Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des gerichtlichen Eilverfahrens von den Antragsgegnern, ihr einstweilig im Wege der Sachleistung
einen Schulbegleiter zur Verfügung zu stellen.
Die am geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin zu 1. krankenversichert. Sie leidet an Diabetes mellitus Typ I
und besucht seit dem 1. September 2014 die K.-Schule in J. Seit August 2016 besucht sie dort die dritte Klasse. Die Kinderärztin
Dr. W. verordnete ihr zuletzt für den Zeitraum 11. August 2016 bis 30. Juni 2017 unter anderem häusliche Krankenpflege in
Form von 8 Stunden in der Schule als kontinuierliche Beobachtung und Intervention zum Blutzuckerverlauf und zur Vermeidung
sowie zur Behandlung von Hypoglykämien durch subkutane Insulingaben mittels Insulinpumpe.
Unter Vorlage der entsprechenden Folgeverordnung vom 3. Juni 2015 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin zu
1. unter dem 5. Juni 2015 u.a. die Gewährung einer Schulbegleitung. Die Antragsgegnerin zu 1. beauftragte daraufhin den Medizinischen
Dienst der Krankenversicherung Thüringen e.V. (MDK) mit der Erstellung eines sozialmedizinischen Gutachtens nach Aktenlage.
Dieser kam im Gutachten vom 9. Juli 2015 unter Verweis auf ein Vorgutachten vom 26. September 2014 zum Ergebnis, dass beim
der Antragstellerin die Notwendigkeit einer speziellen Krankenbeobachtung gemäß Ziffer 24 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesauschusses
über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege (Häusliche Krankenpflege-Richtlinie - HKP-RL) zur Abwendung eines vital bedrohlichen
Ereignisses nicht bestehe. Begründet sei neben den Maßnahmen der Behandlungspflege eine verstärkte allgemeine Beaufsichtigung,
die jedoch in der HKP-RL nicht definiert sei und durch umfassend geschulte Laien erfolgen könne. Lebensbedrohliche Ereignisse
würden nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit mehrfach täglich eintreten. Nach Vorlage weiterer Unterlagen (u.a. Nachweise über
Blutzuckermessungen, Insulingaben und Mahlzeitenbewertungen im Juni 2015) führte der MDK in seiner Stellungnahme vom 30. Juli
2015 ergänzend aus, die erforderlichen Insulingaben könnten von einem Laien erbracht werden, sofern dieser umfassen geschult
sei. Derzeit erbringe die Integrationshelferin diese Leistungen. Eine Intensivpflegebedürftigkeit im Sinne der HKP-RL könne
nach wie vor nicht bestätigt werden.
Auf eine entsprechende Anfrage teilte der Antragsgegner zu 2., der eine Schulbegleitung im vorausgegangenen Schuljahr 2014/2015
finanziert hatte, der Antragsgegnerin zu 1. mit Schreiben vorn 20. August 2015 mit, dass aus seiner Sicht die Zuständigkeit
der Krankenkasse zur Gewährung der Schulbegleitung gegeben sei.
Mit Bescheid vom 20. August 2015 lehnte die Antragsgegnerin zu 1. daraufhin die Gewährung einer "achtstündigen Krankenbeobachtung
pro Schultag" unter Hinweis auf den MDK ab und verwies insoweit auf die Zuständigkeit des Sozialhilfeträgers im Rahmen der
Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hiergegen legte die Antragstellerin am 27. August 2015 Widerspruch ein.
