LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.08.2021 - 5 KR 2097/20
Die Feststellung einer Zahlungspflicht ohne zugrundeliegenden Vertrag oder Ergänzung eines Vertrags ist kein zulässiger Regelungsinhalt
eines Schiedsspruchs nach § 132a Abs. 2 SGB V (in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung, seither § 132a Abs. 4 SGB V). Fehlt die Regelung grundsätzlicher Fragen - ist also nicht nur eine Vertragsergänzung erforderlich - muss Gegenstand der
Verträge nach § 132a Abs. 2 Satz 1 a.F. notwendigerweise mehr als nur die Festlegung von Einzelheiten sein. Gegen den rückwirkenden
Abschluss eines Versorgungsvertrags bestehen keine Bedenken.
Vorinstanzen: SG Stuttgart 02.06.2020 S 18 KR 4297/16
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.06.2020 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 20.396,25 € festgesetzt.
Entscheidungstext anzeigen:
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung der Unwirksamkeit eines Schiedsspruchs im Bereich der häuslichen Krankenpflege
nach § 132a Fünftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB V), mit dem die Vergütung wegen Dauerbeatmung einer Versicherten der Klägerin festgesetzt wurde, streitig.
Die Beklagte ist Mitglied im Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste e.V. und betreibt im Landkreis E eine vollstationäre
Pflegeeinrichtung in K. Hierbei handelt es sich um eine zugelassene Pflegeeinrichtung im Sinne von § 43 Elftes Buch Sozialgesetzbuch ( SGB XI). Zu den Leistungen zählen unter anderem palliative Leistungen und Beatmungsleistungen. Im Zeitraum vom 24.08.2011 bis 09.05.2012
befand sich nach einer Krankenhausbehandlung aufgrund Einweisung durch den Sozialen Dienst des Landkreises die bei der Klägerin
Versicherte M (im Folgenden: Versicherte) in vollstationärer Pflege (Pflegestufe II) bei der Beklagten. Aufgrund ärztlicher
Verordnungen erhielt die Versicherte bei der Beklagten ab 25.08.2011 eine 24-stündige Dauerbeatmung im Rahmen häuslicher Krankenpflege
gemäß § 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V. Hierzu wurde täglich ein von den Pflegedienstleistenden unterschriebenes Beatmungskontrollblatt mit medizinischen und behandlungstechnischen
Angaben gefertigt. Am 09.05.2012 verstarb die Versicherte. Eine schriftliche Genehmigung der zusätzlichen Leistungen durch
die Klägerin erfolgte nicht. Vertragliche Beziehungen zwischen der Klägerin und der Beklagten bestanden während der Leistungserbringung
keine.
Mit Schreiben vom 27.10.2011 wies die Klägerin die Beklagte darauf hin, vertragliche Regelungen mit dem vdek anzustreben,
um die zusätzlichen Leistungen vergüten zu können. Zu einer Vereinbarung mit dem vdek kam es nicht, weil dieser den Vorhalt
einer speziellen Beatmungsstation zur Bedingung machte. Die von der Beklagten angestrebte vertragliche Einzelfallregelung
mit der Klägerin lehnte diese ab (zum Ganzen siehe SG-Akte S 16 KR 3801/14).
Für die im Rahmen der Dauerbeatmung erbrachten Leistungen berechnete die Beklagte pro Tag 82,00 € als "Mehraufwand im vollstationären
Bereich" (Rechnungen vom 02.02.2012, 16.02.2012, 01.03.2012, 01.04.2012 und 01.06.2012). Entsprechende Zahlungsaufforderungen
der Beklagten i.H.v. insgesamt 21.238,00 € blieben in der Folge erfolglos.
Am 11.02.2014 erwirkte die Beklagte beim Amtsgericht Stuttgart einen Mahnbescheid gegen die Klägerin in Höhe von 21.450,50
€. Nachdem die Klägerin Widerspruch eingelegt hatte, wurde das Verfahren an das Landgericht Stuttgart abgegeben und von dort
an das Sozialgericht Stuttgart (SG) verwiesen (Az. S 16 KR 3801/14). Im Termin zur Erörterung der Rechts- und Sachlage am 24.11.2014 erklärte sich die Klägerin bereit, mit der Beklagten Vertragsverhandlungen
über den Abschluss eines Versorgungsvertrages zu führen. Daraufhin erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend
für erledigt.
Mit Schreiben vom 18.09.2015 beantragte die Beklagte bei der Schiedsperson (Z) im Rahmen eines Schiedsverfahrens gemäß § 132a SGB V - wegen der Versorgung der Versicherten -, gegenüber der Klägerin eine zusätzliche Pflegevergütung i.H.v. 21.238,00 € nebst
fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.05.2012 festzusetzen. Zur Begründung gab die Beklagte
an, die Klägerin verweigere zu Unrecht den Abschluss eines Vertrags über die Versorgung ihrer Versicherten mit Dauerbeatmung,
indem sie von ihr (der Beklagten) den Nachweis einer separaten Beatmungsstation fordere. Eine solche Station könne nur dann
wirtschaftlich betrieben werden, wenn die Krankenkassen sie regelmäßig mit dauerzubeatmenden Versicherten belege, was nicht
der Fall sei. Die Versicherte habe aufgrund der Dauerbeatmung täglich mindestens 5 Stunden zusätzlich versorgt werden müssen,
was Lohn- und Lohnnebenkosten i.H.v. 105,00 € pro Tag mit sich gebracht habe. Nach Anrufung des SG (S 16 KR 3801/14) habe sich die klagende Krankenkasse im dortigen Verhandlungstermin vom 24.11.2014 bereit erklärt, einen Vertrag abzuschließen.
Daraufhin sei das gerichtliche Verfahren für erledigt erklärt worden. Zu einem Vertrag sei es jedoch nicht gekommen, so dass
ein Schiedsverfahren erforderlich sei.
Die Klägerin trat dem Antrag entgegen und beantragte, keine zusätzliche Vergütung für die medizinische Behandlungspflege der
Versicherten festzusetzen. Die Beklagte habe ihre Preisforderung nicht in der gebotenen Weise anhand ihrer Gestehungskosten
begründet. Zudem gehe man davon aus, dass das ohnehin anwesende Pflegepersonal die Pflege aufwandsneutral habe erbringen können
und somit die Kosten durch die Pflegesätze nach dem SGB XI finanziert seien.
