PKH-Verfahren
Terminsgebühr
Schriftlicher Vergleich
Konstitutive Mitwirkung des Gerichts
Gründe
I.
Streitig ist die Höhe der Vergütung des beigeordneten Rechtsanwalts.
Im vorangehenden Klageverfahren stritten die Beteiligten um Rente wegen voller Erwerbsminderung. Mit Beschluss vom 8.9.2015
ordnete das Sozialgericht (SG) der Klägerin den Erinnerungsführer im Wege der Prozesskostenhilfe ab dem 28.4.2015 bei und wies ihm am 2.2.2016 antragsgemäß
einen Kostenvorschuss in Höhe von EUR 380,80 an.
Mit Schreiben vom 3.2.2016 unterbreitete die Beklagte der Klägerin den folgenden Vergleichsvorschlag:
1. Die Beklagte gewährt der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit auf der Grundlage eines Leistungsfalles
vom 08.05.2015 für die Zeit vom 01.12.2015 bis 30.11.2017.
2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
3. Die Klägerin nimmt das Vergleichsangebot an
4.Der Rechtsstreit ist damit erledigt.
Diesen Vergleichsvorschlag nahm die Klägerin an und erklärte den Rechtsstreit gleichzeitig ausdrücklich für erledigt (Schreiben
vom 19.2.2016).
Der Erinnerungsführer hat beantragt,
seine Gebühren und Auslagen mit EUR 1.297,10 festzusetzen und ihm die restlichen EUR 916,30 (1.297,10-380,80) anzuweisen (Antrag
vom 19.2.2016).
Der Betrag von EUR 1.297,10 setzt sich zusammen aus einer Verfahrens- und einer (Einigungs- bzw.) Erledigungsgebühr in Höhe
von jeweils EUR 400, einer (fiktiven) "Terminsgebühr" (sprachlich exakt: Termingebühr; im Folgenden verbleibt es bei der gesetzlichen
Terminologie) in Höhe von EUR 270 und einer Auslagenpauschale von EUR 20, jeweils zuzüglich 19% Umsatzsteuer. Der Urkundsbeamte
der Geschäftsstelle hat als Kostenbeamter die Terminsgebühr nicht berücksichtigt und nach entsprechender Reduzierung der Umsatzsteuer
die aus der Staatskasse zu zahlenden (restlichen) Gebühren auf EUR 595 festgesetzt. Die Terminsgebühr entstehe nur, wenn das
erkennende Gericht konstitutiv am Vergleichsabschluss mitwirke. Das sei bei der Annahme eines außergerichtlichen, allein vom
Prozessgegner unterbreiteten Vergleichsvorschlages nicht der Fall (Festsetzungsbeschluss vom 29.2.2016; zugestellt am 1.4.2016).
Zur Begründung seiner gegen diese Entscheidung am 14.4.2016 eingelegten Erinnerung, der der Kostenbeamte nicht abgeholfen
hat (Entscheidung vom 21.4.2016), hat der Erinnerungsführer vorgetragen, für die Entstehung der Terminsgebühr bedürfe es keiner
gerichtlichen Mitwirkung. Es genüge ein schriftlicher Vergleich. Dieser sei vorliegend zustande gekommen.
Das SG hat die Erinnerung aus den Gründen des Beschlusses vom 29.2.2016 zurückgewiesen. Bis zu einer anderweitigen Entscheidung
folge es der darin in Bezug genommenen Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein Westfalen (LSG NRW), die einen im
schriftlichen Verfahren ohne Mitwirkung des Gerichts geschlossenen Vergleich nicht ausreichen lasse (Beschluss vom 11.5.2016).
Dagegen hat der Erinnerungsführer (spätestens) am 24.5.2016 Beschwerde eingelegt. Für die Entstehung der Terminsgebühr genüge
ein privatschriftlicher Vergleich.
Der Erinnerungsgegner hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bezieht sich zur Begründung auf die Rechtsprechung
des LSG NRW.
