Anerkennung einer Berufskrankheit in der gesetzlichen Unfallversicherung
Keine Verursachung einer chronischen myeloischen Leukämie durch eine berufliche Tätigkeit als Schweißer in Tankanlagen
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung einer chronischen, myeloischen Leukämie (CML) als Berufskrankheit (BK) nach
Ziffer 1318 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (BKVO) (Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lympathischen Systems durch Benzol).
Im Februar 2007 erstattete die AOK Westfalen-Lippe der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Maschinenbau- und Metall Berufsgenossenschaft
(im Folgenden: Beklagte) eine Anzeige über den Verdacht des Vorliegens einer BK. Der 1970 geborene Kläger sei seit dem 8.1.2007
arbeitsunfähig und an einer CML erkrankt. Der Kläger sei als Schweißer tätig gewesen, ausweislich der beigefügten Bescheinigung
des Dr. L vom 23.2.2007 bestehe bei der wohl erheblichen Belastung als Schweißer in Tankanlagen mit Kohlenwasserstoffen und
auch Schweißgasen der Verdacht auf eine BK.
Nach seinen Angaben arbeitete der Kläger von 1984 bis April 1991 in Portugal und verrichtete dort u.a. Schweißarbeiten, leistete
dann bis Dezember 1991 seinen Militärdienst ab, wobei er als PKW Fahrer tätig war, und siedelte darin nach Deutschland über.
Von Januar 1992 bis Mai 1993 war er bei verschiedenen Arbeitgebern als Tellerwäscher, Pizzabäcker und Koch tätig. In dieser
Zeit hat nach seinen Angaben kein Kontakt zu Gefahrstoffen bestanden. Sodann nahm er im Juni 1993 bei der Firma H und C, einem
Hersteller von Großbehältern wie Tanks, Druckbehältern und Silos, eine Tätigkeit als Schweißer auf, die er zunächst bis April
2000 und dann wieder ab Januar 2002 ausübte. Zwischenzeitlich arbeitete er ebenfalls als Schweißer für die Firma O, die Rohrleitungen
produzierte und reparierte.
Die Beklagte holte die Stellungnahme ihrer Präventionsabteilung vom 13.7.2007 ein. Darin wurde festgehalten, Benzolexpositionen
hätten theoretisch beim Schweißen von Behältern, die Benzin/Benzol enthielten, auftreten können. Benzin sei jedoch hochentzündlich,
die Explosionsgrenze liege bei 0,6-0,8 vol%. Benzol sei ebenfalls brennbar, Benzol/Luft-Gemische seien explosiv. Bei Reparaturarbeiten
an derartigen Behältern sei ein Erlaubnisscheinverfahren Pflicht. Vor Begehen der Behälter müssten diese dafür freigegeben
werden. Das sei erst nach Gasprüfung durch speziell geschulte Personen und im Falle von Schweißarbeiten durch eine Heißarbeitserlaubnis
möglich. Insbesondere in der Mineralölindustrie würden generell umfangreiche Freimessungen zum Gesundheitsschutz durchgeführt.
Es sei daher nicht wahrscheinlich, dass sich Reste von Benzin oder Benzol in den Behältern befunden hätten, die der Kläger
geschweißt habe. Weitere Kontaktmöglichkeiten mit Benzol oder Styrol hätten nicht gefunden werden können. Eine Exposition
im Sinne der BK 1303 sei daher nicht wahrscheinlich zu machen.
Mit Bescheid vom 31.7.2007 führte die Beklagte aus, die diagnostizierte Erkrankung des blutbildenden Systems sei keine BK,
wegen dieser Erkrankung bestehe daher auch kein Anspruch auf Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.
Die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Entstehung der bezeichneten BK 1303 hätten nicht vorgelegen.
Den Widerspruch des Klägers, den dieser damit begründete, seine behandelnden Ärzte hätten erklärt, seine Krankheit stamme
von der Ausübung seiner Tätigkeit als Schweißer bei der Firma H und C, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.4.2008
zurück. Nach den Feststellungen der Präventionsabteilung vom 13.7.2007 seien die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die
streitige BK 1303 nicht gegeben.
Hiergegen hat sich die am 2.5.2008 vor dem Sozialgericht Detmold erhobene Klage gerichtet. Zur Begründung hat der Kläger vorgetragen,
jahrelang über mehrere Tage/Wochen pro Jahr mit Schweißarbeiten im Innern von Benzin- bzw. Heizöltanks beschäftigt gewesen
zu sein; eine Reinigung dieser sei letztlich nur mit dem Ziel der Verhinderung von Explosionen oder Erstickungen, nicht aber
dem weiteren Ziel des Schutzes der Beschäftigten vor Gesundheitsgefahren durchgeführt worden. Regelmäßig habe er, wie auch
Arbeitskollegen, nach entsprechenden Arbeiten unter massiven Kopfschmerzen gelitten. Dabei seien Arbeiten in Heizöl- und Dieseltanks
sogar noch in teilbefülltem Zustand durchgeführt worden; in anderen Tanks hätten sich häufig nach Reinigung dieser noch Ansammlungen
von verunreinigten Wasser-Benzin- bzw. Wasser-Öl-Gemischen am Boden befunden. Wandinnenflächen seien im Übrigen regelhaft
nicht gereinigt worden und hätten Haftungen aufgewiesen, wobei sich in undichten Tanks insbesondere Reste der zuvor beinhalteten
Stoffe zwischen den Tankwänden befunden hätten.
Der Kläger hat beantragt,
unter Aufhebung des Bescheides vom 31.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.4.2008 festzustellen, dass seine
Erkrankung an chronisch myeloischer Leukämie eine Berufskrankheit nach Nr. 1303 der Anlage zur
BKV ist.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat dazu die Auffassung vertreten, die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhangs zwischen der Exposition und der Erkrankung
sei nicht zu begründen.
