Unbegründetheit der Beschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung des Erlasses einer einstweiligen Anordnung
Zumutbarkeit des Abwartens des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens im Rechtsstreit über die Versorgung eines Versicherten in
der gesetzlichen Krankenversicherung mit dem Bewegungstrainer MOTOmed Viva 2 als Hilfsmittel
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt erneut im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin,
ihn mit dem Bewegungstrainer MOTOmed Viva 2 zu versorgen. Das bereits im Jahre 2018 durchgeführte Verfahren blieb ohne Erfolg
(rechtskräftiger Beschluss des Senats vom 5. Oktober 2018 - L 5 KR 168/18 B ER).
Der 1960 geborene Antragsteller leidet u. a. an einem Post-Polio-Syndrom und bezieht seit Juni 2016 eine Erwerbsunfähigkeitsrente.
Vom 11. Oktober bis 16. November 2016 nahm er an einer stationären Rehabilitationsmaßnahme in der klinik teil und befand sich
vom 14. bis 21. März 2017 in stationärer Behandlung im K Klinikum KA. Dort führte der Antragsteller auch Übungen mit dem streitgegenständlichen
Bewegungstrainer durch. Unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung vom 21. März 2017 und einem Kostenvoranschlag über 4.065,44
EUR beantragte er bei der Antragsgegnerin am 12. April 2017 die Versorgung mit dem MOTOmed und legte zur Begründung Berichte
der klinik und der K Klinik vor. Die Antragsgegnerin lehnte eine Versorgung mit Bescheid vom 30. Mai 2017 ab und wies den
hiergegen erhobenen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. Juli 2018 zurück. Hiergegen erhob der Antragsteller am 3.
August 2018 Klage beim Sozialgericht Lübeck (S 5 KR 487/18) mit der Begründung, dass ihm ein Training auf dem Laufband nicht möglich sei, da er auf Gehstützen angewiesen sei. Die Antragsgegnerin
ist der Auffassung, dass der Antragsteller gleichwohl Übungen mit einem Ergometer durchführen könne, da es auch für Menschen,
die, wie der Kläger, über zwei Meter groß seien, entsprechende Geräte gebe. Zu einer Versorgung mit einem solchen Gerät sei
sie jedoch nicht verpflichtet, da es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Nach der erfolglosen Durchführung des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens hat der Antragsteller am 28. Januar 2019 erneut
die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Versorgung mit dem streitgegenständlichen Gerät im Wege der einstweiligen Anordnung
beim Sozialgericht Lübeck mit der Begründung beantragt, dass das Sozialgericht trotz Ankündigung die Einholung eines Sachverständigengutachtens
bisher nicht angeordnet habe. Nach dem Bericht über die zwischenzeitlich durchgeführte Erprobung des Hilfsmittels vom 5. September
bis 4. Oktober 2018 seien negative Nebenwirkungen nicht aufgetreten.
Nachdem das Sozialgericht dem Antragsteller mitgeteilt hatte, dass am 4. Februar 2019 ein Gutachtenauftrag an den Sachverständigen
Dr. E erteilt worden sei, hat sich der Antragsteller zunächst damit einverstanden erklärt, das Verfahren bis zum Vorliegen
des schriftlichen Sachverständigengutachtens ruhend zu stellen. Dieses Einverständnis hat er später wieder zurückgenommen.
Er rege an, einen Gutachter auf neurologischem Fachgebiet zu beauftragen. Außerdem sei bekannt, dass Dr. E Gutachten nur mit
mehrmonatiger Bearbeitungszeit erstellen könne.
Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 15. April 2019 den Antrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:
"Nach summarischer Prüfung ist bereits ein Anordnungsgrund im Sinne einer besonderen Eilbedürftigkeit zu verneinen. Der Antragsteller
leidet unter einem Post-Polio-Syndrom. Es bestehen Zustände nach Poliomyelitis acuta anterior, nach Achillessehnentenotomie,
nach medialer Tibiakopffraktur, Depressionen und Polyneuropathie. Die neurodegenerative Erkrankung ist chronisch progredient.