Das SG hat auf Nachfrage mitgeteilt, in der Übersendung der Beschwerdeschrift an das Beschwerdegericht liege zugleich eine Nichtabhilfeentscheidung,
andernfalls wäre sie nicht übersandt worden (Schreiben vom 1.7.2016)
II.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.
I. Die Beschwerde ist zulässig.
Die fristgerecht eingelegte (§ 33 Abs 3 Satz 3 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte - Rechtsanwaltsvergütungsgesetz - RVG) Beschwerde ist statthaft, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 3 Satz 1 RVG. Diese allgemein für das Kostenfestsetzungsverfahren des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts geltenden
Spezialvorschriften gehen den Vorschriften des
SGG vor, § 1 Abs 3 RVG.
Es kann dahinstehen, ob - wie das SG meint - in der Übersendung der Beschwerdeschrift eine (konkludente) Nichtabhilfeentscheidung liegt. Denn jedenfalls mit Schreiben
vom 1.7.2016 hat das SG mit hinreichender Deutlichkeit explizit zum Ausdruck gebracht, dass es der Beschwerde nicht abhelfe. Eines förmlichen Beschlusses
bedarf es dazu nicht.
Der Erinnerungsführer ist auch befugt, das Verfahren in eigenem Namen zu betreiben, §§ 56 Abs 2 Satz 1 i.V.m. Abs 1 Satz 1, 55 Abs 1 Satz 1 RVG.
Der Wert des Beschwerdegegenstands beträgt EUR 321,30 und übersteigt damit den Grenzwert von EUR 200, §§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 3 Satz 1 RVG. Maßgeblich für die Bestimmung dieses Wertes ist die formelle Beschwer, also die Differenz zwischen beantragter und festgesetzter
aus der Staatskasse zu gewährender (Gesamt-)Vergütung. Der Erinnerungsführer hält eine Gesamtvergütung von EUR 1.297,10 für
berechtigt, das SG hat die Gebühren auf EUR 975,80 festgesetzt. Die Differenz beträgt EUR 321,30.
II. Die Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht hat das SG die Erinnerung zurückgewiesen. Denn eine Terminsgebühr ist nicht angefallen, §§ 14 Abs 1, 3 Abs 1 Satz 1 RVG i.V.m. mit Abs III der Amtlichen Vorbemerkung 3 zu Teil 3, Nrn 3104 und 3106 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis - VV).
Der Vergütungsanspruch des Erinnerungsführers als im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordnetem Rechtsanwalt ergibt sich dem
Grunde nach aus §§ 45 Abs 1, 48 Abs 1 RVG und bestimmt sich in der Höhe nach §§ 14 Abs 1, 3 Abs 1, 2 Abs 2 S 1 RVG i.V.m. dem VV. Dieser Vergütungsanspruch umfasst hier nicht die - allein streitige - Terminsgebühr, Abs III der Amtlichen
Vorbemerkung 3 zu Teil 3, Nrn 3106 i.V.m. 3104 VV.
Es liegt weder einer der in den Nrn 3104 und 3106 VV geregelten Sondertatbestände noch einer der allgemeinen Tatbestände des
Abs III der Amtlichen Vorbemerkung 3 zu Teil 3 VV vor. Insbesondere - nur dies bedarf näherer Ausführungen - liegen die Voraussetzungen
der Nr 3106 S 1 Ziffer 1 VV nicht vor.
Nach dieser Vorschrift entsteht die Terminsgebühr, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,
[ ] ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird.
