundene
körperliche Leistung zwar niedriger als um 50 Watt bewegt. Allerdings sei in der Produktionshalle von einer erhöhten Arbeitsplatztemperatur
und gegebenenfalls erhöhten Luftfeuchtigkeit auszugehen, was im Vergleich zu einer Umgebungstemperatur von 20°C einer gesteigerten
cardio-respiratorischen Beanspruchung entspreche. Insoweit erscheine die Annahme eines Atemzeitvolumens von 10 m3 für den
Kläger nach wie vor realistisch. Vor dem Hintergrund, dass eine dermale Aufnahme bei den vom Kläger angegebenen hohen Raumtemperaturen
etwa den gleichen Beitrag zur Gesamtbelastung ausmache wie der inhalative Anteil, sei eine mittlere 2-Naphthylaminkonzentration
von 0,5 µg/m3 als hinreichend anzusehen, um den Orientierungswert zu erreichen, der bei Rauchern zu einer Risikoverdopplung
führe.
Die Beklagte hat hierzu die weiteren Stellungnahmen ihres Präventionsdienstes vom 22. Juli und 5. November 2014 vorgelegt.
Danach ergebe sich auf Grundlage der zu einem anderen Versicherungsfall im Magnesitwerk A. gewonnenen Erkenntnisse Folgendes:
Vorwiegend seien dort kohlenstoffgebundene Magnesitsteine hergestellt worden. Die Anlagen seien für eine Produktionsmenge
von 32.000-40.000 t jährlich konzipiert gewesen. Die hergestellten Massen seien zu etwa 40 % im Kalt- und 60 % im Heißmischverfahren
(160-180°C) produziert worden. Im Heißmischverfahren seien durchschnittlich 3 Gew.-% Steinkohlenteerpech als Bindemittel zugegeben
worden. Die fertigen Massen seien über eine Kübelbahn in die Vorratsbunker der Pressen gelangt. Die gepressten Steine seien
getrocknet (130°C) und im Tunnelofen gebrannt worden (1.500-1.750°C). Ein Teil der Feuerfeststeine sei in einer diskontinuierlich
arbeitenden Vakuum-Teertränkanlage bei 230°C getränkt worden. Die Temperatur der Steine habe bei 290°C gelegen. Der Gehalt
an Tränkteer habe meist 2-3 % bzw. maximal 5 % betragen. Die Produktionshalle habe über eine Grundfläche von etwa 10.000 m2
verfügt, in der sich außer den Anlagen im Mischturm, die Materialzuführung, Pressen, Trockner, Öfen, die Teertränkanlage,
der Absatz und die Endfertigung befunden hätten. Ein Großteil der Anlagen, u.a. die Aufbereitung, die Mischer und die Heißpressen,
seien an Entstaubungsanlagen angeschlossen gewesen. Bindepech und Tränkteer sei aus der Teerdestillation Erkner bezogen worden.
Angesichts des geringen Anteils von Steinkohlenteerpech in der fertigen Masse und des im Vergleich zur Heißverarbeitung teerhaltiger
Klebemassen bei Dachdeckerarbeiten vorherrschenden Temperatur von 230°C wesentlich geringeren Wertes im Heißmischbereich (160-180°C)
sei damit anstatt eines bei Dachdeckern gemessenen Konzentrationswertes von 1,0 µg/m3 2-Naphthylamin vorliegend ein Schätzwert
von 0,1 µg/m3 anzusetzen.
Abschließend haben Prof. Dr. B. und Dr. W. unter dem 18. Januar 2015 daraufhin eingeschätzt, dass unter der Voraussetzung
einer Expositionsdauer von 2,6 Jahren und einer mittleren 2-Naphthylaminkonzentration von 0,5 µg/m3, der vor dem Hintergrund
der Unsicherheiten des Beitrags einer dermalen Exposition als noch ausreichend erscheine, vorliegend von einer hinreichend
wahrscheinlichen beruflichen Verursachung ausgegangen werden könne. Bei einer darunter liegenden 2-Naphtylaminkonzentration
bzw. einer weit geringeren Expositionsdauer erscheine ein beruflicher Ursachenzusammenhang demgegenüber nicht begründbar.
