Rechtlich wirksames Geltendmachen des Erstattungsanspruchs der unzuständigen Krankenkasse unter Beachtung der Ausschlussfrist
nach § 111 S. 1 SGB X
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über einen Erstattungsanspruch in Höhe von 339,70 Euro.
Die Versicherte S. W. (im Folgenden: Versicherte) war zunächst bei der klagenden Ersatzkasse krankenversichert, anschließend
in der Zeit vom 27.5.2003 bis zum 1.2.2004 bei der beklagten AOK. In Unkenntnis des Wechsels der Krankenkasse (KK) leistete
die Klägerin am 10.10., 2.12. und 12.12.2003 der Versicherten Arzneimittel für insgesamt 339,70 Euro. Die Klägerin machte
mit Schreiben vom 20.9.2004 an die Beklagte geltend: "Nach unseren Informationen war ... (die Versicherte) vom 27.05.2003
bis 01.02.2004 bei Ihrer Kasse versichert. Es wurden jedoch weiterhin Leistungen durch uns zur Verfügung gestellt. Hiermit
melden wir vorsorglich den Erstattungsanspruch nach § 105 SGB X an. Wir bitten um kurze Bestätigung, dass Sie unseren Erstattungsanspruch erhalten haben." Die Beklagte bestätigte unter
dem Betreff "Anmeldung eines Erstattungsanspruchs" den Eingang des Schreibens und wies darauf hin, hiermit sei weder die Anerkennung
als eine den rechtlichen Anforderungen genügende Erstattungsanmeldung noch die Anerkennung des Erstattungsanspruchs selbst
verbunden (7.10.2004). Die Klägerin konkretisierte die zu erstattenden Kosten mit Schreiben vom 18.1.2005. Die Beklagte lehnte
anschließend eine Erstattung ab, weil die Klägerin ihren Erstattungsanspruch nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 111 Satz 1 SGB X wirksam geltend gemacht habe.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage aus dem gleichen Grunde abgewiesen: Um einen Erstattungsanspruch wirksam geltend zu machen, müsse der Anspruchsteller
die zu erstattenden Kosten zumindest durch Angabe der Leistungsart grob umreißen. Hieran habe es gefehlt (Urteil vom 14.10.2008).
Mit ihrer Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung des § 111 SGB X. Für ein rechtlich wirksames Geltendmachen des Erstattungsanspruchs dürfe nicht gefordert werden, "ins Blaue hinein" alle
Leistungsarten zu benennen. §
11 SGB V sei der erstattungspflichtigen KK ohnehin bekannt. Selbst auf die Mitteilung der ungefähren Größenordnung des Erstattungsbetrags
komme es nicht an, da hierfür beim Erstattungspflichtigen keine Rückstellungen gebildet würden. Maßgeblich sei dagegen vor
allem die - hier gewahrte - Mitteilung des Leistungsgrundes. Die bisherige strenge Auslegung des § 111 SGB X durch die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) überspanne die rechtsstaatlich gebotenen Bestimmtheitsanforderungen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 14. Oktober 2008 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin 339,70
Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
II
Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist nicht begründet.
1. Im Revisionsverfahren fortwirkende Umstände, die einer Sachentscheidung des Senats entgegenstehen könnten, liegen nicht
vor. Einer notwendigen Beiladung der Versicherten nach §
75 Abs
2 SGG bedurfte es nicht. Denn die Versicherte hat von der Klägerin bereits Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
erhalten. Die Versicherte kann diese Leistungen - unabhängig vom Ausgang des vorliegenden Erstattungsrechtsstreits - nicht
nochmals von der Beklagten beanspruchen. Es kommt wegen § 107 SGB X auch nicht in Betracht, dass die Versicherte der Klägerin deren Wert erstatten muss (vgl auch BSGE 57, 146, 148 f = SozR 1300 § 103 Nr 2 S 4; BSG SozR 3-2200 § 1237a Nr 2 S 2 f; BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 3).
