Anspruch auf Vergütungsrückzahlung nach einer Prothesenversorgung wegen zahlreicher Mängel an der Prothese
Anwendbarkeit der Vorschriften des BGB über die Sachmängelhaftung dem Grunde nach
Fehlende Aufforderung zur Nacherfüllung in Form einer Ersatzlieferung einer neuen Prothese
Tatbestand
Die Parteien streiten um Vergütungsrückzahlung nach einer Prothesenversorgung.
Die Beklagte und Berufungsbeklagte (im Folgenden: Beklagte) ist ein Sanitätshaus, das mit der Klägerin und Berufungsklägerin
(im Folgenden: Klägerin) einen Vertrag über die Versorgung mit Prothesen für die unteren Extremitäten abgeschlossen hat. Im
Rahmen dieses Vertrages hat die Beklagte an einen Versicherten der Klägerin, den 2016 verstorbenen Herrn H. K., (im Folgenden:
Versicherter) auf der Grundlage einer entsprechenden Verordnung des Allgemeinmediziners Dr. S. vom 05.12.2011 und der Bewilligung
durch die Klägerin vom 15.12.2011 am 11.01.2012 eine Oberschenkelprothese (als Definitivversorgung) abgegeben. Auf die Rechnung
vom 07.03.2012 beglich die Klägerin am 12.03.2012 den Rechnungsbetrag von 8.869,36 EUR (= 8.879,36 EUR abzgl. 10,- EUR Zuzahlung
des Versicherten).
Mit Schreiben vom 31.05.2012 bat die Klägerin den Versicherten um Vorstellung beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) im Rahmen einer Evaluation. Aus dem Protokoll der EVA-Begutachtung vom 12.06.2012 ergibt sich, dass der Versicherte
angegeben habe, mit der Prothese nur wenige Schritte selbständig laufen zu können. Der Prothesenschaft verursache ihm am oberen
Ende des Stumpfes an der Innenseite peinigende Druckschmerzen. Da der Versicherte ansonsten einen gesunden und rüstigen Eindruck
gemacht habe (MOB 2+) und durch keinerlei Kontrakturen behindert werde, sei die relativ kurze Gehstrecke zunächst nicht nachvollziehbar
gewesen. Bei der Begutachtung der Prothese seien folgende Mängel festgestellt worden:
- Der Drehpunkt des Kniegelenks sitze zu tief.
- Da außerdem der Oberschaft distal zu lang gefertigt sei, könne durch korrekte Anfertigung des Oberschafts der Gelenkdrehpunkt
bis zu 5 cm höher gesetzt werden.
- Der abgerechnete "Definitivschaft" sei lediglich der übergossene (Interims-) Diagnoseschaft.
- Der hiermit viel zu schwere Schaft sei zudem am Aufsitz unzureichend und fehlerhaft gearbeitet. Somit könne der Versicherte
bei getragener Prothese nur mit einem zusätzlichen Kissen sitzen.
- Zur Verlängerung des Unterschenkelteils sei unzulässigerweise eine 10 mm starke Holzplatte zwischen Fuß und Knöcheladapter
geschraubt worden.
- Diese unsachgemäße Erhöhung stehe zudem im Widerspruch zum Beckenhochstand von 5 mm auf der Prothesenseite.
- Zwischen Kniegelenk und Schaftadapter sei ein Verschiebeadapter eingebaut worden. Dies sei bei der definitiven Versorgung
nicht zugelassen.
- Durch den hier maximal genutzten Verschiebeweg (4 cm) könne keine Kosmetik angebracht werden.
- Somit fehle die abgerechnete Kosmetik komplett. Laut dem Versicherten sei auch noch nie eine solche angebracht worden.
- Der Schaft selbst sei in querovaler Bauweise gefertigt, die entsprechende Position sei nicht in Abzug gebracht worden.
- Die Aufbaurichtlinien des Herstellers seien beim Einbau des Kniegelenks nicht beachtet worden.
- Das Fußpassteil sei zum Kniepassteil außenrotiert.
- Der Schaft sei zum Kniepassteil innenrotiert.
- Dies zusammen ergebe eine nicht nachvollziehbare Aufbaurichtlinie von cranial betrachtet.
- Durch den maximal nach vorne verstellten Verschiebeadapter und den stark eingestellten Spitzfuß am Fußpassteil sitze das
Kniegelenk in der Aufbaulinie von lateral gesehen zu weit nach posterior positioniert.
- Dies habe wohl eine größere Standphasensicherheit gewährleisten sollen, das Prothesenkniegelenk knicke jedoch weiterhin,
auch bei Belastung der Prothese in der Standphase, ein.
- Die Standphasensicherheit könne durch Einstellung des Kniegelenks erhöht werden. Dies habe jedoch wegen des völlig inkorrekten
Aufbaus nicht geprüft werden können.
Zusammenfassend entspreche die Prothese in mehreren Punkten nicht der vertraglichen Vereinbarung mit der Klägerin und sei
fachlich nicht korrekt. Die Prothese sei, zumindest teilweise (Verschiebeadapter, Holzbrettchen), erst nach der Unterschrift
des Versicherten so umgebaut worden, dass zu dem schmerzproduzierenden und fehlerhaften Aufbau jetzt noch eine Gefährdung
von ihr ausgehe. Auf Wünsche und Bedürfnisse des Versicherten, welche er seit Januar bei mehreren Besuchen des Leistungserbringers
artikuliert habe, sei offenbar nicht eingegangen worden. So sei ihm wohl erzählt worden, dass er aufgrund seiner schlechten
muskulären Situation seine Prothese nicht mehr stabilisieren könne. Dies sei aber nicht nachvollziehbar. Durch die aufgezeigten
Mängel könne die Prothese als nicht gebrauchsfähig beurteilt werden. Da der Versicherte nicht mehr zu dem Lieferanten seiner
Prothese gehen möchte (Vertrauensverlust), solle ein anderes Sanitätshaus mit der entsprechenden Durchführung einer Versorgung
beauftragt werden.
