Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Merkmale eines ordnungsgemäßen Beweisantrages
Konkrete Angabe des Beweisthemas
Voraussichtliches Ergebnis einer Beweisaufnahme
Gründe:
I
In dem der Beschwerde zugrundeliegenden Rechtsstreit hat das Bayerische LSG mit Urteil vom 22.11.2017 einen Anspruch der Klägerin
auf eine Rente wegen Erwerbsminderung wie auch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel sowie auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits (Zulassungsgründe
nach §
160 Abs
2 Nr
1 und Nr
3 SGG).
II
Die Beschwerde der Klägerin ist als unzulässig zu verwerfen. Die Klägerin hat in der Begründung des Rechtsmittels entgegen
§
160a Abs
2 S 3
SGG keinen Zulassungsgrund hinreichend dargelegt oder bezeichnet.
Das BSG darf gemäß §
160 Abs
2 SGG die Revision gegen eine Entscheidung des LSG nur dann zulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1) oder
- die angefochtene Entscheidung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht (Nr 2) oder
- bestimmte Verfahrensmängel geltend gemacht werden (Nr 3).
Dass die Klägerin das Berufungsurteil inhaltlich für unrichtig hält, kann dagegen nicht zur Zulassung der Revision führen
(stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 25.7.2011 - B 12 KR 114/10 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 22 RdNr 4; BVerfG Beschluss vom 6.5.2010 - 1 BvR 96/10 - SozR 4-1500 § 178a Nr 11 RdNr 28 mwN).
1. Die Klägerin macht zunächst geltend, das LSG-Urteil beruhe auf einem Verfahrensmangel (Revisionszulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG), weil das LSG Beweisanträge zu Unrecht übergangen habe.
Die Geltendmachung eines solchen Verfahrensmangels wegen Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsprinzip) kann gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG nur darauf gestützt werden, dass das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Zudem kann ein
in der Berufungsinstanz rechtsanwaltlich oder - wie hier - durch einen Rentenberater vertretener Beteiligter nur dann mit
der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung durch
entsprechenden Hinweis zu Protokoll aufrechterhalten hat oder das Gericht den Beweisantrag in seiner Entscheidung wiedergibt
(stRspr; vgl BSG Beschluss vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 §
160 Nr 13 RdNr 11 mwN; ferner Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 18c mwN). Daran fehlt es.
Zwar behauptet die Klägerin unter Verweis auf die Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG am 22.11.2017
einen Beweisantrag auf Einholung eines kardiologischen Gutachtens gestellt zu haben. Sie legt jedoch nicht dar, wie dieser
Beweisantrag genau formuliert worden ist. Dies ist allerdings erforderlich, denn nur aufgrund der genauen Formulierung des
Antrags kann das Beschwerdegericht überprüfen, ob es sich um einen ordnungsgemäßen Beweisantrag iS der §
118 Abs
1 S 1
SGG, §
403 ZPO handelt. Ein zu einer Zulassung der Revision führender Beweisantrag kann grundsätzlich nur ein solcher sein, der das Beweisthema
möglichst konkret angibt und insoweit wenigstens umreißt, was die Beweisaufnahme ergeben soll (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
160 RdNr 18a mwN). Entsprechende Angaben fehlen in der Beschwerdebegründung. Insoweit genügt es nicht, wenn die Klägerin ausführt,
die Beweisanträge hinsichtlich der Spiroergometrie und der CFS-Spezialisierung seien ausdrücklich aufrechterhalten worden.
Ebenso wenig legt die Klägerin dar, dass die mit Schriftsatz ihres damaligen Bevollmächtigten vom 21.11.2017 beantragte Einholung
ergänzender Stellungnahmen von Dr. G. und Dr. Gü. bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten worden ist und
sich dies in einem Hinweis zu Protokoll oder im Urteil des LSG wiederspiegelt.
2. Unzulässig ist die Beschwerde auch, soweit die Klägerin sie auf Verfahrensfehler des LSG in Form des Verstoßes "gegen elementare
Erfahrungssätze" (S 18-22 der Beschwerdebegründung) stützt. Zwar können durch Verstöße gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze
die Grenzen der freien Beweiswürdigung nach §
128 Abs
1 S 1
SGG überschritten sein, was zur Aufhebung des Urteils in der Revision führen kann (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
128 RdNr
10 ff). Jedoch übersieht die Klägerin, dass gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision - anders als die Revision selbst - nicht auf einen solchen Verfahrensmangel
wegen Verletzung des §
128 Abs
1 S 1
SGG gestützt werden kann.
