Unentgeltlichkeit der Übergabe eines Hausgrundstücks in Vorwegnahme der Erbfolge
Tatbestand:
Die klagende Stadt nimmt den Beklagten aus übergeleitetem Recht auf Rückerstattung eines Geschenks wegen Verarmung der Schenker
in Anspruch.
Die Eltern des Beklagten schlossen am 28. Juni 1983 mit ihm einen notariellen Vertrag, der als Übergabevertrag bezeichnet
wurde. Darin heißt es nach Beschreibung des den Eltern je zur Hälfte gehörenden Hausgrundstücks:
Die Eheleute B. übergeben das vorgenannte Hausgrundstück ihrem einzigen Sohn D. B. in Vorwegnahme der Erbfolge. Dieser nimmt
die Zuwendung unter nachfolgenden Bestimmungen an.
Im folgenden räumt der Beklagte seinen Eltern den unentgeltlichen, unbeschränkten und lebenslangen Nießbrauch an dem übergebenen
Grundstück ein. Der Besitz, die Nutzungen und die öffentlichen Lasten und Abgaben sollten vorbehaltlich des Nießbrauchs sofort
auf den Erwerber übergehen. Abschließend gaben die Beteiligten die für den Vollzug des Vertrages im Grundbuch erforderlichen
Erklärungen ab, insbesondere die Auflassung.
Als die Eltern im Jahre 1989 in ein Altersheim übersiedelten, löste der Beklagte das Nießbrauchsrecht für die Folgezeit durch
Zahlung ab. Seit dem 1. August 1990 waren die Eltern auf Sozialhilfe angewiesen, die von der Klägerin geleistet wurde. Sie
leitete am 25. September 1990 Ansprüche der Eltern gegen den Beklagten aus §
528
BGB auf sich über. Der Vater starb am 1. Oktober 1990. Die Klägerin fordert von dem Beklagten Zahlung in Höhe ihrer bis Ende
1992 auf 64.961,14 DM angewachsenen Leistungen nebst Zinsen. Sie hält den Übergabevertrag für eine Schenkung.
Der Beklagte meint dagegen, er habe das Grundstück als Lohn für die von ihm bis zum Tag der Übergabe geleisteten und nach
der Übergabe fortzusetzenden Dienste erhalten. Hierzu trägt er vor, seine Mutter leide unter der Parkinsonschen Krankheit
und sei schon seit 1972/1973 pflegebedürftig gewesen. Seither habe er die Einkäufe für seine Eltern sowie die Instandhaltung
des Hauses und des Gartens übernommen. Sein Vater sei nach einer Operation wegen eines Prostatakarzinoms im Jahre 1976 bettlägerig
gewesen. In dieser Zeit habe er die Eltern zweimal täglich vor und nach seiner Arbeit sowie zum Teil ganztägig am Wochenende
besucht und den Vater gewaschen. Nach vorübergehender Besserung im Jahre 1978 sei es dem Vater infolge einer Diabetes im Jahre
1980 wieder schlechter gegangen. Beide Eltern hätten damals schon unter geistigen Ausfallerscheinungen gelitten. Der Beklagte
habe nun auch für den Vater gekocht, wenn die Mutter im Krankenhaus war. Er habe ferner geputzt und die Wäsche gewaschen.
Ab 1982 sei eine Putzfrau eingestellt worden, deren Lohn aber im wesentlichen von ihm bezahlt worden sei. Der Zustand der
Eltern habe sich weiter verschlechtert. Ab 1987 bis zur Übersiedlung der Eltern ins Altersheim habe er des öfteren bei ihnen
übernachten müssen, da seine Mutter nachts orientierungslos durchs Haus gelaufen sei. Für diesen Vortrag hat sich der Beklagte
auf das Zeugnis seiner Ehefrau bezogen.
Das Landgericht hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens über den Grundstückswert in vollem Umfang stattgegeben,
da die Leistungen der Klägerin bei weitem nicht den Wert der Hälfte des Grundstücks erreichten. Das Oberlandesgericht hat
die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit seiner Revision erstrebt er die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach Auffassung der Vorinstanzen sind die vom Beklagten behauptete Entstehungsgeschichte des Übergabevertrages und die
ihm zugrundeliegende Interessenlage der Beteiligten für seine Auslegung im vorliegenden Fall nicht von Bedeutung. Daß das
Grundstück möglicherweise in Anerkennung der Leistungen des Beklagten übertragen worden sei, spiele nämlich nach dem Vertragsinhalt,
der die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich habe, keine Rolle. Aus dessen objektivem Erklärungswert sei
zu entnehmen, daß es sich nur um eine Schenkung handeln könne. Zwar erlaube das Fehlen einer ausdrücklich vereinbarten Gegenleistung
allein noch nicht den Schluß, daß die Parteien über die Unentgeltlichkeit einig gewesen seien. Als Motiv der Eigentumsübertragung
ergebe sich aus dem Vertragstext lediglich die Absicht einer Vorwegnahme der Erbfolge. Damit aber gehe es ganz offensichtlich
nicht um ein Austauschverhältnis, sondern um eine einseitige Handlung der Eltern, mit der sie die Wirkung des Erbfalls schon
zu einem früheren Zeitpunkt hätten herbeiführen wollen.