Aus einer internen E-Mail-Korrespondenz der Beklagten vom 20.06.2012 ergibt sich, dass bereits im Dezember 2011 im Rahmen
der Anschlussheilbehandlung des Versicherten in H-Stadt festgestellt worden sei, dass der Versicherte mit der damaligen Interimsversorgung
nicht habe laufen können. Eine Nachbesserung habe die Beklagte dem behandelnden Arzt gegenüber angeblich abgelehnt. Eine Mobilisierung
und Gehschule seien aufgrund der schmerzhaften und viel zu engen Schaftversorgung nicht möglich gewesen. Mit der am 11.01.2012
abgegebenen "Versorgung" könne der Versicherte noch immer nicht richtig laufen. Das Stehen sei wegen der durch die Prothese
verursachten Schmerzen nur für einige Minuten möglich. Deshalb bewege sich der Versicherte zur Zeit mit dem Rollstuhl fort,
wobei auch das Sitzen nicht schmerzfrei möglich sei, da sich die Aufsitzkante und der Prothesenrand in das Fleisch des Beinstumpfes
drückten. Man habe deshalb umgehend eine Umversorgung des Versicherten in die Wege geleitet, da von der Prothese der Beklagten
eine Gefahr für die Gesundheit des Versicherten ausgehe. Eine erneute Versorgung (nochmals als Interimsversorgung) mit neuem
Schaft und den vorhandenen Passteilen sei bereits am 14.06.2012 genehmigt worden.
Mit Anhörungsschreiben vom 23.07.2012 wies die Klägerin die Beklagte auf die mangelhafte Versorgung hin. Nach der nicht erfolgten
Nachbesserung der Interimsprothese stelle die Definitivprothese ebenfalls eine nicht sach- und passgerechte Versorgung dar.
Aufgrund der Feststellungen bei der Begutachtung sei von einer Fehlversorgung auszugehen. Laut dem Vertrag über die Versorgung
mit Prothesen für die unteren Extremitäten zwischen den Parteien seien die Vertragspartner jedoch verpflichtet, mit allen
ihnen zu Gebote stehenden Mitteln für eine gewissenhafte Durchführung des Vertrages Sorge zu tragen. Bei Verstößen hiergegen
könne die Klägerin den Leistungserbringer verwarnen oder die Zahlung einer Vertragsstrafe verlangen. Unabhängig hiervon sei
der durch die Vertragsverletzung entstandene Schaden zu ersetzen. Der Versichertengemeinschaft sei durch die fehlerhafte Prothese
ein Schaden in Höhe von 8.879,36 EUR entstanden. Man sei verpflichtet, diese Kosten von der Beklagten zurückzufordern, und
bitte deshalb, den Betrag in Höhe von 8.879,36 EUR bis zum 06.08.2012 zurückzuüberweisen.
Eine Rückzahlung durch die Beklagte erfolgte in der Folgezeit nicht.
Mit Schriftsatz vom 09.10.2012 führte der Bevollmächtigte der Beklagten aus, dass der Versicherte bereits vor der Definitivversorgung
kein guter Läufer mit Prothese gewesen sei. Dies habe auf seinem schlechten Allgemeinzustand beruht. Er habe am 11.01.2012
bei Entgegennahme der Prothese bestätigt, dass diese ordnungsgemäß gepasst habe. In der Folge sei der Versicherte fast 14-tägig
zu Hause aufgesucht worden, um Nachjustierungen an der Prothese vorzunehmen. Grund hierfür seien erhebliche Gewichtsveränderungen
des Versicherten gewesen. Ein fehlerhafter Aufbau der Prothese sei nicht erfolgt. Diese sei entsprechend den Bedingungen des
Therapeuten in H-Stadt und unter Berücksichtigung der Leitlinien aufgebaut worden. Dementsprechend sei die ordentliche Passform
vom Versicherten bestätigt worden. Der Prothesenschaft sei entsprechend den Stumpfgegebenheiten zum Zeitpunkt des Baus der
Prothese gefertigt worden. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Größe des Stumpfes schwanke. Soweit kritisiert werde,
dass die Prothese eine Rotation im Unterschenkel aufweise, sei diese Problematik nicht bekannt gewesen. Zum Zeitpunkt der
Abgabe der Prothese und der verschiedenen Nachbesserungen sei eine Rotation nicht aufgefallen. Gegebenenfalls müsse die Prothese
nachgebessert werden. Soweit bemängelt werde, dass die Kosmetik der Prothese bis unter das Knie fehle, sei es möglich, dass
diese aufgrund der vielen Feinjustierungsversuche kurzfristig entfernt worden sei. Der Versicherte habe sich seither nicht
mehr bei der Beklagten vorgestellt. Gegebenenfalls müsse die Kosmetik wieder aufgeschraubt werden. Im Übrigen sei das Begutachtungsergebnis
widersprüchlich. Auf der einen Seite werde bemängelt, der Prothesenschaft sei zu eng, auf der anderen Seite gebe es aber ein
Drehmoment. Dies schließe sich wechselseitig aus. Es stehe zu befürchten, dass die Prothese aufgrund der nicht unerheblichen
Stumpfschwankungen gegebenenfalls nachgebessert werden müsse. Selbstverständlich biete die Beklagte dem Versicherten an, dass
dieser sie jederzeit aufsuchen könne, damit die Prothese gegebenenfalls nachgebessert werden könne.
Mit Schreiben vom 13.11.2012 forderte die Klägerin vom Bevollmächtigten der Beklagten die Versorgungsdokumentation an. Mit
Schreiben vom 10.12.2013 mahnte die Klägerin diese an; als Termin für die Vorlage habe man sich nunmehr den 07.01.2014 vorgemerkt.
Mit E-Mail vom 30.09.2015 brachte die Klägerin den Vorgang gegenüber dem Beklagtenbevollmächtigten wegen drohender Verjährung
nochmals in Erinnerung. Mit Schreiben vom 10.11.2015 mahnte die Klägerin erneut die Rückzahlung des geforderten Betrages wegen
der mangelhaften Anfertigung der Prothese an.
Unter Bezugnahme auf ein am selben Tag geführtes Telefonat mit der Klägerin teilte der Beklagtenbevollmächtigte mit Schriftsatz
vom 16.12.2015 mit, man verzichte auf die Einrede der Verjährung bis zum 30.06.2016.
Mit Schreiben vom 11.02.2016 erklärte der Bevollmächtigte der Beklagten, es bleibe bei den Ausführungen im Schriftsatz vom
09.10.2012. Soweit Mängel an der Prothese angeblich vorgelegen hätten, hätte der Beklagten die Möglichkeit zur Nachbesserung
gegeben werden müssen. Im Übrigen ergebe sich aus der Empfangsbestätigung vom 11.01.2012 nicht, dass die Kosmetik der Prothese
zum Zeitpunkt der Übergabe nicht vorhanden gewesen sei.
