Kostenübernahme der gesetzlichen Krankenversicherung für die Arzneimittelversorgung Erwachsener mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktiv-Syndrom
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einem Arzneimittel im Off-Label-Use und die Erstattung entsprechend
aufgewandter Kosten.
Der im Mai 1985 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Kläger, der seit Oktober 2004 auf privatärztliche Verordnung
hin methylphenidathaltige Arzneimittel (Ritalin; Concerta) erhielt, beantragte am 21.2.2005 - unterstützt durch einen Brief
des Nervenarztes Dr. S. vom 10.11.2004 - die Kostenübernahme für diese Mittel. Er (der Kläger) sei schon als Kind hyperaktiv
gewesen; das seit einem halben Jahr im Erwachsenenalter wieder zum Vorschein gekommene Krankheitsbild eines Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktiv-Syndroms
(ADHS) werde durch die Mittel deutlich gebessert; die zur Behandlung von Kindern vorgesehenen Mittel dürften ihm nicht nur
deshalb versagt werden, weil er inzwischen über 18 Jahre alt sei.
Das Krankheitsbild des ADHS stellt sich - in unterschiedlicher Ausprägung - speziell für das Erwachsenenalter wie folgt dar:
1. Aufmerksamkeitsstörung bei fehlender Stimulation
2. Hyperaktivität (zB "Gefühl innerer Unruhe/Nervosität")
3. Affektlabilität
4. Desorganisiertes Verhalten
5. Gestörte Affektkontrolle
6. Impulsivität
7. Emotionale Überreagibilität.
Die Diagnose einer ADHS wird gestellt, wenn die Kriterien 1. und 2. sowie zusätzlich zwei Kriterien aus dem Katalog 3. bis
7. vorliegen (sog Wender-Utah-Kriterien, vgl zB Philipsen/Heßlinger/Tebartz van Elst, DÄBl 2008, A-311).
Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers nach Einholung eines Gutachtens von Dr. B. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) ab, weil die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erforderlichen Voraussetzungen für eine zulassungsüberschreitende
Anwendung der Arzneimittel auf Kosten der Krankenkassen nicht erfüllt seien; der Kläger leide nicht an einer die Lebensqualität
nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankung; die Krankheit könne auch durch Psychotherapie behandelt werden; zudem reiche die
Studienlage für eine Arzneimittelzulassung der Mittel auch für Erwachsene mit ADHS nicht aus (Bescheid vom 10.5.2005; Widerspruchsbescheid
vom 23.11.2005).
Das dagegen angerufene Sozialgericht (SG) hat - nach Einholung von Auskünften des behandelnden Arztes und des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte
(BfArM) - die Klage abgewiesen (Urteil vom 27.10.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat weitere MDK-Gutachten von Dr. B.
l und von Dr. St. von 2007 bzw 2008 beigezogen. Sodann hat es die Berufung des Klägers - gerichtet auf Kostenerstattung für
die seit Oktober 2004 verordneten methylphenidathaltigen Arzneimittel sowie auf künftige Versorgung mit "Concerta retard 36
mg" - zurückgewiesen: Das Mittel sei arzneimittelrechtlich nur für Kinder zugelassen, dem Kläger aber erstmals mit 19 Jahren
verordnet worden. Eine zulassungsüberschreitende Versorgung scheide aus, weil die Datenlage keine begründete Aussicht auf
einen Behandlungserfolg mit dem Präparat eröffne. Entsprechend den Ausführungen der MDK-Ärzte könne aufgrund der Datenlage
derzeit nicht sicher von einer Zulassung des Arzneimittels für die Behandlung Erwachsener ausgegangen werden. Eine von der
Firma Medice vorgelegte Phase III-Studie habe den Nachweis für einen unbedenklichen Einsatz methylphenidathaltiger Arzneimittel
bei Erwachsenen noch nicht erbracht. Empfehlungen einer nach §
35b Abs
3 SGB V konstituierten Expertengruppe seien bislang nicht veröffentlicht worden. Es brauche nicht den Fragen nachgegangen zu werden,
wie zu würdigen sei, dass der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) früher die Anwendung von Methylphenidat als Psychostimulanz
bereits bei postpubertären Kindern untersagt habe und dass der Wirkstoff unter das Betäubungsmittelgesetz falle (Urteil vom 30.7.2008).
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung von §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V iVm §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
1 und
3, §
31 Abs
1 Satz 1
SGB V. Aus der Rechtsprechung des BSG lasse sich nicht herleiten, dass die Versorgung mit einem Arzneimittel auch dann ausscheide,
wenn ihm die arzneimittelrechtliche Zulassung nur deshalb fehle, weil sie bei gleicher Wirkung nur für eine bestimmte Altersgruppe
erfolgt bzw beantragt worden sei. Gehe es - wie beim ADHS - um die gleiche Erkrankung und Symptomatik, liege unabhängig davon,
ob der Patient Kind, Jugendlicher oder Erwachsener sei, gar kein Off-Label-Use vor. Das LSG habe zudem die Datenlage zu Unrecht
trotz mehrerer doppelblinder Placebo-kontrollierter Studien und einer Phase III-Studie (EMMA-Studie, publiziert im Januar
2009) nicht für ausreichend erachtet. Auch die aktuellen deutschen Leitlinien aus dem Bereich der Erwachsenenpsychiatrie berechtigten
Ärzte zur Verordnung von Methylphenidat an Erwachsene mit ADHS. In anderen Staaten (zB USA) schlössen Arzneimittelzulassungen
eine solche Behandlung bereits mit ein.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 30. Juli 2008 und des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Oktober 2006
aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 10. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
23. November 2005 zu verurteilen, ihm die seit Oktober 2004 für verordnete methylphenidathaltige Arzneimittel entstandenen
Kosten zu erstatten und ihn zukünftig mit dem Arzneimittel Concerta Retard zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das LSG-Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet.