Letztlich hat die Beklagte zu Einwänden des Klägers (insbesondere vom 15. Januar 2015) die Analyse ihres Präventionsdienstes
vom 3. März 2015 vorgelegt, die dieser auf Grundlage weiterer Ermittlungen beim ehemaligen Arbeitgeber (u.a. Befragung der
Bereichsleiterin Qualitätsprüfung bzw. eines Produktionsingenieurs der Steinfabrik als seit 1983 tätige Zeitzeugen) erstellt
hat. Danach könnten für den relevanten Zeitraum vom 1. Oktober 1984 (Verantwortlichkeit des Klägers für den Feuerfestbereich)
bis zum Wechsel in die Funktion des Bereichsleiters des Wissenschaftlich-Technischen Zentrums am 1. Februar 1988 neben dem
in der Stellungnahme vom 27. August 2007 mit acht Wochen veranschlagten Zeitanteil für den Aufenthalt im Bereich der Teertränkanlage
weitere Betätigungen im Produktionsbereich berücksichtigt werden. Hierzu zählten neben Kontrollgängen sowie selbst durchgeführten
Probenentnahmen auch Prozessbeobachtungs- und optimierungsverrichtungen bei der Einführung neuer Produkte. Bedingt durch seine
zunehmend verantwortungsvollere Leitungstätigkeit mit entsprechenden administrativen Aufgaben (ab 1. Januar 1985 Gruppenleiter
des Forschungslabors und ab 1. Januar 1987 dortiger Abteilungsleiter) habe die Aufenthaltsdauer des Klägers in der Produktion
kontinuierlich abgenommen. Nach den gleichlautenden Schätzungen der befragten Zeitzeugen belaufe sich diese während des o.g.
relevanten Zeitraums auf maximal 20 % der täglichen Arbeitszeit. Hieraus leite sich eine kumulative Gesamtexpositionszeit
von maximal 32 Wochen bzw. 1.280 h ab (40 Monate: 12 x 20 % x 40 h wöchentlich x 48 Arbeitswochen jährlich). Eine zusätzliche
dermale Belastung habe nicht bestanden. Da der Kläger nicht unmittelbar in die Produktion einschließlich Instandhaltungsarbeiten
eingebunden gewesen sei, habe für ihn üblicherweise kein direkter Hautkontakt zu Bindepech, Tränkteer, den entsprechenden
Massen sowie Presslingen bestanden. Zur Probeentnahme am Heißmischer hätten ein Probenstab und Hitzeschutzhandschuhe Verwendung
gefunden. Sichtbare Verschmutzungen seien durch die Gemengebestandteile Ruß und Graphit verursacht worden. Im Produktionsbereich
hätten sich mehrere Waschbecken befunden. Die Labormitarbeiter hätten in der Produktion regelmäßig blaue Kittel getragen,
die nach dem Verlassen des Bereichs wieder ausgezogen sowie selbst gereinigt worden seien. Für die Produktionsmitarbeiter
hätten Arbeitsjacken und -hosen zur Verfügung gestanden, die zur Reinigung im Betrieb hätten abgegeben werden können.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
und der von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und der Entscheidungsfindung des Senats.
Entscheidungsgründe:
Die nach §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte, form- und fristgerecht eingelegte (§
151 Abs.
1 SGG) und auch ansonsten zulässige Berufung hat keinen Erfolg. Der Bescheid der Beklagten vom 20. November 2007 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 23. Juli 2008 beschwert den Kläger deshalb nicht im Sinne der §§
157,
54 Abs.
2 Satz 1
SGG, weil er keinen Anspruch auf Anerkennung seines Harnblasenkrebsleidens als BK 1301 hat.
Der vom Kläger verfolgte Anspruch richtet sich nach den Vorschriften des
Siebten Buches Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung (
SGB VII). Denn der von ihm geltend gemachte Versicherungsfall (BK 1301), zu dem insbesondere auch das Vorliegen einer einschlägigen
Erkrankung gehört, könnte nur nach dem In-Kraft-Treten des
SGB VII am 1. Januar 1997 eingetreten sein (vgl. Art 36 des Unfallversicherungs-Einordnungsgesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I, 1254 ff., §§
212 ff.
SGB VII).