2. Die aus der Verwendung des Begriffs der vorweggenommenen Erbfolge im Vertragstext gezogenen Folgerungen sind rechtsfehlerhaft,
wie die Revision mit Recht rügt. Schon deshalb kann das Berufungsurteil nicht bestehenbleiben.
a) Unter einer Vorwegnahme der Erbfolge versteht man die Übertragung des Vermögens (oder eines wesentlichen Teiles davon)
durch den (künftigen) Erblasser auf einen oder mehrere als Erben in Aussicht genommene Empfänger; sie richtet sich im Grundsatz
nicht nach Erbrecht, sondern muß sich der Rechtsgeschäfte unter Lebenden bedienen. In diesem Rahmen bestehen für sie vielfältige
Gestaltungsmöglichkeiten (BGHZ 113, 310, 312f.). Ein typisches Mittel ist der Übergabevertrag. So ist auch der hier zu beurteilende Vertrag vom 28. Juni 1983 benannt
worden. Übergabeverträge bestimmen häufig zusätzlich zu der Übertragung von Vermögensgegenständen des Übergebers, daß auch
den Übernehmer Verpflichtungen treffen; dabei kann es sich um Abfindungszahlungen an andere Erbberechtigte, aber auch um Verpflichtungen
zur Pflege des Übergebers etwa im Sinne eines Altenteils handeln (BGH, Urteil vom 27. Juni 1990 - XII ZR 95/89 - NJW-RR 1990, 1283, 1284 unter II 1). Derartige Gegenleistungen aus dem Vermögen des Übernehmers sind entgeltlich. Wenn die Gegenleistung -
jedenfalls in der maßgeblichen subjektiven Wertung der Parteien (BGHZ 59, 132, 135; 82, 274, 281) - der Leistung des Übergebers äquivalent ist, liegt keine Schenkung vor. Das ändert nichts daran, daß
es auch in solchen Fällen sinnvoll sein kann, als Motiv der Eigentumsübertragung die Rücksicht auf das künftige Erbrecht des
Übernehmers im Übergabevertrag festzuhalten. Denn das im Wege vorweggenommener Erbfolge übernommene Vermögen wird beim Zugewinnausgleich
des Übernehmers als Anfangsvermögen im Sinne von §
1374 Abs.
2
BGB behandelt, auch wenn seine Gegenleistungen voraussichtlich den Verkehrswert des übergebenen Objekts erreichen oder gar übersteigen
(BGH, Urteil vom 27. Juni 1990, aaO.).
b) Der bloße Hinweis im Übergabevertrag darauf, daß das Haus in Vorwegnahme der Erbfolge übergeben werde, besagt mithin nichts
über die Unentgeltlichkeit (Soergel/M. Wolf,
BGB 12. Aufl., vor §
2274 Rdn. 19; Kollhosser AcP 1994, 231, 232). Allein das im Vertragstext festgehaltene Motiv, Eigentum in vorweggenommener Erbfolge zu übergeben, entbindet den
Tatrichter nicht von der Aufgabe, den Vertrag unter Berücksichtigung aller Umstände auszulegen einschließlich seiner Vorgeschichte
und der Interessenlage der Beteiligten.
3. a) Da der Vertrag vom 28. Juni 1983, wie das Berufungsgericht nicht verkennt, außer dem Hinweis auf die Vorwegnahme der
Erbfolge sich in seinem Wortlaut nicht zum Rechtsgrund der Eigentumsübertragung äußert, läßt sich entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts aus der Vermutung der Vollständigkeit der Vertragsurkunde nicht entnehmen, daß der Beklagte die Entgeltlichkeit
der Grundstücksübergabe zu beweisen hätte. Vielmehr ist es grundsätzlich Sache der Klägerin, die den Anspruch aus §
528
BGB geltend macht, die (volle oder teilweise) Unentgeltlichkeit der Zuwendung zu beweisen.