Das Sozialgericht hat sodann auf Antrag des Klägers nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Dr. U, Klinik für Knochenmarktransplantation der Uniklinik F, vom 28.3.2010.
In seinem nach Aktenlage erstellten Gutachten gelangte er zu dem Ergebnis, beim Kläger sei eine CML diagnostiziert, ursächlich
hierfür sei eine maligne, klonale Veränderung der plurapotenten Stammzellen des Knochenmarks, die sehr wohl dem Benzol zugeschrieben
werden könne. Die Durchsicht der Akten gebe keinen wesentlichen Hinweis auf eine Exposition mit einer weiteren Substanz, die
die Krankheit verursacht haben könnte. Die Beurteilung, ob eine BK 1303 vorliege, scheine inzwischen nicht mehr möglich, da
seit dem Jahr 2009 zum Gefahrstoff Benzol die BK 1318 (Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und lymphatischen Systems
durch Benzol), in die BKVO aufgenommen worden und nunmehr einschlägig sei. Die Tatsachenfrage, ob eine Benzolexposition erfolgt sei, könne anhand der
vorliegenden Unterlagen nicht mit völliger Sicherheit beantwortet werden, sei nach den Angaben der Präventionsabteilung und
des Klägers aber wahrscheinlich. Wenn eine Exposition mit Benzol stattgefunden habe, scheine es dabei nicht nur zur inhalativen,
sondern auch zur percutanen Exposition mit dem Gefahrstoff gekommen zu sein. Eine verlässliche Gesamtdosisbelastung könne
aus den vorliegenden Angaben aber nicht abgeschätzt werden. Unabhängig von der fehlenden Möglichkeit, eine Gesamtdosisbelastung
einzuschätzen, scheine diese für die Beantwortung nach der Kausalität nicht zwingend notwendig. Zwar würden in der wissenschaftlichen
Begründung einige Belastungsintensitäten genannt, eine präzise Festlegung gebe es aber nicht, prinzipiell könne sogar eine
einmalige Benzoleinwirkung eine karzinogene Wirkung haben. Abschließend lasse sich zusammenfassen, dass aufgrund der Tätigkeit
des Klägers als Schweißer an dem für ihn ausgewiesenen Arbeitsplatz ein erhöhtes Risiko bestanden habe, aufgrund einer Benzolexposition
an einer CML zu erkranken. Ausschlaggebend sei vorliegend das junge Alter des Klägers bei der Erstdiagnose (36 Jahre).
Anhand der im Rahmen einer gerichtlichen Befragung gemachten Angaben des Klägers und eines Mitarbeiters der Präventionsabteilung,
die in der weiteren Stellungnahme vom 7.2.2011 zusammengefasst sind, gelangte die Präventionsabteilung zu dem Ergebnis, insgesamt
ergäben sich ca. 2500 Arbeitsstunden, bei denen im Rahmen von Reparaturarbeiten eine Benzolbelastung möglich gewesen sei.
Da keine Messwerte vergleichbarer Arbeitsplätze vorhanden seien, sei nur eine grobe Abschätzung möglich. Unter der Annahme
einer konsequenten Einhaltung der vorgeschriebenen Freigabeverfahren und Einhaltung der Werte der gültigen Technischen Richtkonzentration
(TRK) sei von einer kumulativen Benzolbelastung von 2,5 ppm Benzoljahren auszugehen. Bei der notwendigen Überwachung der unteren
Explosionsgrenze (max. 20 % UEG) während der Schweißarbeiten im Tankinnern ergebe sich eine Belastung von 14-18 ppm (bei einem
Benzolgehalt von 2,5 Volumen Prozent) laut BGAA Report. Unter der Annahme, dass 80 % der Arbeitszeit mit Reparaturarbeiten
ausgefüllt gewesen sei, errechne sich eine kumulative Belastung von deutlich weniger als 20 ppm-Jahren.
Der Beratungsarzt Dr. Q hat am 18.11.2011 ausgeführt, in Deutschland habe sich die Auffassung durchgesetzt, dass die Erkrankung
des blutbildenden Systems, wie beim Kläger eingetreten, nach einer kumulativen Exposition von knapp 10 ppm-Jahren (oberer
einstelliger Bereich) im Sinne der BK 1318 anerkennungsfähig sei. Insofern bestehe auch Konsens zwischen dem Sachverständigenbeirat
Sektion BK beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der Deutschen Unfallversicherung. Wissenschaftliche Erkenntnisse,
dass Leukämieerkrankungen durch Benzol unterhalb des angegebenen Bereichs verursacht werden könnten, seien durchaus heterogen,
so dass unterhalb von knapp 10 ppm-Jahren nicht von gesicherten Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft dahingehend ausgegangen
werde, dass eine entsprechende Benzolbelastung mit einer Risikoverdoppelung für myeloische Leukämien einhergehe. Beim Kläger
sei die Höhe der stattgehabten Exposition nur schwer ermittelbar. Unter Annahme einer konsequenten Einhaltung der Freigabeverfahren
im Explosionsschutz unter Einhaltung der gültigen TRK Werte ergebe sich eine kumulative Benzolbelastung von 2,5 ppm-Jahren.
Somit sei die geforderte Benzoldosis von knapp zehn ppm-Jahren nicht beweisbar, aber möglich. Der Kausalzusammenhang könne
weder bejaht noch verneint werden.