Der Antragsteller hat einen Grad der Behinderung von 70 sowie das Merkzeichen G. Dem Antragsteller ist es zuzumuten, den Ausgang
des Hauptsacheverfahrens, in dem bereits am 4.2.2019 ein Gutachten in Auftrag gegeben worden ist, abzuwarten. In der Zwischenzeit
können Heilmittel und Funktionstraining zur Gangschulung, Krankengymnastik und physiotherapeutische Behandlungen in Anspruch
genommen werden. Anhaltspunkte dafür, dass eine extreme Notlage, die eine Vorwegnahme der Hauptsache trotz bereits in Auftrag
gegebenen Gutachtens rechtfertigen würde, bestehen nicht. Außerdem hat der Antragsteller vorgetragen, dass er über Ersparnisse
verfügt. Deren konkrete Höhe ist jedoch nicht mitgeteilt worden, so dass nicht beurteilt werden kann, ob der Antragsteller
in der Lage wäre, sich das begehrte Gerät zunächst auf eigene Kosten zu beschaffen.
Auch ist ein Obsiegen in der Hauptsache nicht überwiegend wahrscheinlich. Vielmehr ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens
offen. Nach §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln, wenn
sie erstens nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens oder nach §
34 Abs.
4 SGB V aus der GKV (Gesetzliche Krankenversicherung)-Versorgung ausgeschlossen und zweitens im Einzelfall erforderlich sind, um
den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen.
Eine Aufnahme im Hilfsmittelverzeichnis ist für den Versorgungsanspruch ebenso wenig Leistungsvoraussetzung wie ausreichend,
einen Leistungsanspruch zu begründen. Der Antragsteller hat in diesem Rahmen Anspruch auf ein geeignetes und erforderliches
Hilfsmittel, soweit dieses nicht aus rechtlichen Gründen von der Versorgung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung
ausgeschlossen ist.
Ob eine Versorgung mit dem vom Antragsteller begehrten Bewegungstrainer das Maß der Erforderlichkeit überschreiten würde,
wird das Gutachten des Sachverständigen zeigen. Bei der sich bereits aus §
33 Abs.
1 Satz 1
SGB V ergebenden Voraussetzung der Erforderlichkeit ist das allgemeine Wirtschaftlichkeitsgebot nach §
12 SGB V als Maßstab zugrunde zu legen. Dies führt dazu, dass ein Produkt nur dann zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
erbracht werden darf, wenn es über einen entsprechenden (medizinischen) Zusatznutzen verfügt.
Es wird darauf abzustellen sein, ob der vom Antragsteller begehrte Bewegungstrainer einen wesentlichen Gebrauchsvorteil bietet,
der der Erreichung des wesentlichen Ziels der Hilfsmittelversorgung dient. Hinsichtlich der Funktionalität unterscheidet sich
der Bewegungstrainer lediglich in drei Punkten von einem handelsüblichen Fahrradergometer mit Motorunterstützung (das als
Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens nicht von der Antragsgegnerin zu bezahlen wäre): Er beinhaltet eine Anti-Spasmen-Schaltung,
er ist in der Lage, eine motorgetriebene Fremdbewegung der Beine durchzuführen, und er verfügt nicht über einen Sattel, sondern
ist im Sitzen aus einem Stuhl oder Rollstuhl zu bedienen. Ob diese Funktionen für den Antragsteller tatsächlich erforderlich
sind, wird das Sachverständigengutachten klären."
Gegen den Beschluss richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 26. April, die er am 24. Mai 2019 damit begründet,
dass mit der Erstellung eines Gutachtens durch Dr. E zeitnah nicht zu rechnen sei, da er noch keinen Termin zur Vorstellung
erhalten habe. Zudem bestünden die bereits genannten fachlichen Vorbehalte gegen den Orthopäden Dr. E. Er habe zusammen mit
seiner Ehefrau nur geringe Ersparnisse von 9.872,98 EUR auf einem gemeinsamen Konto. Angesichts der Kosten des streitgegenständlichen
Hilfsmittels sei ihm die Anschaffung auf eigene Kosten und Risiken vor diesem wirtschaftlichen Hintergrund nicht zumutbar.
Für ihn gebe es keine Therapiealternativen.
Die Antragsgegnerin ist der Auffassung, dass die Beschwerde unbegründet sei. Mit Beweisanordnung vom 4. Februar 2019 sei ein
Sachverständigengutachten beauftragt worden. Die dahingehende körperliche Untersuchung des Antragstellers sei für den 18.
Juli 2019 vorgesehen. Daher verspreche die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Sozialgericht in dem angefochtenen
Beschluss den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung abgelehnt.
Das Sozialgericht hat dabei die Voraussetzungen der einstweiligen Anordnung nach §
86b Abs.
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG), die hierfür maßgebende Vorschrift, zutreffend benannt, nämlich den Anordnungsgrund im Sinne der besonderen Eilbedürftigkeit
und den Anordnungsanspruch im Sinne einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des geltend gemachten Anspruchs. Beide Voraussetzungen
müssen, jede für sich, vorliegen.