Die beklagte Ersatzkasse und die Vorinstanzen haben im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf
Erstattung der entstandenen Kosten für die ihm von Oktober 2004 bis zum Zeitpunkt des Zugangs des Bescheides der Beklagten
vom 10.5.2005 verordneten Methylphenidat enthaltenden Arzneimittel hat (dazu 1.). Ebenso hat der Kläger keinen Anspruch auf
Kostenerstattung für die in der anschließenden Zeit bis zum Tag der mündlichen Verhandlung beim LSG am 20.7.2008 sowie auf
künftige Versorgung/Kostenfreistellung in Bezug auf das Arzneimittel Concerta Retard nach diesem Zeitpunkt (dazu 2.).
1. Soweit der Kläger Kostenerstattung für die Zeit von Oktober 2004 bis zum Zugang des Bescheides der Beklagten vom 10.5.2005
begehrt, ist die Klage schon wegen Nichteinhaltung des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges unbegründet.
Der Senat sieht insoweit davon ab, das Verfahren an das LSG zurückzuverweisen, obwohl der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch
unbeziffert ist und die Tatsacheninstanzen nicht auf die insoweit erforderliche Konkretisierung des Antrags und die Ergänzung
des Tatsachenvortrags hingewirkt haben (§
106 Abs
1, §
112 Abs
2, §
153 Abs
1 SGG; vgl zB BSGE 83, 254, 263 = SozR 3-2500 § 37 Nr 1 S 10 f; zuletzt BSG, Urteil vom 6.11.2008 - B 1 KR 6/08 R -, RdNr 8 mwN - Gelormyrtol forte, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen). Denn eine Leistungsgewährung scheitert
bereits aus anderen Gründen.
Es liegt nichts dafür vor, dass die Versorgung mit den methylphenidathaltigen Arzneimitteln Ritalin und Concerta, die der
begehrten Kostenerstattung für die Vergangenheit zu Grunde liegt, wegen einer dringenden Behandlungsnotwendigkeit unaufschiebbar
iS von §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 1
SGB V war. Daher kommt als Rechtsgrundlage der Kostenerstattung allein §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V (anzuwenden idF des Art 5 Nr 7 Buchst b
SGB IX Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19.6.2001, BGBl I 1046) in Betracht. Diese Rechtsnorm bestimmt: Hat
die Krankenkasse eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten
entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war. Ein
Anspruch auf Kostenerstattung besteht demnach nur, wenn zwischen dem die Haftung der Krankenkasse begründenden Umstand (rechtswidrige
Ablehnung) und dem Nachteil des Versicherten (Kostenlast) ein Ursachenzusammenhang besteht (so zB BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, jeweils RdNr 23; zuletzt: BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 2/08 R, RdNr 29, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Daran fehlt es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme einer vom Versicherten
selbst beschafften Leistung mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst wurde, obwohl dies möglich gewesen wäre (stRspr, zB
BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 15 S 74 mwN; BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12, jeweils RdNr 10; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 13 mwN). So verhält es sich hier.
Während der Kläger vorträgt, ihm seien Kosten bereits für die seit Oktober 2004 verordneten methylphenidathaltigen Arzneimittel
entstanden, hat er bei der Beklagten eine entsprechende Versorgung erstmals im Februar 2005 beantragt. Er hat sich mithin
schon vor der Antragstellung und in der Folgezeit Leistungen unter Umgehung der Beklagten selbst beschafft und in Anspruch
genommen, ohne zunächst den ablehnenden Bescheid vom 10.5.2005 abzuwarten.
2. Ebenso hat der Kläger keinen Anspruch auf Kostenerstattung für die in der anschließenden Zeit bis zum Tag der mündlichen
Verhandlung beim LSG am 20.7.2008 (dazu a) und auf künftige Versorgung mit dem Arzneimittel Concerta Retard als Sachleistung
bzw auf Kostenfreistellung nach diesem Zeitpunkt (dazu b, c) .
a) Soweit es die Zeit vom Zugang des ablehnenden Bescheides der Beklagten vom 10.5.2005 bis zur letzten mündlichen Verhandlung
beim LSG anbelangt, kommen Zahlungsansprüche des Klägers nur insoweit in Betracht, als ihm tatsächlich Kosten entstanden sind.