Das Sozialgericht hat sodann von Amts wegen das Gutachten des Facharztes für Arbeits- und Umweltmedizin Prof. Dr. O, N, vom
27.2.2012 eingeholt. Er gelangte zu dem Ergebnis, die Erkrankung des Klägers sei nach wissenschaftlicher Begründung der BK
1318 zuzuordnen, für die keine Dosis-Wirkungsbeziehung aufgrund der epidemiologischen Datenlage bestätigt werden könne. Für
ein entsprechendes Krankheitsbild sei somit eine Einzelfallbetrachtung nach den in der wissenschaftlichen Begründung aufgeführten
Expositionsintensitätsgruppen notwendig. Nach den dort aufgeführten Tätigkeiten wäre die Exposition des Klägers maximal einer
hohen Belastungsintensität zuzuordnen. Selbst unter der theoretischen Annahme einer extremen Belastungsintensität wäre die
dokumentierte tätigkeitsbezogene Expositionszeit von umgerechnet 1,5 Jahren nicht hinreichend, eine BK 1318 zu begründen.
Reinigungsarbeiten von Tanks, die Benzol oder Benzin beinhalteten, seien der extremen Belastungskategorie in der wissenschaftlichen
Begründung zugeordnet. Die vom Kläger durchgeführten Schweißtätigkeiten in zumindest teilgereinigten Behältern dürften in
eine darunterliegende Expositionsintensitätsgruppe einzuordnen sein. Somit wären noch längere Expositionszeiten notwendig,
um einen Kausalzusammenhang begründen zu können. Eine BK 1303 bzw.1318 liege nicht vor. Dr. U könne nicht zugestimmt werden.
Die Grundlagen einer arbeitsmedizinischen Zusammenhangsbegutachtung zur Kausalitätsfrage im BK Recht würden in seinem Gutachten
nicht in der geforderten Weise umgesetzt. Die Ausführungen von Dr. Q bezüglich der notwendigen Benzol-ppm-Jahre im hohen einstelligen
Bereich seien nur für Erkrankungen der Gruppe 1 gültig, für die eine Dosis-Wirkungs-Beziehung aufgrund der epidemiologischen
Datenlage belegt werden könne. Die beim Kläger aufgetretene CML sei in die Gruppe 2 einzuordnen, so dass eine Einzelfallbetrachtung
in Bezug auf die Belastungsintensität durchzuführen sei. Eine genaue Benzol-Jahr-Berechnung sei in diesen Fällen nicht notwendig.
Das Sozialgericht hat die Bescheide der Beklagten aufgehoben und mit Urteil vom 10.7.2012 festgestellt, dass die Erkrankung
des Klägers an chronisch myeloischer Leukämie eine BK nach Nr. 1303 der Anlage zu
BKV ist.
Das Urteil ist der Beklagten am 8.8.2012 zugestellt worden.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten vom 3.9.2012. Die Beklagte ist der Auffassung, das Sozialgericht irre sich
über die tatsächlichen Grundlagen seiner Beurteilung des Ursachenzusammenhangs und setze sich über den Inhalt des Gutachtens
von Prof. Dr. O hinweg. Die Schlüsse, die das Sozialgericht aus den epidemiologischen Studien ziehe, träfen nicht zu. Die
Relevanz des Lebensalters werde überschätzt. Außerdem zitiere das Gericht die Belastungsszenarien falsch, die die wissenschaftliche
Begründung der BK 1318 für die Bewertung des Ursachenzusammenhangs für maßgeblich erkläre. Für die CML seien statt eines Jahres
mit extremer Belastung 2-5 Jahre erforderlich (3.3 der amtlichen Begründung). Darüber hinaus bezieht sich die Beklagte auf
ihren Beratungsarzt Dr. M, der in seiner Stellungnahme vom 17.9.2012 ausführt, es sei nicht gerechtfertigt, die Anforderungen
an die Exposition bei Erkrankung mit CML im Einzelfall geringer anzusetzen, als bei Erkrankungen an Blutkrebs, für die ein
Dosis-Wirkungs Zusammenhang nachgewiesen werden könne. Zwar sei die anspruchsbegründende Dosis nicht in die Legaldefinition
der BK eingegangen, werde aber sehr wohl in den wissenschaftlichen Begründungen ausführlich diskutiert, wobei diese die eigentliche
Grundlage für die generelle Schaffung von BK-Ziffern darstelle. Wenn also die wissenschaftliche Begründung in die Richtung
gehe, dass man für Neubildungen des blutbildenden Systems mit ungesicherter epidemiologischer Datenlage deutlich höhere Expositionsvoraussetzungen
sehe, die sich auf das nahezu Doppelte im Vergleich zu denjenigen Erkrankungen beliefen, für die eine gesicherte epidemiologische
Datenlage vorliege, sei dies eine eindeutige Aussage. Sie widerspreche der im Vorfeld erfolgten Argumentation, dass man bei
der Gruppe 2 der Erkrankungen des blutbildenden Systems mit ungesicherter epidemiologischer Datenlage die Dosisvoraussetzungen
beliebig nach unten schrauben könne. Weder Expositionsdauer noch Expositionsbeginn noch Erkrankungsbeginn erlaubten eine Relativierung
der Anforderungen an die Exposition, wie sie in der wissenschaftlichen Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirates
formuliert seien. Allein aus dem jungen Erwachsenenalter, in dem der Kläger erkrankt sei, lasse sich nicht ableiten, dass
die Erkrankung expositionsbedingt sei. In Grafiken zur CML sei ein stetiger Anstieg dokumentiert, quasi von der Geburt bis
etwa zum 55. Lebensjahr, dann steige die Inzidenzkurve stark an, das heiße aber nicht, dass unterhalb vom 55. Lebensjahr die
schicksalhafte Inzidenz gleich Null sei. Wie sich das allgemeine Lebensrisiko, im Alter von 37 Jahren idiopathisch an einer