Gleichzeitig hat sie beim Sozialgericht Gotha (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend beantragt, die beiden Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung
zu verpflichten, die Kosten für die häusliche Krankenpflege auch in Form einer Begleitperson beim Schulbesuch der Antragstellerin
ab dem 24. August 2015 bis zum Vorliegen einer bestands- bzw. rechtskräftigen Entscheidung über den diesbezüglichen Antrag
zu übernehmen. Die Verpflichtung könne auch dadurch erfüllt werden, dass die Anwesenheit eines gemeinsamen Schulbegleiters
für alle an Diabetes mellitus erkrankten Kinder in der Schulklasse der Antragstellerin hergestellt werde. Zur Begründung hat
sie vorgetragen, der Erlass der begehrten Einstweiligen Anordnung sei erforderlich, damit eine weitere Teilnahme am Unterricht
gewährleistet sei. Die notwendige Behandlungspflege umfasse auch die ständige Beobachtung, um jederzeit medizinisch-pflegerisch
eingreifen zu können. Da es sich um einen krankheitsbedingten Bedarf handele, gehe es nicht um eine Hilfe zur Teilhabe am
Leben. Auch könne sie keine in ihrem Haushalt lebende Person im erforderlichen Umfang pflegen und versorgen, da beide Elternteile
berufstätig seien. Ein Anordnungsgrund sei gegeben, da es ohne die Beobachtungen zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen
kommen könne. Dem ist die Antragsgegnerin zu 1. mit der Begründung entgegengetreten, dass nach der Einschätzung des MDK akut
lebensbedrohliche Ereignisse, wie sie in der HKP-RL unter Ziffer 24 definiert seien, nicht auftreten würden. Eine spezielle
Krankenbeobachtung sei deshalb nicht notwendig und auch nicht wirtschaftlich. Für eine allgemeine Krankenbeobachtung sei vielmehr
der Antragsgegner zu 2. als zuständiger Sozialhilfeträger zuständig. Zudem sei das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht
glaubhaft gemacht. Auch der Antragsgender zu 2. ist dem entgegen getreten und hat ausgeführt, dass die Antragstellerin lediglich
Anspruchsgrundlagen des
Fünften Buches Sozialgesetzbuch (
SGB V) anführe, deren Adressat ab nur die Antragsgegnerin zu 1. sei. Auch sei die ständige oder auch nur zeitweise Beobachtung
eines Patienten eine behandlungspflegerische Maßnahme und somit eine Leistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in
Form häuslicher Kranken- bzw. Behandlungspflege.
Mit Beschluss vom 12. November 2015 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Antragstellerin
habe einen Anordnungsanspruch weder gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. noch gegenüber dem Antragsgegner zu 2. glaubhaft gemacht.
Ein Anspruch auf Gewährung eines Schulbegleiters gegenüber der Antragsgegnerin zu 1. komme bereits deshalb nicht in Betracht,
weil im Fall der Antragstellerin eine Schulbegleitung im Rahmen der häuslichen Krankenpflege nicht verordnungsfähig sei. Nach
Ziffer 24 der HKP-RL sei eine spezielle kontinuierliche Beobachtung und Intervention mit den notwendigen medizinisch pflegerischen
Maßnahmen nur dann verordnungsfähig, wenn mit hoher Wahrscheinlichkeit sofortige pflegerische/ärztliche Intervention bei lebensbedrohlichen
Situationen täglich erforderlich ist und nur die genauen Zeitpunkte und das genaue Ausmaß nicht im Voraus bestimmt werden
könnten. Die Verordnungsfähigkeit der Krankenbeobachtung setze daher voraus, dass eine Krankheit vorliegen muss, die täglich
konkret lebensbedrohliche Situationen erwarten lasse und nur der Zeitpunkt und das Ausmaß der lebensbedrohlichen Situation
im Voraus nicht bestimmt werden könnten. Der Diabetes mellitus Typ I zähle nicht zu den Krankheiten, bei denen es täglich
zu konkret lebensbedrohlichen Situationen kommen könne. Auch habe der MDK in mehreren Gutachten ausgeführt, dass die Krankenbeobachtung,
die unter Ziffer 24 der HKP-RL verordnungsfähig sei, eine Intensivpflegebedürftigkeit voraussetze. Eine solche intensive Pflegebedürftigkeit
bestehe im Fall der Antragstellerin nicht. Des Weiteren habe der MDK ausgeführt, dass akut lebensbedrohliche Ereignisse in
diesem Sinne auch nicht zu erwarten seien. Niedrige Blutzuckerwerte könnten erforderlichenfalls mittels Gabe zusätzlicher
Kohlehydrate behoben werden und erhöhte Werte könnten je nach Erfordernis und gemessenen Wert durch die Verabreichung von
zusätzlichem Korrekturinsulin kompensiert werden. Auch gegenüber dem Antragsgegner zu 2. sei ein Anordnungsanspruch nicht
glaubhaft gemacht, da ein Schulbegleiter zwar grundsätzlich als Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zu einer
angemessenen Schulbildung als sonstige Maßnahme nach § 54 Abs. l Nr. 1 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII) i.V.m. § 12 Nr. 1 der Verordnung nach§ 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Eingliederungshilfe-Verordnung) infrage kommen könne. Der Anspruch setze aber notwendigerweise das Vorliegen einer Behinderung im Sinne von §
