Anrechnung von Einkommen auf eine Erwerbsminderungsrente
Entgeltbegriff im SGB IV
Familienbezogene Entgeltbestandteile
Entgelte ohne Arbeitsleistung
Tatbestand
Streitig ist zwischen den Beteiligten die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.03.2017, mit dem die Beklagte die Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung wegen Anrechnung von Einkommen
in der Zeit vom 01.01.2015 bis 30.06.2016 (teilweise) aufgehoben und von der Klägerin überzahlte Rente in Höhe von 2.442,08
€ zurückgefordert hat.
Die 1966 geborene Klägerin hat eine Ausbildung als Arzthelferin und später eine Qualifikation zur Krankenschwester absolviert.
Zuletzt war sie ab dem 01.07.2011 als Arzthelferin im L.-Krankenhaus in S-Stadt versicherungspflichtig beschäftigt. Ein erster
Rentenantrag vom 24.01.2011 war erfolglos (Bescheid vom 13.05.2011, Widerspruchsbescheid vom 11.11.2011).
Auf ihren Antrag vom 21.02.2014 wurde der Klägerin mit Bescheid vom 03.12.2014 unter Annahme eines Leistungsfalles mit Antragstellung
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung für die Zeit vom 01.09.2014 bis 28.02.2017 bewilligt. In dem Bescheid wurde ausgeführt,
dass die Rente wegen Hinzuverdienstes nicht gezahlt werde. Als Hinzuverdienst der Klägerin werde ab 01.09.2014 ein Arbeitsentgelt
in Höhe von monatlich 1.515,81 € angerechnet. Die Hinzuverdienstgrenze für eine Rente in Höhe der Hälfte betrage 1.439,16
€. Damit sei die Rente nicht zu zahlen. Zwar werde die Hinzuverdienstgrenze ab dem 01.01.2015 auf 1.475,59 € angehoben, der
Verdienst der Klägerin liege aber gleichwohl über dieser Grenze. Der Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben ohne Datum, eingegangen bei der Beklagten am 12.03.2015, teilte die Klägerin mit, dass sie ab dem 01.03.2015
von ihrem Arbeitgeber einen geänderten Arbeitsvertrag erhalten habe, der es ihr ermögliche, Rentenzahlungen zu erhalten. Sie
arbeite nun 15 Wochenstunden. Dies reduziere ihr Bruttogehalt und sie falle unter die Hinzuverdienstgrenze. Sie bitte, die
Rente neu zu berechnen und hierzu eine Verdienstbescheinigung vom Arbeitgeber anzufordern.
Die Beklagte holte vom Arbeitgeber der Klägerin eine Erklärung zur Höhe des Arbeitsverdienstes ein. Unter dem 21.04.2015 wurde
vom Arbeitgeber ab dem 01.03.2015 ein monatliches Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von 1.210,39 € angegeben. Die Frage nach im
Bruttoarbeitsentgelt enthaltenem einmaligem Arbeitsentgelt wurde verneint, ebenso die Frage nach einer Mehrarbeitsvergütung.
Das künftige Arbeitsentgelt betrage monatlich ebenfalls 1.210,39 €. Im Monat November 2015 sei zusätzlich ein Verdienst in
Höhe von 1.087,02 € wegen einer Einmalzahlung zu erwarten. Der Beschäftigungsort liege in den alten Bundesländern.
Die Beklagte berechnete daraufhin die Rente der Klägerin neu und bewilligte ihr mit Bescheid vom 27.04.2015 ab dem 01.05.2015
eine laufende monatliche Rente in Höhe von 536,43 € sowie eine Nachzahlung für die Zeit vom 01.03.2015 bis 30.04.2015 in Höhe
von 1.072,86 €. Dabei waren in Anlage 19 des Bescheides die für die Zeit ab 01.03.2015 relevanten Hinzuverdienstgrenzen für
eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung aufgelistet, für eine Rente in voller Höhe die Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10
€ monatlich. In Anlage 21 des Bescheids war festgestellt, dass der Hinzuverdienst der Klägerin in Höhe von 1.210,39 € die
Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 € nicht überschreite. Der Klägerin stehe deshalb die Rente in voller Höhe zu.
Im Rahmen einer Überprüfung der Rentenberechtigung wegen des Hinzuverdienstes der Klägerin durch die Beklagte teilte der Arbeitgeber
der Klägerin unter dem 11.03.2016 mit, dass die Klägerin eine monatliches "SV-Brutto" in Höhe von 1.183,22 € zukünftig erhalten
werde.
Einmalzahlungen seien für November 2015 in Höhe von 1.087,02 € und für November 2016 in Höhe von ca. 1.100,00 € zu erwarten.
Für die Zeit ab 01/2015 gab der Arbeitgeber folgende Zahlungen an, bezeichnet als "SV-Brutto": 01/2015 1.548,39 €
02/2015
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1.540,31 €
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03/2015
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1.227,29 €
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04/2015
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1.227,29 €
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05/2015
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1.227,29 €
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06/2015
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1.227,29 €
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07/2015
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1.227,29 €
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08/2015
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1.227,29 €
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09/2015
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1.227,29 €
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10/2015
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1.183,22 €
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11/2015
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2.276,66 € (incl. Jahressonderzahl. 1.087,02 €)
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12/2015
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1.183,22 €
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01/2016
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1.183,22 €
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02/2016
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1.183,22 €
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03/2016
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1.183,22 €
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Mit Schreiben vom 05.04.2016 hörte die Beklagte die Klägerin zur beabsichtigten Aufhebung des Bescheides vom 27.04.2015 an.