Dem Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz fehlt es weiterhin an der notwendigen Voraussetzung des Anordnungsgrundes im Sinne
der besonderen Eilbedürftigkeit der Sache. Ein solcher ist nur dann gegeben, wenn ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung
unzumutbare, nicht wieder gut zu machende Nachteile drohen. Allein das Bestehen eines Anspruchs berechtigt nicht dazu, einstweiligen
Rechtsschutz zu erhalten. Dafür ist vielmehr das Hauptsacheverfahren der vorgeschriebene Rechtsweg. Das einstweilige Rechtsschutzverfahren
dient nicht dazu, ohne diesen besonderen Grund eine vorläufige Entscheidung vor dem Abschluss des Hauptsacheverfahrens zu
erhalten. Und ein solcher Grund liegt derzeit nicht vor.
Zutreffend hält es das Sozialgericht für zumutbar, den Ausgang des Hauptsacheverfahrens, in dem am 4. Februar 2019 ein Gutachten
in Auftrag gegeben wurde, abzuwarten. Zwar trifft es zu, dass, wie auch das Hauptsacheverfahren hier zeigt, Gutachten häufig
nicht innerhalb weniger Wochen bzw. weniger Monate in Gerichtsverfahren erstellt werden. Auch im vorliegenden Verfahren kommt
es zu einer solchen zeitlichen Verzögerung. Vor dem Hintergrund, dass der Auftrag am 4. Februar 2019 erstellt wurde und eine
Untersuchung im Juli 2019 erfolgt, ist mit einer Erstellung nunmehr im Sommer bzw. Spätsommer zu rechnen. Vor dem Hintergrund,
dass die Verordnung bereits mehr als zwei Jahre zurückliegt, ist es aber auch nach Ansicht des Senats dem Antragsteller zuzumuten,
diesen Zeitraum abzuwarten. Hinzu kommt, dass aktuelle ärztliche Befunde zum Gesundheitszustand des Antragstellers nicht vorliegen,
mit solchen jedoch durch das in Auftrag gegebene Gutachten zu rechnen ist. Daran ändert auch nichts, dass mit Dr. E ein Orthopäde
mit der Begutachtung beauftragt wurde, da nach dem von dem Antragsteller vorgelegten Bericht des Physiotherapeuten W vom 18.
März 2019 der Einsatz des streitigen Hilfsmittels dem Erhalt der noch vorhandenen Gelenkbeweglichkeit und Kraft dienen soll.
An einem Anordnungsgrund fehlt es auch deshalb, weil der Antragsteller finanziell in der Lage ist, dass streitige Hilfsmittel
zu erwerben oder zu mieten, um den begehrten Erfolg der Versorgung mit dem MOTOmed zeitnah vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens
zu erhalten. Besteht nämlich eine solche Möglichkeit, dann droht auch ohne die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht
die Schaffung vollendeter Tatsachen. In diesem Zusammenhang können auch die wirtschaftlichen Verhältnisse unterhaltspflichtiger
Familienmitglieder berücksichtigt werden (Beschluss des Senats vom 13. Juli 2016 - L 5 KR 107/16 B ER; Bayrisches LSG, Beschluss vom 6. Mai 2009 - L 16 B 1095/08 ER; Thüringer LSG, Beschluss vom 26. November 2015 - L 6 KR 1266/15 B ER). Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist der Einsatz des eigenen Vermögens auch zumutbar. Erweist sich nämlich
der geltend gemachte Anspruch im Hauptsacheverfahren als begründet, wird dem Rechtsschutzinteresse des Antragstellers dadurch
entsprochen, dass die Leistung (hier Kostenerstattung der Hilfsmittel) nachträglich erbracht und dadurch die eingesetzten
finanziellen Mittel im Nachhinein ersetzt werden (vgl. den bereits zitierten Beschluss des Senats vom 13. Juli 2016 m. w.
N.). Soweit der Antragsteller den Einsatz des eigenen Vermögens im Hinblick auf das wirtschaftliche Risiko für nicht zumutbar
hält, verkennt er, dass die Antragsgegnerin nach einem für sie erfolgreichen Hauptsacheverfahren berechtigt ist, die im Wege
des einstweiligen Rechtsschutzes gezahlten Leistungen von dem Leistungsempfänger zurückzuverlangen (vgl. Schütz in Plagemann,
Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht §
46 Rz. 112 ff.; Keller in Meyer-Ladewig, Komm. zum
SGG §
86b Rz. 49a).
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG analog.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).