2. Das SG hat die Zahlungsklage der Klägerin zutreffend abgewiesen. Zwar stand der Klägerin gegen die Beklagte zunächst ein Erstattungsanspruch
nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X in Höhe von 339,70 Euro zu (dazu 3.). Der hierauf gerichtete Erstattungsanspruch ist jedoch gemäß § 111 Satz 1 SGB X wegen verspäteter Geltendmachung ausgeschlossen (dazu 4.).
3. Die Beklagte war der Klägerin zunächst nach § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X zur Erstattung von insgesamt 339,70 Euro verpflichtet. Die Regelung bestimmt: "Hat ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen
erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits selbst
geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat." Die Voraussetzungen des § 105 Abs 1 Satz 1 SGB X waren vorliegend erfüllt.
Die Klägerin erbrachte als Sozialleistungen Arzneimittel für 339,70 Euro (§
11 Satz 1
SGB I; vgl dazu BSGE 99, 102 = SozR 4-2500 §
19 Nr 4, jeweils RdNr 9 mwN) an die Versicherte, obwohl diese im Zeitpunkt der Leistungserbringung nicht bei ihr, sondern bei
der Beklagten krankenversichert war. Die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X waren nicht erfüllt. Die Klägerin hatte nicht bewusst eine vorläufige Leistung erbracht (vgl hierzu BSG SozR 4-2500 § 39a
Nr 1 RdNr 11 mwN; BSG SozR 1300 § 105 Nr 1 S 2). Sie hatte vielmehr die Arzneimittel in der Annahme einer eigenen Leistungspflicht
der Versicherten zur Verfügung gestellt. Auch die weiteren Voraussetzungen des § 105 SGB X (vergleichbare Leistungspflichten der betroffenen Träger und zeitliche Kongruenz - vgl dazu BSG SozR 3-1300 § 105 Nr 5 S
14 f mwN; BSG SozR 4-3100 § 18c Nr 2 RdNr 19) waren erfüllt: Die Beklagte hätte der Versicherten die zur Behandlung im Oktober
und Dezember 2003 notwendigen Arzneimittel als ab 27.5.2003 zuständige KK leisten müssen. Die Beklagte "ersparte" durch die
Leistung der Klägerin an die Versicherte für diese Zeit eigene Leistungen in persönlich, sachlich und zeitlich entsprechendem
Umfang (kongruent).
4. Der Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe von 339,70 Euro ist indes ausgeschlossen, weil sie ihn nicht rechtzeitig geltend
gemacht hat.
a) Gemäß § 111 Satz 1 SGB X ist der Anspruch auf Erstattung ausgeschlossen, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf
des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht. Diese Frist hat die Klägerin nicht eingehalten. Nach
den Feststellungen des SG erfolgte die Arzneimittelversorgung der Versicherten für Zeiträume bis 12.12.2003. Auf den Tag, "an" dem die Leistung erbracht
wurde, kommt es demgegenüber nicht an (vgl BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4 sowie BSG SozR 1300 § 111 Nr 6; BSG, Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - USK 2008-6, RdNr 12). Die Klägerin hat den Erstattungsanspruch nicht innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf dieses Tages,
insbesondere nicht bereits mit ihrem Schreiben vom 20.9.2004 in einer die Frist wahrenden Weise geltend gemacht, sondern erst
später, mehr als zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages des Dezember 2003, mit Schreiben vom 18.1.2005. Das Schreiben
vom 20.9.2004 konkretisierte den Erstattungsanspruch seiner Art nach nicht hinreichend.