CML zu erkranken, zu dem Erkrankungsrisiko, das aus einer Belastung mit 2,5 ppm Benzoljahren resultiere, verhalte, könne nicht
beziffert werden. Wenn das Erkrankungsrisiko, welches aus einer Belastung mit 2,5 ppm-Jahren resultiere, bekannt wäre, hätte
die CML mit Wahrscheinlichkeit keine ungesicherte epidemiologische Datenlage.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10.7.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Er ist der Auffassung, die erstinstanzliche Entscheidung sei rechtsfehlerfrei ergangen. Die Ausführungen des Prof. Dr. O seien
nicht geeignet, den Anspruch des Klägers zu verneinen. Das Sozialgericht sei ihnen mit überzeugenden Argumenten entgegengetreten.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Arbeitsmedizin, Soziale Medizin und Umweltmedizin
Prof. Dr. I, H, vom 5.2.2014. Dieser gelangt in seinem auf einer körperlichen Untersuchung des Klägers beruhenden Gutachten
zu dem Ergebnis, die Erkrankung des Klägers sei nicht hinreichend wahrscheinlich durch Benzol entstanden oder richtunggebend
verschlimmert worden. Das frühe Erkrankungsalter des Klägers sei ein Hinweis auf eine nicht schicksalhafte Mitursache der
Leukämie, z.B. durch eine berufliche Benzolbelastung. Gegen einen Kausalzusammenhang mit der versicherten Tätigkeit spreche
die von der Präventionsabteilung der Beklagten ermittelte kumulative arbeitsbedingte Benzolbelastung von 2,5 ppm-Jahren. Selbst
wenn man annehme, dass der Kläger im Rahmen von Schweißarbeiten in Raffinerien und Mineralöllagern stets im Bereich der Exposition
gearbeitet hätte, würde die Belastung von deutlich unter 20 ppm-Jahren nicht die vom Verordnungsgeber durch Veröffentlichung
der wissenschaftlichen Begründung der BK 1318 erwartete Mindestbelastung für eine Anerkennung erreichen. Insgesamt sei die
in der arbeitstechnischen Amtsermittlung festgestellte geringe Benzolbelastung von größerer Bedeutung für die arbeitsmedizinische
Kausalitätsbeurteilung als das Indiz einer Vorverlagerung des Erkrankungszeitpunktes. Für die Beurteilung der Zusammenhangsfrage
sei es durchaus bedeutsam, welche kumulative Belastungsdosis über das Arbeitsleben zugrundegelegt werde, da das Risiko, an
einer malignen Blutkrankheit zu erkranken, grundsätzlich dosisabhängig sei, auch wenn im Falle der CML die epidemiologische
Datenlage nicht ausreiche, die genaue Dosis-Wirkungs-Beziehung darzustellen. Mit der amtlichen Bekanntmachung der wissenschaftlichen
Begründung der BK 1318 durch das BMAS habe der Verordnungsgeber den darin enthaltenen Hinweis auf die für eine Anerkennung
einer CML als BK erwartete Belastungsintensität gegenüber Benzol unterstützt. Es sei zwar nachvollziehbar, dass Dr. U das
recht frühe Erkrankungsalter des Klägers als maßgebliches Indiz für eine arbeitsbedingte Kausalität sehe, aus arbeitsmedizinischer
Sicht berücksichtige er jedoch nicht hinreichend die Bedeutung der arbeitstechnischen Ermittlungsergebnisse als Grundlage
der Umsetzung der Unternehmerhaftung im BK-Recht. Es sei nicht zu bestreiten, dass ein Kausalzusammenhang der erlittenen Erkrankung
mit einer arbeitsbedingten Benzolbelastung möglich sei, die ermittelte kumulative Belastungsdosis von 2,5 ppm-Jahren liege
aber weit unterhalb der Risikoverdoppelung für solche hämatologischen Krankheitsbilder, für welche die Dosis-Wirkungs-Beziehung
in der epidemiologischen Literatur belegt sei.
Der Senat hat im Erörterungstermin vom 15.6.2016 drei Arbeitskollegen des Klägers als Zeugen gehört, die die verrichteten
Arbeiten, insbesondere in den Tanks und Behältern beschrieben haben. Auf den Inhalt des Protokolls vom 15.6.2016 wird Bezug
genommen.
Die Beklagte hat auf der Basis der Zeugenaussagen eine weitere Stellungnahme der Präventionsabteilung vom 11.5.2017 eingeholt.
Darin heißt es, dass unter Berücksichtigung der festgestellten Diagnose einer CML eine nach der wissenschaftlichen Begründung
ausreichende Belastung - dort sei unter 3.2.2. für diese Erkrankung eine wissenschaftliche Begründbarkeit ab einer Belastung
von 16 ppm-Jahren angegeben - nicht als zu berücksichtigende BK Einwirkung zu begründen sei.
Der Kläger regt weitere Ermittlungen von Amts wegen dahingehend an, die Zeugenaussagen dem Sachverständigen Prof. Dr. I vorzulegen.
Die Zeugen hätten belegt, dass Arbeitsschutzvorschriften nicht eingehalten worden seien, es sei zu klären, ob die Rückstände
in den Tankwänden unbedenklich seien, wenn der Tank ausgespritzt worden sei und ob von den dort festgebackenen Rückständen
weiterhin ein Expositionsrisiko ausgehe. Ferner müsse geklärt werden, ob die Spülrückstände geeignet seien aufgrund fehlender
Schutzmaßnahmen die Direktaufnahme über die Haut zu ermöglichen. Es sei ein toxikologisches Gutachten zur Wirkungsweise von
Benzol hinzuzuziehen. Außerdem müsse ermittelt werden, welche Reinigungsmittel seinerzeit benutzt worden seien und wie deren
Zusammensetzung gewesen sei.