In prozessualer Hinsicht gilt dafür das unter 1. Gesagte. Auch bezogen auf diesen Zeitraum ist der Kostenerstattungsanspruch
im Klage- und Berufungsverfahren nicht beziffert worden und auch das LSG hat nicht spätestens in der mündlichen Verhandlung
auf eine Konkretisierung des Antrags und eine Ergänzung des Tatsachenvortrags hingewirkt. Allerdings bedarf es ebenfalls keiner
Zurückverweisung der Sache, weil der Erfolg des Klagebegehrens an anderen rechtlichen Gesichtspunkten scheitert.
b) Sowohl der Anspruch auf Kostenerstattung für die Vergangenheit als auch der Anspruch auf Versorgung oder Kostenfreistellung
für die Zeit nach der mündlichen Verhandlung beim LSG reicht nicht weiter als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch.
Er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte und zukünftig zu beschaffende Krankenbehandlung - hier in Gestalt der laufenden
Versorgung des Klägers mit einem Fertigarzneimittel - zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur
als Sachleistung zu erbringen haben (stRspr, vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; zuletzt zB BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 1 KR 11/08 R - RdNr 12 mwN, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Einen solchen Naturalleistungsanspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel
Concerta Retard oder wirkstoffgleichen anderen Präparaten hat der Kläger nicht, weil diese Mittel in seinem Falle nicht von
der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu leisten sind.
c) Das begehrte methylphenidathaltige Fertigarzneimittel Concerta Retard besitzt ebenso wie das zeitweise seit 2004 beim Kläger
angewandte wirkstoffgleiche Ritalin weder die erforderliche Zulassung zur Behandlung der beim Kläger bestehenden Krankheit
(dazu aa) noch kommt eine Versorgung des Klägers nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (dazu bb) in Betracht. Ein sog Seltenheitsfall
oder ein Systemversagen, die den Wirksamkeitsnachweis eines Arzneimittels erleichtern könnten, liegen ebenso wenig vor wie
ein Anwendungsfall, in dem nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) leistungseinschränkende Vorschriften des
SGB V verfassungskonform auszulegen sind (dazu cc).
aa) Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§
2 Abs
1 Satz 1, §
12 Abs
1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
1 und
3, §
31 Abs
1 Satz 1
SGB V umfasst, wenn ihnen die nach § 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG; Gesetz hier erstmals anwendbar in der ab 6.8.2004 geltenden Fassung, später mehrfach geänderten Fassung des Gesetzes vom
30.7.2004, BGBl I 2031, zuletzt mit Wirkung (mW) vom 1.1.2008 geändert durch Gesetz vom 23.11.2007, BGBl I 2631) erforderliche
arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl zB BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, jeweils RdNr 22 mwN - D-Ribose; BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 15 - Ilomedin; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 16 RdNr 20 - Venimmun; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, jeweils RdNr 29 mwN - Lorenzos Öl). Eine arzneimittelrechtliche Zulassung in diesem Sinne liegt
nur vor, wenn das Arzneimittel die Zulassung gerade für dasjenige Indikationsgebiet besitzt, in dem es im konkreten Fall eingesetzt
werden soll.
Das zulassungspflichtige Fertigarzneimittel Concerta Retard hatte und hat - wie andere methylphenidathaltige Arzneimittel
auch - weder in Deutschland noch EU-weit diese erforderliche Arzneimittelzulassung für das Indikationsgebiet, für das es bei
dem Kläger eingesetzt werden soll. Wie sich aus der vom SG eingeholten Stellungnahme des BfArM vom 23.6.2006 und den in den Akten befindlichen Gebrauchsinformation ergibt, ist das
Anwendungsgebiet des Mittels nur auf einen Einsatz bei Kindern mit ADHS über sechs Jahre und bei Jugendlichen mit diesem Krankheitsbild
bezogen (vgl auch zB Pressemitteilung der European Medicines Agency [EMEA] vom 22.1.2009, www.emea.europa.eu/pdfs/human/referral/phenedate/2231509en.pdf,
im Internet recherchiert am 10.6.2009). Als Arzneimittel zur Behandlung von Erwachsenen ist ein solches Mittel damit nicht
zugelassen.
Dass methylphenidathaltige Arzneimittel in Deutschland für Kinder und Jugendliche mit ADHS zugelassen sind, genügt entgegen
der vom Kläger vertretenen Ansicht nicht, um auch bei Erwachsenen von einer bestimmungsgemäßen Anwendung auszugehen, die sich
im Bereich der arzneimittelrechtlichen Zulassung bewegt. Die Bestimmung, dass ein Arzneimittel unter bestimmten Voraussetzungen
nicht eingenommen werden darf, stellt eine Einschränkung der Anwendungsgebiete dar und steht folglich mit deren Festlegung
auf einer Stufe; dem entspricht es, dass § 22 Abs 1 Nr 6 AMG die Anwendungsgebiete als Umstände aufführt, über die in den Unterlagen für die Arzneimittelzulassung Angaben zu machen sind
(vgl Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 21.6.2007 - 3 C 39.06, NVwZ-RR 2007, 776 RdNr 23 = GesR 2007, 533, 534 f; vgl ferner - für die Zuordnung der Verwendung von Erwachsenen-Arzneimitteln auch für Kinder
zum "Anwendungsgebiet" - Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Stand 2008, § 22 AMG Anm 37). Eine Leistungsgewährung an den Kläger, der bei der hier streitigen, erstmaligen Anwendung im Oktober 2004 bereits