Daraufhin beauftragte die Klägerin den vereidigten Sachverständigen B. S. mit der Begutachtung der Prothese. Dieser bestätigte
in seinem Gutachten vom 21.05.2016 mehrere Sachmängel und eine nicht dem Vertrag mit der Klägerin entsprechende Ausführung
der Prothese. Bei dem Verschiebeadapter handele es sich um ein gebrauchtes Funktionsteil, welches bei der definitiven Versorgung
nicht zum ersten Mal eingesetzt worden sei. Der Einsatz sei auch fachlich nicht korrekt. Die wichtigsten Funktionen des verwendeten
Kniegelenkes 3R60, vor allem die Beugesicherung, könnten nicht genutzt werden. Der Prothesenaufbau entspreche nicht den Richtlinien
des Herstellers des Knie- und Fußpassteiles O. B ... Das eingebaute Holzbrettchen sei nicht zulässig. An der vorliegenden
Oberschenkelprothese sei das Anbringen eines individuell gestalteten Kosmetikformteils wegen der massiven Vorverlagerung des
Oberschenkelschaftes nicht möglich.
Die Klägerin forderte mit Schreiben vom 31.05.2016 die Beklagte zum Ausgleich ihrer Forderung nebst Verzugszinsen auf. Der
Behauptung, der Versicherte habe der Beklagten keine Möglichkeit zur Nachbesserung eingeräumt, steht die Aussage des Versicherten
entgegen.
Mit Schreiben vom 13.07.2016 mahnte die Klägerin nochmals die Begleichung der offenen Forderung an.
Mit weiterem Schreiben vom 15.07.2016 ergänzte die Klägerin ihre Forderung der Beklagten gegenüber um die Kosten des Gutachtens
von Herrn S. in Höhe von 800,- EUR.
Mit Schriftsatz vom 27.07.2016 teilte der Beklagtenbevollmächtigte der Klägerin mit, dass man die Einrede der Verjährung erhebe.
Im Übrigen bestünden die Einwände aus dem Schriftsatz vom 09.10.2012 fort. Soweit im Gutachten ausgeführt werde, die Prothese
sei mangelhaft, fehle es nach wie vor an der Aufforderung zur Nachbesserung.
Hierauf erwiderte die Klägerin mit Schreiben vom 28.07.2016, nach erneuter Prüfung sei man zu der Auffassung gelangt, dass
die Verjährungsfrist bis Ende 2016 laufe. Man könne deshalb die Einrede der Verjährung nicht nachvollziehen und fordere letztmals
zur Stellungnahme bzw. zur Begleichung der offenen Forderung auf.
Der Beklagtenbevollmächtigte wiederholte mit Schriftsatz vom 26.08.2016 nochmals seinen Vortrag, wonach einerseits die Einrede
der Verjährung erhoben werde, andererseits ein Schadensersatzanspruch auch wegen fehlender Aufforderung zur Nachbesserung
nicht bestehe.
Schließlich hat die Klägerin am 02.09.2016 Klage zum Sozialgericht (SG) Nürnberg erhoben und zur Begründung vorgetragen (Schriftsätze vom 31.08.2016, 11.01.2017 und 15.02.2017), die Forderung
der Klägerin bestehe zu Recht, weil die abgerechnete Leistung mit so großen Mängeln behaftet sei, dass sie die medizinische
und therapeutische Zielsetzung der ärztlichen Verordnung nicht erfüllen könne. Hierbei handele es sich um einen schwerwiegenden
Vertragsverstoß gemäß §
10 des "Vertrag[s] gemäß §
127 Abs.
2 Sozialgesetzbuch V (
SGB V) zwischen AOK Bayern [ ...] und Landesinnung Bayern für Orthopädietechnik über die Versorgung mit Prothesen für die unteren
Extremitäten [ ...] ab 15.06.2008". Der durch diesen Vertragsverstoß entstandene Schaden sei von der Beklagten zu ersetzen.
Der Schaden bestehe darin, dass ein völlig unbrauchbares Hilfsmittel geliefert und dafür der vertraglich vereinbarte Preis
gezahlt worden sei. Diese Vergütung sowie die wegen der Ermittlung des Schadens notwendigen Gutachterkosten in Höhe von 800,-
EUR seien der Schaden, der der Klägerin durch das vertragswidrige Verhalten der Beklagten entstanden sei. Die Forderung sei
nicht verjährt. Die Genehmigung sei zwar noch im Jahr 2011 erteilt worden, jedoch sei die Leistung erst im Jahr 2012 abgegeben
worden, so dass ausgehend von der vierjährigen Verjährungsfrist für vertragliche Ansprüche ab Leistungsgewährung der Anspruch
erst mit Ablauf des Jahres 2016 verjähren würde. Da sich die Beklagte schon bei der Versorgung mit der Interimsprothese einer
Nachbesserung verweigert habe und das Vertrauensverhältnis zwischen ihr und dem Versicherten nicht mehr bestanden habe, sei
dem Versicherten eine Nachbesserung nicht mehr zuzumuten. Damit habe er sich berechtigt von dem - im Übrigen durch Abrechnung
der Versorgung bereits abgeschlossenen - Versorgungsauftrag gelöst. Die Klägerin habe sich seit 2012 darum bemüht, die Verlaufsdokumentation
der prothetischen Versorgung des Versicherten von der Beklagten zu erhalten. Eine inhaltliche Stellungnahme der Beklagtenseite
zu den Feststellungen des Gutachtens des Herrn S. sei nicht erfolgt. Der Beklagtenbevollmächtigte stelle lediglich auf ein
Nachbesserungsrecht im Rahmen der Gewährleistungsregelungen eines Werklieferungsvertrages ab. Hierbei verkenne er jedoch die
rechtliche und tatsächliche Lage. Tatsächlich stelle sich die Lage nämlich so dar, dass die Versorgung von Anbeginn an nicht
fachgerecht gewesen sei. In rechtlicher Hinsicht sei von einer vierjährigen Verjährungsfrist auszugehen entsprechend den Prinzipien
des Sozialgesetzbuchs (SGB). Im Übrigen handele es sich hier um eine vollständig unbrauchbare Leistung. Selbst bei entsprechender
Anwendung von Regelungen der Nachbesserung oder sonstiger Gewährleistungsansprüche müsste der Versicherte vorliegend die Nachbesserung
angesichts der Vorgeschichte nicht mehr dulden. Wenn der Versicherte eine Nachbesserung nicht mehr dulden müsse, könne die
Klägerin ihn darauf auch nicht verpflichten. Dann sei ein möglicherweise abstrakt bestehendes Nachbesserungsrecht nicht mehr
gegeben. Die von der Beklagten angefertigte Prothese sei so fehlerhaft aufgebaut, dass das Gehen durch die Prothese nicht
ermöglicht worden sei. Die Prothese habe also ihre Hauptaufgabe, den Behinderungsausgleich, nicht erfüllt. Ein unter keinem
Aspekt funktionierendes Hilfsmittel sei nicht nachbesserungsfähig. Hinsichtlich eines Leistungsinhalts, für den eine Vergütung
überhaupt nicht verlangt werden könne, seien die Regelungen des
Bürgerlichen Gesetzbuchs (
BGB) überhaupt nicht einschlägig. Schließlich komme es vorliegend jedoch nicht auf Mängelansprüche an, sondern darauf, dass vertraglich
eine Schadensersatzpflicht vereinbart sei, wenn ein Vertragsverstoß festgestellt worden sei (vgl. § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrags
vom 15.06.2008). Die grob mangelhafte Versorgung des Versicherten stelle einen solchen Vertragsverstoß dar, woraus die Schadensersatzpflicht
der Beklagten resultiere.