b) Der Begriff des "Geltendmachens" meint im Zusammenhang mit § 111 Satz 1 SGB X keine gerichtliche Geltendmachung und keine Darlegung in allen Einzelheiten, sondern das Behaupten oder Vorbringen (stRspr,
vgl nur BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 4 RdNr 11 ff mwN). Allerdings muss der Wille erkennbar werden, zumindest rechtssichernd tätig
zu werden. Eine bloß "vorsorgliche" Anmeldung reicht dagegen nicht aus (BSGE 65, 27, 30 = SozR 1300 § 111 Nr 4; BSGE 66, 246, 248 = SozR 3-1300 § 111 Nr 2). Unter Berücksichtigung des Zwecks der Ausschlussfrist, möglichst rasch klare Verhältnisse
darüber zu schaffen, ob eine Erstattungspflicht besteht (vgl BT-Drucks 9/95, S 26 zu § 117 des Entwurfs eines SGB X; BSGE 65, 31, 39 = SozR 1300 § 111 Nr 6), muss der in Anspruch genommene Leistungsträger bereits beim Zugang der Anmeldung des Erstattungsanspruchs ohne weitere
Nachforschungen beurteilen können, ob die erhobene Forderung ausgeschlossen ist. Dies kann er ohne Kenntnis des Forderungsbetrages
feststellen, wenn die Umstände, die im Einzelfall für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich sind, und der Zeitraum,
für den die Sozialleistungen erbracht wurden (§ 111 Satz 1 SGB X), hinreichend konkret mitgeteilt sind (vgl BSGE 65, 31, 37 = SozR 1300 § 111 Nr 6; BSG Urteil vom 28.11.1990 - 5 RJ 50/89 - USK 90174; BSG Urteil vom 23.2.1999 - B 1 KR 14/97 R - HVBG-INFO 1999, 2803; BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 37 mwN). Da der Erstattungsanspruch iS des § 111 Satz 1 SGB X bereits geltend gemacht werden kann, bevor die Ausschlussfrist zu laufen begonnen hat, können allgemeine Angaben genügen,
die sich auf die im Zeitpunkt des Geltendmachens vorhandenen Kenntnisse über Art und Umfang künftiger Leistungen beschränken
(zum Ganzen BSG SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 37 f mwN; BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 4 RdNr 11).
c) Diesen Anforderungen genügt das Schreiben vom 20.9.2004 im Ergebnis nicht. Allerdings erfüllt es noch die förmlichen Anforderungen
an ein Geltendmachen im Sinne von § 111 Satz 1 SGB X. Denn in ihm wird der Wille der Klägerin noch hinreichend deutlich, zumindest rechtssichernd tätig zu werden. Obwohl die
Klägerin zunächst davon schrieb, nur "vorsorglich" ihren Erstattungsanspruch anzumelden, kam ihr Rechtssicherungswille in
ihrer Bitte "um kurze Bestätigung, dass Sie unseren Erstattungsanspruch erhalten haben" noch hinreichend klar zum Ausdruck.
Zudem hieß es eingangs: "Erstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X". Die Klägerin benannte auch den Zeitraum hinreichend konkret, für den sie die Sozialleistungen erbrachte. Denn sie verwies
auf die Zeit vom 27.5.2003 bis 1.2.2004.
Die Klägerin teilte dagegen der Beklagten im Schreiben vom 20.9.2004 nicht hinreichend konkret die Umstände mit, die im Einzelfall
für die Entstehung des Erstattungsanspruches maßgeblich waren. Dem Schreiben war lediglich zu entnehmen, dass die Klägerin
der Versicherten irrtümlich noch "Leistungen" erbracht hatte, nicht aber, wofür die Leistungen bestimmt waren. Mag bei weitester
Auslegung auch noch davon ausgegangen werden, dass sich das Schreiben konkludent auf Leistungen im Sinne des §
11 SGB V berief, weil die Klägerin als KK diese in der Annahme eigener Leistungspflicht der Versicherten zuwandte, so fehlt jedenfalls
jeglicher Anhaltspunkt für den Anlass und den Umfang der erbrachten Leistungen. Hierzu hätte seitens der Klägerin angesichts
der im Raum stehenden Leistungen der Krankenbehandlung zumindest die Diagnose genannt werden müssen (vgl in diesem Sinne BSG
SozR 3-1300 § 111 Nr 9 S 38 f; ähnlich BSG SozR 4-2500 § 10 Nr 4 RdNr 12 f; BSG, Urteil vom 24.2.2004 - B 2 U 29/03 R - USK 2004-96, [juris] RdNr 21 mwN). Ohne solche Angaben besteht keine im Mindestmaß erforderliche Klarheit über die zu erwartenden
Belastungen (vgl dazu BSG, Urteil vom 28.11.1990 - 5 RJ 50/89 - USK 90174, [juris] RdNr 23 mwN), die dem Verpflichteten im Rahmen einer ordnungsgemäßen Haushaltsführung etwa Anlass geben
können, bei größeren Summen Rückstellungen zu bilden.