2 Abs.
1 Satz 1 des
Neunten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB IX) voraus. Eine solche habe die Antragstellerin jedoch nicht glaubhaft gemacht. Entsprechende Nachweise seien trotz Aufforderung
des Gerichts nicht vorgelegt worden.
Gegen den ihren Bevollmächtigten am 20. November 2015 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 11. Dezember 2015
Beschwerde eingelegt und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, dass ausweislich des mit der Beschwerdebegründung vorgelegten
Schwerbehindertenbescheides eine Anerkennung einer Behinderung unzweifelhaft vorliege. Das bei ihr notwendige kontinuierliche
Diabetesmanagement könne weder im Schulunterricht noch im Hortbereich durchgeführt werden, da eine hinreichend qualifizierte
und engmaschige Behandlungspflege im Rahmen schulischer Personalressourcen nicht geleistet werden könne. Alternativ stehe
ihr ein Anspruch gegen die Antragsgegnerin zu 2. zu, das ihr mit ihrer Behinderung Leistungen zur Eingliederungshilfe als
Hilfe einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zustünden. Ihr gesundheitlicher Zustand und die
Notwendigkeit der Beobachtung hätten sich seit 2014 nicht geändert. Für das Schuljahr 2015/2016 sei die Schulbegleitung mittels
Integrationshelfer auf Kosten ihrer Eltern weitergeführt worden. Inzwischen könnten die monatlichen Kosten in Höhe von über
2.600,- Euro nicht mehr durch ihre Eltern getragen werden, da deren Nettoeinkommen monatlich ca. 3500,- Euro betrage. Seit
dem Schuljahr 2016/2017 erfolge deshalb die Schulbegleitung nur durch den dauerhaften telefonischen Kontakt zwischen der Schule
und ihren Eltern mit gegebenenfalls erforderlicher persönlicher Intervention durch ihren Vater, der hierfür jeweils seinen
Arbeitsplatz verlassen müsse. Sie hat einen Bescheid der Antragsgegnerin zu 2. vom 7. Oktober 2011 über die Feststellung eines
Grades der Behinderung (GdB) von 50, Beobachtungs-/Leistungsprotokolle bezüglich der täglichen Blutzuckermessungen und Insulingaben
im ehemaligen Bewilligungszeitraum vom 20 Oktober 2014 bis 10. Juli 2015 sowie eingetretener bedrohlicher Situationen, bei
denen eine sofortige Abschaltung der Insulinpumpe wegen drohender Hypoglykämie erforderlich gewesen sei, Einkommensnachweise
ihrer Eltern sowie Rechnungen des Arbeiter-Samariter-Bundes und ein Aufstellung der Übernahme der Schulbegleitung durch den
Vater und sonstiger Interventionen im Zeitraum von August bis Dezember 2016 übersandt.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
den Beschluss des Sozialgerichts Gotha vom 12. November 2015 aufzuheben und die Antragsgegnerin zu 1. im Wege der einstweiligen
Anordnung zu verpflichten, ihr einstweilen bis zum Ablauf des aktuellen Verordnungszeitraumes am 30. Juni 2017, längstens
jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, häusliche Krankenpflege an Schultagen im Umfang von
8 Stunden täglich während ihres Aufenthalts in der Schule in Form kontinuierlicher Beobachtung und Intervention beim Blutzuckerverlauf
und zur Vermeidung sowie zur Behandlung von Hypoglykämien durch subkutane Insulingaben mittels Insulinpumpe als Sachleistung
zu gewähren,
hilfsweise den Antragsgegner zu 2. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, einstweilen bis zum Ablauf des aktuellen
Verordnungszeitraumes am 30. Juni 2017, längstens jedoch bis zum Eintritt der Rechtskraft einer Hauptsacheentscheidung, die
Kosten für eine medizinisch geschulte Schulbegleitung an Schultagen im Umfang von 8 Stunden täglich während ihres Aufenthalts