Demgegenüber hat der Beklagtenbevollmächtigte vorgetragen (Schriftsätze vom 24.10.2016 und 06.02.2017), die Beklagte habe
im Jahr 2012 ausdrücklich angeboten, dass die Prothese nachgebessert werden könne. Nachdem von Seiten der Klägerin das Verfahren
erst wieder im Jahre 2016 aufgenommen worden sei, sei mit Schreiben vom 11.02.2016 darauf hingewiesen worden, dass es keinen
Anspruch auf den Rückforderungsbetrag gebe, da die Beklagte nicht unter Fristsetzung und Ankündigung des Rücktritts vom Vertrag
aufgefordert worden sei nachzubessern. Eine eigene vertragliche Regelung über die Durchführung der Gewährleistung zwischen
den Beteiligten bestehe nicht, so dass die Gewährleistungsrechte des
BGB Anwendung fänden (vgl. BayLSG, Urteil vom 12.03.2014, L 4 KR 220/11). Vor Rücktritt bzw. Minderung müsse grundsätzlich zunächst eine Nacherfüllung verlangt werden. Erst wenn der Käufer erfolglos
eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt habe, könne er zurücktreten oder mindern. Erstmalig sei ein Rücktritt frühestens
mit Schreiben der Klägerin vom 23.07.2012 erklärt worden. Zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin bereits die Nacherfüllung
verweigert. Außerdem werde (nochmals) die Einrede der Verjährung erhoben. Mängelansprüche verjährten entsprechend §
438 Abs.
1 Nr.
3 BGB in zwei Jahren. Verjährung sei damit eingetreten.
Das SG Nürnberg hat mit Urteil vom 16.02.2017 die Klage abgewiesen. Ob ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus der Versorgung
des Versicherten bestanden habe, könne dahingestellt bleiben. Denn dieser Anspruch sei zumindest verjährt. Da eine eigene
vertragliche Regelung über die Durchführung der Gewährleistung zwischen den Beteiligten nicht bestehe, fänden die Gewährleistungsrechte
des
BGB Anwendung. Zwischen der Klägerin und der Beklagten sei ein Werklieferungsvertrag abgeschlossen worden, da Inhalt des Vertrages
nicht nur die Herstellung einer individuell gefertigten Prothese, sondern auch deren Auslieferung gewesen sei. Nach §
651 Satz 1
BGB (i.d.F. bis 31.12.2017) fänden auf einen Vertrag, der die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher Sachen
zum Gegenstand habe, die Vorschriften über den Kauf Anwendung. Gemäß §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m. §
438 Abs.
1 Satz 3
BGB (gemeint: §
438 Abs.
1 Nr.
3 BGB) verjährten Mängelansprüche innerhalb von zwei Jahren. Die Verjährung beginne bei beweglichen Sachen mit deren Ablieferung
(§
438 Abs.
2 BGB). Für die Kammer sei auch nicht ersichtlich, warum die Vorschriften des
BGB hinsichtlich der Verjährung nicht anwendbar sein sollten. Der Prothesenvertrag verweise auf die entsprechende Anwendung der
gesetzlichen Bestimmungen zu Garantie/Gewährleistung. Da es sich bei der Sachmängelgewährleistung um ein jeweils geschlossenes
Regelungssystem mit dezidierten Regelungen zu Nachbesserung/Nacherfüllung, Schadensersatz und eben auch Verjährung von Gewährleistungsansprüchen
handele, könne der generelle Verweis nur bedeuten, dass eben das gesamte Regelungssystem und nicht nur einzelne Vorschriften
hieraus Anwendung finden sollten. Entsprechend den Unterlagen der Beklagten sei der Versicherte am 11.01.2012 mit einer Oberschenkelprothese
versorgt worden. Mit Ablauf des 11.01.2014 sei folglich Verjährung eingetreten. Bis zum 30.06.2016 habe der Beklagtenbevollmächtigte
der Klägerin gegenüber auf die Erhebung der Einrede verzichtet. Der behauptete Schadensersatzanspruch sei jedoch erst mit
Schriftsatz vom 31.08.2016 (Eingang bei Gericht am 02.09.2016) gerichtlich geltend gemacht worden. Mit Schriftsatz vom 06.02.2017
habe der Beklagtenbevollmächtigte sich auf die Einrede der Verjährung berufen, die Beklagte sei berechtigt, die Leistung zu
verweigern, weshalb die Klage abzuweisen sei.
Gegen das ihr am 17.05.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 08.06.2017 Berufung zum Bayerischen Landessozialgericht
(LSG) eingelegt und diese mit Schriftsätzen vom 21.09.2017 und 05.09.2018 wie bereits im erstinstanzlichen Verfahren dahingehend
begründet, dass zum einen unter Anwendung der im SGB generell geltenden vierjährigen Verjährungsfrist Verjährung noch nicht
eingetreten sei. Zum anderen verkenne das SG, dass es hier nicht auf Mängelansprüche nach dem
BGB und damit auf die dort geregelte Verjährung ankomme, sondern darauf, dass vertraglich eine Schadensersatzpflicht gemäß §
10 Abs. 6 des Prothesenvertrages vereinbart sei. Auch in diesem Rahmen gelte die vierjährige Verjährungsfrist. Selbst bei
Anwendung der Mängelansprüche des
BGB würde die vierjährige Verjährungsfrist gelten. Auch in der Sache hätte die Klägerin, sofern die Mängelansprüche Anwendung
fänden, einen Anspruch auf Schadensersatz. Der Versicherte hätte nämlich eine Nachbesserung im Hinblick auf die Vorgeschichte
nicht mehr dulden müssen.