Gemäß §
9 Abs.
1 Satz 1
SGB VII sind BKen Krankheiten, welche die Bundesregierung durch Rechtsverordnung - die
Berufskrankheiten-Verordnung (
BKV) - mit Zustimmung des Bundesrates bezeichnet und die ein Versicherter infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§
2,
3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleidet. Voraussetzung für die Anerkennung der hier strittigen BK 1301 ist nach deren Tatbestand
das Vorliegen einer durch aromatische Amine verursachten Krebserkrankung der Harnwege.
Maßgeblich für den Zusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und der als BK geltend gemachten Erkrankung ist eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit, bei der mehr für als gegen eine Verursachung spricht und ernste Zweifel ausscheiden (siehe
nur Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 9. Mai 2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Dabei sind in einem ersten Prüfungsschritt der naturwissenschaftlichen Ursächlichkeit nur diejenigen
Bedingungen in die weitere Betrachtung einzubeziehen, die gedanklich nicht fehlen dürfen, ohne dass auch die einschlägige
Krankheit entfallen würde. Bereits diese naturwissenschaftliche Kausalität lässt sich nach dem Ergebnis der durchgeführten
Beweiserhebung vorliegend nicht begründen.
Zunächst war der Kläger während seiner beruflichen Tätigkeit im Magnesitwerk A. bzw. dessen Folgeunternehmen, die einer gemäß
§
2 Abs.
1 Nr.
1 SGB VII versicherten Tätigkeit als Beschäftigter entspricht, einer ihrer Art nach gefährdenden Einwirkung aromatischer Amine in Form
von 2-Naphthylamin im Sinne der BK 1301 ausgesetzt. Ferner ist gesichert, dass er an einem Harnblasenkarzinom litt, womit
auch eine Erkrankung im Sinne der BK 1301 nachgewiesen ist. Ernste Zweifel an einem beruflichen Kausalzusammenhang verbleiben
aber deshalb, weil beim Kläger vom Umfang her, von dem sich der Senat eine volle Überzeugung bilden können müsste (vgl. zu
den inhaltlichen Anforderungen dieses Beweismaßstabs BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 - B 2 U 5/05 R - SozR 4-5671 § 6 Nr. 2; Urteil vom 20. Januar 1987 - 2 RU 27/86 - SozR § 548 Nr. 84), keine gefährdende Exposition nachgewiesen ist, bei der nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen
die berufliche (Mit-)Verursachung eines Harnblasenkrebsleidens wahrscheinlich erscheint. Überdies ist eine Konkurrenzursache
belegt, die die Erkrankung naturwissenschaftlich allein erklärt.
Zwar ist dem Wortlaut der BK 1301 keine Dosis-Wirkungs-Beziehung im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der berufsbedingten
Krankheitsentstehung zu entnehmen. Dies führt allerdings nicht dazu, jede Exposition für eine einschlägige Krebserkrankung
mit der Begründung als wahrscheinlich ursächlich anzusehen, auch eine beliebige Dosis komme grundsätzlich als kanzerogen in
Betracht. Vielmehr setzt §
9 Abs.
1 Satz 2
SGB VII auch insoweit eine durch besondere berufliche Einwirkungen vermittelte Zurechnung voraus. Ob in dieser Hinsicht von einer
Risikoverdopplung nur bei einem Orientierungswert von 6 mg 2-Naphthylamin auszugehen ist, kann offen bleiben. Denn jedenfalls
dann, wenn dieser durch die angeschuldigte Exposition so deutlich unterschritten wird, dass die durch ihn indizierte Gefährdung
nicht annähernd erreicht ist, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der BK 1301 zu verneinen. Auf eine Zurechnungsprüfung
nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und eine hierbei anzustellende Kausalitätsbewertung des medizinischen Einzelfalls
kommt es dann nicht mehr an (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 31; Urteil vom 30. Oktober 2007 - B 2 U 4/06 R - BSGE 99, 162 m.w.Nw.). So liegt es hier.