in der Schule zum Zwecke kontinuierlicher Beobachtung und Intervention zum Blutzuckerverlauf und zur Vermeidung sowie zur
Behandlung von Hypoglykämien durch subkutane Insulingaben mittels Insulinpumpe zu übernehmen. Die Verpflichtung kann auch
dadurch erfüllt werden, dass in der Schulklasse der Antragstellerin eine gemeinsame, medizinisch geschulte Fachkraft für alle
an Diabetes mellitus erkrankten Mitschüler anwesend ist.
Die Antragsgegner zu 1. und 2. beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Zur Begründung verweist die Antragsgegnerin zu 1. auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des SG und die Ausführungen des MDK in dessen sozialmedizinischen Stellungnahmen. Ergänzend trägt sie vor, es fänden sich bislang
keine Hinweise auf ein lebensbedrohliches Ereignis, das mit hoher Wahrscheinlichkeit eine sofortige pflegerische oder ärztliche
Intervention erfordert hätte. Sie sei daher nur verpflichtet, punktuelle Leistungen zur Verfügung zu stellen, wohingegen eine
allgemeine Betreuung über 8 Stunden täglich nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle. Zudem bestätige der MDK, dass die
Leistungen auch von einem Laien nach entsprechender Schulung erbracht werden könnten. Diese Voraussetzungen seien bei der
Integrationshelferin, die die Antragstellerin während der Schulzeit begleitet habe, erfüllt. Im Gutachten vom 17. Februar
2016 habe der MDK anhand der vorgelegten Protokolle festgestellt, dass keine Notwendigkeit einer achtstündigen Versorgung
der Antragstellerin im Sinne einer speziellen Krankenbeobachtung bestehe. Bestätigt werde lediglich die medizinische Notwendigkeit
einer ständigen Beobachtung der gesundheitlichen Situation. Sie legt außerdem das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom
17. Februar 2016 vor.
Der Antragsgegner zu 2. verweist ebenfalls auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses des SG und macht zur Begründung ergänzend geltend, dass zwar die Anspruchsvoraussetzungen der Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII dem Grunde nach vorlägen, der Sozialhilfeträger jedoch lediglich Dienstleistungen und Maßnahmen zu erbringen habe, die im
Einzelfall erforderlich seien, damit der Mensch mit Behinderung das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen könne.
Unter Berücksichtigung des Nachranggrundsatzes kämen Hilfen nur dann in Betracht, wenn sie durch das innerschulische Leistungsangebot
nicht gedeckt und auch nicht von anderen vorrangig verpflichteten Leistungsträgern zu erbringen seien. Der Bedarf der Antragstellerin
sei nicht schulgebunden, sondern krankheitsbedingt, da er in gleicher Weise bestünde, wenn sie sich an einem anderen Ort als
in der Schule aufhielte. Es handele sich bei ihr um eine Hilfeleistung in Form der Krisenintervention bzw. der Beobachtung
des jeweiligen Krankenstandes und somit um eine notwendige Maßnahme der Behandlungssicherungspflege gemäß §
37 SGB V. Auch die allgemeine Krankenbeobachtung stelle eine Leistung der häuslichen Krankenpflege dar, selbst wenn sie nicht speziell
in den HKP-RL aufgeführt sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden
einstweiligen Rechtsschutzverfahrens sowie der beigezogenen Behördenakte Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde ist nach §
172 Abs.
1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) zulässig und im tenorierten Umfang auch begründet. Das SG hat im angefochtenen Beschluss zu Unrecht entschieden, dass die Antragstellerin keinen Anspruch gegen die Antragsgegner auf
Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung hat.