Demgegenüber hat der Beklagtenbevollmächtigte ebenfalls unter Bezugnahme auf sein erstinstanzliches Vorbringen erwidert (Schriftsätze
vom 12.07.2018 und vom 04.03.2019), eine etwaige Schadensersatzpflicht lasse sich nicht über eine Vertragsverletzung bzw.
über § 10 des Prothesenvertrages konstruieren, sondern maßgeblich seien allein die Gewährleistungsregelungen des
BGB mit der dort festgesetzten zweijährigen Verjährungsfrist.
Auf Nachfrage der Berichterstatterin hat der Beklagtenbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 04.03.2019 mitgeteilt, dass sich
die streitgegenständliche Oberschenkelprothese seit der Evaluation im Juni 2012 noch bei der Klägerin befinde. Es sei richtig,
dass es immer wieder zu Nachjustierungen an der Versorgung gekommen sei. Näheres sei aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr rekonstruierbar.
Nach der angeblichen Begutachtung durch die Klägerin sei es zu keiner Aufforderung zur Nachbesserung mehr gekommen. Im Übrigen
betone man nochmals, dass die Einrede der Verjährung erhoben werde.
Im Erörterungstermin am 13.03.2019 ist die Sach- und Rechtslage ausführlich mit den Beteiligten diskutiert worden. Laut Auskunft
der Klägerseite sei die Ersatzversorgung des Versicherten mit einer neuen Prothese eines anderen Sanitätshauses am 23.11.2012
zu einem Rechnungsbetrag von 8.966,73 EUR erfolgt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 16.02.2017 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 8.879,36
EUR zuzüglich Zinsen bis zum 31.08.2016 in Höhe von 1.606,90 EUR sowie 800,- EUR Gutachterkosten zuzüglich Zinsen auf den
Gesamtforderungsbetrag von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klageerhebung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die beigezogene Verwaltungsakte
der Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§
143,
144,
151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG) ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Schadensersatz bzw. Rückzahlung wegen mangelhafter
Prothesenversorgung des Versicherten.
Für Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Hilfsmittellieferanten ist nach §
51 Abs.
1 Nr.
2 SGG die Sozialgerichtsbarkeit zuständig. Nach §
69 SGB V ist (soweit §
69 SGB V nicht selbst Ausnahmen vorsieht) die Leistungserbringung in Erfüllung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrags nach
dem
SGB V grundsätzlich dem öffentlichen Recht zugeordnet (vgl. BSG, Urteil vom 15.03.2017, B 6 KA 35/16 R; jurisPK,
SGG, Stand 20.03.2019, §
51 Rn. 98.1).
Statthafte Klageart ist im Gleichordnungsverhältnis zwischen einer Krankenkasse und einem Leistungserbringer, hier im Bereich
der Hilfsmittelversorgung, die Leistungsklage nach §
54 Abs.
5 SGG. Zwischen den Beteiligten besteht im Hinblick auf die Versorgung des Versicherten mit einer Prothese (§
33 SGB V) ein Gleichordnungsverhältnis, weil §
127 SGB V eine vertragliche Regelung der Beziehungen zwischen Krankenkassen und zugelassenen Hilfsmittelerbringern (§
126 SGB V) vorsieht, zu denen die Beklagte gehört. Eines Vorverfahrens bedurfte es nicht.
Die Klägerin macht einen Anspruch aus Sachmängelhaftung (Schadensersatz bzw. Rückabwicklung nach Rücktritt) im Nachgang zur
Herstellung und Lieferung einer Prothese für den Versicherten gegenüber der Beklagte geltend.
Dieser Anspruch beruht auf einem öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Lieferung herzustellender oder zu erzeugender beweglicher
Sachen (Sachlieferungsverträge) nach §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V i.V.m. §
651 BGB (i.d.F. bis 31.12.2017, entspricht §
650 BGB i.d.F. ab 01.01.2018), auf den gemäß §
651 Satz 1
BGB a.F. das Kaufrecht (§§
433 ff.
BGB) entsprechend anzuwenden ist. Mit §
69 SGB V hat der Gesetzgeber klargestellt, dass die Rechtsbeziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern ausschließlich
öffentlichem Recht unterliegen. Jedoch ordnet §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V die entsprechende Anwendung der Vorschriften des Zivilrechts an, soweit sie mit den Vorgaben des §
70 SGB V und den übrigen Aufgaben und Pflichten der Beteiligten nach dem 4. Kapitel des
SGB V (§§
69 ff.
SGB V) vereinbar sind. Die Rechtsbeziehungen zwischen den Krankenkassen und den zugelassenen Hilfsmittelerbringern (§
126 SGB V) sind sowohl bezüglich des allgemeinen Versorgungsvertrages (§
127 SGB V) als auch bezüglich der in jedem Einzelfall abzuschließenden Beschaffungsverträge öffentlich-rechtlich geprägt (Bundessozialgericht
- BSG -, Urteil vom 06.09.2007, B 3 KR 20/06 R). Die Ansprüche aus Sachmängelhaftung gegen die Beklagte gründen sich daher nicht unmittelbar auf die §§
651 BGB a.F., §§
434,
437,
439 ff.
BGB, sondern nur auf die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften im Leistungserbringerrecht (§
69 SGB V).
Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenbehandlung umfasst u.a. die Versorgung mit Hilfsmitteln (§
27 Abs.
1 Satz 2 Nr.
3 SGB V). Dabei erfolgt die Versorgung mit Hilfsmitteln entweder durch den Abschluss von Kaufverträgen, wenn es um die Abgabe und
Übereignung fertiger Produkte geht (§
433 BGB), oder durch den Abschluss von Sachlieferungsverträgen, wenn die Produkte erst noch herzustellen oder zu erzeugen sind (§
651 BGB a.F. bzw. §
650 BGB i.d.F. ab 01.01.2018). Ein solcher Sachlieferungsvertrag lag der für den Versicherten von der Beklagten herzustellenden Prothese
zugrunde. Der zustande gekommene Vertrag ist daher als öffentlich-rechtlicher Sachlieferungsvertrag (§
651 BGB a.F.) einzustufen, wobei es sich um einen dreiseitigen Vertrag zwischen dem Versicherten und der Klägerin (Krankenkasse)
auf der einen Seite und der Beklagten (Leistungserbringer) auf der anderen Seite handelt (vgl. BSG, Urteil vom 06.09.2007, B 3 KR 20/06 R).