b) Eine Vermutung für den Schenkungscharakter von Leistungen unter nahen Verwandten kennt das Gesetz ausschließlich in den
engen Grenzen der §§
685,
1620
BGB (BGH, Urteil vom 25. September 1986 - II ZR 272/85 - NJW 1987, 890, 892 unter 2). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber demjenigen, der sich auf das Vorliegen einer gemischten
Schenkung beruft, eine Beweiserleichterung in Form einer tatsächlichen Vermutung zuzubilligen, wenn zwischen Leistung und
Gegenleistung ein objektives, über ein geringes Maß deutlich hinausgehendes Mißverhältnis besteht (BGHZ 82, 274, 281f.; Urteil vom 25. September 1986, aaO.). Die Einschränkung der privatautonomen Bewertung von Leistung und Gegenleistung
durch eine derartige Vermutung ist zwar nur gerechtfertigt, wo schutzwerte Interessen Dritter berührt werden. Dies kann aber
nicht nur bei der Anwendung von §
2325
BGB der Fall sein, wie die Revision unter Hinweis auf das Senatsurteil vom 26. März 1981 (IVa ZR 154/80 - LM
BGB §
516 Nr. 14) meint. Auch im vorliegenden Fall sind durch die Überleitung des Anspruchs aus §
528
BGB auf den Träger der Sozialhilfe Interessen Dritter berührt.
Die Vorinstanzen haben aber nicht festgestellt, daß hier ein grobes Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung gegeben sei.
Auch dafür ist die Klägerin beweispflichtig. Ihren Behauptungen steht das Vorbringen des Beklagten über seine Pflegeleistungen
entgegen, die er jedenfalls in der Berufungsinstanz hinreichend substantiiert hat. Dabei ist zu berücksichtigen, daß vertragschließende
Verwandte in diesem stark von persönlichen Beziehungen geprägten Bereich den ohnehin nur schätzbaren Wert ihrer Leistungen
erfahrungsgemäß kaum je exakt kalkulieren (BGH, Urteil vom 27. Juni 1990, aaO.). Der Tatrichter wird daher nach Anhörung der
Parteien und eventuell auch Erhebung geeignet erscheinender Beweise einen bezifferten Wert auf der Grundlage von §
287 Abs.
2
ZPO ermitteln müssen.
4. Bei seiner Vertragsauslegung stützt sich das Berufungsgericht auch darauf, der beurkundende Notar müsse die Absicht der
Vertragsparteien im Sinne einer Schenkung verstanden haben. Denn er habe die Erbschaftssteuerstelle des Finanzamts H., die
zugleich die Schenkungssteuerstelle sei, von dem Vertrag in Kenntnis gesetzt. Dagegen wendet sich die Revision mit Recht.
Zwar können dem Verhalten des Notars Anhaltspunkte für die Vorstellungen und den Willen der Vertragsparteien zu entnehmen
sein. Hier hatte der Beklagte aber in erster Instanz vorgetragen, die Verwendung des Begriffs Vorwegnahme der Erbfolge im
Text des Vertrages gehe auf einen Vorschlag des beurkundenden Notars zurück, wobei er und seine Eltern diesem Begriff nur
insoweit Bedeutung zugemessen hätten, als damit die Tatsache bezeichnet werde, daß der Beklagte das Grundstück eben schon
zu Lebzeiten der Eltern und nicht erst nach deren Tod erhalte. Die Qualifizierung des Vertrages als Schenkung sei damit weder
vom Notar noch von den Vertragsparteien beabsichtigt gewesen (GA I 42f.; LGU S. 5). Eine Vernehmung des Notars ist soweit
ersichtlich bisher nicht beantragt worden. Bei dieser Sachlage läßt sich allein daraus, daß die Erbschaftssteuerstelle (neben
einem anderen Finanzamt) am Schluß des notariellen Vertrages u.a. als eine der Stellen bezeichnet wird, die eine Vertragsabschrift
erhalten, noch nicht der Schluß ziehen, die Vertragsparteien seien sich über die Unentgeltlichkeit der Zuwendung einig gewesen.
5. Der Beklagte hat weiterhin vorgetragen, er habe vor und nach der Übergabe verschiedene Reparaturen und Erneuerungsarbeiten
an dem Hausgrundstück vorgenommen. Das Berufungsgericht hat die Aufwendungen nach der Übergabe nicht als erheblich für die
Entgeltlichkeit der Zuwendung angesehen. Insoweit rügt die Revision mit Recht, daß nicht geprüft worden sei, ob der Beklagte
damit den Eltern vereinbarungsgemäß Erhaltungsaufwendungen abgenommen habe, die sie an sich als Nießbraucher gemäß §
1041
BGB hätten tragen müssen.
6. Unbegründet ist freilich die Rüge der Revision, bei der Ermittlung des Grundstückswertes sei dem Umstand nicht hinreichend
Rechnung getragen worden, daß es sich um eine Reichsheimstätte gehandelt habe. Das hat der Sachverständige jedoch berücksichtigt.
Das Landgericht ist seinen Ausführungen gefolgt, daraus habe sich im Zeitpunkt des Übergabevertrages keine nennenswerte Beeinträchtigung
der Verkehrsfähigkeit und damit des Verkehrswerts mehr ergeben. Dem ist der Beklagte in der Berufungsinstanz nicht entgegengetreten.