Nach §
86b Abs.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Satz 2, sog. Regelungsanordnung). Die §§
920,
921,
923,
926,
928 bis
932,
938,
939 und
945 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) gelten entsprechend (Satz 4).
Ein Anordnungsantrag ist begründet, wenn das Gericht auf Grund einer hinreichenden Tatsachenbasis durch Glaubhaftmachung (§
86b Satz 4
SGG i. V. m. §§
920 Abs.
2,
294 Abs.
1 ZPO) und/oder im Wege der Amtsermittlung (§
103 SGG) einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund bejahen kann. Ein Anordnungsanspruch liegt vor, wenn das im Hauptsacheverfahren
fragliche materielle Recht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegeben ist. Ein Anordnungsgrund ist zu bejahen, wenn es für
den Antragsteller unzumutbar erscheint, auf den (rechtskräftigen) Abschluss des Hauptsacheverfahrens verwiesen zu werden.
Bei Auslegung und Anwendung des §
86b Abs.
2 SGG sind das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art.
19 Abs.
4 des
Grundgesetzes (
GG)) und die Pflicht zum Schutz betroffener Grundrechte zu beachten, namentlich dann, wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass
eine Versagung vorläufigen Rechtsschutzes Grundrechte des Antragstellers erheblich, über den Randbereich hinaus und womöglich
in nicht wieder gut zu machender Weise verletzen könnte. Ferner muss das Gericht ggfs. auch im Sinne einer Folgenabwägung
bedenken, zu welchen Konsequenzen für die Beteiligten die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes bei späterem Misserfolg des
Antragstellers im Hauptsacheverfahren einerseits gegenüber der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes bei nachfolgendem Obsiegen
in der Hauptsache andererseits führen würde. Schließlich kann im Wege einstweiligen Rechtsschutzes grundsätzlich nur eine
vorläufige Regelung getroffen und dem Antragsteller daher nicht schon in vollem Umfang, und sei es nur für eine vorübergehende
Zeit, gewährt werden, was er nur im Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Auch in solchen Fällen ist aber der Erlass einer
einstweiligen Anordnung möglich, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art.
19 Abs.
4 GG) geboten ist (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Auflage 2014, §
86b Rdnr. 31 m.w.N.).
Davon ausgehend ist die Antragsgegnerin zu 1. im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin vorläufig
(bis zum Ablauf des aktuellen Verordnungszeitraumes am 30. Juni 2017) häusliche Krankenpflege (Krankenbeobachtung) im Umfang
von 8 Stunden schultäglich als Sachleistung zu gewähren.