Es liegen auch die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung der Sachmängelgewährleistung nach §
651 BGB a.F. i.V.m. §§
434,
437,
439 ff.
BGB vor. Die Folgen der Lieferung eines mangelhaften Hilfsmittels sind weder landesvertraglich noch landes- oder bundesrechtlich
abschließend geregelt. Deshalb sind die Vorschriften des
BGB über die Sachmängelhaftung dem Grunde nach entsprechend anwendbar, weil sie mit der Stellung der Hilfsmittelerbringer im
Versorgungssystem des
SGB V nicht unvereinbar sind.
Die Klägerin fordert von der Beklagten 8.879,63 EUR für die aus ihrer Sicht unbrauchbare Prothese des Versicherten als "Schadensersatz"
zurück (wobei wegen der Selbstbeteiligung in Höhe von 10,- EUR von der Klägerin nur 8.869,63 EUR bezahlt wurden). Die Rückforderung
des Kaufpreises erfolgt jedoch mittels Rücktritt und Rückabwicklung des Vertrages (vgl. §§
437 Nr.
2 Alt. 1, 346 Abs.
1 BGB), während der Schadensersatz u.a. auf den Ersatz der Kosten eines Deckungskaufes (hier der Prothesenneuversorgung durch einen
anderen Anbieter) abzielen würde (vgl. Palandt,
BGB, 78. Aufl. 2019, §
437 Rn. 38).
Es kann jedoch offen bleiben, welches Gewährleistungsrecht die Klägerin eigentlich ausüben wollte. Ebenso kann offen bleiben,
ob im Zeitpunkt des Gefahrübergangs im Januar 2012 die dem Versicherten gelieferte Prothese mangelhaft im Sinne von §
434 BGB war (wofür die Ergebnisse des EVA-Protokolls und des Gutachtens des Sachverständigen S. sprechen). Denn vorliegend waren
weder die Voraussetzungen des Rücktritts vom Vertrag nach §
437 Nr. 2
BGB noch diejenigen eines Schadensersatzanspruchs nach §
437 Nr. 3
BGB erfüllt.
Voraussetzung sowohl für den Rücktritt von Vertrag nach §
437 Nr.
2 BGB i.V.m. §
323 Abs.
1 BGB als auch für einen Schadensersatzanspruch statt der Leistung nach §
437 Nr.
3 BGB i.V.m. §
281 Abs.
1 Satz 1
BGB ist jeweils, dass der Gläubiger dem Schuldner erfolglos eine angemessene Frist zur Leistung oder Nacherfüllung bestimmt hat.
Zwar hatte der Versicherte offensichtlich die Beklagte in den ersten Monaten des Jahres 2012 mehrmals um Nachjustierungen
bzw. Änderungen an der Prothese gebeten, was zu zahlreichen Hausbesuchen der Beklagten beim Versicherten führte. Eine Frist
zur Nacherfüllung im o.g. Sinne hat jedoch weder der Versicherte noch die Klägerin der Beklagten gesetzt. Vielmehr hat die
Klägerin mit Schreiben vom 23.07.2012 die Kosten für die Prothese in Höhe von 8.879,36 EUR von der Beklagten zurückgefordert,
ohne dieser die Gelegenheit zur Nacherfüllung, sei es durch Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache,
zu geben, geschweige denn hierfür eine Frist zu setzen.
Eine Fristsetzung war auch nicht ausnahmsweise entbehrlich.
Nach §
281 Abs.
2 BGB bzw. §
323 Abs.
2 BGB ist eine Fristsetzung vor Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs bzw. vor dem Rücktritt vom Vertrag entbehrlich,
- wenn der Schuldner die Leistung ernsthaft und endgültig verweigert (§
281 Abs.
2 Alt. 1
BGB bzw. §
323 Abs.
2 Nr.
1 BGB) oder
- wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung des Schadensersatzanspruchs
bzw. den sofortigen Rücktritt rechtfertigen (§
281 Abs.
2 Alt. 2
BGB bzw. §
323 Abs.
2 Nr.
3 BGB).
- (Ein Fixgeschäft, das nach §
323 Abs.
2 Nr.
2 BGB zum Rücktritt ohne Fristsetzung berechtigten könnte, war vorliegend im Rahmen der Prothesenversorgung nicht vereinbart worden.)Darüber
hinaus bedarf es nach §
440 Satz 1
BGB einer Fristsetzung auch dann nicht,
- wenn der Verkäufer beide Arten der Nacherfüllung gemäß §
439 Abs.
4 BGB verweigert (Var. 1) oder
- wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung fehlgeschlagen ist (Var. 2) (wobei eine Nachbesserung nach dem erfolglosen
zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt, wenn sich nicht insbesondere aus der Art der Sache oder des Mangels oder den sonstigen
Umständen etwas anderes ergibt, vgl. §
440 Satz 2
BGB) oder
- wenn die dem Käufer zustehende Art der Nacherfüllung ihm unzumutbar ist (Var. 3).
Vorliegend hatte die Beklagte die Leistung bzw. beide Arten der Nacherfüllung (Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung einer
mangelfreien Sache, vgl. §
439 Abs.
1 BGB) nicht verweigert, als die Klägerin die Beklagte mit Schreiben vom 23.07.2012 ohne Fristsetzung zur Überweisung von 8.879,36
Euro aufforderte, vgl. §
281 Abs.
2 Alt. 1
BGB, §
323 Abs.
2 Nr.
1 BGB bzw. §
440 Satz 1 Var. 1
BGB. Dass im EVA-Protokoll zu lesen ist, dass auf Wünsche und Bedürfnisse des Versicherten "nach seinen Aussagen offenbar" nicht
eingegangen worden sei, genügt nicht, um von einer Verweigerung der Nachbesserung durch die Beklagte auszugehen, wofür im
Übrigen die Klägerin die Beweislast trägt. Denn nach Auslieferung der Definitivprothese im Januar 2012 nahm die Beklagte nach
ihrem unbestrittenen Vortrag immerhin zahlreiche Nachjustierungen an der Prothese des Versicherten vor, und mit Antwortschriftsatz
vom 09.10.2012 hat die Beklagtenseite zudem ausdrücklich angeboten, die Prothese ggf. nachzubessern.