Mit Schiedsspruch vom 05.04.2016 legte die Schiedsperson nach § 132a SGB V nach mündlicher Verhandlung am 11.02.2016 die folgende "vertragliche Festlegung" fest:
"Die B GEK, vertreten durch den Vorstandsvorsitzenden S, dieser vertreten durch die Landesgeschäftsstelle Baden-Württemberg
der B BEK, Tstraße, S1, entrichtet an das PZK P K GmbH, Jstraße, K, vertreten durch die Geschäftsführerin F, für die im Zeitraum
vom 25.08.2011 bis 09.05.2012 durchgeführte Dauerbeatmung der Versicherten der B GEK, Frau M, eine Vergütung von 20.396,25
€. Der Betrag ist mit Zugang des Schiedsspruchs bei der B GEK fällig."
Gegen den bei ihr am 22.04.2016 eingegangenen Schiedsspruch hat die Klägerin mit Schreiben vom 05.08.2016 am 10.08.2016 Klage
beim SG erhoben (S 18 KR 4297/16) und beantragt, den Schiedsspruch wegen offensichtlicher Unbilligkeit aufzuheben und die Bestimmung des Schiedsspruchs durch
Urteil nach billigem Ermessen zu ersetzen, hilfsweise festzustellen, dass der Schiedsspruch unwirksam sei. Zur Begründung
hat sie ausgeführt, sie sei zu Unrecht verpflichtet worden, an die Beklagte für die in der Zeit vom 25.08.2011 bis 09.05.2012
durchgeführte Dauerbeatmung der Versicherten eine Vergütung i.H.v. 20.396,25 € zu entrichten. Der Schiedsspruch sei unbillig.
Der Beklagten stehe neben dem Pflegesatz nach dem SGB XI eine zusätzliche Vergütung für Leistungen nach dem SGB V (Behandlungspflege) nur dann zu, soweit ihr zur Sicherstellung der Behandlungspflege nachweislich Kosten entstanden seien,
die nicht bereits durch die Vergütung der Pflegekasse gedeckt seien. Diese "Mehrkosten" seien nachvollziehbar und plausibel
darzustellen. Dass dies erfolgt sei, stelle sie, die Klägerin, in Frage. Die Schiedsperson habe die von der Beklagten geltend
gemachten "Mehrkosten" mehr oder weniger ungeprüft übernommen und habe diese im Wege einer allgemeinen Betrachtung in Form
einer Gegenüberstellung mit Vergütungen anderer Kassen für sachgerecht erachtet. Die Beklagte habe sich für die Bemessung
der Vergütung für die in den Jahren 2011/2012 erbrachte Behandlungspflege insbesondere auf Finanzdaten zur Kostenträgerrechnung
für die Pflegesatzverhandlung für das Jahr 2014 gestützt. Dies sei für sie, so die Klägerin weiter, nicht erklärlich. Unberücksichtigt
geblieben sei auch der Umstand, dass die Beklagte Versicherte mit einem Anspruch auf häusliche Krankenpflege nur in Form sog.
"eingestreuter Betten" versorgt habe bzw. versorgen wolle. Im streitbefangenen Zeitraum hätten bis zu 7 Patienten versorgt
werden können. In diesem Zusammenhang sei ungeklärt, aus welchen Gründen tatsächlich Mehrarbeit für die vorhandenen Pflegekräfte
angefallen und welcher Anteil speziell auf die Versicherte entfallen sei. Zu klären sei ferner, ob und inwieweit die Mehrarbeit
von Fachkräften ggf. durch die festgestellte unzureichende Fachkraftquote im SGB XI-Bereich (39,6 % im Jahr 2012 statt vorgesehener 50 %) begründet gewesen sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Es handele sich hier um Ansprüche aus dem SGB V, die der Versicherten zugestanden hätten. Welche Vereinbarungen zwischen den Beteiligten hinsichtlich der Pflegeversicherung
bestünden, sei nicht maßgeblich. Das Gesetz gehe stillschweigend davon aus, dass in jedem Fall einer besonders intensiven
Behandlungspflege ein vergütungspflichtiger Aufwand entstehe. In § 132a Abs. 4 SGB V sei keine Rede davon, dass die Pflegeeinrichtung solche Mehrkosten nachvollziehbar und plausibel darzustellen habe. Es sei
daher irrelevant, wenn die Klägerin die von der Schiedsperson zugrunde gelegten Zahlen anzweifle, weil es sich nicht um nachweisliche
Kosten handele, die nicht bereits durch die Vergütung der Pflegekasse gedeckt gewesen wären. Die Schiedsperson habe vielmehr
richtigerweise einen Ansatz gesucht, um die tatsächlichen Kosten für die häusliche Krankenpflege an der Versicherten zu bestimmen.
Dies sei anhand der vorgelegten Zahlen nach pflichtgemäßem Ermessen geschehen. Damit sei nach vorheriger Weigerung der Klägerin
durch Einschaltung der Schiedsperson eine vom Gesetz vorgesehene Einzelfallregelung für die häusliche Krankenpflege getroffen
worden. Der Schiedsspruch sei in keiner Weise unbillig oder gar offensichtlich unbillig. Zudem sei das nunmehrige Vorgehen
der Klägerin auch verfristet, da § 318 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch ( BGB) analog anzuwenden sei, wonach die Anfechtung einer getroffenen Bestimmung nur unverzüglich erfolgen könne.
Unter dem 12.08.2016 hat auch die (in dem hier streitigen Verfahren) Beklagte Klage beim SG erhoben (S 3 KR 4366/16), mit der sie die Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs vom 05.04.2016, hilfsweise die Zahlung von 20.396,25 € für die
im Zeitraum vom 25.08.2011 bis 09.05.2012 durchgeführte Dauerbeatmung der Versicherten begehrte. Die Klägerin (in dem hier
streitigen Verfahren) ist dieser Klage entgegengetreten.
Auf die in einem am 15.11.2017 vom SG in den Verfahren S 18 KR 4297/16 und S 3 KR 4366/16 durchgeführten gemeinsamen Erörterungstermin erfolgten Hinweise (auf die Niederschrift vom 15.11.2017 wird insoweit Bezug
genommen < Bl. 192-194 der SG-Akte S 18 KR 4297/16 >) hat die Beklagte erwidert, es sei nicht erforderlich, dass der Schiedsspruch einen Vertragstext enthalte. Nachdem der
Schiedsspruch unstreitig einen Sachverhalt aus der Vergangenheit behandele, könnten vertragliche Bestimmungen zum Umfang der
Pflege gegenüber der verstorbenen Versicherten nachträglich auch nicht mehr getroffen werden. Abgesehen davon enthalte der
Schiedsspruch sämtliche unstreitigen Vertragsbestandteile, nämlich den Vertragsgegenstand, die durchgeführte Dauerbeatmung,
den Zeitraum sowie die allein streitige Vergütung hierfür. Damit ergebe sich mit dem Schiedsspruch eine eindeutige vertragliche
Regelung zwischen den Parteien, deren inhaltliche Bestimmung Aufgabe der Schiedsperson gem. § 132a SGB V gewesen sei. Nach weiterem Hinweis seitens des SG hat die Beklagte ergänzend ausgeführt, dass eine Einzelfallentscheidung bzgl. einer einzelnen versicherten Person durch einen
Schiedsspruch nach § 132a SGB V ebenso wenig ausgeschlossen sei wie die Regelung nur eines einzelnen streitigen Vertragspunkts durch die Schiedsperson. Hilfsweise
für den Fall, dass tatsächlich kein Vertragsabschluss angenommen werden sollte, beziehe sie sich darauf, dass der Zahlungsanspruch
auf Bereicherungsrecht nach § 812 BGB gestützt werden könne. Die Klägerin hat sich dahingehend geäußert, dass eine Ersetzung des Schiedsspruchs erfolgen könne,
da insbesondere mit der Anlage K7 zum Schreiben vom 24.02.2016 ausreichende Tatsachengrundlagen vorlägen, die belegten, dass
kein Mehraufwand ermittelbar sei.
Im Verfahren S 3 KR 4366/16 hat das SG die Klage mit Urteil vom 18.12.2019 abgewiesen. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG; L 4 KR 438/20) hat die dagegen gerichtete Berufung, in der nur noch die Vergütungsforderung im Streit war, mit Urteil vom 16.10.2020 zurückgewiesen
und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Leistungsklage sei entgegen der Ansicht des SG zwar zulässig, derzeit jedoch unbegründet, da die streitige Vergütungsforderung noch nicht fällig geworden sei. Erst mit
dem Eintritt der Rechtskraft der Gerichtsentscheidung über den Schiedsspruch werde die betroffene Forderung fällig. Die dagegen
eingelegte Revision der (dortigen) Klägerin ist beim Bundessozialgericht (BSG) unter dem Az. B 3 KR 18/20 R anhängig.
Mit Urteil vom 02.07.2020 hat das SG im hier streitigen Verfahren festgestellt, dass der Schiedsspruch vom 05.04.2016 unwirksam sei und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das SG im Wesentlichen ausgeführt, die im Hauptantrag erhobene Ersetzungsklage sei zulässig. Sie sei nicht "verfristet". Die Frist
des § 318 Abs. 2 Satz 2 BGB (analog) beziehe sich lediglich auf den Fall der Anfechtung des Schiedsspruchs. Die Klägerin begehre aber eine Billigkeitskontrolle
analog § 319 BGB, für welche keine unverzügliche Geltendmachung gefordert werde. Auch eine etwaige Verwirkung komme vorliegend nicht in Betracht.
Die Klage sei aber unbegründet. Der Schiedsspruch sei unwirksam. Denn die Schiedsperson habe keinen Versorgungsvertrag geschaffen,
sondern nur eine Zahlungspflicht festgesetzt. Dem liege die Annahme der Schiedsperson zu Grunde, dass täglich drei Stunden
Zeitaufwand für eine Beatmung der Versicherten tatsächlich angefallen seien. Bei dieser Feststellung handele es sich um eine
tatsächliche Feststellung. Dies obliege jedoch nicht der Schiedsperson, sondern im Streitfall dem Gericht. Die Schiedsperson
habe nämlich nicht zu prüfen, ob die Vertragsvoraussetzungen im konkreten Fall erfüllt seien. Sie habe vielmehr den abstrakten
Vertragsinhalt zu bestimmen. Eine Ersetzung des Schiedsspruchs durch das Gericht könne vorliegend jedoch nicht erfolgen. Denn
derzeit fehle vollständig eine Tatsachengrundlage, aufgrund derer eine neue vertragliche Vereinbarung getroffen werden könne.
Gerichte könnten nicht umfassende Vertragswerke festsetzen und die Beziehungen der Partner der Verträge untereinander vollständig
regeln. Gerichte könnten nur punktuell - etwa bei der Höhe der Vergütung - nach dem Maßstab der Angemessenheit entscheiden.
Solange die Schiedsperson noch keinen Schiedsspruch erlassen habe, der auf einer von den Beteiligten nach den Grundsätzen
eines fairen Verfahrens beizubringenden, ausreichenden Tatsachengrundlage basiere, komme eine gerichtliche Ersetzung nicht
in Betracht. Zudem sei eine vertragliche Vereinbarung auch nicht gewollt. Die hilfsweise erhobene Feststellungsklage sei zulässig
und begründet, da der Schiedsspruch unwirksam sei.
Gegen das ihr am 05.06.2020 zugestellte Urteil richtet sich die am 03.07.2020 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie trägt
vor, die hilfsweise erhobene Feststellungsklage sei unzulässig. Ihr fehle einerseits das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis
und andererseits verstoße sie auch gegen den Grundsatz der Subsidiarität der Feststellungsklage. Die Verbindlichkeit des Schiedsspruchs
sei innerhalb des Leistungsklageverfahrens, das mittlerweile beim BSG anhängig sei, zu entscheiden. Zudem sei die Klage verfristet. Sowohl eine Anfechtung als auch eine Billigkeitskontrolle hätten
die Kassation der Leistungsbestimmung zur Folge. In beiden Fällen müsse Rechtssicherheit geschaffen werden, was nur innerhalb
der Frist des § 318 Abs. 2 Satz 2 BGB möglich sei. Die Feststellungsklage sei darüber hinaus auch unbegründet. Der Schiedsspruch vom 05.04.2016 sei in der Lage,
rückwirkend einen Versorgungsvertrag zwischen den Beteiligten zu begründen. Im Falle, dass ein Leistungserbringer Leistungen
der häuslichen Krankenpflege ohne eine vertragliche Beziehung zu einer Krankenkasse erbracht habe, sei die Frage der "Vergütung
für die Vergangenheit zum Gegenstand eines Schlichterspruchs zu machen" (so wörtlich Armbruster in Eichenhofer/von Koppenfels-Spies/Wenner,
Kommentar, SGB V, 3. Aufl. § 132a SGB V, Rn 68; vgl. ferner BSG, Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R -, insbes. Rn. 35-39, in juris). Diese Vorgehensweise sei auch im beim SG unter dem Az. S 16 KR 3801/14 geführten Verfahren empfohlen worden. Sie, die Beklagte, habe einen Anspruch auf Abschluss eines solchen Vertrags gegenüber
der Klägerin. Auch ein rückwirkender Abschluss sei grundsätzlich möglich. Die Vergütung sei auch ein vom Konfliktbewältigungsmechanismus
des § 132a Abs. 2 SGB V a.F. vorgesehener und schiedsfähiger Vertragsbestandteil (vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, Rn. 33; BSG, Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R -, Rn. 35, beide in juris). Wenn entsprechend den Ausführungen des SG Verträge die Grundlage für das Recht zur Leistungserbringung sein sollten, dann müsse im Umkehrschluss den Leistungserbringern
ein für die bereits erfolgte Erfüllung ihrer öffentlich-rechtlichen Leistungspflichten und Erfüllung des Sicherstellungsauftrags
der Krankenkasse ein in § 132a Abs. 2 SGB V a.F. vorausgesetzter Vergütungsanspruch zustehen. Die Versicherte habe unstreitig einen Anspruch auf häusliche Krankenpflege
gem. §§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, 37 Abs. 2 Satz 3 SGB V gehabt. Sie, die Beklagte, habe diese Mehrleistung erbracht. Dies ergebe sich aus den bereits vorgelegten Beatmungsprotokollen.
Wenn bereits unstreitig eine qualitätsgesicherte Leistungserbringung gegenüber anderen Krankenkassen gewährleistet sei, sei
es nicht erforderlich detaillierte Vertragsbeziehungen zur Erfüllung einer qualitätsgesicherten Leistungserbringung zu treffen.
Sie, so die Beklagte weiter, habe sich auch nicht dem rückwirkenden Abschluss eines Versorgungsvertrags versperrt. Sie sei
nur nicht bereit gewesen, einen Versorgungsvertrag entsprechend dem von der Klägerin vorgegebenen Mustervertrag zu schließen.
Die Schiedsperson habe, da sie, die Beklagte, einen Anspruch auf Abschluss eines solchen Versorgungsvertrags gem. Art. 12, 3 Abs. 3 Grundgesetz ( GG) aufgrund ihrer grundsätzlichen Eignung und der bestehenden Verträge zu anderen Krankenkassen gehabt habe, über den ausschließlich
noch disponiblen und strittigen Punkt der Vergütung entscheiden können. Der Schiedsspruch sei schließlich auch nicht unbillig.
Sie habe zwar keine spezielle Station für Beatmungspatienten eingerichtet, sie versorge hinsichtlich der Dauerbeatmung Einzelfälle.
Hierfür habe sie stets zwei Fachkräfte mit Intensivausbildung vorgehalten. Der Schiedsspruch überschreite auch nicht den Entscheidungsspielraum
der Schiedsperson. Die Festlegung einer konkreten Gegenleistung durch die Schiedsperson mit Blick auf die von ihr bereits
erbrachte Leistung stelle keine Kompetenzüberschreitung dar. Eine abstrakte Leistungsbestimmung sei nicht mehr erforderlich
gewesen, da die voraussichtlichen Kosten, die ihr entstanden seien, hätten ermittelt werden können und es keiner zukunftsgerichteten
Kostenprognose mehr bedurft hätte.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 02.07.2020 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Ansicht, das SG habe zu Recht die Unwirksamkeit des Schiedsspruchs festgestellt und verweist auf die Entscheidungsgründe des Urteils und
ihre erstinstanzlichen Ausführungen. Das SG habe sich mit der Zulässigkeit der Klage auseinandergesetzt und bezweifle auch nicht den Anspruch der Beklagten auf einen
Vertragsabschluss. Dass ein Leistungserbringer der häuslichen Krankenpflege, der Krankenpflege ohne eine vertragliche Beziehung
zu einer Krankenkasse erbracht habe, die Frage der Vergütung für die Vergangenheit zum Gegenstand eines Schlichtungsspruchs
machen könne, lasse sich mithilfe des Urteils des BSG vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R - nicht belegen. In dem dort zugrundeliegenden Sachverhalt hätten zwischen den Parteien ein Rahmenvertrag sowie Preisvereinbarungen
gegolten. Wenn es sich bei dem Schiedsspruch entgegen der Ansicht des SG um einen Rahmenvertrag zur Erbringung von häuslicher Krankenpflege handeln sollte, sei dieser unbillig. Die Angaben der Geschäftsführerin
im Verfahren S 16 KR 3801/14 belegten, dass tatsächlich keine zusätzlichen Vorhaltungen für beatmete Patienten erfolgten und mithin auch keine zusätzlichen
Kosten für die Dauerbeatmung der Versicherten entstanden sein könnten.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster
und zweiter Instanz, die von der Klägerin vorgelegten Verwaltungsakten und die Akte des SG mit Az. S 16 KR 3801/14 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz ( SGG) statthafte und nach § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bedurfte sie nicht der
Zulassung, da sich die im Schiedsspruch festgesetzte Vergütung auf 20.396,25 € beläuft, so dass der Beschwerdewert von 750,00
€ (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) überschritten ist.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein die auf den Hilfsantrag der Klägerin erfolgte Feststellung, dass der Schiedsspruch
der Schiedsperson Z gem. § 132a SGB V vom 05.04.2016 Az. 5/15 unwirksam ist. Soweit das SG die Klage hinsichtlich des Hauptantrags der Klägerin, den Schiedsspruch der Schiedsperson aufzuheben und die Bestimmung des
Schiedsspruchs durch Urteil nach billigem Ermessen zu ersetzen, abgewiesen hat, ist die Entscheidung rechtskräftig, nachdem
die Klägerin keine Berufung eingelegt hat.
Die Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Das SG hat in nicht zu beanstandender Weise festgestellt, dass die hilfsweise erhobene Feststellungsklage der Klägerin zulässig
ist (dazu a). Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit des Schiedsspruchs, die Feststellungsklage
ist nicht subsidiär und die Klage ist auch nicht verfristet. Die Feststellungsklage ist auch begründet, weil der Schiedsspruch
unwirksam ist (dazu b). Es handelt sich insoweit lediglich um einen Leistungsausspruch in einem Einzelfall und nicht um einen
Vertrag oder die Ergänzung eines Vertrags.
a)
aa) Die Klägerin verfolgte die hilfsweise geltend gemachte Feststellung der Unwirksamkeit des Schiedsspruchs mit einer Feststellungsklage
nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Danach kann mit der Klage die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn
der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Bei einem Schiedsspruch handelt es sich um ein Rechtsverhältnis.
Nach der Gesamtkonzeption des § 132a Abs. 2 SGB V (hier in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung <a.F.>; seither in § 132a Abs. 4 SGB V geregelt) sollen Verträge als Rechtsgrundlage die Beziehungen zwischen den Krankenkassen und Leistungserbringern im Bereich
der häuslichen Krankenpflege regeln (Schneider, in: jurisPK- SGB V, Stand Juni 2020, § 132a Rn 10). Ein Schiedsverfahren nach § 132a Abs. 2 SGB V a.F. ist ein vertraglich vereinbartes Schiedsverfahren (BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R -, in juris Rn. 26). Abschlussberechtigt sind die Krankenkassen auf der einen und die Leistungserbringer auf der anderen
Seite. Der Schiedsspruch einer Schiedsperson nach § 132a Abs. 2 SGB V a.F. stellt seiner Natur nach einen Interessenausgleich durch eine sachnahe, von den Vertragsparteien unabhängige Person
dar (BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R -, a.a.O. Rn. 37). Soweit ein Schiedsspruch trotz seiner Unbilligkeit nicht durch das Gericht ersetzt werden kann, besteht
auch ein berechtigtes Interesse, subsidiär die Unbilligkeit alsbald gerichtlich feststellen zu lassen (BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, in juris Rn. 26 m.w.N.). Dies ist hier der Fall. Der Schiedsspruch kann hier durch das Gericht nicht ersetzt werden. Dies
steht, nachdem die Klägerin das Urteil des SG insoweit nicht angefochten hat, rechtskräftig fest.
bb) Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt der Klägerin für die erhobene Feststellungsklage nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis
und die Feststellungsklage ist auch nicht subsidiär. Die Verbindlichkeit des Schiedsspruchs ist nicht innerhalb des Leistungsklageverfahrens,
das mittlerweile beim BSG (B 3 KR 18/20 R) anhängig ist und mit dessen Hilfe die hiesige Beklagte die Vergütungsforderung für die im Zeitraum vom 25.08.2011 bis 09.05.2012
durchgeführte Dauerbeatmung der Versicherten i.H.v. 20.396,25 € geltend macht, zu überprüfen. Wie das LSG in seinem Urteil
vom 16.10.2020 (L 4 KR 438/20) unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 04.07.2013 - II ZR 52/12 -, in juris Rn. 28) zu Recht ausgeführt hat, kann, solange das Schiedsgutachten noch nicht fertiggestellt ist oder während
eines sich daran anschließenden gerichtlichen (Ersetzungs- bzw. Feststellungs-)Verfahrens eine betroffene Forderung weder
außergerichtlich noch gerichtlich geltend gemacht werden. Es wird in diesem Verfahren der zu Grunde liegende Schiedsspruch
inhaltlich nicht geprüft. Geprüft wird nur, ob das Schiedsverfahren abgeschlossen ist oder nicht. Etwas anderes ergibt sich
auch nicht, wenn man sich der Auffassung von Knispel in NZS 2021, 152 anschließen würde, wonach die zivilprozessualen Grundsätze im sozialgerichtlichen Verfahren hier nicht entsprechend anzuwenden
sind und bei allen Entscheidungen von Schiedspersonen von der sofortigen Anwendung des durch den Schiedsspruch festgesetzten
Vertragsinhalts auszugehen wäre und der Schiedsspruch sofort umgesetzt werden könnte. Denn auch in diesem Fall würde im Rahmen
der Leistungsklage der zu Grunde liegende Schiedsspruch nicht geprüft. Der Schiedsspruch selbst wird im Ersetzungs- bzw. Feststellungsverfahren
überprüft.
cc) Die Feststellungsklage ist auch nicht verfristet. Die Feststellungsklage ist nicht an Fristen gebunden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG 13. Aufl. 2020 § 55 Rn. 3b; vgl. insoweit auch BSG, Urteil vom 25.03.2015 - B 6 KA 9/14 R -, in juris in dem auf keine Frist abgestellt wird). Aus § 318 Abs. 2 S. 2 BGB (hier: analog) ergibt sich nichts anderes. Nach § 318 Abs. 2 BGB muss die Anfechtung der getroffenen Bestimmung wegen Irrtums, Drohung oder arglistiger Täuschung unverzüglich erfolgen, nachdem
der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Die Norm trifft damit nach dem eindeutigen Wortlaut
nur für den Fall der Anfechtung des Schiedsspruches eine Regelung. Die Klägerin begehrt aber eine Billigkeitskontrolle analog
§ 319 BGB, für welche keine unverzügliche Geltendmachung gefordert wird. Auch eine etwaige Verwirkung kommt vorliegend nicht in Betracht.
Die Verwirkung ist als Ausprägung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) zwar auch für das Sozialversicherungsrecht und insbesondere für die Nachforderung von Beiträgen zur Sozialversicherung anerkannt.
Die Verwirkung setzt als Unterfall der Rechtsausübung aber voraus, dass der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während
eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls
und des in Betracht kommenden Rechtsgebiets das verspätete Geltendmachen des Rechts nach Treu und Glauben dem Verpflichteten
gegenüber als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden "besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete
infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten) darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht
nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht
nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in seinem Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet
hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde
(stRspr; vgl. BSG, Urteil vom 12.11.2013 - B 1 KR 56/12 R -, in juris Rn. 15 m.w.N; BSG, Urteil vom 16.07.2019 - B 12 KR 5/18 R -, in juris). Diese Voraussetzungen der Verwirkung sind hier mangels eines besonderen, Vertrauensschutz der Beklagten begründenden
Verhaltens der Klägerin bei einer Bekanntgabe des Schiedsspruchs an die Klägerin am 22.04.2016 und Klageerhebung am 10.08.2016
nicht erfüllt.
b)
Die somit zulässige Feststellungsklage der Klägerin ist auch begründet, weil der Schiedsspruch unwirksam ist.
aa) Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 18.09.2015 bei der Schiedsperson (Z) im Rahmen eines Schiedsverfahrens gem.
§ 132a SGB V - wegen der Versorgung der Versicherten der Beklagten - gegenüber der Beklagten, eine zusätzliche Pflegevergütung i.H.v.
21.238,00 € nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz jährlich seit dem 10.05.2012 festzusetzen.
Mit Schiedsspruch vom 05.04.2016 wurde die Klägerin verpflichtet, an die Beklagte für die im Zeitraum vom 20.08.2011 bis 09.05.2012
durchgeführte Dauerbeatmung der Versicherten der Beklagten eine Vergütung von 20.396,25 € zu zahlen. Darüber hinaus wurde
bestimmt, dass der Betrag mit Zugang des Schiedsspruchs an die Klägerin fällig werde. Dies entnimmt der Senat dem Tenor des
Schiedsspruchs vom 05.04.2016. Dieser Schiedsspruch schafft keinen (rückwirkenden) Versorgungsvertrag i.S.d. § 132a Abs. 2 S. 1 SGB V a.F. zwischen den Beteiligten oder die Ergänzung eines Versorgungsvertrags. Es handelt sich bei dem Schiedsspruch nicht um
einen Vertrag, der die Einzelheiten der Versorgung regelt, sondern um einen Leistungstenor, der nicht im Rahmen eines Schiedsverfahrens
nach § 132a Abs. 2 S. 1 SGB V a.F. auszuwerfen, sondern richtigerweise mit der Leistungsklage zu verfolgen wäre. Die Schiedsperson hat mit der Festsetzung
des Schiedsspruchs vom 05.04.2016 den ihr eingeräumten Gestaltungsspielraum überschritten. Dies führt zur Unwirksamkeit des
Schiedsspruchs.
bb) Nach § 132a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. schließen die Krankenkassen Verträge mit den Leistungserbringern über die Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher
Krankenpflege (§ 37 SGB V), über die Preise und deren Abrechnung und die Verpflichtung der Leistungserbringer zur Fortbildung. Im Fall der Nichteinigung
wird der Vertragsinhalt durch eine von den Vertragspartnern zu bestimmende unabhängige Schiedsperson innerhalb von drei Monaten
festgelegt (§ 132a Abs. 2 Satz 6 SGB V a.F.). In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1525, S. 123) heißt es: "Die Änderungen in Doppelbuchstabe cc verpflichten die
Parteien zur Durchführung einer Konfliktlösung, wenn sich die Parteien über den konkreten Inhalt der Verträge, insbesondere
über die Höhe der Vergütung, nicht einigen können. Dieses Verfahren entspricht einer im Zivilrecht üblichen Schlichtung, wonach
sich die Vertragsparteien auf die Leistungsbestimmung durch einen Dritten einigen (§ 317 BGB)." Der Schiedsspruch nach § 132a Abs. 2 Satz 6 SGB V a.F. stellt rechtstechnisch ein "Schiedsgutachten im weiteren Sinne" dar, weil der Schiedsperson die Befugnis eingeräumt
wird, die Leistung (z.B. Vergütung) oder eine Leistungsmodalität (z.B. Beginn, Dauer, Höhe) zu bestimmen und dadurch den Vertragsinhalt
rechtsgestaltend zu ergänzen (BSG, Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R -, in juris Rn. 20). Die im Bereich der Versorgung mit häuslicher Krankenpflege von den Vertragspartnern im Fall der Nichteinigung
über den Vertragsinhalt zu bestimmende unabhängige Schiedsperson (§ 132a Abs. 2 Satz 6 SGB V a.F.) wird bei der Durchführung des Schiedsverfahrens und bei Erlass des Schiedsspruchs als öffentlich-rechtlicher Schlichter
und Vertragshelfer (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 3 SGB V i.V.m. § 317 BGB) und nicht als Behörde tätig. Der Schiedsspruch der Schiedsperson ist kein Verwaltungsakt i.S. von § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) und kann deshalb nicht durch Anfechtungs-, Verpflichtungs- oder Neubescheidungsklage (§§ 54 Abs. 1, 131 Abs. 2 und 3 SGG) gerichtlich überprüft werden (BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, in juris Rn. 17). Materiell- rechtliche Wirkung erzeugt aber nur ein wirksames Schiedsgutachten. Nur in diesem Fall kann
die Festsetzung des Leistungsinhalts nach dem Parteiwillen von einem staatlichen Gericht geprüft werden (BSG, Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R -, in juris Rn. 21). Die gerichtliche Überprüfung des Schiedsspruchs im Rahmen des § 319 BGB kann dabei nur wegen Unbilligkeit erfolgen. Der Vorschrift des § 319 BGB liegt die Vorstellung zugrunde, dass einzelne Elemente eines Schiedsspruchs auf der Basis einer geklärten Tatsachengrundlage
durch das Gericht ersetzt werden. Das ist insbesondere bei einer Vereinbarung über Einzelheiten der Versorgung mit häuslicher
Krankenpflege der Fall, soweit um isolierte Einzelfragen gestritten wird, die vom Gericht in Abweichung von der Entscheidung
der Schiedsperson so oder so beurteilt werden können, ohne dass damit das Vertragswerk insgesamt in Frage gestellt wäre. Wird
jedoch wegen Unbilligkeit der Festlegungen der Schiedsperson die Neufestsetzung eines vollständigen Vergütungsvertrages oder
einer sonstigen wesentlichen Vertragsregelung erforderlich, kann dies jedenfalls dann nicht durch das Gericht erfolgen, wenn
es an einer ausreichenden Tatsachengrundlage als Basis zur Bestimmung der streitigen Vergütungshöhe fehlt und den oder einem
Beteiligten die Möglichkeit einzuräumen ist, die fehlenden Informationen und Belege noch in das Verfahren einzubringen. Denn
solange die Schiedsperson noch keinen Schiedsspruch erlassen hat, der auf einer von den Beteiligten nach den Grundsätzen eines
fairen Verfahrens beizubringenden, ausreichenden Tatsachengrundlage basiert, kommt eine gerichtliche Ersetzung nicht in Betracht.