Das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, also der besonderen Dringlichkeit einer vorläufigen Regelung, ist unter den Beteiligten
nicht (mehr) streitig, nachdem nunmehr auch die Antragsgegnerin zu 1. aufgrund des MDK-Gutachtens vom 17. Februar 2016 die
Notwendigkeit einer ständigen Beobachtung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin eingeräumt hat. Auch können die
Eltern der Antragstellerin die Kosten für die notwendigen Beaufsichtigung bzw. Beobachtung nicht mehr aufbringen. Dies ergibt
sich aus der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Einkommenssituation der Eltern. Der Umstand, dass im laufenden Schuljahr
2016/2017 die Beobachtung der Antragstellerin während der Schulzeit nur im Wege des Telefonkontakts zwischen der Schule und
dem Vater der Antragstellerin mit der Möglichkeit der jeweils kurzfristig zu realisierenden Anwesenheit des Vaters im Falle
der Notwendigkeit einer Intervention erfolgt, spricht nicht gegen das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, da dies allein den
fehlenden finanziellen Mitteln der Eltern der Antragstellerin geschuldet ist, eine ständige Anwesenheit einer entsprechend
ausgebildete Begleitperson bezahlen zu können. Selbst der MDK geht in seinem Gutachten vom 17. Februar 2016 von der Notwendigkeit
einer ständigen Beobachtung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin aus, so dass die derzeitige Situation als unzureichend
beurteilt werden muss. Eine Notfallintervention des jeweils anwesenden Lehrers kommt jedenfalls mangels entsprechender Schulung
nicht in Betracht.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zu 1. hat die Antragstellerin auch einen Anordnungsanspruch für den Erlass der
begehrten einstweiligen Anordnung hinreichend glaubhaft gemacht. So erhalten Versicherte nach §
37 Abs.
2 Satz 1 Halbsatz 1
SGB V in ihrem Haushalt, ihrer Familie oder sonst an einem geeigneten Ort als häusliche Krankenpflege Behandlungspflege, wenn sie
zur Sicherung des Ziels der ärztlichen Behandlung erforderlich ist (sog. Behandlungssicherungspflege). Der krankenversicherungsrechtliche
Anspruch auf häusliche Krankenpflege in Form der Behandlungssicherungspflege besteht neben dem Anspruch auf Leistungen bei
häuslicher Pflege aus der sozialen Pflegeversicherung (vgl. §
13 Abs.
2 SGB XI). Zur Behandlungssicherungspflege gehören alle Pflegemaßnahmen, die durch eine bestimmte Krankheit verursacht werden, speziell
auf den Krankheitszustand des Versicherten ausgerichtet sind und dazu beitragen, die Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu verhindern oder zu lindern, wobei diese Maßnahmen typischerweise nicht von einem
Arzt, sondern von Vertretern medizinischer Hilfsberufe oder auch von Laien erbracht werden (sog. krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen).
Die Hilfeleistungen umfassen Maßnahmen verschiedenster Art, wie z.B. Injektionen, Verbandwechsel, Katheterisierung, Einläufe,
Spülungen, Einreibungen, Dekubitusversorgung, Krisenintervention, Feststellung und Beobachtung des jeweiligen Krankenstandes
und der Krankheitsentwicklung, die Sicherung notwendiger Arztbesuche, die Medikamentengabe sowie die Kontrolle der Wirkungen
und Nebenwirkungen von Medikamenten. Sowohl die Kriseninterventionen, als auch die Beobachtung eines Versicherten - ggf. "rund
um die Uhr" - durch eine medizinische Fachkraft werden grundsätzlich von dem Anspruch auf Behandlungssicherungspflege erfasst,
wenn die medizinische Fachkraft wegen der Gefahr von ggfs. lebensgefährdenden Komplikationen jederzeit einsatzbereit sein
muss (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 2005 - Az.: B 3 KR 38/04 R Rdnrn. 14ff., nach juris). Ein nach Maßgabe des Gesetzesrechts in §
37 Abs.
2 SGB V bestehender Leistungsanspruch kann durch möglicherweise entgegenstehendes Richtlinienrecht nicht eingeschränkt oder ausgeschlossen
werden. Zwar handelt es sich bei den Richtlinien nach §
92 Abs.
1 SGB V (hier: die HKP-RL) um untergesetzliche Normen, die grundsätzlich auch innerhalb des Leistungsrechts zu beachten sind, sie
verstoßen aber gegen höherrangiges Recht, soweit sie einen Ausschluss der im Einzelfall gebotenen Krankenbeobachtung aus dem
Katalog der verordnungsfähigen Leistungen enthalten. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) ermächtigt ist,
den Begriff der Krankheit in §
27 Abs.
1 SGB V hinsichtlich seines Inhalts und seiner Grenzen zu bestimmen, ist er befugt, medizinisch notwendige Maßnahmen von der häuslichen
Krankenpflege auszunehmen. Die HKP-Richtlinien binden die Gerichte insoweit nicht (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 2005, a.a.O., Rdnr. 19).