Wegen der weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die aktenkundigen medizinischen und arbeitstechnischen
Unterlagen sowie den weiteren Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten, die der Senat beigezogen hat und deren Inhalt Gegenstand
der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere fristgerecht eingelegt, und begründet.
Streitgegenstand ist die Feststellung, dass die Erkrankung des Klägers an CML eine BK nach Ziffer 1303 oder 1318 der Anlage
1 zur BKVO ist. Der angefochtene Bescheid vom 31.07 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.4.2008 behandelt zwar zunächst
nur die Ablehnung der Anerkennung dieser Erkrankung als BK 1303 "Erkrankungen durch Benzol, seine Homologe oder Styrol". Mit
der Bekanntmachung des BMAS vom 30.12.2009, mit der die BK 1318 eingeführt wurde (Erkrankungen des Blutes, des Blut bildenden
und des lymphatischen Systems durch Benzol, GMBL 2010 S 94), ist die Klage nicht etwa unzulässig geworden, weil die CML nun
nicht mehr der BK 1303 unterfiele. Im Rahmen der Empfehlung, die neue BK 1318 in die BKVO aufzunehmen, wird in der wissenschaftlichen Begründung des ärztlichen Sachverständigenbeirats (GMBL 2007 S. 974 ff) ausgeführt,
angesichts der Heterogenität der bisher unter der Nr. 1303 als BK zusammengefassten Krankheitsbilder und der sie verursachenden
Chemikalien sei es erforderlich, die durch Benzol verursachten Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen
Systems als eigene BK zu erfassen. Somit sind zwar Erkrankungen des hämolymphatischen Systems - wie die CML - aus der bisherigen
BK 1303 herausgenommen und als eigene BK 1318 nunmehr allein von dieser erfasst ("lex specialis", vgl. hierzu Mehrtens/Brandenburg,
BKVO, Stand Januar 2018 M 1318 S. 12 Anm. 1). Im Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidungen der Beklagten war dies jedoch noch nicht
der Fall, so dass auch die heute der BK 1318 unterfallenden Erkrankungen Gegenstand der angefochtenen Entscheidungen der Beklagten
und des Sozialgerichts waren, vom Kläger deshalb zulässig mit der Feststellungsklage (§
55 Abs.
1 Nr.
3 des
Sozialgerichtsgesetzes -
SGG -) weiter verfolgt werden konnten und deshalb auch im vorliegenden Verfahren weiter zulässiger Streitgegenstand bleiben.
Zu Unrecht hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, die Erkrankung des Klägers als BK anzuerkennen, denn der angefochtene
Bescheid vom 31.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.4.2008 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger
daher auch nicht in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 S. 1SGG.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der bei ihm diagnostizierten Erkrankung CML als Folge der BK 1318.
Berufskrankheiten sind nach §
9 Abs.
1 S. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (
SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung oder mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet
und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§
2,3 oder 6
SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Krankheiten als Berufskrankheiten
zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen
bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt
sind (§
9 Abs.
1 S. 2 1. HS
SGB VII).
Aufgrund dieser Ermächtigung hat die Bundesregierung die BKVO vom 31. Oktober 1997 (BGBl. I, S. 2623) erlassen, in der die derzeit als Berufskrankheiten anerkannten Krankheiten aufgeführt sind. In der Anlage 1 zur BKVO wird die Erkrankung des Klägers, wie eingangs dargestellt, von der hier streitgegenständlichen BK 1318 " Erkrankungen des
Blutes, des blutbildenden und des lympathischen Systems durch Benzol" erfasst. Voraussetzung für die Anerkennung als BK ist,
dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen,
Schadstoffen oder Ähnlichem auf den Körper geführt haben muss (Einwirkungskausalität), und diese Einwirkungen eine Krankheit
verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Die Tatbestandsmerkmale "versicherte Tätigkeit", "Verrichtung", "Einwirkungen"
und "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises erwiesen sein, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorliegen
(st. Rechtsprechung, vgl. u.a. BSG Urteil vom 23.04.2015 - B 2 U 20/14 - juris Rn. 10). Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt jeweils
das Bestehen einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße - nicht auszuschließende - Möglichkeit. Danach
muss bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang
sprechen (vgl. BSG, Urteile vom 2.11.1999 - B 2 U 47/98 R - und vom 2.05.2001 - B 2 U 16/00R - juris). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang
nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach den im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven
Beweislast zulasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen
also zulasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991 - 2 RU 31/90 - juris).
Ausgehend von diesen Maßstäben ist die Verursachung der Erkrankung CML durch die berufliche Tätigkeit des Klägers nicht hinreichend
wahrscheinlich im genannten Sinne.