Unabhängig davon, welche Art der Nacherfüllung (Mangelbeseitigung oder Ersatzlieferung) der Klägerin bzw. dem Versicherten
zustand (vgl. §
439 Abs.
1 und
3 BGB), war eine Nacherfüllung durch die Beklagte auch nicht fehlgeschlagen (§
440 Satz 1 Var. 2
BGB). Insbesondere sind die - im Prozess einer Prothesenanpassung wegen sich ändernder Stumpf- bzw. Muskelverhältnisse nicht
unüblichen - Nachjustierungen in der ersten Jahreshälfte 2012 nicht als fehlgeschlagene Nachbesserungsversuche zu erachten
im Hinblick auf Mängel, die die Klägerin erst ab Juni 2012 zur Sprache gebracht hat. Vielmehr hätte die Klägerin der Beklagten
nach der EVA-Begutachtung im Juni 2012 und der Mitteilung der von ihr behaupteten Mängel mit Schreiben vom 23.07.2012 diesbezüglich
Gelegenheit zur Nacherfüllung geben müssen. Sie hat jedoch die Prothese nicht mehr an die Beklagte herausgegeben, geschweige
denn eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt.
Schließlich lagen auch keine besonderen Umstände vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die sofortige Geltendmachung
des Schadensersatzanspruchs bzw. den sofortigen Rücktritt gerechtfertigt hätten (§
281 Abs.
2 Alt. 2
BGB bzw. §
323 Abs.
2 Nr.
3 BGB), bzw. die der Klägerin bzw. ihrem Versicherten zustehende Art der Nacherfüllung war ihr bzw. ihm nicht unzumutbar (§
440 Satz 1 Var. 3
BGB).
Unzumutbarkeit der Nacherfüllung für den Käufer ist gegeben, wenn die Abhilfe mit erheblichen Unannehmlichkeiten für ihn verbunden
ist. Ob erhebliche Unannehmlichkeiten vorliegen, beurteilt sich unter Berücksichtigung der Art sowie des konkreten Gebrauchszwecks
der Kaufsache. Dabei reicht §
440 Satz 1 Var. 3
BGB weiter als die Normen des allgemeinen Leistungsrechts (§§
281,
323 BGB) und greift als Auffangtatbestand immer dann, wenn das Vertrauen des Käufers in eine angemessene Vertragserfüllung durch
den Verkäufer nicht mehr besteht (jurisPK,
BGB, Stand 02.10.2017, §
440 Rn. 44). Für die Beurteilung, ob die Nacherfüllung für den Käufer unzumutbar ist, sind alle Umstände des Einzelfalles zu
berücksichtigen, insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers, diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen oder der Umstand,
dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz
hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist (BGH, Urteil vom 15.04.2015,
VIII ZR 80/14). Die Zumutbarkeitsschwelle ist umso höher anzusetzen, je komplizierter und aufwändiger die Kaufsache ist (jurisPK,
BGB, Stand 02.10.2017, §
440 Rn. 43). Bei der Versorgung mit einer Prothese wie im Falle des Versicherten ist deshalb ein eher strenger Maßstab bei der
Beurteilung der Unzumutbarkeit einer Nacherfüllung anzulegen.
Gemessen daran war es dem Versicherten (als Leistungsempfänger) bzw. der Klägerin (als Vertragspartnerin) nicht unzumutbar,
der Beklagten nach der EVA-Begutachtung im Juni 2012 unter Fristsetzung Gelegenheit zur Nacherfüllung zu geben. Insbesondere
ist nicht von Unzuverlässigkeit der Beklagten auszugehen. Immerhin hatte diese sich unbestritten in den ersten Monaten des
Jahres 2012 durch etliche Hausbesuche darum bemüht, die Prothese dem Versicherten ordnungsgemäß anzupassen. Dass die im Januar
2012 übergebene Prothese womöglich nicht lege artis angefertigt war (wofür einiges spricht), ist kein Beleg für einen erheblichen
Mangel der - generellen - fachlichen Kompetenz der Beklagten, der es der Klägerin bzw. dem Versicherten unzumutbar gemacht
hätte, (zumindest zunächst) weiter am Prothesenbeschaffungsvertrag mit der Beklagten festzuhalten.
Die Klägerin konnte auch nicht einen derartigen Vertrauensverlust beim Versicherten belegen, der es gerechtfertigt hätte,
Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen bzw. vom Vertrag zurückzutreten, ohne der Beklagten vorher Gelegenheit zur
Nacherfüllung unter Fristsetzung zu geben. Dass es im Falle einer Schlechtleistung zu einer gewissen Schädigung der Vertrauensbasis
der Vertragspartner kommt, dürfte grundsätzlich der Fall sein. Dessen ungeachtet eröffnet das Regelungssystem der §§
437,
439 ff.
BGB dem Verkäufer bzw. Lieferanten jedoch grundsätzlich primär die Möglichkeit zur Nacherfüllung. Vorliegend hat sich der Versicherte
zwischen Januar und Juni 2012 nicht an die Klägerin mit der Bitte um Unterstützung angesichts einer mangelhaften Leistung
durch die Beklagte gewandt. Lediglich im EVA-Bericht heißt es, auf Wünsche und Bedürfnisse des Versicherten, die er seit Januar
artikuliert habe, sei "offenbar" nicht eingegangen worden. Ein Vertrauensverlust beim Versicherten, der ihm eine Nacherfüllung
durch die Beklagte nach der EVA-Begutachtung unzumutbar gemacht hätte, ist dabei nicht ersichtlich.
Auch wenn man mit der Klägerin davon ausgehen sollte, dass die im Januar 2012 gelieferte Prothese als nicht gebrauchsfähig
bzw. nicht nachbesserungsfähig zu beurteilen gewesen sei, wäre der Beklagten womöglich zwar eine Nachbesserung unmöglich gewesen,
nicht jedoch eine Nacherfüllung in Form einer Ersatzlieferung einer neuen Prothese (vgl. §
439 Abs.
1 BGB), wozu sie auch berechtigt gewesen wäre (vgl. z.B. jurisPK,
BGB, Stand 06.03.2019, §
439 Rn. 21 ff., 90 ff.). Weder hat jedoch die Klägerin die Beklagte hierzu unter Fristsetzung aufgefordert noch hat die Beklagte
eine solche von vornherein verweigert. Dass für eine Neuanfertigung eine gewisse Zeit benötigt worden wäre, begründet ebenfalls
keine Unzumutbarkeit für die Klägerin bzw. den Versicherten. Auch die Neuanschaffung durch einen anderen Versorger nahm Zeit
in Anspruch, nach Auskunft im Erörterungstermin am 13.03.2019 wurde die neue Prothese erst im November 2012 geliefert.