19 Jahre alt war, scheidet damit aus.
Die bloße Möglichkeit als solche, dass es einem pharmazeutischen Unternehmen offensteht, eine Zulassungserweiterung der Anwendung
eines Arzneimittels auf Patienten mit dem gleichen Leiden auch auf andere Altersgruppen zu beantragen, führt nicht schon zu
einem anderen Ergebnis. Die Zulassung ist nach § 25 Abs 5 Satz 1 AMG aufgrund der Prüfung der eingereichten Unterlagen und auf der Grundlage von Sachverständigengutachten zu erteilen. Nach §
29 Abs 1 AMG hat der Antragsteller einer Arzneimittelzulassung der zuständigen Bundesoberbehörde (BfArM) unverzüglich Anzeige zu erstatten,
wenn sich ua Änderungen in den Angaben nach § 22 AMG ergeben; Änderungen dürfen erst vollzogen werden, wenn die zuständige Bundesoberbehörde zugestimmt hat (§ 29 Abs 2a Satz 1 AMG). Nach § 29 Abs 3 Satz 1 Nr 3 AMG ist bei einer Erweiterung der Anwendungsgebiete sogar eine neue Zulassung zu beantragen. Nur dann, wenn es sich um eine Änderung
nach § 29 Abs 2a Satz 1 Nr 1 AMG handelt, bedarf es einer solchen Neuzulassung nicht; das ist zB der Fall, wenn es um bloße Angaben zur Dosierung, Art oder
Dauer der Anwendung geht; ausgenommen davon - und neu zulassungspflichtig - sind dagegen Zufügungen einer Indikation, die
einem anderen Therapiegebiet zuzuordnen sind. Gleich, ob man die Erweiterung des Anwendungsgebiets methylphenidathaltiger
Arzneimittel auf Erwachsene nur als gegenüber dem BfArM anzeigepflichtig oder als neu zulassungspflichtig ansieht, belegen
die dargestellten arzneimittelrechtlichen Regelungen jedenfalls, dass diese Änderung jedenfalls nicht ohne Weiteres von der
ursprünglichen, hier beschränkt erteilten Zulassung mit umfasst ist, sondern zumindest einen Zustimmungsakt des BfArM erfordert.
An einem solchen Akt fehlt es bis in die Gegenwart.
So ist zB - was in Einklang mit den schon vom LSG getroffenen Feststellungen steht - über einen entsprechenden Antrag des
Herstellers Medice bislang noch nicht abschließend entschieden worden. Dieses Unternehmen hatte für das methylphenidathaltige
Mittel "Medikinet retard" im März 2007 die Erweiterung der Zulassung unter Beifügung des Ergebnisses einer klinischen Phase
III-Studie auch für Erwachsene beantragt; da die Zulassungsbehörde zusätzliche Daten zu Dosierung und geschlechtsspezifischen
Unterschieden beim Ansprechen auf Methylphenidat für erforderlich hielt, war beabsichtigt, im September 2008 eine weitere
Studie einzuleiten, welche erst nach Vorliegen von Ergebnissen zu einem Antrag auf Erweiterung der Zulassung führen soll (so:
Auskunft der Firma Medice vom 18.7.2008 unter www.adhs-zentrum.de/Erwachsene/MHP_fuer_Erwachsene_Zulassungsstand_18_07_2008.php,
im Internet recherchiert am 10.6.2009, aktuell: ww.adhs-Zentrum.de/Erwachsene/MPH_für_Erwachsene_Zulassungsstand_18_07_2008.php).
Eine solche auf Erwachsene bezogene Zulassung ist seither nicht erfolgt.
bb) Eine zulassungsüberschreitende Anwendung des Fertigarzneimittels "Concerta Retard" und wirkstoffgleicher Präparate auf
Kosten der GKV (Off-Label-Use) scheidet im Falle des Klägers ebenfalls aus.
(1) Bei der streitigen Anwendung der Mittel bei Erwachsenen handelt es sich um keinen durch Gesetzesrecht und untergesetzliche
Regelungen gedeckten Off-Label-Use.
Nach §
92 Abs
1 Satz 1, Satz 2 Nr
6 SGB V beschließt der GBA die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien über die Gewährung für eine ausreichende,
zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten mit Arzneimitteln. Die insoweit einschlägigen Arzneimittel-Richtlinien
(AMR, aktuell in der ab 25.6.2009 geltenden Fassung des Beschlusses vom 19.3.2009, BAnz S 2185) enthielten seit 21.7.2006
(Beschluss vom 18.4.2006, BAnz S 5122) in Abschnitt H. und Anlage 9 Einzelheiten über die "Verordnungsfähigkeit von zugelassenen
Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten" (vgl inzwischen Anlage VI zum Abschnitt K.). Dort werden die hier
betroffenen Mittel jedoch nicht aufgeführt.
Die Entscheidung über eine Aufnahme dieser Mittel zur Anwendung bei Erwachsenen-ADHS in die AMR ist bislang lediglich in Vorbereitung.
Nach Abschnitt H. Nr 24 AMR ist die Verordnung von zugelassenen Arzneimitteln in nicht zugelassenen Anwendungsgebieten neben
der Zustimmung des pharmazeutischen Unternehmens davon abhängig, dass die beim BfArM gebildeten Expertengruppen nach §
35b Abs
3 Satz 1
SGB V eine positive Bewertung zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis über die Anwendung dieser Arzneimittel in den nicht zugelassenen
Indikationen oder Indikationsbereichen als Empfehlung abgegeben haben und der GBA die Empfehlung in der AMR übernommen hat.
Insoweit hatte der GBA dem BfArM im Jahr 2006 den Arbeitsauftrag zum Komplex "Methylphenidat bei ADHS im Erwachsenenalter"
erteilt. Dieser Arbeitsauftrag wird indessen nach wie vor in der zuständigen Expertengruppe "Off-Label Fachbereich Neurologie/Psychiatrie"
behandelt, weil wegen noch ausstehender Studiendaten eine abschließende Bearbeitung nicht möglich ist (so Auskunft des BfArM
von November 2008, www.adhs.ch/forum/blog.php?b=72; Sachstandstabelle der BfArM-Expertengruppe Off-Label Fachbereich Neurologie/Psychiatrie,
Stand 30.4.2009, www.bfarm.de/cln_028/nn_1199628/DE/Arzneimittel/3_nachDerZulassung/offLabel/Neurologie-Psychiatrie/Bewertungen__Neuro.html
["Arbeitsauftrag zurückgestellt"], beides im Internet recherchiert am 10.6.2009).
(2) Die nach der Rechtsprechung des BSG für einen Off-Label-Use zu Lasten der GKV erforderlichen Voraussetzungen sind ebenfalls
nicht erfüllt.
Der Senat hat in seinem Urteil vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 - Sandoglobulin) dafür die allgemeinen Voraussetzungen aufgezeigt. Ein Off-Label-Use kommt danach
nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer
nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. aufgrund der Datenlage
die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt
werden kann (ebenso zB BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 17 f - Ilomedin). Abzustellen ist dabei auf die im jeweiligen Zeitpunkt der Behandlung
vorliegenden Erkenntnisse (vgl BSGE 95, 132 RdNr 20 = SozR 4-2500 § 31 Nr 3 RdNr 27 mwN - Wobe-Mugos E; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 10 RdNr 24 mwN - Neuropsychologische
Therapie). Dabei bedarf es eines positiven Wirksamkeitsnachweises nach den oben genannten und nachfolgend näher aufzuzeigenden
Maßstäben. An der erforderlichen begründeten Aussicht auf einen Behandlungserfolg fehlt es hier.
Auch wenn es sich - was das LSG offengelassen hat - bei dem beim Kläger bestehenden ADHS um eine die Lebensqualität auf Dauer
nachhaltig beeinträchtigende Krankheit handeln sollte und es - was hier ebenso dahinstehen kann - möglicherweise keine zumutbaren
Behandlungsmöglichkeiten (hier von der Beklagten angesprochen: Psychotherapie) gab, fehlt es jedenfalls an der für einen Off-Label-Use
erforderlichen Erfolgsaussicht. Im Zeitpunkt der erfolgten Behandlungsmaßnahmen bestand aufgrund der vorliegenden konkreten
Datenlage keine begründete Aussicht darauf, dass gerade mit dem begehrten Arzneimittel Concerta retard ein Behandlungserfolg
erzielt werden konnte. Maßgeblich ist insoweit die Faktenlage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung des LSG, welches
sich in nicht zu beanstandender Weise im Wesentlichen auf Ausführungen in den beigezogenen MDK-Gutachten vom 29.8.2007 und
vom 11.2.2008 gestützt hat. Generelle, ergänzend vom Senat ermittelte Tatsachen bestätigen die dazu gewonnene Einschätzung.
Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nach der Rechtsprechung des BSG zum Off-Label-Use nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse
vorliegen, die erwarten lassen, dass das (konkrete) Arzneimittel für die betreffende Indikation zugelassen werden kann. Dies
kann angenommen werden, wenn entweder (a) die Erweiterung der Zulassung bereits beantragt ist und die Ergebnisse einer kontrollierten
klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sind und eine klinisch relevante Wirksamkeit
respektive einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen oder (b) außerhalb eines Zulassungsverfahrens
gewonnene Erkenntnisse veröffentlicht sind, die über Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet
zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zulassen und aufgrund derer in den einschlägigen Fachkreisen Konsens
über einen voraussichtlichen Nutzen in dem vorgenannten Sinne besteht (BSGE 89, 184, 192 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 36; BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 6 RdNr 12 f mwN - restless legs). Hieran fehlt es.
Die Qualität der wissenschaftlichen Erkenntnisse über den Behandlungserfolg, die für eine zulassungsüberschreitende Pharmakotherapie
auf Kosten der GKV nachgewiesen sein muss, entspricht derjenigen für die Zulassungsreife des Arzneimittels im betroffenen
Indikationsbereich. Sie ist während und außerhalb eines arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens regelmäßig gleich. Der
Schutzbedarf der Patienten, der dem gesamten Arzneimittelrecht zugrunde liegt und - wie dargelegt - in das Leistungsrecht
der GKV einstrahlt, unterscheidet sich in beiden Situationen nicht (vgl BSGE 97, 112 = SozR 4-2500 § 31 Nr 5, jeweils RdNr 24 - Ilomedin).
Vor diesem Hintergrund hat im Falle des Klägers der bereits unter c) aa) beschriebene Umstand Gewicht, dass das BfArM erst
noch zusätzliche Daten zu Dosierung und geschlechtsspezifischen Unterschieden beim Ansprechen auf Methylphenidat für erforderlich
hält, um über eine erweiterte, auch auf Erwachsene bezogene Zulassung entscheiden zu können. Da die weitere Studie, welche
im September 2008 eingeleitet werden sollte, offenbar noch nicht abgeschlossen ist und ihre Ergebnisse noch nicht veröffentlicht
worden sind, fehlte und fehlt es für die bislang erfolgte Behandlung des Klägers an den für einen Off-Label-Use notwendigen
qualifizierten fachlichen Erkenntnissen. Dies steht in Einklang damit, dass auch ein positives Votum seitens der beim BfArM
gebildeten Off-Label-Use-Expertengruppe (vgl oben [2]) noch nicht vorliegt. Demgemäß kann auch aus der von Klägerseite angeführten,
2007 abgeschlossenen, mit 359 Studienteilnehmern durchgeführten bisher größten Phase III-Studie über den Einsatz des methylphenidathaltigen
Arzneimittels "Medikinet retard" im Erwachsenenalter (sog "EMMA-Studie"), die am 22.1.2009 in einem medizinischen Fachjournal
publiziert worden ist, aktuell noch nichts hergeleitet werden. Der Hersteller Medice berichtet selbst davon, dass er auch
mit dieser Studie die angestrebte Zulassung bislang noch nicht habe erlangen können und deshalb weiter hieran arbeite (www.medice.de/unternehmen/aktuelles/neues-zu-adhs-im-erwachsenenalter,
im Internet recherchiert am 10.6.2009; im Ergebnis übereinstimmend bereits LSG Hamburg, Beschluss vom 14.8.2008 - L 1 B 258/08 ER KR, Breithaupt 2009, 7; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.11.2008 - L 9 KR 110/06, juris; SG Düsseldorf, Urteil vom 5.3.2008 - S 2 KA 84/07, juris).
(3) Der Fall des Klägers lässt schließlich auch keine erleichterten Voraussetzungen für einen Off-Label-Use zu, die über die
bisherige BSG-Rechtsprechung hinausgehen.
Dabei kann dahinstehen, ob angesichts der im Laufe der letzten Jahre vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen, mit denen er
deutlich gemacht hat, unter welchen Bedingungen er eine Off-Label-Versorgung mit Arzneimitteln in der GKV für angezeigt hält,
aktuell überhaupt noch Raum für eine richterrechtliche Rechtsfortbildung in diesem Bereich besteht, deren Ermöglichung bei
Verkündung des Sandoglobulin-Urteils vom 19.3.2002 (BSGE 89, 184 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8) noch wesentlich auf dem Fehlen solcher normativen Vorgaben beruhte.
Zwar lässt sich im Ausgangspunkt daran denken, die in der Rechtsprechung zum Off-Label-Use entwickelten Grundsätze dann abgestuft
modifizierend anzuwenden, wenn es darum geht, mit einem bislang nur für die Behandlung speziell von Kindern zugelassenen Arzneimittel
zulassungsüberschreitend auch Erwachsene zu behandeln, wenn bei Erwachsenen ein identisches Nutzen-/Gefahrenpotenzial besteht
oder aber sogar ein geringeres Schutzbedürfnis. In der Vergangenheit resultierte das Bedürfnis für die (auch krankenversicherungsrechtliche)
Ermöglichung des Off-Label-Use durch die Rechtsprechung oftmals aus der umgekehrten, als nicht hinnehmbar empfundenen Sachlage,
dass ein Arzneimittel nur für die Behandlung von Erwachsenen zugelassen war, nicht aber für diejenige von Kindern (vgl zu
diesem Ausgangspunkt und den aus einer Übertragung auf Kinder resultierenden Gefahren, jeweils mwN: BSGE 89, 184, 188, 189 = SozR 3-2500 § 31 Nr 8 S 32, 33, 34 - Sandoglobulin; BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 26 f, 32 - Visudyne). Auf diese Situation ist sowohl auf europarechtlicher Ebene (EG-Verordnungen
über Kinderarzneimittel ua, EGV 1901/2006 vom 12.12.2006 und EGV 1902/2006 vom 20.12.2006, ABl EU L 378 S 1 und 20; dazu zB Müllens/Butzer/Seibert-Grafe/Zepp, DÄBl 2007, A-226) wie auch
auf nationaler Ebene reagiert worden (vgl Kinder-Arzneimittel-Kommission nach § 25 Abs 7a AMG durch Gesetz vom 30.7.2004, BGBl I 2031).
Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, die Anforderungen an einen zulassungsüberschreitenden Einsatz von Kinderarzneimitteln
für Erwachsene zu modifizieren. Eine solche Anpassung kommt etwa in Betracht, wenn der Versicherte in der Zeit unmittelbar
vor Vollendung des 18. Lebensjahres mit einem nur für Kinder und Jugendliche zugelassenen Arzneimittel indikationsbezogen
versorgt wurde und er nach Erreichen des 18. Lebensjahres an derselben Krankheit leidet, die auch nach einem solchen "Stichtag"
auf andere Weise nicht angemessen behandelt werden kann. Unter diesem Blickwinkel könnte auch die Behandlung von ADHS zu würdigen
sein, zB im Wege einer bereichsspezifischen Auslegung des Merkmals "Jugendlicher". Für ADHS ging man in Fachkreisen im deutschsprachigen
Raum noch bis Ende der 1990er Jahre vielfach davon aus, dass es sich um eine Störung handele, die ausschließlich das Kinder-
und Jugendalter betreffe (Prävalenz 4 bis 5 %) und mit dem Erwachsenenalter "ausheile". Demgegenüber haben inzwischen zahlreiche
Studien verdeutlicht, dass ADHS häufig auch im Erwachsenenalter (Prävalenz ca 2 %) fortbesteht (zum Ganzen vgl zB Philipsen/Heßlinger/Tebartz
van Elst, DÄBl 2008, A-311 ff). Sollte das Risiko-Nutzen-Potenzial beim Fortgebrauch eines für Kinder zugelassenen und im
Kindes- und Jugendlichenalter schon unmittelbar vor Erreichen des 18. Lebensjahrs angewandten Arzneimittels auch bei Überschreiten
der Schwelle zur Volljährigkeit im Wesentlichen gleich geblieben sein, bedürfte es jedenfalls einer besonderen Rechtfertigung,
die nahtlose Weiterversorgung des Betroffenen mit dem begehrten Mittel abzulehnen.
Allerdings würde sich dieser Gesichtspunkt im zu entscheidenden Fall nicht zu Gunsten des Klägers auswirken. Denn nach den
mit Revisionsgründen nicht angegriffenen und daher für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§
163 SGG) wurde er erstmals im Oktober 2004 mit methylphenidathaltigen Arzneimitteln versorgt. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits
19 Jahre alt. Bei ihm war mithin nicht zu besorgen, dass eine Arzneimittelversorgung, auf die er seit längerem eingestellt
war, "von einem Tag auf den anderen" enden könnte, unbeschadet der Frage, ob Behandlungsalternativen im System der GKV zur
Verfügung standen.
Mit zu berücksichtigen bei einem Einsatz methylphenidathaltiger Arzneimittel erstmals im Erwachsenenalter - wie er beim Kläger
im Raum stünde - ist, dass dieser Arzneimittelgebrauch hier durchaus zusätzliche Gefahren mit sich bringt. Arzneimittel mit
dem Wirkstoff Methylphenidat gehören zu den Psychostimulanzen. Neben den aktuell auf europäischer Ebene hervorgehobenen Gefährdungen
und unerwünschten Nebenwirkungen selbst bei Kindern (vgl Pressemitteilung der EMEA vom 22.1.2009 zu erheblichen kardio- und
cerebovaskulären Risiken sowie Risiken auf psychiatrischem Gebiet, die allerdings noch kein Einschreiten rechtfertigten: www.emea.europa.eu/pdfs/human/referral/phenedate/2231509en.pdf,
recherchiert am 10.6.2009), ist in Veröffentlichungen von einem besonderen Suchtpotenzial der Mittel die Rede. Auch wenn in
der Regel ein erhöhtes Abhängigkeitspotenzial der Mittel bei bestimmungsgemäßer oraler Einnahme der Mittel im therapeutischen
Dosisbereich in Abrede gestellt wird, so sind doch Missbrauchsfälle bei intranasaler oder intravenöser Zufuhr bekannt geworden
(zB Philipsen/Heßlinger/Tebartz van Elst, DÄBl 2008, A-311). Solche Missbrauchsrisiken sind bei der Dauertherapie psychisch
in ihrer Gesundheit beeinträchtigter junger Erwachsener wie dem Kläger typischerweise höher einzuschätzen als bei einem ggf
nur vorübergehenden bzw schon gefestigt kontrollierten Einsatz der Mittel im Kindesalter, der dann nach dem 18. Lebensjahr
fortgesetzt werden soll.
cc) Eine Leistungspflicht der Beklagten scheidet auch unter weiteren rechtlichen Gesichtspunkten aus.
(1) Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von dem auch für die Leistungspflicht nach dem
SGB V maßgeblichen Erfordernis einer in Deutschland wirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassung erwogen werden könnte (vgl dazu
BSGE 93, 236 = SozR 4-2500 § 27 Nr 1, jeweils RdNr 21 ff - Visudyne; zuletzt: BSG, Urteil vom 5.5.2009 - B 1 KR 15/08 R - ICL, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen), ist angesichts der oben dargestellten Verbreitung der ADHS auch im Erwachsenenalter
(ca 2 %) nichts ersichtlich.
(2) Es fehlen gleichermaßen Hinweise auf eine verzögerte Bearbeitung eines Zulassungsantrags durch das BfArM oder die Expertengruppen
nach §
35b Abs
3 Satz 1
SGB V, die allerdings lediglich Raum für die - dem Kläger nicht zum Erfolg verhelfende - Off-Label-Use-Rechtsprechung gäbe.
(3) Schließlich sind im Falle des Klägers auch die Voraussetzungen für eine grundrechtsorientierte Auslegung der Regelungen
des Leistungsrechts der GKV nicht erfüllt (zu den Voraussetzungen vgl zB im Anschluss an BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5: BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, jeweils RdNr 31 - D-Ribose; BSGE 96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, jeweils RdNr 21 und 30 f mwN - Tomudex; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, jeweils RdNr 20 ff mwN - LITT; BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9, jeweils RdNr 32 - Lorenzos Öl; zuletzt: BSG, Urteil vom 5.5.2009 - B 1 KR 15/08 R - RdNr 9 mwN - ICL, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; vgl zu weiteren Anwendungsfällen - auch im Verhältnis zu den
Anforderungen an einen Off-Label-Use - zB: Kretschmer, MEDSACH 2009, 54 ff).
Die verfassungskonforme Auslegung setzt ua voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende (vgl BSGE
96, 170 = SozR 4-2500 § 31 Nr 4, jeweils RdNr 21, 29 mwN - Tomudex) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung
vorliegt (vgl BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7, jeweils RdNr 31 - D-Ribose). Um eine solche Erkrankung geht es bei dem Leiden des Klägers nicht.
Das Krankheitsbild des ADHS im Erwachsenenalter zeichnet sich allgemein aus durch eine Aufmerksamkeitsstörung bei fehlender
Stimulation, Hyperaktivität (zB "Gefühl innerer Unruhe"/"Nervosität"), Affektlabilität, desorganisiertes Verhalten, gestörte
Affektkontrolle, Impulsivität und emotionale Überreagibilität (vgl Philipsen/Heßlinger/Tebartz van Elst, DÄBl 2008, A-311;
Leitlinien auf der Basis eines Expertenkonsensus mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie
und Nervenheilkunde [DGPPN], Der Nervenarzt 2003, 939). In ärztlichen Stellungnahmen wird beim Kläger entsprechend davon berichtet,
er weise immer wieder Impulsdurchbrüche auf und zeige Begleitphänomene wie Alkoholkonsum, Drogenkonsum, Essstörungen mit nächtlichen
Fressattacken, schulischen Schwierigkeiten und Depressionen. Mit diesen Auswirkungen seiner Krankheit wird nicht die Schwelle
erreicht, welche allgemein für eine grundrechtskonforme erweiterte Auslegung des Leistungsrechts der GKV zu fordern ist. Das
Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der
Bewertung vergleichbar ist, umschreibt nämlich eine strengere Voraussetzung, als sie mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden"
Erkrankung für die Eröffnung des Off-Label-Use formuliert ist (vgl BSG SozR 4-2500 § 31 Nr 8 RdNr 17 - Mnesis; BSG SozR 4-2500
§ 27 Nr 10 RdNr 34 - Neuropsychologische Therapie). Das BSG hat dementsprechend das Vorliegen einer lebensbedrohlichen oder
regelmäßig tödlich verlaufenden Krankheit und eine Gleichstellung mit den in diesem Bereich zu verlangenden notstandsähnlichen
Extremsituationen auch schon in ähnlichen Fällen mit durchaus gravierenden Beeinträchtigungen verneint (vgl die Übersicht
in BSG, Urteil vom 5.5.2009 - B 1 KR 15/08 R - ICL, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Auf dieser Linie ist auch das ADHS bei Erwachsenen einzustufen.
(4) Nach alledem ist es für den krankenversicherungsrechtlichen Anspruch des Klägers ohne Belang, dass die Leitlinien der
DGPPN (Der Nervenarzt 2003, 939, 941; vgl auch Philipsen/Heßlinger/Tebartz van Elst, DÄBl 2008, A-311 bei Fußnote 16) eine
Behandlung von Erwachsenen, die an ADHS leiden, mit dem Wirkstoff Methylphenidat als "Mittel der ersten Wahl" ansehen. Grundsätzlich
bestimmen nämlich nicht Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten
der GKV. Das Leistungsrecht ist vielmehr insbesondere von den Vorgaben des §
2 Abs
1 Satz 1 und
3, §
12 SGB V geprägt, wonach Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse und
dem Wirtschaftlichkeitsgebot entsprechen müssen. Ebenso ist hier unerheblich, dass methylphenidathaltige Arzneimittel in einigen
Ländern - ua den USA - über eine Zulassung auch für ADHS bei Erwachsenen verfügen; ein Einzelimport auf Kosten der Beklagten
nach § 73 Abs 3 AMG scheidet mangels der dafür erforderlichen qualifizierten Voraussetzungen aus.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.