Beitragsnachforderungen der Sozialversicherungsträger aufgrund einer Betriebsprüfung
Gerichtliche Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtsmäßigkeit der angefochtenen
Bescheide, hier aufgrund anzunehmender Verjährung
Gründe:
I.
Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs gegen eine Beitragsnachforderung nach einer Betriebsprüfung.
Die Antragstellerin betreibt Arbeitnehmerüberlassung. In den Jahren 2007 bis 2009 entlohnte sie ihre Arbeitnehmer auf der
Grundlage der von der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen geschlossenen
Tarifverträge.
Im Anschluss an eine Betriebsprüfung forderte die Antragsgegnerin durch Bescheid vom 21. August 2013 Beiträge für den Zeitraum
vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 in Höhe von 85.277,72 € nach. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) habe die Tarifunfähigkeit
der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen festgestellt. Daraus folge die
Unwirksamkeit der von dieser Tarifgemeinschaft abgeschlossenen Tarifverträge, welche zu höheren Lohn- und damit auch Beitragsansprüchen
führe.
Die Antragstellerin legte Widerspruch ein und hat beim Sozialgericht Berlin die Aussetzung der Vollziehung beantragt. Diesen
Antrag hat das Sozialgericht durch Beschluss vom 31. Oktober 2013, der Antragstellerin zugestellt am 6. November 2013, abgelehnt.
Mit der am 6. Dezember 2013 bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingegangenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin
weiter die Anordnung der aufschiebenden Wirkung, begrenzt auf Beitragsnachforderungen für die Zeit vom 1. Januar 2007 bis
31. Dezember 2007. Insoweit macht sie insbesondere Verjährung geltend.
II.
Die auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs für Beitragszeiträume vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember
2007 beschränkte Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 Sozialgerichtsgesetz -
SGG - kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende
Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Der Widerspruch der Antragstellerin gegen den Bescheid
der Antragsgegnerin vom 21. August 2013 hat nach §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG keine aufschiebende Wirkung, weil in dem Bescheid Beiträge nachgefordert werden. Anzuordnen ist die aufschiebende Wirkung
des Widerspruchs in den Fällen des §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG jedenfalls dann, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen (Vgl. etwa Beschluss
des LSG Schleswig-Holstein v. 25. Juni 2012 - L 5 KR 81/12 B ER - jurisRn 14). Dies ergibt sich aus einem Vergleich mit der Vorschrift des §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG. In diesen Fällen ist ein überwiegendes öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung nicht anzuerkennen.
Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der mit dem Bescheid vom 21. August 2013 erhobenen Beitragsnachforderung bestehen
insoweit, als die Antragsgegnerin Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2007 bis 31. Dezember 2007 fordert. Nach Auffassung
des Senats spricht zurzeit alles dafür, dass die Beitragsforderungen für diesen Zeitraum jedenfalls verjährt sind.
Nach §
25 Abs.
1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgerichtsbuch (
SGB IV) verjähren Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Die Fälligkeit bestimmt
sich gemäß §
23 Abs.
1 Satz 2
SGB IV, wonach Beiträge, die nach dem Arbeitsentgelt zu bemessen sind, in voraussichtlicher Höhe der Beitragsschuld spätestens am
drittletzten Bankarbeitstag des Monats fällig sind, in dem die Beschäftigung ausgeübt wird, mit der das Arbeitsentgelt erzielt
wird. Danach wären die Beiträge für eine Beschäftigung in dem Zeitraum von Januar 2007 bis Dezember 2007 mit Ablauf des 31.
Dezember 2011 verjährt gewesen. Der Bescheid vom 21. August 2013 wäre folglich insoweit zu Unrecht ergangen.
Allerdings ist nach §
25 Abs.
2 SGB IV die Verjährung für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt. Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung
beim Arbeitgeber. Vorliegend ist aber nicht zu erkennen, dass eine Betriebsprüfung bei der Antragstellerin vor dem 31. Dezember
2011 begonnen worden ist. Zwar formuliert der von der Antragsgegnerin erstellte Bescheid vom 21. August 2013, dass die Betriebsprüfung
in der Zeit vom 4. Dezember 2011 bis 24. Mai 2012 stattgefunden habe. Der Anfangszeitpunkt wird aber von der Antragstellerin
substantiiert mit dem Hinweis bestritten, dass die Antragsgegnerin die Prüfung erst am 16. Januar 2012aufgenommen habe, ohne
dass die Antragsgegnerin sich veranlasst gesehen hätte, den von ihr mitgeteilten Beginn der Betriebsprüfung nachzuweisen.