Sowohl Dr. P. als auch Dr. B. haben - bei aller gebotenen Vorsicht - auf Grundlage der von ihnen wiedergegebenen wissenschaftlichen
Erkenntnisse auf einen Orientierungswert von 6 mg 2-Naphthylamin abgestellt (vgl. hierzu nochmals BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007, aaO.). Auch Prof. Dr. B. und Dr. W. haben sich unter ausführlicher Darstellung ihrer eigenen
Forschungsergebnisse sowie der aktuellen wissenschaftlichen Literatur für einen hinreichend wahrscheinlichen beruflichen Ursachenzusammenhang
ausdrücklich nur unter der Voraussetzung ausgesprochen, dass beim Kläger während eines Zeitraums von etwa 2,6 Jahren über
8 Stunden täglich an 220 Schichten im Jahr - unter Berücksichtigung einer zusätzlichen dermalen Exposition - eine mittlere
2-Naphthylaminkonzentration von 0,5 µg/m3 eingewirkt hat. Dabei haben sie unter Bezugnahme auf den entsprechenden Einwand
Dr. P.s zugleich betont, dass der Ansatz eines Atemzeitvolumens von 10 m3 nur bei einer im Produktionsbereich wesentlich über
41°C liegenden Temperatur und damit verbundenen erhöhten Luftfeuchtigkeit begründbar sei. Nur dann ergibt sich nach Prof.
Dr. B. und Dr. W. eine kumulative Dosis von 5,72 mg 2-Naphthylamin (0,5 µg/m3 x 2 [inhalative + dermale Aufnahme] x 220 Schichten
x 2,6 Jahre x 10 m3: 1.000), die mit einem Verdopplungsrisiko für die Entstehung eines Harnblasenkarzinoms verbunden sei.
Entsprechende Bedingungen sind hier nicht voll belegt.
Dies gilt selbst dann, wenn trotz der von Dr. P. erhobenen Zweifel und entgegen den Stellungnahmen des Präventionsdienstes
vom 22. Juli und 5. November 2014 sowie ungeachtet der eigenen Angaben des Klägers vom 7. Februar und 5. Juli 2012 (41°C bzw.
in den Sommermonaten nicht selten 50°C) zu dessen Gunsten eine weit über 41°C liegende Temperatur in der Produktionshalle
und eine damit verbundene erhöhte Luftfeuchtigkeit unterstellt wird. Für diesen Fall ließe sich auf Grundlage der Argumentation
von Prof. Dr. B. und Dr. W. unter Umständen zwar noch ein Atemzeitvolumen von 10 m3 begründen. Bereits die Ableitung einer
2-Naphtylkonzentration von 0,5 µg/m3 unterliegt bei einem solchen Szenario jedoch erheblichen Zweifeln. Einen solchen Wert
haben die Sachverständigen nur deshalb als noch ausreichend angesehen, weil sie - trotz auch von ihnen eingeräumter Unsicherheiten
- von einer zusätzlichen dermalen Einwirkung ausgegangen sind. Entsprechendes hat Dr. B. dagegen ausdrücklich verneint. Vor
dem Hintergrund der Darlegungen des Präventionsdienstes vom 3. März 2015 ist ihre Einschätzung auch nachvollziehbar. Denn
mangels direkter Beteiligung des Klägers am Produktionsprozess einschließlich der Instandhaltung leuchtet ein unmittelbarer
Hautkontakt zu Bindepech, Tränkteer, den entsprechenden Massen sowie Presslingen nicht ein. Auch nach seinen eigenen Angaben
ist der Kläger lediglich im Rahmen der Probenentnahme mit den einschlägigen Massen in Berührung gekommen, sofern er die Proben
selbst unmittelbar genommen hat. Hierfür standen aber ein Probenstab und Hitzeschutzhandschuhe zur Verfügung. Auch ansonsten
war für ihn nach den Darlegungen des Präventionsdienstes im Produktionsbereich ein Schutzkittel verwendbar. Eine dermale Aufnahme
von 2-Naphtylamin steht damit nicht zur sicheren Überzeugung des Senats fest.
Aber auch wenn ungeachtet dessen sogar eine 2-Naphtylkonzentration von 1 µg/m3 veranschlagt würde, ist jedenfalls keine kumulative
Expositionsdauer von 2,6 Jahren nachgewiesen.