Dies wäre mit dem in § 132a Abs. 2 SGB V a.F. vorgesehenen Konfliktlösungsmechanismus nicht vereinbar. Dieser Vorschrift liegt die Konzeption zugrunde, dass die Beteiligten
zunächst selbst eine interessen- und sachgerechte Lösung zur Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen finden und im Konfliktfall
eine Schiedsperson den Konsens herstellt. Die Konfliktlösung soll danach in erster Linie über eine Schiedsperson erfolgen,
deren Festsetzung nur auf Unbilligkeit überprüft werden soll. Das hat zur Folge, dass immer dann, wenn der Schiedsspruch zwar
unbillig, die Ersetzung durch das Gericht aber nicht möglich ist, die Vertragspartner unter Berücksichtigung der Ausführungen
des Gerichts zur Unbilligkeit neu nach einem Konsens suchen müssen. Hat diese Suche keinen Erfolg, muss erneut eine Schiedsperson
tätig werden (BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, in juris Rn. 21). Das Klageziel kann nur durch eine Ersetzungsklage nach § 132a Abs. 2 Satz 6 SGB V a.F. i.V.m. § 69 Abs. 1 Satz 3 SGB V und §§ 317 Abs. 1, 319 Abs. 1 Satz 2 BGB oder - wenn das Gericht die Festlegungen im Schiedsspruch nicht ersetzen kann - durch eine Feststellungklage erreicht werden
(BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R -, in juris, Rn. 30, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, in juris Rn. 17; Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R - in juris Rn. 25 m.w.N.). Eine Aufhebung des Schiedsspruchs erfolgt dabei nicht erst bei "offenbarer" Unbilligkeit (§ 319 Abs. 1 Satz 2 BGB), sondern bereits bei schlichter Unbilligkeit des Schiedsspruchs. Die Unbilligkeit des Schiedsspruchs nach § 132a Abs. 2 SGB V kann auf schwerwiegenden verfahrensrechtlichen Mängeln des Schiedsspruchs beruhen (z.B. Begründungsmängel, Verletzung des
Anspruchs auf rechtliches Gehör) wie auch materiell unrichtig sein oder gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßen. Die Schiedsperson muss den Verhandlungsrahmen einhalten, sie muss unstreitige Positionen als vorbestimmten Vertragsinhalt
beachten, ist an die Anträge der Vertragspartner gebunden und darf daher weder die Forderung der Leistungserbringer überschreiten
noch das Angebot der Krankenkassen bzw. ihrer Verbände unterschreiten (vgl. BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R -, in juris Rn. 37; BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, in juris Rn. 31). Die Prüfung der Frage der Billigkeit oder Unbilligkeit eines Schiedsspruchs gliedert sich also in eine
Rechtskontrolle und eine Inhaltskontrolle (vgl. BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R -, in juris Rn. 36). Die Rechts- und Inhaltskontrolle werden ausschließlich darauf bezogen, ob die Ermittlung des Sachverhalts
in einem fairen Verfahren unter Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgt ist, ob zwingendes Gesetzesrecht beachtet und ob der
bestehende Beurteilungsspielraum eingehalten worden ist. Dies setzt voraus, dass der Beurteilungsmaßstab und die gefundene
Abwägung durch die Schiedsperson Eingang in die Begründung des Schiedsspruchs gefunden haben. Die Anforderungen hieran dürfen
im Hinblick auf die Stellung und Funktion der Schiedsperson nicht überspannt werden (vgl. BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 110 R -, in juris Rn. 38; zum gerichtlichen Überprüfmaßstab von Schiedssprüchen durch Schiedsämter,
Schiedsstellen und Schiedspersonen vgl. BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, in juris, Rn. 32 m.w.N.). Bei der Kontrolle ist zu beachten, dass der Schiedsspruch der Schiedsperson nach § 132a Abs. 2 SGB V a.F. einen Interessenausgleich durch eine unabhängige Person im Sinne einer schlichtenden Tätigkeit darstellt. Daher weist
sie häufig Kompromisscharakter auf und stellt nicht immer die einzig vertretbare Lösung dar. Deshalb kommt es bei der Inhaltskontrolle
nur darauf an, ob ein vertretbarer, nachvollziehbarer Beurteilungsmaßstab angewandt worden ist, und das Ergebnis "billigem
Ermessen" entspricht, also mit den gesetzlichen Vorgaben und dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbar ist. Auf Zweckmäßigkeitserwägungen kommt es nicht an (BSG, Urteil vom 25.11.2010 - 3 KR 1/10 R -, in juris; BSG, Urteil vom 23.06.2016 - B 3 KR 26/15 R -, Rn. 31 in juris m.w.N.).
Verträge nach § 132a Abs. 2 a.F. sind die eigentliche Rechtsgrundlage für die einzelnen Leistungserbringer (Schneider, in:
jurisPK- SGB V Stand Juni 2020, § 132a Rn. 33). Einer gesonderten Zulassung der Anbieter bedarf es nicht. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 15/1525, S. 123)
leisten die Sätze 1 und 2 des § 132a Abs. 2 SGB V a.F. einen Beitrag zu einer qualitätsgesicherten Leistungserbringung in der häuslichen Krankenpflege. Eine qualitätsgesicherte
Leistungserbringung kann aber nur dann garantiert werden, wenn die Versorgungsverträge detailliert die Vertragsbeziehungen
zwischen Krankenkasse und Leistungserbringer regeln, insbesondere die Art und Weise der Leistungserbringung, die Qualifikation
des Pflegepersonals etc. Die Verträge schaffen die Anspruchsgrundlage für einen Vergütungsanspruch des Leistungserbringers.
Zu den Inhalten der Verträge nach Abs. 2 a.F. gehören insbesondere aussagekräftige Regelungen über die zu erbringenden Leistungen,
die dafür zu zahlenden Preise und deren Abrechnung sowie die Fortbildungspflicht der Leistungserbringer (Rixen in: Becker/Kingreen,
6. Aufl. 2018, SGB V § 132a Rn. 6). Der in § 132a Abs. 2 a.F. gewählte Begriff "Einzelheiten der Versorgung" ist weit auszulegen (Luthe in: Hauck/Noftz, SGB, 08/19, § 132a SGB V, Rn. 31). Die Vertragsbeziehungen können sich auch auf einen Einzelfall beziehen. Auch in einem solchen, auf den Einzelfall
bezogenen Versorgungsvertrag sind aber alle erforderlichen Regelungen, insbesondere die Hauptleistungspflichten, festzulegen.
Zweifellos können auch einzelne Bestimmungen wie etwa eine Vergütungsvereinbarung getroffen werden (zu einer möglichen Ersetzung
bzw. Ergänzung vgl. etwa BSG, Urteil vom 25.11.2010 - B 3 KR 1/10 R -, in juris; BSG, Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R -, in juris Rn. 20 f.). Dies gilt aber nur für den Fall, dass grundsätzliche Fragen bereits Gegenstand eines Vertrages sind.
Die Feststellung einer Zahlungspflicht ohne zugrundeliegenden Vertrag oder Ergänzung eines Vertrags ist kein zulässiger Regelungsinhalt
eines Schiedsspruchs nach § 132a Abs. 2 SGB V a.F. (BSG, Urteil vom 20.04.2016 - B 3 KR 18/15 R -, in juris Rn. 24). Fehlt die Regelung grundsätzlicher Fragen - ist also nicht nur eine Vertragsergänzung erforderlich -
muss Gegenstand der Verträge nach § 132a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. notwendigerweise mehr als nur die Festlegung von Einzelheiten sein. Gegen den rückwirkenden Abschluss eines Versorgungsvertrags
bestehen keine Bedenken. Im Bereich der häuslichen Krankenpflege ist es grundsätzlich auch möglich, Versorgungsverträge mit
den Krankenkassen rückwirkend abzuschließen, weil derartige Verträge nicht statusbegründend sind (vgl. BSG, Urteil vom 24.01.2008 - B 3 KR 2/07 R -, in juris Rn. 30; BSG, Urteil vom 29.06.2017 - B 3 KR 31/15 R -, in juris Rn. 54).
cc) Einen Vertrag, der grundsätzliche Fragen zum Gegenstand hat, stellt der hier streitige Schiedsspruch vom 05.04.2016 nicht
dar. Der Schiedsspruch setzt nur die Zahlungspflicht fest. Dies würde allenfalls dann genügen, wenn bereits eine vertragliche
Beziehung zwischen den Beteiligten bestünde und mit der Vergütungsvereinbarung eine Einzelheit der Versorgung geregelt würde.
Dies ist nicht der Fall. Der Schiedsspruch ist deshalb unwirksam.
aaa) Der Schiedsspruch vom 05.04.2016 trifft eine "vertragliche Festlegung" allein über die Zahlungspflicht der Klägerin,
nämlich die Zahlung von 20.396,25 € für die Beatmung der Versicherten der Beklagten in der Zeit vom 25.08.2011 bis 09.05.2012.
Eine allgemeine Regelung zwischen den Parteien über die Leistungen und die Vergütung der häuslichen Krankenpflege beatmungspflichtiger
Patienten oder der Versicherten der Beklagten beinhaltet der Schiedsspruch nicht. Der für seine Auslegung maßgebliche Tenor
regelt nur eine Zahlungspflicht für die im Einzelfall durchgeführte Beatmung der Versicherten. Eine vertragliche Einigung
über die Erbringung der Leistungen und die Maßstäbe für deren Vergütung legt er nicht fest. Letztere ergeben sich nur mittelbar
aus den Gründen des Schiedsspruchs, wonach pro Stunde 26,25 € der Berechnung zugrunde gelegt wurden. Inhalt des Schiedsspruchs
ist aber sowohl nach dem Tenor und auch nach den Gründen allein die Zahlungspflicht der Klägerin in genannter Höhe. Wesentliche
Elemente eines Versorgungsvertrages i.S.d. § 132a Abs. 2 S. 1 SGB V a.F. werden nicht festgesetzt. Die Schiedsperson legt aber keine einseitige Leistungs- oder Zahlungspflichten fest, sondern
den Inhalt eines Vertrages. Dies ist nicht erfolgt. Offensichtlich ging die Schiedsperson fehlerhaft davon aus, dass sie nicht
berechtigt ist, rückwirkend einen Versorgungsvertrag festzulegen (s. Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 11.02.2016;
Punkt 15 des Schiedsspruchs) und dass ein Vergütungsanspruch dem Grunde nach bereits aufgrund des Sachleistungsanspruchs der
Versicherten bestand (Punkt 11 des Schiedsspruchs). Es ist nicht Aufgabe der Schiedsperson, die Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit
der Leistungserbringung im Einzelfall festzustellen. Hierzu sind im Streitfall die Sozialgerichte berufen. Aufgabe der Schiedsperson
ist es allein, die abstrakten vertraglichen Grundlagen (Inhalt und Umfang der geschuldeten Leistungen, Vergütungssätze, Zahlungsfristen,
Qualitätsanforderungen, Dokumentationspflichten etc.) festzulegen.
bbb) Der Schiedsspruch ergänzt auch nicht einen Versorgungsvertrag hinsichtlich der Vergütung bzw. der Vergütungshöhe. Ein
zu ergänzender (Rahmen-)Vertrag zwischen den Beteiligten über die Erbringung häuslicher Krankenpflege, § 37 SGB V, existiert nicht (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 30.07.2018).
Die Unwirksamkeit des Schiedsspruchs ist in diesem Fall durch das Gericht festzustellen. Dies ist durch das SG auf den Hilfsantrag der Klägerin hin erfolgt.
Die Berufung der Beklagten ist daher zurückzuweisen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird gem. § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52 Abs. 1, 47 Abs. 1 Gerichtskostengesetz endgültig auf 20.396,25 € festgesetzt.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
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