Lediglich in ihrer Verwaltungsakte ist der Vermerk zu finden, dass am 4. Dezember 2011 ein Gespräch stattgefunden habe, mit
dem ein Prüfungstermin am 16. Januar 2012 vereinbart worden sei. Wie sich §
25 Abs.
2 Satz 5
SGB IV entnehmen lässt, ist die bloße Ankündigung einer Betriebsprüfung aber noch nicht gleichzeitig ihr Beginn (LSG Berlin-Brandenburg,
Beschluss v. 13. November 2012 - L 1 KR 350/12 B ER - jurisRn7). Der Umstand, dass am 4. Dezember 2011 ein Prüfungstermin am 16. Januar 2012 verabredet worden ist, begründet
also nicht die Annahme, dass die Prüfung bereits am 4. Dezember 2011 begann. Indessen setzt die Hemmung nach §
25 Abs.
2 Satz 5
SGB IV bereits an dem von dem Versicherungsträger in seiner Prüfungsankündigung ursprünglich bestimmten Tag ein, wenn es aus Gründen,
die die prüfende Stelle nicht zu vertreten hat, zu einem späteren Beginn der Prüfung kommt. Es gibt aber keine Hinweise dafür,
dass die Antragsgegnerin den Beginn der Prüfung bereits für den 4. Dezember 2011 angekündigt hätte. Auch in einem internen
Vermerk in den Verwaltungsakten wird der 4. Dezember 2011 nur als Termin für ein Gespräch bezeichnet. Unter diesen Voraussetzungen
kann der Senat nicht davon ausgehen, dass die Betriebsprüfung schon vor dem Ablauf des 31. Dezember 2011 begonnen hatte.
Etwas Anderes für die Frage der Verjährung ergibt sich ebenso wenig aus §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV. Nach dieser Vorschrift gilt eine Verjährungsfrist von dreißig Jahren, wenn Beiträge vorsätzlich vorenthalten worden sind.
Zwar reicht bedingter Vorsatz aus, der auch nicht bereits bei Fälligkeit der Beiträge vorhanden gewesen sein muss. Ausreichend
für die Geltung der langen Verjährungsfrist ist vielmehr, dass der Beitragsschuldner während des Ablaufs der regelmäßigen
Verjährungsfrist bösgläubig geworden ist (BSG, Urt. v. 30. März 2000 - B 12 KR 14/99 R).
Bedingter Vorsatz im Hinblick auf die Vorenthaltung von Beiträgen liegt vor, wenn der Arbeitgeber trotz Kenntnis der Möglichkeit
der Beitragspflicht die Beitragszahlung unterlässt und er dadurch die Nichtabführung von geschuldeten Beiträgen billigend
in Kauf nimmt (BSG, Urt. v. 30. März 2000 - B 12 KR 14/99 R - jurisRn. 23-25). Der Senat sieht es aber weder als sicher noch als überwiegend wahrscheinlich an, dass die Antragstellerin
bereits vor Ablauf des Jahres 2011 wusste, dass für Zeiträume des Jahres 2007 noch höhere Löhne beitragspflichtig werden konnten.
Er hält insoweit an seiner Rechtsprechung fest, dass der innere Tatbestand des Vorsatzes bezogen auf die konkreten Verhältnisse
und den konkreten Beitragsschuldner festgestellt werden muss (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss v. 13. November 2012 - L 1 KR 350/12 B ER - jurisRn 12). Dafür reicht die Veröffentlichung der Entscheidung des BAG zur mangelnden Tariffähigkeit der Tarifgemeinschaft
Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen vom 14. Dezember 2010 - 1 ABR 19/10 -, in der das BAG das Fehlen der Tariffähigkeit im Übrigen auch nur gegenwartsbezogen festgestellt hat, nicht aus. Es ist
nicht ersichtlich, wie die Antragsgegnerin den Nachweis führen könnte, dass die Antragstellerin noch im Jahr 2011 Kenntnis
von dieser Entscheidung erlangt hatte. Die Veröffentlichung der Entscheidung ersetzt diesen Nachweis nicht. Allein die Publizierung
schließt nämlich nicht aus, dass die Antragstellerin schlicht unterlassen hat, sich über rechtliche Entwicklungen mit Bedeutung
für die Zeitarbeitsbranche auf dem Laufenden zu halten. Eine solche unterlassene Kenntnisnahme vermag zwar den Vorwurf der
groben Fahrlässigkeit zu begründen, nicht aber den des bedingten Vorsatzes.
Nach alledem musste die Beschwerde Erfolg haben.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 Nr.4, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz. Da ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorliegt, war die Hälfte der auf den streitig gebliebenen Zeitraum vom
1. Januar 2007 bis 3. Dezember 2007 entfallenden Beitragsnachforderung von 13.765,31 € anzusetzen.
Dieser Beschluss kann nach §
177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angegriffen werden.