Ein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr 3106 Satz1 Nr 1 2. Alternative VV ist nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik
und Zweck der Regelung (nur) ein durch konstitutive Mitwirkung des Gerichts zustande gekommener Vergleich, der eo ipso (also
ohne zusätzliche prozessuale Erklärung) das Verfahren - im Umfange der getroffenen Regelungen - beendet (§
101 Sozialgerichtsgesetz-
SGG), und als Vollstreckungstitel (vgl §
199 Abs
1 Nr
3 SGG) dient (so im Ergebnis auch BayLSG, Beschl v 16.12.2016, Aktenzeichen (Az) L 15 SF 63/15; LSG NRW, Beschl v 4.1.2016, Az L 10 SB 57/15; LSG NRW, Beschl v 11.3.2015, Az L 9 AL 277/14 B; LSG NRW, Beschl v 5.1.2015, Az L 19 AS 1350/14 B, alle mwN). Der Senat nimmt zur Begründung zur Vermeidung unnötige Wiederholungen auf diese, den Beteiligten bereits bekannten
Entscheidungen Bezug (s insbesondere LSG NRW Beschl v 11.3.2015, Az L 9 AL 277/14 B, Rdnrn 19-23 mwN, zitiert nach [...]).
Ein schriftlicher Vergleich im Sinne von Nr 3106 Satz1 Nr 1 2. Alternative VV ist damit - entsprechend der Doppelnatur eines
Prozessvergleichs - immer auch ein Vergleich, der prozessrechtlich das Verfahren im Hinblick auf den geregelten Streitgegenstand
erledigt und dadurch die streitige Gebühr auslöst. Die Beteiligten haben vorliegend keinen schriftlichen Vergleich in diesem
Sinne geschlossen. Das Verfahren ist in der Hauptsache nicht durch einen schriftlichen (Prozess-)Vergleich, sondern durch
übereinstimmende Erledigterklärungen beendet worden. Nach §
101 Abs
1 Satz 1
SGG können die Beteiligten einen schriftlichen Vergleich zur (teilweisen oder vollständigen) Erledigung zur Niederschrift des
Gerichts oder des Vorsitzenden oder des beauftragten oder ersuchten Richters schließen [ ]. Gemäß §
101 Abs
1 S 2
SGG ist dies seit dem 25.10.2013 (Art 7 Nr 9 des Gesetz zur Neuordnung der bundesunmittelbaren Unfallkassen, des
SGG und zur Änderung anderer Gesetze - BUK-NOG - v 19.10.2013, BGBl I, S 3836ff) auch dadurch möglich, dass die Beteiligten einen
in der Form eines Beschlusses ergangenen Vorschlag des Gerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters schriftlich gegenüber
dem Gericht annehmen.
Die Beteiligten haben vorliegend einen derartigen Vergleich erkennbar nicht geschlossen. Sie mögen zwar materiell-rechtlich
einen wechselseitig verpflichtenden Vergleichsvertrag (vgl § 54 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch) geschlossen haben, prozessual
aber haben Sie einen verfahrensbeendenden Vergleich (Prozessvergleich) im Sinne des
SGG - also unter Beteiligung des Gerichts - gerade nicht geschlossen. Im Kern ist die Verfahrenssituation die gleiche, wenn sich
die Beteiligten außergerichtlich einigen und dem erkennenden Gericht lediglich mitteilen, sie hätten sich außergerichtlich
geeinigt und erklärten das Verfahren deshalb übereinstimmend für erledigt. Folgerichtig enthält der Vergleichsvorschlag der
Beklagten - zutreffend - unter 4. eine auf diese prozessuale Situation abzielende Erledigterklärung. Diese hat die Klägerin
mit der Annahme des Vergleichsangebots abgegeben. Gleichzeitig hat sie die gleiche Erklärung nochmals ausdrücklich abgegeben.
Dies spricht dafür, dass ihr die Erforderlichkeit einer solchen Erklärung zur Beendigung des Rechtsstreits durchaus bewusst
war.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs 2 Sätze 2 und 3 RVG.
IV. Diese Entscheidung ist durch den Berichterstatter als Einzelrichter zu treffen (§§ 56 Abs 2 Satz 1, 33 Abs 8 Satz 1 RVG). Auch wenn das
SGG den "Einzelrichter" nicht ausdrücklich erwähnt, zeigt §
155 SGG, dass der Berichterstatter als Einzelrichter fungiert. Hier wie dort wird dem Bedürfnis Rechnung getragenen, in geeigneten
Fällen das Kollegialgericht zu entlasten.