Als gefährdungsrelevanten Zeitraum für die Einwirkung von 2-Naphthylamin hat der Präventionsdienst bei seiner Analyse vom
3. März 2015 auf die Zeit vom 1. Oktober 1984 bis zum 31. Januar 1988 (40 Monate) abgestellt. Eine Ausdehnung dieses Zeitraums
hat der Präventionsdienst, dessen Einschätzung sich insoweit mit den Angaben des Klägers deckt und der sich deshalb auch der
Senat anschließt, sachkundig verneint. Dem entspricht auch die Bewertung der für die relevante Exposition maßgeblichen Zeit
durch Dr. B. im Gutachten vom 8. Juni 2009. Erfasst ist damit die gesamte Tätigkeit des Klägers mit seiner Verantwortlichkeit
für den Feuerfestbereich bis zu seinem Wechsel in die Funktion des Bereichsleiters im Wissenschaftlich-Technischen Zentrum.
Dies stimmt schließlich auch mit der Mitteilung des ehemaligen Arbeitgebers vom 14. Juli 2007 überein.
Während des Zeitraums von Oktober 1984 bis Januar 1988 ist keine kumulative Expositionsdauer von 2,6 Jahren zu sichern. Die
Angaben des Klägers liefern insoweit schon deshalb keine verlässliche Grundlage, weil sie sich mehrfach widersprechen. So
hat dieser gegenüber Dr. B. den Anteil seines Aufenthalts im Produktionsbereich noch mit etwa 40 % der Arbeitszeit beziffert.
Unter dem 7. Februar 2012 hat er dann einen solchen von 80 % behauptet, woraus sich bezogen auf den zuvor genannten relevanten
Zeitraum eine Einwirkungszeit von 2,6 Jahren ableite (40: 12 x 0,8). Hiermit konfrontiert, hat der Kläger im Termin am 5.
Juli 2012 seine Aufenthaltsdauer im Produktionsbereich dann auf etwa zwei Drittel der Arbeitszeit veranschlagt. Der Präventionsdienst
hat auf Grundlage der übereinstimmenden Angaben der von ihm konsultierten Zeitzeugen unter dem 3. März 2015 einen Anteil von
maximal 20 % der täglichen Arbeitszeit in Ansatz gebracht und hieraus innerhalb der maßgeblichen 40 Monate eine kumulative
Gesamtexpositionszeit von maximal 32 Wochen (8 Monate = 0,6 Jahre) abgeleitet (40 Monate x 20 %), an denen der Kläger 40 Stunden
wöchentlich gegenüber 2-Naphthylamin exponiert gewesen ist. Damit kann der Senat allein eine solche Expositionszeit als sicher
feststehend zugrunde legen, zumal sie auch angesichts des Aufgabenbereichs des Klägers als Leiter des Feuerfestbereichs mit
stetig zunehmender administrativer Verantwortung (ab 1. Januar 1985 Gruppenleiter des Forschungslabors und ab 1. Januar 1987
dortiger Abteilungsleiter) plausibel erscheint. Unter Heranziehung der von Prof. Dr. B. und Dr. W. verwandten Berechnungsweise
resultiert damit bezogen auf eine - nicht belegte - Konzentrationshöhe von 1,0 µg/m3 2-Naphthylamin und ein Atemzeitvolumens
von 10 m3 nur ein Wert von 1,32 mg (1,0 µg/m3 x 220 Schichten x 0,6 Jahre x 10 m3: 1.000), der weit unterhalb der von den
Sachverständigen als relevant angesehenen Verdopplungsdosis liegt. Bei Ansatz einer Konzentration von 0,5 µg/m3 2-Naphthylamin
würde sich diese Dosis nochmals auf 0,6 mg halbieren (0,5 µg/m3 x 220 Schichten x 0,6 Jahre x 10 m3: 1.000). Die Einwirkung
einer beruflichen Dosis von 0,6 bzw. 1,32 mg 2-Naphthylamin unterschreitet den von den Sachverständigen herangezogenen Orientierungswert
einer Risikoverdopplung so massiv, dass sie bereits nicht als naturwissenschaftliche Bedingung der Krebserkrankung wahrscheinlich
erscheint.
Selbst wenn aber entsprechend der Mitteilung des Klägers gegenüber Dr. B. anstatt 20 % der Arbeitszeit ein Anteil von 40 %
zum Ansatz gelangen und mithin nicht 32, sondern 64 Wochen (= 1,3 Jahre) als bewiesen unterstellt würden, wäre keine ausreichende
Belastung erreicht. Denn nach der zuvor angegebenen Formel ergäbe sich bei einer Konzentrationshöhe von 1,0 µg/m3 2-Naphthylamin
und einem Atemzeitvolumens von 10 m3 "nur" ein Wert von 2,86 mg (1,0 µg/m3 x 220 Schichten x 1,3 Jahre x 10 m3: 1.000) bzw.
wäre dieser bei einer Konzentration von 0,5 µg/m3 2-Naphthylamin auf 1,43 mg zu halbieren. Sogar wenn uneingeschränkt der
Angabe des Klägers vom 5. Juli 2012 gefolgt und von 66 % der Arbeitszeit ausgegangen würde, beliefe sich die Dosis lediglich
auf 4,84 mg (1,0 µg/m3 x 220 Schichten x 2,2 Jahre [40 Monate x 66 %: 12] x 10 m3: 1.000) bzw. 2,42 mg (bei einer Konzentration
von 0,5 µg/m3 2-Naphthylamin). Sämtliche dieser Werte liegen weit unterhalb der von Prof. Dr. B. und Dr W. als zur Annahme
einer Risikoverdopplung durch die berufliche Einwirkung veranschlagten Grenze, wobei die Annahme einer Anwesenheit des Klägers
im Produktionsbereich von fast fünfeinhalb Stunden am Tag (66 % von 8) angesichts seines Aufgabengebietes mit stetig wachsender
Verantwortung als Führungskraft (s.o.). lebensfremd erscheint. Als denkbare Möglichkeit käme daher im Sinne eines worstcase-Szenario
allenfalls ein Arbeitszeitanteil von maximal 40 % in Frage, nach dem sich die kumulative Belastungsdosis auf maximal 2,86
mg bzw. 1,43 mg 2-Naphthylamin belaufen würde (s.o.).
Auch der Umstand des Rauchens führt zu keiner anderen Bewertung. Insbesondere kann er nicht etwa im Sinne einer (überadditiven)
Synkanzerogenese mit der beruflichen Einwirkung von 2-Naphthylamin als bedeutungslos angesehen werden. Entsprechendes haben
weder Dr. B. noch Prof. Dr. B. und Dr. W. auch nur in Betracht gezogen. Vielmehr hat Dr. B. gerade gegenteilig argumentiert.
Nach ihren Darlegungen wird der Orientierungswert einer Risikoverdopplung von 6 mg 2-Naphthylamin bereits ab einer Dosis von
15 packyears erreicht und steigt bei 30 packyears auf das Fünffache an. Der Nikotinabusus des Klägers in einem Umfang von
20 packyears stellt damit eine von der beruflichen Einwirkung unabhängige - und naturwissenschaftlich völlig ausreichende
- Erklärung des Harnblasenkrebsleidens dar, ohne dass es letzterer überhaupt bedarf. In Relation zu ihm liegt die durch die
angeschuldigte berufliche Exposition in Frage kommende Dosis bei rund 1/10 bzw. maximal 1/5 (bei Ansatz von 0,6 bzw. 1,32
mg - s.o. [0,5 µg/m3 x 220 Schichten x 0,6 Jahre x 10 m3: 1.000 bzw. 1,0 µg/m3 x 220 Schichten x 0,6 Jahre x 10 m3: 1.000].
Selbst der für ein absolutes worstcase-Szenario in Betracht kommende Wert von 2,86 mg beträgt lediglich die Hälfte der von
Prof. Dr. B. und Dr. W. als maßgeblich angesehenen Dosis. Das durch die versicherte Einwirkung geschaffene Risiko tritt damit
auch in dieser Hinsicht so weit in den Hintergrund, dass eine (wesentliche) Verursachung des Harnblasenkarzinoms durch sie
nicht hinreichend wahrscheinlich ist.
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor, da die Entscheidung auf gesicherter Rechtsauslegung und tatsächlicher Einzelfallbeurteilung beruht, ohne
dass der Senat von einem der in der genannten Vorschrift bezeichneten Gerichte abweicht.