Der Arbeitgeber habe in seiner bisherigen Bescheinigung vom 21.04.2015 mit einem Betrag von 1.210,39 € ein Monatsentgelt knapp
unter der Hinzuverdienstgrenze von 1.212,10 € angegeben. Nun werde ein Betrag von 1.227,29 € ausgewiesen, wodurch die Hinzuverdienstgrenze
überschritten werde. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 27.04.2015 mit Wirkung ab dem 01.03.2015 nach § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X - zurückzunehmen, die richtig berechnete Rente in Höhe von 546,46 € ab dem 01.04.2016 laufend zu zahlen und die entstandene
Überzahlung für den Zeitraum vom 01.03.2015 bis 31.03.2016 in Höhe von 2.442,08 € nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern. Die Klägerin habe die Fehlerhaftigkeit des Bescheides gekannt bzw. hätte diese kennen müssen (§ 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X).
Laut einem Aktenvermerk vom 14.04.2016 wies die Klägerin telefonisch darauf hin, dass das Entgelt in der Bescheinigung auf
Bl 387 Rückseite der Rentenakte höher sei als ihr "normales" Bruttoarbeitsentgelt. Sie habe ein Bruttoentgelt von 1.210,39
€ erhalten.
Aus den vorgelegten Verdienstbescheinigungen für März 2015 (rückgerechnet im April 2015) und den Folgemonaten ergab sich ein
"Gesamtbrutto" von 1.210,39 €, zuzüglich einer Zusatzversorgung in Höhe von ./. 8,51 € + 25,41 €, damit ein "Krankenversicherungsbrutto"
in Höhe von 1.227,29 €, ebenso ein "Rentenversicherungsbrutto" in Höhe von 1.227,29 € monatlich.
Die Beklagte hob daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 10.05.2016 den Bescheid vom 27.04.2015 nach § 45 SGB X auf und forderte die der Klägerin gezahlte Rente für die Zeit vom 01.03.2015 bis 30.06.2016 in Höhe von 2.442,08 € zurück.
Aufgrund der geltenden Hinzuverdienstgrenzen sei die Rente vom 01.01.2015 bis 28.02.2015 nicht, vom 01.03.2015 bis 30.11.2015
nur in Höhe der Hälfte und ab dem 01.12.2015 in voller Höhe zu zahlen. Die Klägerin könne sich auf Grund ihrer Kenntnis von
der Anrechnung des Hinzuverdienstes nicht auf Vertrauensschutz berufen. Das tatsächliche Arbeitsentgelt sei der Klägerin aus
den Gehaltsabrechnungen bekannt gewesen. Aus den vorgelegten Gehaltsabrechnungen ergebe sich ein rentenversicherungspflichtiges
Bruttoentgelt in Höhe von 1.227,29 €. Ihr seien die Hinzuverdienstgrenzen konkret bekannt gewesen. Umstände für eine abweichende
Entscheidung im Rahmen des auszuübenden Ermessens seien von der Klägerin nicht vorgetragen worden.
Zur Begründung des hiergegen am 18.05.2016 eingelegten Widerspruchs wies der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben
vom 09.06.2016 darauf hin, dass die Beklagte im Grunde ja recht habe, gleichwohl aber eine Aufhebung des Bescheids wegen Vertrauensschutzes
nicht in Betracht komme. Die Klägerin habe Vermögensdispositionen getroffen, die sie nicht mehr oder nur unter unzumutbaren
Nachteilen rückgängig machen könne. In der Jahresmitte 2015 seien erhebliche Kosten für die Führerscheinprüfung des Sohnes
angefallen (ca. 1.800,000 €). Der Autokauf inklusive einer notwendigen Reparatur habe sich auf 3.200,00 € belaufen. Sie habe
die Leistungen somit zeitnah in diesem Zusammenhang verbraucht. Die Unterschiede in der Lohnbescheinigung des Arbeitgebers
von März 2016 seien so gering (ca. 17,00 €) gewesen, dass es sich der Klägerin auch nicht hätte aufdrängen müssen, dass sie
die Hinzuverdienstgrenzen überschreiten könnte. Sie sei davon ausgegangen, dass sie weiter die Hinzuverdienstgrenzen einhalte.
Von einer groben Fahrlässigkeit könne in keinster Weise gesprochen werden.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2017 als unbegründet zurück. Die Klägerin hätte wissen
müssen, dass sie aufgrund ihres Gehalts die relevanten Hinzuverdienstgrenzen überschreiten würde. Sie habe zuerst keine Rente
erhalten, weil sie sämtliche Hinzuverdienstgrenzen überschritten habe. Sie habe sich mit ihrem Arbeitgeber sodann mit der
Problematik beschäftigt und ihre Arbeitsstunden reduziert. Es sei diesbezüglich mehr als naheliegend gewesen, dass das Bruttoarbeitsentgelt
zur Rentenversicherung und nicht der Bruttobetrag für die Steuer oder die Krankenversicherung von Relevanz sei. Spätestens
bei Erhalt des Lohnzettels für den Monat März 2015 hätten der Klägerin zumindest Zweifel kommen müssen, ob nunmehr die Hinzuverdienstgrenze
für die volle Rente eingehalten werde. Eine Rückfrage bei der Beklagten hätte zur Aufklärung geführt und eine größere Überzahlung
hätte vermieden werden können.