d) Es spricht im Übrigen nach dem Vorbringen der Beteiligten und dem Akteninhalt nichts für das Vorliegen eines Falles, in
dem der Fristablauf unbeachtlich wäre, weil die Beklagte als erstattungspflichtiger Leistungsträger schwer gegen ihre Pflicht
zu enger Zusammenarbeit verstoßen hätte. Derartige Umstände hat der 10. Senat des BSG (BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, Leitsatz und jeweils RdNr 19 ff; ebenso der erkennende Senat, Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - USK 2008-6, [juris] RdNr 13) für möglicherweise erheblich erachtet.
e) Zu Recht ziehen die Beteiligten nicht in Zweifel, dass der Lauf der Frist zur Geltendmachung des Erstattungsanspruchs nicht
gemäß § 111 Satz 2 SGB X auf einen späteren Zeitpunkt als den nach § 111 Satz 1 SGB X maßgeblichen Zeitpunkt der Leistungserbringung hinausgeschoben war. Die Regelung lautet in der hier einschlägigen, ab 1.1.2001
geltenden Fassung des Art 10 Nr 8 des 4. Euro-Einführungsgesetzes vom 21.12.2000 (BGBl I 1983): "Der Lauf der Frist beginnt
frühestens mit dem Zeitpunkt, zu dem der erstattungsberechtigte Leistungsträger von der Entscheidung des erstattungspflichtigen
Leistungsträgers über seine Leistungspflicht Kenntnis erlangt hat".
Nach der Rechtsprechung des Senats kann bei Erstattungsansprüchen von KKn untereinander eine solche, den Fristenlauf hinausschiebende
Kenntnisnahme von der "Entscheidung des erstattungspflichtigen Leistungsträgers über seine Leistungspflicht" nicht vorliegen,
wenn der Erstattungsverpflichtete eine materiell-rechtliche Entscheidung über Leistungen, wie sie der Erstattungsberechtigte
bereits erbracht hat, überhaupt nicht mehr treffen kann und darf (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 LS 1 und RdNr 15 f; dem folgend
BSGE 98, 238 = SozR 4-1300 § 111 Nr 4, jeweils RdNr 16 f; ebenso BSG, Urteil vom 28.2.2008 - B 1 KR 13/07 R - USK 2008-6, [juris] RdNr 15 ff). Das ist in aller Regel der Fall, wenn der Versicherte die Sachleistung bereits von einer
KK erhalten hat. Der Bedarf des Versicherten ist insoweit - wenn auch durch einen unzuständigen Träger - bereits gedeckt worden.
Der zuständige Leistungsträger hat keine Befugnis mehr, gegenüber dem Versicherten nochmals eine materiell-rechtliche Entscheidung
über den Anspruch auf Gewährung gerade dieser Leistungen zu treffen und die Leistung zu bewilligen. Für einen entsprechenden
Antrag des Versicherten würde es von vornherein an der dafür erforderlichen rechtlichen Betroffenheit fehlen. Denn sein Anspruch
gegenüber dem zuständigen Leistungsträger ist sowohl faktisch also als auch rechtlich kraft der Fiktion des § 107 SGB X erfüllt (BSG SozR 4-1300 § 111 Nr 3 RdNr 18) .
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
1 und
2 Verwaltungsgerichtsordnung. Die Entscheidung über den Streitwert stützt sich auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 1
SGG ivm §§ 52 Abs 3, 63 Abs 2 Satz 1 Gerichtskostengesetz.