3. Schließlich genügt die Beschwerdebegründung nicht den Anforderungen aus §
160a Abs
2 S 3
SGG, soweit sich die Klägerin auf die grundsätzliche Bedeutung des Rechtsstreits (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des
Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch
nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin,
um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit
(Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so
genannte Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 2.5.2017 - B 5 R 401/16 B - Juris RdNr 6 mwN).
a) Die unter den Punkten I. bis V. (S 23 bis 33 der Beschwerdebegründung) formulierten Fragen erfüllen die Zulässigkeitsanforderungen
schon deshalb nicht, weil sie sich alle auf den Umfang der Amtsermittlungspflicht und deren Grenzen, insbesondere im Zusammenhang
mit seltenen Erkrankungen beziehen. Entscheidungserheblich wären diese Fragen nur, wenn das LSG den im Revisionsverfahren
festzustellenden Maßstäben nicht genügt hätte und das angegriffene Urteil somit wegen Verletzung des §
103 SGG verfahrensfehlerhaft wäre. Zwar können prinzipiell auch prozessuale Fragen grundsätzliche Bedeutung haben und eine Rechtsfortbildung
im Verfahrensrecht erfordern. Dies darf aber nicht zur Umgehung von §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG führen, soweit dieser die Nachprüfbarkeit von Verfahrensmängeln einschränkt (BSG Beschluss vom 25.6.2013 - B 12 KR 83/11 B - Juris RdNr 14; BSG Beschluss vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - Juris RdNr 22). Die Klägerin hat indes keinen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag bezeichnet (siehe oben unter 1.). Damit
ist ihr gleichzeitig der Weg versperrt, die damit zusammenhängenden prozessualen Fragen erfolgreich zum Gegenstand einer Grundsatzrüge
zu machen.
b) In Bezug auf die unter VI. formulierte Frage kann dahinstehen, ob sie bereits deshalb den Zulässigkeitsanforderungen nicht
genügt, weil mit ihr möglicherweise die Beschränkung bzw der Ausschluss der Rüge einer Verletzung der §§
103,
128 Abs
1 S 1
SGG durch §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG umgangen würde. Jedenfalls hat die Klägerin die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage entgegen §
160a Abs
2 S 3
SGG nicht dargelegt.
Die Klägerin misst folgender Frage grundsätzliche Bedeutung zu:
"Können sich qualitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit im Einzelfall so aufsummieren und kumulieren, das quantitative
Einschränkungen daraus entstehen?"
Es kann dahinstehen, ob die Klägerin damit eine hinreichend konkrete Rechtsfrage zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder
zur Vereinbarkeit einer bestimmten revisiblen Norm des Bundesrechts (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht aufgeworfen und in den folgenden Ausführungen den vom Revisionsgericht erwarteten klärenden Schritt
ausreichend konkret dargelegt hat. Jedenfalls versäumt sie es, überhaupt auf die umfangreiche und aktuelle Rechtsprechung
des BSG zur Summierung von Leistungseinschränkungen (zB BSG Urteil vom 9.5.2012 - B 5 R 68/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 18; BSG Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R - BSGE 109, 189 = SozR 4-2600 § 43 Nr 16; BSG Beschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 135/11 B - Juris RdNr 22 ff, jeweils mwN) einzugehen. Daher arbeitet sie - anders als erforderlich - nicht heraus, dass die von
ihr formulierte Frage hierdurch noch nicht beantwortet wäre. Allein die Behauptung, es sei "eine Klärung in neuerer Rechtsprechung"
nötig, genügt nicht zur Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Auch die erneute Klärungsbedürftigkeit einer bereits geklärten
Rechtsfrage kann so nicht dargetan werden (vgl zu den diesbezüglichen Anforderungen BSG Beschluss vom 2.8.2018 - B 10 ÜG 7/18 B - Juris RdNr 8 mwN).
4. An einer zulässigen Begründung der Beschwerde fehlt es zudem, wenn sich die Klägerin auf der letzten Seite der Begründung
vom 2.3.2018 auf eine "Verfassungsrechtliche Argumentation" stützt. Sie lässt schon nicht erkennen, welchen der Zulassungsgründe
des §
160 Abs
2 SGG sie damit geltend machen will. Allenfalls käme erneut der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung in Betracht. Allerdings
gilt insoweit, dass sich die Beschwerdebegründung nicht auf die bloße Behauptung der Verfassungswidrigkeit beschränken darf,
wenn mit ihr ein Verfassungsverstoß geltend gemacht wird. Vielmehr ist unter Berücksichtigung und Auswertung der Rechtsprechung
des BVerfG und des BSG zu der oder den als verletzt erachteten Verfassungsnormen in substanzieller Argumentation darzulegen, welche gesetzlichen
Regelungen welche Auswirkungen haben und woraus sich im konkreten Fall die Verfassungswidrigkeit ergibt (BSG Beschluss vom 22.8.1975 - 11 BA 8/75 - BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; ferner zB BSG Beschluss vom 24.7.2018 - B 13 R 23/18 B - Juris RdNr 8 mwN). Daran mangelt es vorliegend.
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Verwerfung der unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.