Schließlich kann der Senat auch aus dem Urteil des 6. Senats des BSG vom 10.05.2017, B 6 KA 15/16 R, auf das die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, keine für die Klägerin günstigen Folgerungen
ableiten. Im dortigen Fall begehrte die klagende Krankenkasse von der beklagten Kassenzahnärztlichen Vereinigung die Festsetzung
eines Schadensersatzanspruchs gegen die beigeladene Vertragszahnärztin wegen mangelhafter Versorgung einer Versicherten mit
Zahnersatz. Unabhängig davon, inwieweit Regelungen der kassenzahnärztlichen Gewährleistung (vgl. §
136a Abs.
4 Satz 3 und
4 SGB V) auf das Gewährleistungsrecht im Hilfsmittelbereich, das sich über §
69 Abs.
1 Satz 3
SGB V an den Regelungen des
BGB orientiert (siehe oben), übertragbar sind, geht der 6. Senat ebenfalls davon aus, dass ein Schadensersatzanspruch gegen einen
Zahnarzt, der bei mangelhafter zahnprothetischer Versorgung zur Nachbesserung bzw. Neuanfertigung bereit ist, voraussetzt,
dass dem Versicherten die Fortsetzung der Behandlung bei diesem Zahnarzt und damit die Nacherfüllung durch diesen nicht zumutbar
ist. Insofern wird das Recht des Versicherten zur freien Arztwahl (§
76 Abs.
1 Satz 1
SGB V) eingeschränkt. Entsprechend wäre es vorliegend dem Versicherten bzw. der Klägerin nach der EVA-Begutachtung zumutbar gewesen,
der Beklagten die Möglichkeit zur Nacherfüllung, wie von dieser auch angeboten, einzuräumen.
Daher steht der Klägerin mangels Fristsetzung weder ein Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung noch auf Rückabwicklung
nach Rücktritt wegen einer "Fehlversorgung" des Versicherten zu.
Die Klägerin kann die begehrte Rückzahlung auch nicht auf § 10 des Prothesenvertrages stützen. Sie verlangt keine Vertragsstrafe
nach § 10 Abs. 3 des Prothesenvertrages, sondern die Rückzahlung der von ihr geleisteten Vergütung für die Prothese des Versicherten.
Sie macht damit die Rückabwicklung des Werklieferungsvertrages und keinen Schadensersatzanspruch, wie in § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages
erwähnt, geltend (s.o. zur Abgrenzung von Schadensersatz und Rücktritt).
Darüber hinaus stellt § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages aus Sicht des Senats auch keinen eigenen Schadensersatzanspruch dar,
sondern ist als Hinweis darauf zu verstehen, dass unabhängig von den in § 10 genannten Maßnahmen die allgemeinen gesetzlichen Regelungen zu Vertragsverletzung und Schadensersatz (hier: § 651 BGG a.F., §§
437,
439 ff.
BGB) gelten, was die Klägervertreterin in der mündlichen Verhandlung am 11.04.2019 auch eingeräumt hat. Dass die Vertragspartner
des Prothesenvertrages durch eine derart knappe Regelung wie in dessen § 10 Abs. 6 das komplette Gewährleistungsrecht beim
Kaufvertrag bzw. Werklieferungsvertrag mit den dort fein austarierten gegenseitigen Rechten und Pflichten ausschließen und
durch die pauschale Regelung des § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages hätten ersetzen wollen, ist dieser Regelung nicht zu entnehmen.
Dafür hätte es zumindest eines expliziten Ausschlusses des Gewährleistungsrechts nach dem
BGB bedurft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass § 10 Abs. 6 des Prothesenvertrages lediglich einen allgemeinen Hinweis darauf enthält, dass neben den sonstigen in § 10 genannten Maßnahmen
die allgemeinen Regelungen des Schadensersatzrechts Anwendung finden.
Schließlich kann die Klägerin auch nicht die Kosten des Gutachtens von Herrn S. von der Beklagten fordern. Zwar kann der Ersatz
von Gutachterkosten, die zur Aufdeckung bzw. Feststellung des Schadens erforderlich sind, grundsätzlich vom Schuldner verlangt
werden (nach §
280 BGB, vgl. Palandt,
BGB, 78. Aufl. 2019, §
280 Rn. 18). Vorliegend fehlt es jedoch jedenfalls an der Kausalität zwischen einem etwaigen Mangel der gelieferten Prothese
und den entstandenen Gutachterkosten. Denn die Begutachtung erfolgte erst im Jahr 2016 und damit zu einem Zeitpunkt, als die
Klägerin eine Nacherfüllung bereits verweigerte und nur die gezahlte Prothesenvergütung zurückforderte. Darauf hatte sie jedoch,
wie gezeigt, mangels Fristsetzung zur Nacherfüllung keinen Anspruch.
Da der geltend gemachte Rückzahlungsanspruch der Klägerin bereits dem Grunde nach nicht besteht, kommt es nicht darauf an,
ob die Beklagte die Leistung unter Berufung auf die Einrede der Verjährung verweigern konnte. Dies wäre nur unter Zugrundelegung
der kurzen zweijährigen Verjährungsfrist nach §
438 Abs.
1 Nr.
3 BGB möglich, wofür Sinn und Zweck der Sachmängelhaftung (Abgrenzung zur "normalen" altersbedingten Abnutzung) sprechen könnten,
nicht jedoch, wenn man wie bisher vom BSG generell für das Leistungserbringerrecht - aber nicht explizit für die Sachmängelhaftung bei Hilfsmitteln - angenommen, die
dem Sozialrecht innewohnende vierjährige Verjährungsfrist anwendet (vgl. §
45 SGB I (analog), z.B. BSG, Urteil vom 10.04.2008, B 3 KR 7/07 R). Verjährung wäre dann nämlich erst mit Ablauf des Jahres 2016 und damit nach Klageerhebung eingetreten.
Im Ergebnis konnte die Klägerin damit die für die Prothese des Versicherten gezahlte Vergütung nicht von der Beklagten zurückverlangen,
weshalb die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG Nürnberg vom 16.02.2017 zurückzuweisen war.
Gründe für die Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor.