Anspruch auf Arbeitslosengeld; Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe; Berücksichtigung einer Lösung des Beschäftigungsverhältnisses
einer Diplom-Handelslehrerin zwecks Erwerbs des Zweiten Staatsexamens als wichtiger Grund
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist eine Sperrzeit von 12 Wochen wegen Arbeitsaufgabe und das Ruhen von Arbeitslosengeld streitig.
Die 1977 geborene Klägerin und Berufungsbeklagte ist Diplom-Handelslehrerin und arbeitete vom 10.09.2007 bis 31.07.2009 als
Fachlehrerin bei der Wirtschaftsschule P. (nachfolgend: Arbeitgeberin) in A-Stadt. Dabei wurde im Schuljahr 2008/2009 ein
beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von 24.149,67 EUR bezogen. Die Klägerin war bei der Arbeitgeberin als angestellte
Lehrerin ohne 2. Staatsexamen beschäftigt. Eine Kündigung war zunächst nach § 6 des Anstellungsvertrages vom 31.07.2007 nur
zum Schuljahresende möglich. Die Klägerin kündigte zum 31.07.2009 und trat zum 16.09.2009 ihren Vorbereitungsdienst (Referendariat)
in Bayern an.
Am 04.08.2009 meldete sich die Klägerin bei der Beklagten und Berufungsklägerin arbeitslos. Am 24.09.2009 bewilligte die Beklagte
Arbeitslosengeld ab 04.08.2009 aus einem täglichen Arbeitsentgelt von 72,52 EUR. Mit streitgegenständlichem Bescheid vom selben
Tag wurde das Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld im Zeitraum vom 01.08.2009 bis 23.10.2009 wegen einer Sperrzeit bei
Arbeitsaufgabe und gleichzeitig die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld um 84 Tage festgestellt.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch und führte aus, sie habe sich nicht versicherungswidrig verhalten. Insbesondere wies
sie darauf hin, dass sie ihren Arbeitsvertrag nur zum 31.07.2009 kündigen konnte. Mit Widerspruchsbescheid vom 11.02.2010
wurde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen hat die Klägerin am 10.03.2010 durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Sozialgericht München erheben lassen. Zusammenfassend
hat der Bevollmächtigte ausgeführt, dass kein versicherungswidriges Verhalten vorgelegen habe. Entgegen der Auffassung der
Beklagten stelle die Teilnahme an einem Vorbereitungsdienst einen wichtigen Grund im Sinne von §
144 SGB III dar.
Mit Urteil vom 26.10.2011 hat das Sozialgericht München die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 24.09.2009 und 11.02.2010
verurteilt, Arbeitslosengeld dem Grunde nach ab dem 04.08.2009 zu bewilligen.
Die Beklagte hat am 12.12.2011 Berufung erhoben. Zusammenfassend hat die Beklagte ausgeführt, dass versicherungswidriges Verhalten
vorliege und die Erlangung der Zweiten Staatsprüfung als beruflicher Aufstieg sowie die Absolvierung des dazu erforderlichen
Referendariats, dem eigenen Interesse der Klägerin diene. Das damit verbundene Risiko einer Arbeitslosigkeit zwischen Beschäftigungsende
und Beginn des Referendariats könne nicht durch die Versichertengemeinschaft abgefangen werden.
Die Beklagte und Berufungsklägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen mit der Maßgabe, dass Arbeitslosengeld erst ab dem 11.08.2009 zu gewähren ist.
Zur Begründung hat der Klägerbevollmächtigte ausgeführt, dass es sich bei dem Abschluss als Diplom-Handelslehrerin lediglich
um einen akademischen Abschluss handle. Die Beklagte gehe zu Unrecht davon aus, dass dieser Abschluss zu einer Lehrtätigkeit
an privaten Schulen befähige. Grundsätzlich erfordere eine Lehrtätigkeit jedoch den Abschluss des 2. Staatsexamens. Die ehemalige
Arbeitgeberin sei im Übrigen keine berufsbildende Schule, sondern lediglich eine weiterführende Schule zum Erwerb eines mittleren
Schulabschlusses. Die Qualifikation der Klägerin liege jedoch im Bereich der Betriebswirtschaftslehre und der Bankbetriebslehre.
In diesem Bereich sei das 2. Staatsexamen zwingende Voraussetzung.
Dem Senat lagen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Verfahrensakten des Sozialgerichts München vor. Deren Inhalt war
Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht München hat zu Recht den Bescheid der Beklagten vom 24.09.2009 (Sperrzeit
01.08.2009 bis 23.10.2009) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2010 aufgehoben und die Beklagte zur Gewährung
von Arbeitslosengeld verurteilt.
Gegenstand des Verfahrens sind der Sperrzeitbescheid vom 24.09.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.02.2010
und der nicht bei den Beklagtenakten befindliche Bewilligungsbescheid, wodurch für die Zeit der Sperrzeit die Leistung von
Arbeitslosengeld abgelehnt wurde. Insoweit sind der Sperrzeitbescheid und der Bewilligungsbescheid nach der Rechtsprechung
des BSG als rechtliche Einheit zu betrachten (vergleiche zum Beispiel BSG vom 21.10.2003, B 7 AL 92/02 R). Im Antrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2014 wurde eine weitere Sperrzeit vom 24.09.2009 wegen verspäteter
Arbeitslosmeldung und damit verbundenem Ruhen des Arbeitslosengeldes, welche durch die Klägerin nicht beanstandet wurde, berücksichtigt.
Insoweit war der Tenor des Urteils des Sozialgerichts München vom 26.10.2011 anzupassen.
Mit der Verfügung der Beklagten vom 24.09.2009 wurde grundsätzlich zutreffend ein Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §§
117 ff
SGB III in der damals geltenden Fassung (a.F.) für 333 Tage bei einem täglichen Entgelt in Höhe von 72,52 EUR bewilligt.
Gemäß §
144 Abs.
1 SGB III a.F. ruht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit, wenn die Arbeitnehmerin sich versicherungswidrig
verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Versicherungswidriges Verhalten liegt gem. §
144 Abs.
1 Satz 2 Nr.
1 SGB III a.F. vor, wenn die Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit
herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
Durch die Kündigung der Klägerin vom 30.03.2009 beendete diese ihr Arbeitsverhältnis mit der Arbeitgeberin zum 31.07.2009.
Diese Kündigung war auch kausal für das Eintreten der Arbeitslosigkeit zum 04.08.2009. Das Lösen des Arbeitsverhältnisses
erfolgte mit Wissen und Wollen der Klägerin, da sie jedenfalls bis zur Aufnahme des Referendariats keine Aussicht auf ein
unmittelbar anschließendes Arbeitsverhältnis hatte. Grundsätzlich wäre daher der subjektive Tatbestand erfüllt.
Das Verhalten der Klägerin war jedoch durch einen wichtigen Grund im Sinne von §
144 Abs.
1 S. 1
SGB III a.F. gerechtfertigt.
Dabei hat der Gesetzgeber nicht näher bestimmt, was als wichtiger Grund im Sinne des §
144 Abs.
1 Satz 1
SGB III a.F. anzusehen ist. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers und der laufenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BT-Drs.
V/4110, Seite 21; BSG SozR 3-4100, § 119 Nr. 11, 15 und 16) soll eine Sperrzeit im Allgemeinen nur dann eintreten, wenn der Arbeitnehmerin unter Berücksichtigung
aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung ihrer Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes
Verhalten zugemutet werden kann. Dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn Umstände vorliegen, die nach verständiger
Abwägung der Arbeitnehmerin die Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, da sonst
ihr berechtigtes Interesse in unbilliger Weise verletzt würde. Hierbei ist die verfassungsrechtlich garantierte Freiheit der
Arbeitsplatzwahl gemäß Art.
12 Abs.
1 Satz 1
Grundgesetz zu beachten (BSG, Urteil vom 12. Juli 2006, B 11a AL 55/05 R , zitiert nach juris). Die Sperrzeitregelung soll die Solidargemeinschaft vor
der Inanspruchnahme durch Leistungsberechtigte schützen, die den Eintritt des versicherten Risikos "Arbeitslosigkeit" selbst
herbeigeführt und zu vertreten haben (Scholz in Mutschler, Schmidt- de Caluwe, Coseriu,
Sozialgesetzbuch III, 5. Auflage, 2012, §
159, Rz.: 114). Dabei muss der wichtige Grund objektiv vorliegen und zugleich das versicherungswidrige Verhalten auch im konkreten
Zeitpunkt vom wichtigen Grund gedeckt sein (Scholz, a.a.O., Rz.: 116). Nach Auffassung des erkennenden Senats begründet die
Aufnahme des Vorbereitungsdienstes zum Abschluss der Zweiten Staatsprüfung für die Klägerin nach einem Studium zur Diplom-Handelslehrerin
einen wichtigen Grund zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Für die Tätigkeit als Lehrerin an beruflichen Schulen wird
der erfolgreiche Abschluss der Zweiten Staatsprüfung, die nach einem Vorbereitungsdienst abgelegt wird, vorausgesetzt (Art.
7 Abs. 1 Bayerisches Lehrerbildungsgesetz). Dabei darf nicht verkannt werden, dass für die spätere Qualifikation als Berufsschullehrerin der Teilnahme am Vorbereitungsdienst
mit den damit verbundenen umfangreichen Schulungen bereits eine besondere Bedeutung zukommt. Daneben erfüllt die Klägerin
erst mit erfolgreichem Abschluss der Zweiten Staatsprüfung die Voraussetzungen als Lehrkraft im Bereich der Berufsschulen
auf der 4. Qualifikationsebene. Hiermit kann für die Klägerin, im Vergleich zu ihrer bisherigen Tätigkeit und gegebenenfalls
als spätere Beamtin, eine nicht nur finanzielle, sondern auch die berufliche und persönliche Sphäre betreffende Besserstellung
eintreten (BSG vom 14.09. 2010 - B 7 AL 33/09 R - SozR 4-4300 § 144 Nr. 21 = NZS 2011 S.713). Vorliegend kommt auch kein Verzicht auf den Vorbereitungsdienst in Betracht,
da nur ausnahmsweise nach Art. 22 Abs. 2 Bayerisches Lehrerbildungsgesetz bei Bewerbern auf die Ablegung des Zweiten Staatsexamens verzichtet werden kann, wenn eine mindestens zweijährige Bewährung
als Lehrer an öffentlichen Schulen oder Ersatzschulen des angestrebten Schulzweiges nachgewiesen wurde. Dieser Verzicht wird
jedoch nur sehr selten ausgesprochen. Insoweit lagen bei der Klägerin jedoch bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen
des Art. 22 Abs. 2 Bayerisches Lehrerbildungsgesetz nicht vor, da es sich bei der ehemaligen Arbeitgeberin um keine berufsbildende Schule handelt und somit die bisherige Tätigkeit
nicht auf dem angestrebten Schulzweig erfolgte.
Die vorgetragene Argumentation der Beklagten, wonach bei einem möglichen beruflichen Aufstieg kein wichtiger Grund vorliegen
soll, vermochte nicht zu überzeugen. Die Beklagte verkennt dabei die Bedeutung des Vorbereitungsdienstes für das berufliche
Fortkommen der Klägerin. Der Klägerin kann grundsätzlich nicht zugemutet werden, auf eine der beruflichen Fortentwicklung
(oder Veränderung) dienende Maßnahme zu verzichten (Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, 53. Ergänzungslieferung 2014 § 159,
Rz.: 173; LSG Berlin-Brandenburg 6. 9. 2011 - L 18 AL 245/11 B PKH - Juris).
Die Auffassung der Beklagten ist auch mit Art.
12 Grundgesetz (
GG) - hier der Berufswahlfreiheit - nicht vereinbar. Nach Auffassung des Senats stellt eine Tätigkeit als Berufsschullehrerin
auf der 4. Qualifikationsebene eine andere berufliche Tätigkeit als die Tätigkeit als Fachlehrerin an einer privaten Wirtschaftsschule,
welche einen mittleren Schulabschluss vermitteln möchte, dar. Dies ergibt sich bereits aus den unterschiedlichen Schulprofilen.
Während bei der ehemaligen Arbeitgeberin der Klägerin allgemein bildende Inhalte vermittelt werden mussten, kann die Klägerin
als Berufsschullehrerin die von ihr im Studium schwerpunktmäßig gewählten spezifischen Lehrgebiete, wie Betriebswirtschaftslehre
und Bankbetriebslehre unterrichten. Ausweislich des vorgelegten Zeugnisses der Freien Hansestadt Hamburg vom 11.06.2007 hat
sie in der ersten Staatsprüfung in den Fächern Wirtschaftswissenschaften und Bankbetriebslehre jeweils sehr gute Leistungen
erbracht. Wie das BSG bereits mehrfach entschieden hat (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 12. Juli 2006, B 11a AL 55/05 R, SozR 4-4300 § 144 Nr 14), wird durch die Aufnahme eines anderen Berufs die durch Art
12 GG geschützte Berufswahlfreiheit in ihrem Kernbereich betroffen. Das BSG hat bereits in seiner Rechtsprechung zur Aufgabe eines Ausbildungsverhältnisses aus beruflichen Gründen auf die besondere
Bedeutung des Grundrechts der Berufswahlfreiheit bei der Konkretisierung des Merkmals "wichtiger Grund" hingewiesen (BSG, Urteil vom 12. Juli 2006 - B 11a AL 55/05 R -, SozR 4-4300 § 144 Nr 14; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 2). Dem schließt sich der Senat vollumfänglich an.
Die Teilnahme am Vorbereitungsdienst war auch nicht berufsbegleitend möglich. Ausweislich des vorliegenden Anstellungsvertrages
vom 31.07.2007 war der Klägerin nur zum Schuljahresende, hier 31.07.2009, eine Kündigung möglich.
Nach Auffassung des Senats war daher der Klägerin die Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar und es ist ein
wichtiger Grund im Sinne von §
144 Abs.
1 S. 1
SGB III a.F. (nunmehr §
159 Abs.
1 S. 1
SGB III) zu bejahen.
Nachdem sich die Klägerin jedoch erst am 04.08.2009 bei der Beklagten meldete, hat die Beklagte mit Bescheid vom 24.09.2009
(bestandskräftig) eine einwöchige Sperrzeit nach §
144 Abs.
1 Nr.
7, Abs.
6 SGB III a.F. festgestellt. Der Anspruch der Klägerin auf Arbeitslosengeld ruht daher im Zeitraum vom 04.08.2009 bis 10.08.2009. Die
Klage war daher entsprechend dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 05.06.2014 vollumfänglich
erfolgreich und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision sind nach §
160 Abs.
2 SGG nicht ersichtlich.