Zur Begründung der hiergegen am 07.04.2017 zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhobenen Klage hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass es sich lediglich um eine geringe Überschreitung
der Hinzuverdienstgrenzen gehandelt habe. Zu beachten seien auch die von der Klägerin getätigten Vermögensdispositionen. Von
grober Fahrlässigkeit der Klägerin könne nicht gesprochen werden.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 24.01.2018 wurde die Beklagte um Mitteilung gebeten, weshalb das Entgelt von 1.183,22 € für
Oktober 2015 als Hinzuverdienst angesehen worden sei, der in den neuen Bundesländern erzielt worden sei. Mit Schriftsatz vom
29.03.2018 unterbreitete die Beklagte daraufhin ein Vergleichsangebot dahingehend, dass die Beklagte die Rückforderung der
hälftigen Rentenzahlung für die Monate Oktober und November 2015 zurücknehme und die außergerichtlichen Kosten der Klägerin
zu ein Viertel erstatte. In den Monaten Oktober und November 2015 habe ein Anspruch auf Auszahlung der vollen Rente bestanden,
weil die Hinzuverdienstgrenzen hier nicht mehr überschritten gewesen seien. Hinsichtlich der Angabe "neue Bundesländer" handele
es sich wohl um einen Eingabefehler. Der niedrigere Verdienst im Oktober 2015 bedinge, dass die Zahlung im November 2015 -
unter Berücksichtigung der Einmalzahlung - in Höhe von 2.276,66 € nicht zur Anrechnung führe (das Doppelte der Hinzuverdienstgrenze
betrage 2.424,20 €).
Mit Schriftsatz vom 25.04.2018 lehnte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Annahme des Vergleiches ab. Die Beklagte
sei von Amts wegen zur Berichtigung dieses Fehlers verpflichtet. Die Klägerin sei nach wie vor der Meinung, dass ihr keine
grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen sei. Im Übrigen enthalte das als Hinzuverdienst berücksichtigte Einkommen der Klägerin einen
"Besitzstand Kinderanteil" in Höhe von 85,98 €. Solche Kinderzuschläge als Lohnbestandteile dürften nicht als Hinzuverdienst
angerechnet werden.
Das SG hat sodann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.07.2018 mit Urteil vom gleichen Tag den Bescheid der Beklagten vom
10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 aufgehoben. Die relevanten Hinzuverdienstgrenzen seien nicht
überschritten worden. Nach der Rechtsprechung des Bundesozialgerichts - BSG - im Urteil vom 23.08.2005 (B 4 RA 29/04 R) liege ein Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen nicht vor, soweit das Arbeitsentgelt offen ausgewiesene Ehe- und/oder
Kinderzuschläge enthalte. Die Kammer folge dieser Rechtsprechung, auch weil der 13. Senat des BSG ausweislich des Terminsberichts Nr. 20/12 keinen Anlass gesehen habe, der Rechtsprechung des 4. Senats entgegen zu treten.
Die Klägerin sei übergeleitete Arbeitnehmerin des TVöD, habe nach § 11 TVÜ-VKA Anspruch auf eine Besitzstandszulage, die in den Verdienstabrechnungen offen als "Besitzstand Kinderanteil" in Höhe von
85,98 € ausgewiesen sei. Dieser Betrag müsse unberücksichtigt bleiben, so dass die Klägerin bereits ab März 2015 die Hinzuverdienstgrenze
nicht überschritten habe.
Zur Begründung der hiergegen am 20.08.2018 zum Bayer. Landessozialgericht eingelegten Berufung weist die Beklagte darauf hin,
dass die Beklagte der Entscheidung des BSG vom 23.08.2005 nicht zu folgen vermöge.
Arbeitsentgelt im Sinne des §
96a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB VI - seien sämtliche aus einer Beschäftigung resultierende Zuwendungen des Arbeitgebers, die den Arbeitsentgeltbegriff im Sinne
der §§
14,
17 Viertes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB IV - iVm der Sozialversicherungsentgeltverordnung - SvEV - erfüllten. Zum Arbeitsentgelt gehörten auch Zuwendungen des Arbeitgebers im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses, die
ehe- oder familienbezogen seien. Das BSG habe in der zitierten Entscheidung entschieden, dass nur der Ortszuschlag berücksichtigt werden dürfe, der einem unverheirateten
Arbeitnehmer ohne Kinder zustünde. Dies habe das BSG mit einer seiner Ansicht nach verfassungskonformen Auslegung bei teleologischer Reduktion des Arbeitsentgeltbegriffs des
§
14 SGB IV begründet. §
96a SGB VI differenziere aber nicht zwischen den Arten von Hinzuverdienst, ob familienbezogen oder nicht. Es gebe hier auch keinen Auslegungsspielraum
für den Rentenversicherungsträger. Die Rechtsauffassung der Beklagten werde in der Rechtsprechung verschiedener Landessozialgerichte
geteilt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.01.2010 - L 1 R 92/09 -, rechtskräftig; LSG Sachsen, Urteil vom 11.05.2009 - L 7 R 11/07). §
14 SGB IV sei generell für die Definition des Arbeitsentgelts vorgesehen, nicht speziell für den Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung.
Ein Ausgleich der familienbezogenen Mehraufwendungen sei nicht Aufgabe der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern anderer
Rechtsinstitute, beispielsweise des Steuer- und des Sozialhilferechts.
In der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2019 hat die Vertreterin der Beklagten den geltend gemachten Anspruch der Klägerin
insoweit anerkannt, als mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2016 der Bescheid vom 27.04.2015 für den Zeitraum
März 2015, Oktober und November 2015 aufgehoben wurde. Das Teilanerkenntnis der Beklagten wurde vom Prozessbevollmächtigten
der Klägerin in der mündlichen Verhandlung angenommen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit noch der streitige Zeitraum
betroffen ist.
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 zurückzuweisen, hilfsweise die Revision
zuzulassen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten
erster und zweiter Instanz verwiesen.
Entscheidungsgründe
Infolge des in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2019 abgegebenen Teilanerkenntnisses der Beklagten, das der Prozessbevollmächtigte
der Klägerin angenommen hat, hat sich das Berufungsverfahren insoweit erledigt, als eine Rückforderung überzahlter Rente für
die Monate März 2015, Oktober und November 2015 aus dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 09.03.2017 nicht mehr geltend gemacht werden kann. Bezüglich der Monate Oktober und November 2015 hatte die Beklagte bereits
im sozialgerichtlichen Verfahren einen Vergleichsvorschlag unterbreitet, weil die Beklagte fehlerhaft von einem Hinzuverdienst
in den neuen Bundesländern bei anderen Hinzuverdienstgrenzen ausgegangen war und übersehen hatte, dass ab Oktober 2015 ein
niedrigerer Hinzuverdienst zu berücksichtigen war. Die Rückforderung des Rentenbetrags für März 2015 wurde von der Beklagten
nicht mehr aufrechterhalten, nachdem der Senat in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen hatte, dass die Klägerin eine
korrigierte Gehaltsabrechnung erst im April 2015 erhalten haben dürfte und insoweit der der Beklagten obliegende Nachweis
einer entsprechenden positiven Kenntnis bzw. grobfahrlässigen Unkenntnis der Klägerin im Sinne des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X wohl schwierig werden könnte.
Im Übrigen - soweit die Beklagte mit dem Teilanerkenntnis vom 05.06.2019 dem Anspruch der Klägerin noch nicht entsprochen
hat - ist die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 begründet. Die Beklagte hat
zu Recht mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 den Rentenbescheid
vom 27.04.2015 für die Monate April - September 2015 nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X aufgehoben und von der Klägerin nach § 50 Abs. 1 SGB X die Erstattung der überzahlten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung verlangt.
1. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender
Verwaltungsakt) mit Wirkung für die Zukunft oder auch für die Vergangenheit, soweit er rechtswidrig ist, nur unter den Voraussetzungen
der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden. Er darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des
Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig
ist. Das Vertrauen in den Bestand des Verwaltungsaktes ist nach § 45 Abs. 2 S. 2 SGB X in der Regel dann schutzwürdig, soweit der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen
hat, die er nicht oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte jedoch
nicht berufen, soweit einer der Tatbestände des § 45 Abs. 2 S. 3 Nrn 1 bis 3 SGB X vorliegt.
Der Bescheid vom 27.04.2015, mit dem die Beklagte die Auszahlung der der Klägerin bereits dem Grunde nach mit Bescheid vom
03.12.2014 bestandskräftig zuerkannten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligte, nachdem die Klägerin die Beklagte
über eine Änderung ihrer Arbeitszeiten und daraus folgend des Hinzuverdienstes unter die relevanten Hinzuverdienstgrenzen
ab März 2015 informiert hatte, war bereits bei Erlass rechtswidrig, weil die Klägerin einen anzurechnenden Hinzuverdienst
im Sinne des §
96a SGB VI in der bis zum 30.06.2017 geltenden Fassung hatte, der zur Minderung des Zahlungsanspruches der Rente bei der Klägerin führte.
Infolge der unterbliebenen Anrechnung von Hinzuverdienst ist es zur Überzahlung der Rente gekommen.
a. Die Klägerin hatte aufgrund des (zweiten) Rentenantrags vom 21.02.2014 von der Beklagten mit Bescheid vom 03.12.2014 Rente
wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit ab dem 01.09.2014 bewilligt bekommen, die aber wegen der damals unstreitigen Höhe
des Hinzuverdienstes aus ihrer seit 01.07.2011 laufenden abhängigen Beschäftigung als Arzthelferin im L. Krankenhaus in S-Stadt
nicht zur Auszahlung gelangte. Auf Antrag der Klägerin vom 12.03.2015 hat die Beklagte eine Verdienstauskunft des Arbeitgebers
eingeholt, der für die Zeit ab dem 01.03.2015 nur noch ein Bruttoarbeitsentgelt von 1.210,39 € monatlich bescheinigte. Für
den November 2015 war eine zu erwartende Einmalzahlung in Höhe von (zusätzlich) 1.087,02 € angekündigt. Die Beklagte hat auf
der Grundlage dieser Erklärung eine Neuberechnung der Hinzuverdienstgrenze vorgenommen und kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin
mit dem bescheinigten Bruttoarbeitsentgelt von 1.210,39 € die Hinzuverdienstgrenzen nach §
96a SGB VI ab dem 01.03.2015 nicht überschreite. Infolgedessen wurde der Rentenbescheid vom 27.04.2015 erlassen und die Rente an die
Klägerin ausgezahlt.
Im Rahmen der von der Beklagten eingeleiteten Überprüfung der Rentenberechtigung im März 2016 bescheinigte der Arbeitgeber
der Klägerin aber ein regelmäßiges Bruttoarbeitsentgelt in Höhe von monatlich 1.227,29 €, mit Ausnahme Oktober 2015 mit 1.183,22
€ (unterhalb der Hinzuverdienstgrenze) und für November 2015 mit 2.276,66 € (nicht anrechenbar wegen der Verdiensthöhe im
Oktober 2015 sowie zulässiger Überschreitung des Höchstbetrages in Höhe des doppelten Betrages). Die von März 2015 bis einschließlich
September 2015 erhaltenen Bruttovergütungen in Höhe von 1.227,19 € haben die für die Klägerin relevante Hinzuverdienstgrenze
in Höhe von 1.212,10 € für die Zahlung der Rente in voller Höhe überschritten, so dass insoweit in diesem Zeitraum der Klägerin
nicht der volle Rentenbetrag zugestanden hätte. Die Hinzuverdienstgrenze für die Rente in Höhe der Hälfte hätte 1.475,49 €
betragen, so dass der Klägerin in der fraglichen Zeit die Hälfte des Rentenzahlbetrages zugestanden hätte.
b. Gemäß §
96a Abs.
1 SGB VI in der bis zum 30.06.2017 geltenden, hier anzuwendenden Fassung wird eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur geleistet,
wenn die Hinzuverdienstgrenze nicht überschritten wird. Sie wird nicht überschritten, wenn das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen
aus einer Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit oder vergleichbares Einkommen im Monat die in Absatz 2 genannten Beträge
nicht übersteigt, wobei ein zweimaliges Überschreiten um jeweils einen Betrag bis zur Höhe der Hinzuverdienstgrenze nach Absatz
2 im Laufe eines jeden Kalenderjahres außer Betracht bleibt. §
96a Abs.
1 SGB VI enthält in Satz 4 eine Einschränkung dahingehend, dass Geldleistungen vom Pflegebedürftigen an die Pflegeperson und Entgelt
in einer Einrichtung an behinderte Menschen kein Arbeitsentgelt in diesem Sinne sind.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Frage des Hinzuverdienstes im Sinne des §
96a SGB VI auf die für alle Zweige der Sozialversicherung geltenden Regelungen in §
14 SGB IV sowie auf die Regelungen der SvEV zurückzugreifen (BSG, Urteil vom 10.07.2012 - B 13 R 85/11 R; BSG, Urteil vom 06.09.2017 - B 13 R 33/16 R Rdnr 25 m.w.N., veröffentlicht bei juris).
Nach §
14 Abs.
1 SGB VI sind Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen aus einer Beschäftigung, gleichgültig, ob ein Rechtsanspruch
auf die Einnahmen besteht, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form sie geleistet werden und ob sie unmittelbar aus
der Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Arbeitsentgelt sind aber auch Zahlungen des Arbeitgebers, denen
ein Anspruch auf eine konkrete Arbeitsleistung nicht gegenübersteht, z. B. Entgeltfortzahlung an Feiertagen, im Krankheitsfall
sowie bei Maßnahmen der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation nach §§
2,
3,
3a und
9 Entgeltfortzahlungsgesetz - EFZG - (BSG, B 13 R 33/16 R, Rdnr. 27 m. w. N.).
Der gesetzliche Wortlaut von §
14 Abs.
1 SGB IV enthält somit keinerlei Einschränkung des Arbeitsentgeltbegriffs im Hinblick auf die von einem potentiellen Arbeitgeber gegebenenfalls
mit einer Zahlung bezweckte Zielrichtung. Maßgebend ist lediglich, dass die Zahlung des Entgelts deshalb erfolgt, weil der
Begünstigte in einem Beschäftigungsverhältnis zu einem Arbeitgeber steht (Fichte, in: Hauck/Noftz,
SGB VI, 06/15, §
96a Rdnr 6).
Auch aus der auf der Ermächtigungsgrundlage des §
17 SGB IV erlassenen Verordnung über die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung von Zuwendungen des Arbeitgebers als Arbeitsentgelt (SvEV) ergibt sich keine entsprechende Eingrenzung des Begriffs des Arbeitsentgeltes wegen einer bestimmten Zielsetzung der Zahlung.
c. Dies zugrunde gelegt ist in der hier noch streitigen Zeit von einem Hinzuverdienst der Klägerin in Höhe von 1.227,29 €
auszugehen. Zum rentenversicherungsrechtlich zu berücksichtigenden Bruttoverdienst gehört sowohl der "Besitzstand Kinderanteil"
in Höhe von monatlich 85,98 € als auch die Zuwendungen des Arbeitgebers für Zusatzversorgungen im öffentlichen Dienst. Auch
wenn beiden Zahlungen ein besonderer Zweck zugemessen werden könnte, wird die Zahlung durch den Arbeitgeber aufgrund des Umstandes
erbracht, dass zwischen ihm und der Klägerin ein Beschäftigungsverhältnis besteht bzw. bestanden hat und kein anderweitiger
Ausschlusstatbestand ersichtlich ist.
d. Soweit der Prozessbevollmächtigte der Klägerin und auch das SG im Hinblick auf den "Besitzstand Kinderanteil" auf das Urteil des 4. Senats des BSG vom 23.08.2005 - B 4 RA 29/04 R Bezug nehmen, folgt dem der Senat nicht:
In dem vom BSG damals entschiedenen Fall ging es um die Frage, ob ein Gehaltsbestandteil, nämlich ein Ortzuschlag, bestehend aus einem Verheiratetenzuschlag
und Kinderzuschlägen, als Einkommen bei einer Rente wegen Berufsunfähigkeit, die bereits seit 1988 bezogen wurde, angerechnet
werden durfte. Eine Anrechnung von Einkommen auf die Berufsunfähigkeitsrente war im Zeitpunkt der Zuerkennung der Rente gesetzlich
nicht vorgesehen, sondern wurde erst im Jahr 1996 mit einer entsprechenden Übergangsregelung in §
313 SGB VI für Bestandsrentner eingeführt. Insoweit ging es auch um die Frage, ob eine rechtlich wesentliche Änderung im Sinne des §
48 SGB X vorliegen könnte.
Das BSG kam in diesem Urteil ebenfalls zu der Erkenntnis, dass zur Frage, was Einkommen bzw. Hinzuverdienst im Sinne des §
96a SGB VI ist, auf die allgemeine Regelung des §
14 SGB IV abzustellen ist und dass der weite Entgeltbegriff des §
14 SGB IV keinen Anhalt biete, familienbezogene Entgeltbestandteile nicht als Arbeitsentgelt einzustufen (BSG, a.a.O., Rdnr 41 m. w. N.). Aus §
14 SGB IV hat sich für das BSG damals - so wörtlich in der Entscheidung - auch "keine Möglichkeit ergeben, die vom dortigen Kläger begehrte Aufteilung der
Ortszuschläge in der Weise durchzuführen, dass sie in dem Umfang, in dem sie einem kinderlosen unverheirateten Arbeitnehmer
zustehen würden, Arbeitsentgeltcharakter hätten, während der darüber hinaus gehende Anteil, den ein Verheirateter mit Kindern
zusätzlich beanspruchen könnte, generell nicht als Arbeitsentgelt anzusehen" sei. Das BSG stellte ausdrücklich fest, dass auch dieser erhöhte Anteil eine aus der Beschäftigung fließende Einnahme des Arbeitnehmers
sei und damit Arbeitsentgelt.
Das BSG hat in der damaligen Entscheidung unter der Prämisse, dass eine Anrechnung von Hinzuverdienst nach §
96a SGB VI als "einzelanspruchsvernichtender Übersicherungseinwand" ausgestaltet sei (BSG, a.a.O, Rdnr 35 unter Bezugnahme auf die Urteile vom 06.03.2003, B 4 RA 35/02 R und B 4 RA 8/02 R), angenommen, dass gleichwohl eine solche Übersicherung im Sinne der §§
313,
96a SGB VI nicht vorliege, wenn das erzielte Arbeitsentgelt neben einer Grundvergütung auch "offen ausgewiesene Ehe- und/oder Kinderzuschläge
als Lohnbestandteile ausweise". Denn es sei bei jeder Anwendung des Arbeitsentgeltbegriffs des §
14 SGB IV das Verbot der Benachteiligung von Ehe und Familie (Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz -
GG - iVm Art.
6 Abs.
1 GG) gegenüber Nichtverheirateten und/oder Kinderlosen zu beachten. Dies gebiete hier eine verfassungskonforme teleologische
Reduktion des Anwendungsbereichs des Begriffs des Arbeitsentgelts im Sinne der §§
313,
96a SGB VI bei der Überschreitung der Hinzuverdienstgrenze. Andernfalls würde der vom Kläger repräsentierte Personenkreis verfassungswidrig
gegenüber Arbeitnehmern benachteiligt, die bei gleicher tarif- oder arbeitsvertraglicher Einstufung solche Zuschläge nicht
erhalten und deshalb die Hinzuverdienstgrenzen nicht überschreiten würden. Dies wäre mit der Grundpflicht des Staates aus
Art.
1 Abs.
3, 6 Abs.
1 GG unvereinbar (BSG, a.a.O., Rdnr 43). Das BSG hält in dieser Entscheidung aber weiter fest, dass §§
313,
96a SGB VI nicht die Förderung von Ehe und Familie beträfen, sondern allein die Vermeidung einer Übersicherung des Versicherten, dass
diese aber bereits dem "relativen Benachteiligungsverbot" aus Art.
3 Abs.
1 GG widersprächen.
Der Senat hält diese Begründung - ebenso wie das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 27.01.2010
(Az L 1 R 92/09, juris) und das Sächsische Landessozialgericht in seinem Urteil vom 11.05.2009 (Az L 7 R 11/07, juris) - für nicht überzeugend, zumal das BSG seine Entscheidung noch auf "zumindest offen ausgewiesene ehe- und familienbezogene Leistungen" im Rahmen des Arbeitsentgelts
begrenzt hatte. Für den hier zu entscheidenden Fall ist dies allerdings nicht entscheidend.
Das LSG Niedersachsen-Bremen und das Sächsische LSG haben in ihren Entscheidungen bereits zutreffend darauf hingewiesen, dass
es sich bei den Hinzuverdienstgrenzen nicht um staatlich vorgegebene, starre Grenzen handelt, sondern die Höhe der Hinzuverdienstgrenze
sich auch an der individuellen Verdiensthöhe des Versicherten, nämlich an seinen individuell erzielten Entgeltpunkten orientiert
(vgl. Fichte, in: Hauck/Noftz,
SGB VI, Stand 06/2015, Rdnrn 45 ff. m. w. N.). Insoweit kann eine höhere Hinzuverdienstgrenze gegeben sein, wenn zuletzt vor Eintritt
des Leistungsfalles über längere Zeit ein höheres Bruttoentgelt erzielt wurde, z. B. auch durch höhere Orts- und Familienzuschläge
bei Verheirateten und Kindern. Darüber hinaus ist Zweck der in §
96a SGB VI geregelten Hinzuverdienstgrenzen nach zwischenzeitlich herrschender Meinung nicht der Schutz von Ehe und Familie oder ein
zu beachtendes Gleichbehandlungsgebot bei Beschäftigten mit vergleichbaren Tarifverträgen, sondern zum einen die Sicherung
der Funktionsfähigkeit des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung und deren Finanzierbarkeit, vor allem aber auch die
Stärkung der Lohnersatzfunktion der Erwerbsminderungsrenten (BT-Drs. 13/2590 zu Nr. 5) sowie die Vermeidung einer Einkommenserzielung
durch überobligationsmäßigen Einsatz eines erwerbsgeminderten Versicherten durch Arbeit auf Kosten seiner Gesundheit durch
einen möglicherweise falschen Anreiz von Rente und nicht angerechnetem Erwerbseinkommen (Schumacher in: Kasseler Kommentar
zur Sozialversicherung, Stand März 2019, §
96a SGB VI, Rdnr 2 m. w. N.; Dankelmann, in: Kreikebohm,
SGB VI, 5. Aufl., 2017, §
96a SGB VI, Rdnr 2).
Im Hinblick auf die Notwendigkeit der Berücksichtigung der Grundrechte aus Art.
6 Abs.
1 GG zum Schutz von Ehe und Familie und zum Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art.
3 Abs.
1 GG, die vom 4. Senat zur Begründung der teleologischen Reduktion herangezogen wurden, verweist der Senat auf die Entscheidungen
des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 12.03.1996 zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der unterschiedlichen Berücksichtigung
von Kindererziehungszeiten (1 BvR 609/90 und 692/90 = BVerfGE 94,241), in der das BVerfG ausdrücklich festgestellt hatte, dass es nicht ausschließlich Aufgabe der
gesetzlichen Rentenversicherung sein könne, die Erwerbsnachteile von Erziehenden gegenüber Nichterziehenden auszugleichen,
sondern dass dies Aufgabe des Gesetzgebers auf unterschiedlichen Bereichen sei, wie etwa im Steuerrecht, im Recht der Familienförderung,
in der Schaffung von Betreuungseinrichtungen etc. Die Absicherung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
für Kinder, die nach Inkrafttreten des
SGB VI im Jahr 1992 geboren wurden, war ein erster Schritt in die richtige Richtung bei nachweislich veränderten Erwerbsverläufen
bei Frauen. Das BSG hat in seiner Entscheidung vom 28.06.2018 (Az B 5 R 12/17 R, veröffentlicht bei juris; vorgehend BayLSG vom 15.03.2017 - L 19 R 218/16, juris) im Rahmen der Frage der Neuregelung der sog. Mütterrente zum 01.07.2014 auf das Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1996
Bezug genommen und ebenfalls darauf hingewiesen, dass Art.
6 Abs.
1 GG eine wertentscheidende Grundsatznorm darstelle, die für den Staat die Pflicht begründe, Ehe und Familie zu schützen und zu
fördern. Allerdings sei der Staat nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder jeden Unterhaltspflichtigen
zu entlasten. Der Gesetzgeber sei aufgrund des Schutzauftrages aus Art.
6 Abs.
1 GG dazu verpflichtet, durch die Kindererziehung entstehende Benachteiligungen in der Alterssicherung von kindererziehenden Familienmitgliedern
auszugleichen. Allerdings verfüge er dabei über einen nicht unerheblichen Gestaltungsrahmen, bei dem er nicht nur die jeweilige
Haushaltslage und die finanzielle Situation der Rentenversicherung berücksichtigen dürfe, sondern auch über Jahrzehnte gewachsene
und bewährte Prinzipien im komplexen System der gesetzlichen Rentenversicherung. Aus dem Verfassungsauftrag aus Art.
6 Abs.
1 GG iVm dem Sozialstaatsprinzip lasse sich zwar die allgemeine Pflicht des Staats zu einem Familienlastenausgleich entnehmen,
nicht aber die Entscheidung darüber, in welchem Umfang und in welcher Weise ein solcher sozialer Ausgleich vorzunehmen sei.
Konkrete Folgerungen für einzelne Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen wäre,
oder konkrete Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ließen sich daraus nicht ableiten. Insoweit bestehe vielmehr grundsätzlich
Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers (BSG, a.a.O., Rdnr 36 m.w.N.). Dieser gesetzgeberische Gestaltungsspielraum kann durch ein Gericht nicht ausgefüllt werden und
gibt nach Auffassung des Senats auch keinen konkreten Handlungsrahmen zur Korrektur einzelner vermeintlicher Benachteiligungen
im System der gesetzlichen Rentenversicherung.
Entscheidend für den Senat ist jedoch der eindeutige Wortlaut des §
14 SGB IV, der gerade keine Differenzierung zwischen Grund, Inhalt, Höhe und Zielsetzung einer im Beschäftigungsverhältnis gewährten
Zahlung zulässt. Eine andere Betrachtung würde zu einer Vielzahl möglicher Vertragsgestaltungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien
(gegebenenfalls zu Lasten der Solidargemeinschaft der gesetzlichen Rentenversicherung) und daraus folgend zu Einzelfallentscheidungen
führen können, die die von §
14 SGB IV und der SvEV gewollte Klarheit des Begriffs des Arbeitsentgelts, der für alle Bereiche der gesetzlichen Sozialversicherung gilt, unterlaufen
würde. Eine einschränkende Regelung im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung ist vom Gesetzgeber auch trotz der Entscheidung
des BSG im Jahr 2005 bisher nicht getroffen worden, mit Ausnahme der in §
96a Abs.
1 S. 4
SGB VI. Wesentlich ist für den Senat aber auch, dass die Entscheidung des BSG vom 23.08.2005 nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar ist, da es sich dort um einen Fall nach § 48 SGB X und einen sog. Bestandsrentner und Bezieher einer Berufsunfähigkeitsrente nach altem Recht gehandelt hat, dessen wirtschaftliche
Erwartungshaltung durch langjährigen Rentenbezug ohne Einkommensanrechnung geprägt war und der erst im Jahr 2001 aufgrund
einer Erweiterung der Anrechnungsvorschriften betroffen wurde und von entsprechenden Einkommenseinbußen infolge dieser für
ihn neuen Hinzuverdienstregelung betroffen war und hiervor geschützt werden sollte.
e. Soweit allerdings der 13.Senat des BSG in seinem Urteil vom 06.09.2017 (B 13 R 33/16 R) ebenfalls im Wege einer teleologischen Reduktion zu dem Ergebnis gelangte, dass ein Zuschuss des Arbeitgebers zum Krankengeld
als rentenschädlicher Hinzuverdienst außer Betracht zu bleiben hat, soweit er als nicht beitragspflichtiges Arbeitsentgelt
gilt (unter Fortführung des Urteils des 13. Senats vom 20.11.2003 - B 13 RJ 43/02 R), ist diese Entscheidung auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar. Das BSG hat in diesem Fall entschieden, dass die Anrechnung eines (nach altem Tarifrecht zusätzlich jetzt freiwillig vom Arbeitgeber)
gezahlten Zuschusses zum Krankengeld als Hinzuverdienst im Rahmen des §
96a SGB VI zusätzlich zu dem bereits berücksichtigten Bruttoarbeitsentgelt zu einer Schlechterstellung des Versicherten gegenüber Versicherten
führt, die einen solchen Zuschuss nicht bekommen. In diesem Fall ging es allerdings nicht um die Anrechnung des tatsächlichen
Bruttoentgelts während der ausgeübten Beschäftigung, sondern bei Bezug von Krankengeld als Entgeltersatzleistung, weil hier
nicht die (niedrigere) Entgeltersatzleistung als Hinzuverdienst berücksichtigt wird, sondern das der Entgeltersatzleistung
zugrundeliegende Bruttoarbeitsentgelt (§
96a Abs.
3 und Abs.
4 SGB VI). Durch die weitere Anrechnung des Zuschusses zum Krankengeld (als freiwillige Leistung des Arbeitgebers) würde dem Versicherten
mehr Entgelt als Hinzuverdienst angerechnet, als wenn er "normal" im Beschäftigungsverhältnis Arbeitsentgelt erzielen würde,
was gerade in der Zeit eines Entgeltausfalls durch Krankheit zusätzlich zum Wegfall der Erwerbsminderungsrente führen könnte.
Insoweit ist diese Entscheidung des BSG für den Senat auch überzeugend und nachvollziehbar, begründet aber lediglich einen besonderen Ausnahmefall und beinhaltet
gerade keinen vom Senat gegebenenfalls zu beachtenden Grundsatz, dass eine teleologische Reduktion stets zu prüfen und durchzuführen
wäre, sobald die Zusammensetzung des Arbeitsentgelts den üblichen Rahmen verlassen würde und das Arbeitsentgelt familienbezogene
Anteile aufweist.
Im vorliegenden, hier zu entscheidenden Fall geht es aber nicht um die Anrechnung von Entgeltersatzleistungen, sondern um
die Anrechnung des Entgelts der Klägerin aus der laufenden Beschäftigung. Das im (noch) streitgegenständlichen Zeitraum von
der Klägerin erzielte Arbeitsentgelt ist in Höhe von 1.227,29 € zugrunde zu legen und in vollem Umfang als Hinzuverdienst
nach §
96a SGB VI zu berücksichtigen.
2. Die Klägerin kann sich - entgegen ihres Sachvortrags im Widerspruchsverfahren - auch nicht auf einen Vertrauensschutz nach
§
45 Abs.
2 S. 2
SGB VI berufen, weil ein solcher Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X ausgeschlossen ist. Nach § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X kann der Begünstigte nicht auf den Bestand eines Verwaltungsaktes vertrauen, wenn er die Rechtswidrigkeit des Bescheides
kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der gesetzlichen Wertung des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3, 2. Halbsatz SGB X dann vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.
Die Klägerin hatte aufgrund der Rentenbewilligung mit Bescheid vom 03.12.2014 positive Kenntnis davon, dass eine Anrechnung
von Hinzuverdienst nach §
96a SGB VI erfolgt. Eine Rentenzahlung war infolge ihres damaligen Verdienstes nicht möglich. In diesem Bescheid waren die konkreten
Hinzuverdienstgrenzen für die Klägerin ausdrücklich genannt worden. Die Klägerin hatte somit Kenntnis davon, in welchem Umfang
sie ihre Erwerbstätigkeit reduzieren musste, um die Hinzuverdienstgrenzen zu unterschreiten. Sie hat dies mit ihrem Arbeitgeber
offensichtlich ausgerechnet und die Beklagte sodann im März 2015 davon informiert und um Auszahlung der Rente gebeten. Der
Senat unterstellt zugunsten der Klägerin, dass sie gegebenenfalls die weitere Überschreitung der Hinzuverdienstgrenzen erst
im Monat April 2015 bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt hat erkennen können, nachdem in den ihr vorliegenden korrigierten
Gehaltsabrechnungen eindeutig ein höherer Betrag als Rentenversicherungs-Brutto ausdrücklich ausgewiesen war. Zwar besteht
keine Verpflichtung der Klägerin, den Rentenbescheid vom 27.04.2015 umfassend auf seine Richtigkeit zu überprüfen. Eine grob
fahrlässige Unkenntnis ist allerdings anzunehmen, wenn der Adressat des Bescheides aufgrund einfachster und naheliegender
Überlegungen hätte erkennen können, dass der zuerkannte Anspruch nicht in dieser Höhe besteht. Vorliegend ist dies der Fall.
Denn die Fehlerhaftigkeit des Rentenbescheides musste der Klägerin mit ganz naheliegenden Überlegungen auffallen. Da in den
Gehaltsabrechnungen sowohl ein steuerlicher Bruttobetrag in Höhe von 1.210,39 €, aber eben auch ein rentenversicherungsrechtliches
Bruttoentgelt in Höhe von 1.227,29 € ausgewiesen war, hätte die Klägerin bei Anstrengung der ihr zumutbaren Sorgfalt zumindest
diesen Widerspruch erkennen können und hätte die Beklagte darauf aufmerksam machen und um Klärung der Frage des Hinzuverdienstes
bitten können. Dies hat die Klägerin nicht getan, obwohl sie selbst mit ihrem Arbeitgeber den Arbeitsvertrag entsprechend
angepasst hat, um daneben die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung möglichst in voller Höhe beziehen zu können. Einen denkbaren
Rechenfehler ihres Arbeitgebers muss sich die Klägerin unzweifelhaft zurechnen lassen. Der Arbeitgeber hat für die Klägerin
den falschen Hinzuverdienst bestätigt. Die Beklagte ist erst bei der weiteren Überprüfung der Einkommensverhältnisse infolge
der nun vom Arbeitgeber richtig mitgeteilten Entgelthöhen auf das weitere Überschreiten der Hinzuverdienstgrenzen nach §
96a SGB VI aufmerksam geworden.
3. Die Fristen nach § 45 Abs. 3 und Abs. 4 SGB X hat die Beklagte unzweifelhaft eingehalten. Der noch offene überzahlte Betrag ist von der Klägerin nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten.
Nach alledem war auf die Berufung der Beklagten das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 24.07.2018 aufzuheben, soweit die
Beklagte nicht mit Teilanerkenntnis vom 05.06.2019 den Anspruch der Klägerin anerkannt hat, und die Klage gegen den Bescheid
vom 10.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 09.03.2017 abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und berücksichtigt das obsiegende Teilanerkenntnis zugunsten der Klägerin.
Die Revision wurde nach §
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG zugelassen.