Unstreitig war der Kläger bei Ausübung seiner Tätigkeit als Schweißer einer Benzolexposition ausgesetzt. In gleicher Weise
unstreitig leidet er unter einer grundsätzlich als BK 1318 anerkennungsfähigen Erkrankung (vgl. zu den anerkennungsfähigen
Erkrankungen Schönberger/Mehrtens/Valentin (S/M/V), Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Aufl. 2017, Seite 980; Mehrtens/
Brandenburg, a.a.O., M 1318 S.6) in Form der CML, die bei einer Exposition gegenüber Benzol entstehen kann. Allerdings lässt
die derzeitige epidemiologische Datenlage keine präzise Beschreibung des Dosis/Wirkungs-Zusammenhangs für die Erkrankung CML
und der Exposition mit Benzol zu. Die CML wird nach Tabelle 1 der Krankheitsbilder für maligne Erkrankungen in die Gruppe
B eingestuft, anders als die akute myeolische Leukämie (AML), die der Gruppe A zugeordnet wird. Für Letztere besteht der epidemiologische
Nachweis einer Verdoppelung des Erkrankungsrisikos gegenüber der Allgemeinbevölkerung bei einer entsprechend hohen kumulativen
beruflichen Benzolexposition. Demgegenüber fehlen bei den Krankheitsbildern der Gruppe B epidemiologische Informationen zur
Dosis-Wirkungsbeziehung, so dass aus diesem Grund nur von der Möglichkeit einer Verursachung durch Benzolexposition ausgegangen
werden kann (vgl. Mehrtens/Brandenburg, a.a.O. S. 7, 8; Wissenschaftliche Begründung zur BK 1318, GMBL 2007, a.a.O. S. 1002).
Da die Erkrankungen damit wegen der generellen Eignung von Benzol als Entstehungsursache dem Grunde nach anerkennungsfähig
sind, ist für diese Gruppe von Erkrankungen eine differenzierte Erhebung der Arbeitsanamnese mit Zuordnung der Tätigkeit zu
den in der wissenschaftlichen Begründung spezifizierten Belastungsintensitäten und gegebenenfalls eine Ergänzung durch quantitative
Informationen angezeigt. Zu berücksichtigen sind z.B. besonders intensiver Hautkontakt mit Benzol oder benzolhaltigen Gemischen,
besondere Expositionsintensität im jugendlichen Alter (aufgrund wissenschaftlicher Belege einer besonderen Benzolempfindlichkeit
im Kindesalter), unzulängliche Arbeitsschutzbedingungen sowie weitere individuelle, auch medizinische Gefährdungsfaktoren
(Mehrtens/Brandenburg, a.a.O. S. 8, 10 und wissenschaftliche Begründung S. 1006).
Wegen der dabei vorzunehmenden schwierigen Abgrenzung der betroffenen Personen mit Krankheitsbildern der Gruppe B ist eine
besonders hohe Intensität oder eine besonders lange Dauer der beruflichen Benzolexposition gefordert, auch wenn die anspruchsbegründende
Dosis nicht in den BK-Tatbestand aufgenommen worden ist. Das ergibt sich aus der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318
(Wissenschaftliche Begründung, GMBL 2007, a.a.O. S. 1006, 1007), die die Grundlage für die Schaffung dieser BK-Ziffer darstellt.
In ihr sind Hinweise enthalten und Abgrenzungskriterien genannt. Danach wird ungeachtet der unzureichenden epidemiologischen
Datenlage beispielhaft eine ausreichende Exposition bejaht bei einer extremen Belastungsintensität über einen Zeitraum von
in der Regel 2-5 Jahren oder bei einer hohen Belastungsintensität über einen Zeitraum von in der Regel sechs und mehr Jahren.
Wann von einer extremen bzw. hohen Belastungsintensität auszugehen ist, orientiert sich an der Beschreibung und Klassifizierung
relevanter Expositionsverhältnisse in Abschnitt 3.2.2 der wissenschaftlichen Begründung. Darin finden sich in der Gruppe der
extremen Belastungsintensität (Expositionszeit in der Regel ein Jahr) Tätigkeiten mit direkten Kontakt zu Benzol bzw. Benzin
(offener Umschlag von Ottokraftstoffen, Ethylbenzolherstellung in Chemiefabriken der DDR, Reinigen von Gegenständen mit Ottokraftstoff,
Spritzauftrag von benzolhaltigen Beschichtungen oder Oberflächenbehandlungsmitteln vor 1970, Arbeiten in Teer-, Pech- und
Asphaltlaboratorien, Reinigung von Tankanlagen für Ottokraftstoffe bis 1980, Innenreinigung von Behältern für Benzol bzw.
Ottokraftstoffen oder hinsichtlich des Benzolgehalts vergleichbarer Kohlenwasserstoffgemische ohne geeignete Schutzmaßnahmen.
Eine hohe Belastungsintensität (Expositionszeit von in der Regel 2-5 Jahren) wird z.B. angenommen bei Arbeiten in Nebengewinnungsanlagen
der Kohlechemie (Kokerei und Gaswerk), Roh- und Reinbenzolherstellung vor 1999, Arbeiten in Anlagen zur Herstellung von Ethylen
bis 1990, Bedienen von Tanks für Ottokraftstoffen durch Pumpen, Peilen, Aufmischen, Öffnen von Schiebern, Tankstandsmessungen,
Wartung und Ziehen von Labormustern im Tankfeld bis 1999, Warten und Instandhaltung von benzolführenden Rohrleitungsteilen
und Pumpen, Arbeiten im Kfz-Handwerk an ottokraftstoffführenden Teilen bis 1980/1985, Arbeiten im Kfz-Handwerk an Vergasern
bis 1990, Reinigung von Tankanlagen für Ottokraftstoffen bis 1990, Funktionsprüfung von kraftstoffführenden Motorkomponenten,
Spritzauftrag von Beschichtungen oder Oberflächenbehandlungsmitteln vor 1970-1979.
Diese Beispiele machen deutlich, dass sowohl bei einer extremen als auch bei einer hohen Belastungsintensität ein direkter
Kontakt zu dem Schadstoff Benzol bestanden haben muss. Derartige Tätigkeiten hat der Kläger aber nach seinen eigenen Angaben
nicht verrichtet. Bei seiner im Rahmen der Arbeitsanamnese erfolgten Befragung durch die Mitarbeiter der Präventionsabteilung
der Beklagten hat der Kläger am 13.7.2007 angegeben, Benzolexpositionen lediglich im Rahmen seiner Tätigkeit als Schweißer
bei der Firma H und C, einem Hersteller von Großbehältern wie Tanks, Druckbehältern und Silos, ausgesetzt gewesen zu sein.
Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der weiteren Stellungnahme der Präventionsabteilung der Beklagten vom 11.5.2017,
die nach Durchführung der Beweisaufnahme vor dem erkennenden Senat angefertigt worden ist. In der wissenschaftlichen Begründung
zur BK 1318 sind im Abschnitt 3 typische benzolbelastete Arbeitsbereiche und Tätigkeiten auch aus früherer Zeit aufgelistet.
Die Tätigkeit eines Schweißers ist darin nicht enthalten, so dass davon auszugehen ist, dass die Gruppentypik der benzolbelasteten
Berufe und Tätigkeiten für typische Schweißerarbeiten schon nicht zutrifft. Ungeachtet dessen differieren die Angaben zum
Umfang der verrichteten Tätigkeiten. Im Rahmen seiner Befragung durch die Präventionsabteilung am 13.7.2000 hat der Kläger
angegeben, zu 60 % Altbehälter geschweißt zu haben, demgegenüber hat der Montageleiter der Firma H und C, Herr P, gegenüber
der Präventionsabteilung am 7.2.2011 angegeben, der Kläger habe zu 70 % Arbeiten am Neubau von Behältern und zu 30 % Reparaturarbeiten
an bestehenden Behältern durchgeführt. Bei Arbeiten an neuen Behältern kann eine Exposition gegenüber Benzol völlig ausgeschlossen
werden, da sie erst nach Beendigung des Herstellungsprozesses befüllt werden. Benzolexpositionen können vielmehr nur beim
Schweißen von Behältern auftreten, die repariert werden. Nach den Angaben der Präventionsabteilung ist bei reparaturbedingten
Schweißarbeiten an derartigen Behältern jedoch ein Erlaubnisscheinverfahren vorgeschrieben, um eine Explosion zu verhindern.
Vor Begehen von Behältern müssen diese dafür freigegeben werden. Zu diesem Zweck werden Gasprüfungen durch speziell geschulte
Personen und im Falle von Schweißarbeiten durch eine Heißarbeitserlaubnis durchgeführt. Insbesondere in der Mineralölindustrie
werden generell umfangreiche Messungen parallel zum Gesundheitsschutz vorgenommen. Allein aufgrund dieser Feststellungen kann
daher schon nicht angenommen werden, dass der Kläger zu einer Personengruppe gehört, bei der es im Rahmen der Ausübung ihrer
versicherten Tätigkeit zu einer extremen oder hohen Belastungsintensität gegenüber Benzol gekommen ist.
Da die Tanks wegen der unterschiedlichen Korrosion ihrer Wände und Böden nach der Reinigung nicht völlig sauber waren, kann
dennoch eine Exposition gegenüber Rückständen von Benzol auch in gereinigten Behältern nicht ausgeschlossen werden. Unter
Berücksichtigung der inhalativen und percutanen Belastung ist bei Ausübung der Schweißarbeiten jedoch allenfalls von einer
geringen Belastungsintensität auszugehen. Als Tätigkeit geringer Belastungsintensität kommen nach der Aufstellung in Abschnitt
3.2.2.4. der wissenschaftlichen Begründung zur BK 1318 Arbeiten auf dem Füllwagen, der Ofendecke, in den Meistergängen und
im Düsenkanal in der Kokerei, Arbeiten in der Petrochemie, das Betanken von Kraftfahrzeugen mit benzolhaltigen Ottokraftstoffen
ohne Gas-Pendel- System als Tankwart seit 1970, Reinigen von Heizöl-, Kerosin- oder Dieseltanks sowie der Umgang mit Lösemitteln
ab 1980 mit Benzol als Verunreinigung (Benzolanteil bei max. 0,1 Gew %, typisch 0,01 Gew %) in den alten Bundesländern in
Betracht. Nach seinen eigenen Angaben hat der Kläger auch solche Tätigkeiten nicht einmal zeitweise verrichtet.
Auch die auf den Angaben des Klägers und seiner Arbeitskollegen beruhende konkrete Berechnung der Tätigkeiten, in denen es
überhaupt zum Kontakt mit Benzol gekommen sein kann, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Danach umfassen die Reparaturarbeiten
mit Benzolexposition in den von ihm benannten Firmen nach den Feststellungen der Präventionsabteilung vom 7.2.2011, an deren
Richtigkeit und Plausibilität zu zweifeln der Senat keinen Anlass hat, etwas mehr als 2500 Arbeitsstunden, die in etwa einen
Zeitraum von 1,5 Jahren ausmachen. Daraus errechnet sich unter der Annahme der konsequenten Einhaltung der beschriebenen Freigabeverfahren
an allen Baustellen unter Einhaltung der gültigen Technischen Richtkonzentration (TRK) auf der angenommenen Grundlage von
80 % Reparaturarbeiten im Tankinnern, mithin einem Anteil, der über den vom Kläger und Herrn P angenommenen Anteilen von 60%
bzw. 30 % für Reparaturen liegt, eine kumulative Benzolbelastung von 2,5 ppm Benzoljahren. Der Wert erhöht sich leicht unter
Berücksichtigung der Aufnahme von Benzol über die Haut. Maßgebliche Kriterien hierfür sind die Größe der Hautoberfläche, die
Dauer der Benetzung und der Benzolgehalt der Flüssigkeit. Aufgrund der Angaben der Arbeitskollegen des Klägers ist davon auszugehen,
dass die Schweißarbeiten teilweise in kniender Haltung ausgeführt werden mussten und dabei die Bekleidung an den Unterschenkeln
auch feucht werden konnte. Gleiches gilt für das Durchfeuchten der Handschuhe, weil sich in den gereinigten Tanks noch Spülwasserreste
auf dem Boden befunden haben. Nach den Ausführungen der Präventionsabteilung der Beklagten in ihrer ergänzenden Stellungnahme
vom 11.5.2011 ist deren Benzolgehalt nicht bekannt, es wurde jedoch eine heizölähnliche Flüssigkeit zum Spülen verwandt, deren
Gehalt an Benzol max. 0,005 % m/m enthält, das sich mit jedem weiteren Spülgang weiter verflüchtigt. Unter der weiteren Annahme
einer Exposition über 50 % der Arbeitszeit aufgrund durchnässter Kleidung und einer betroffenen Hautoberfläche von 4000 cm²
(Hände, Unterschenkel) bei einer Gesamtkörperoberfläche von 17.000 cm² errechnet sich als worst case eine zusätzliche Benzoldosis
von 0,1 ppm-Benzoljahren, insgesamt also 2,6 ppm-Jahre. Dieser Wert entspricht allenfalls einer geringen Belastungsintensität.
Wie Dr. M in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 17.9.2012 überzeugend ausgeführt hat, wird bei den Erkrankungen,
bei denen eine ausreichende epidemiologische Datenlage vorliege (Gruppe A) davon ausgegangen, dass recht präzise ein Verdoppelungsrisiko
für die Erkrankungswahrscheinlichkeit habe ermittelt werden können, das ungefähr bei 10 ppm Benzoljahren liege. Auch wenn
für Erkrankungen der Gruppe B keine ausreichenden gesicherten epidemiologischen Daten vorliegen würden, würden die wenigen
vorliegenden Daten darauf hindeuten, dass es bei diesen Erkrankungen einer deutlich höheren Einwirkung bedürfe als bei denen
mit ungesicherter epidemiologischer Datenlage. Dies ergebe sich daraus, dass es sich bei den Erkrankungen der Gruppe B nicht
um stammzellennahe Neubildungen handele, sondern um solche, die sich erst deutlich oberhalb der stammzellnahen Ebene entwickelten,
mithin in einer Entwicklungsphase, die nicht mehr so verletzlich sei wie die Stammzellebene. Dabei läge tendenziell nach den
wissenschaftlichen Begründungen eher ein Zusammenhang hinsichtlich Belastungsintensität und Belastungsdauer vor als im Hinblick
auf die kumulative Lebensarbeitszeitdosis nach dem Modell der ppm-Benzoljahre. Es gelte in etwa die Analogie, dass eine extreme
Belastungsintensität über einen Zeitraum von zwei Jahren bei grober Umrechnung in etwa 20 ppm Benzoljahren entspreche. Damit
liegt der für den Kläger errechnete Wert von 2,6 ppm-Jahren unabhängig von der Frage, ob ein Verdoppelungsrisiko bei 10 oder
20 ppm-Jahren angenommen wird, weit unter der geforderten Benzoldosis für eine Anerkennung der CML als BK.
Soweit von den gehörten Sachverständigen einzig Doktor U in seinem Gutachten vom 28.3.2010 und der ergänzenden Stellungnahme
dazu vom 29.10.2011 zu einem anderen Ergebnis gelangt, vermag der Senat dem nicht zu folgen. Die Ausführungen genügen nicht
den Kausalitätsanforderungen bei Begutachtungen im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung, denn der Sachverständige begründet
sein Ergebnis mit Hypothesen, Vermutungen und Möglichkeiten. Darüber hinaus führt der Sachverständige in seinen Überlegungen
auch an, dass ein Kontakt mit anderen Substanzen, die das Krankheitsbild erklären würden, nicht nachgewiesen sei. Daraus ist
aber nicht zwingend zu folgern, dass damit ein vorhanden gewesener Kontakt zu Benzol allein den Kausalzusammenhang mit der
Erkrankung begründet. Da sein Gutachten auch jegliche Auseinandersetzung mit den Kriterien der wissenschaftlichen Begründung
zur BK 1318 vermissen lässt, vermag auch der Hinweis auf das junge Alter des Klägers, in dem er erkrankt ist (36 Jahre) nicht
zu überzeugen. Hierbei handelt es sich um nicht mehr als einen Hinweis auf eine mögliche exogene Gefährdung, der im Kontext
der Argumente aus der wissenschaftlichen Begründung hätte gewichtet werden müssen.
Soweit der Kläger anregt, den Sachverhalt dahingehend weiter aufzuklären, mit welchen Substanzen die Tanks gereinigt wurden
und welche Bestandteile in den Reinigungsmitteln enthalten waren, sind diese Ermittlungen nicht zielführend, denn der Präventionsdienst
der Beklagten hat in seinen Berechnungen vom 2.6.2017, die Angaben der Zeugen berücksichtigend, bereits eine Reinigungsflüssigkeit
mit dem Benzolgehalt von Heizöl zugrundegelegt, was angesichts der vorgeschriebenen Freigabeverfahren großzügig erscheint.
Der Anregung, ein toxikologisches Gutachten einzuholen war ebenfalls nicht zu folgen, denn die Auswirkungen der stattgehabten
Benzolbelastung sind in den vorliegenden Gutachten hinreichend beschrieben. Einer ergänzenden Befragung des Prof. Dr. I bedarf
es ebenfalls nicht, da seine Ausführungen ausreichend sind, die streiterhebliche Frage des Kausalzusammenhangs zu beantworten.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Revisionszulassungsgründe sind nicht gegeben (§
160 Abs.
2 SGG).