In Anwendung dieser Grundsätze hält es der Senat für überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin
zu 1. einen Sachleistungsanspruch auf die Gewährung der begehrten häuslichen Krankenpflege in Form der Krankenbeobachtung
während des Schulbesuches hat. Es kann hier nämlich zum einen dahinstehen, ob die von der Antragstellerin beantragte Krankenbeobachtung
mit Intervention als allgemeine oder spezielle Krankenbeobachtung zu werten ist, da nach den obigen Ausführungen jedenfalls
die Regelungen der HKP-RL dem Anspruch der Antragstellerin nicht entgegengehalten werden können. Maßgebend ist vielmehr, ob
die ständige Beobachtung der gesundheitlichen Situation der Antragstellerin, deren Notwendigkeit auch durch die Antragsgegnerin
zu 1. aufgrund der gutachtlichen Feststellungen des MDK inzwischen anerkannt hat, durch eine medizinische Fachkraft wegen
der Gefahr von ggfs. lebensgefährdenden Komplikationen und die hierdurch erforderliche Möglichkeit der jederzeitigen Intervention
erfolgen muss. Dies sieht der Senat im Falle der Antragstellerin entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin zu 1. aus folgenden
Erwägungen als sehr wahrscheinlich an:
Zum einen hat das BSG inzwischen entschieden, dass für das Verabreichen von Insulininjektionen regelmäßig medizinisches Fachpersonal erforderlich
ist (vgl. Beschluss vom 16. März 2017 - Az.: B 3 KR 43/16 B, Rdnr. 14 sowie Urteil vom 22. April 2015 - Az.: B 3 KR 16/14 R, Rdnr. 41, jeweils nach juris). Aber auch die Notwendigkeit der jederzeitigen Interventionsmöglichkeit erachtet der Senat
als gegeben. Dies ergibt sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit aus den von der Antragstellerin vorgelegten Dokumentationen.
Danach gab es in der Vergangenheit regelmäßig Situationen, in denen durch den anwesenden Pflegedienst eine Intervention im
Sinne der Insulingabe und der Mahlzeitenbewertung, aber auch diverse Situationen in denen die sofortige Abschaltung der Insulinpumpe
erforderlich war. Auch im laufenden Schuljahr hat sich etliche Male die Notwendigkeit des Eingriffs in das Diabetesmanagements
seitens des von der Schule alarmierten Vaters der Antragstellerin ergeben. Zusammenfassend kommt der Senat daher zur Überzeugung,
dass die Antragsgegnerin zu 1. der Antragstellerin eine ständige Beobachtung während des Schulbesuchs durch eine medizinische
Fachkraft als Sachleistung zur Verfügung zu stellen hat.
Schließlich verweist der Senat auch auf den Vorrang der Sicherungspflege gemäß §
37 Abs.
2 SGB V vor Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53, 54 SGB XII, der zutreffend mit der Subsidiarität der Sozialhilfeleistung begründet wird (vgl. BSG, Urteile vom 21. November 2002 - Az.: B 3 KR 13/02 R und vom 19. Mai 2009 - Az.: B 8 SO 32/07 R, jeweils nach juris). Dahinstehen kann daher letztlich, ob die Antragsgegnerin
zu 1. bereits nach §
43 Abs.
1 des
Ersten Buches Sozialgesetzbuch (
SGB I) auch zur Erbringung vorläufiger Leistungen verpflichtet wäre, nachdem sie hinsichtlich des den vorliegenden Rechtsstreit
auslösenden Antrags vom 3. Juni 2015 erstangegangener Leistungsträger ist. Nachdem bereits der Hauptantrag der Antragstellerin
Erfolg hat, braucht der Senat über ihren Hilfsantrag nicht mehr zu entscheiden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG in entsprechender Anwendung.
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).