Rechtmäßigkeit der Einschränkung des Dispositionsrechts hinsichtlich eines gestellten Rehabilitationsantrags in der gesetzlichen
Krankenversicherung
Anforderungen an das Vorliegen eines berechtigten Feststellungsinteresses im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung verschiedener Umstände aus der Vergangenheit.
Im Jahre 2014 hatte der Kläger Krankengeld von seiner Krankenkasse bezogen. Diese forderte ihn mit Schreiben vom 7. März 2014
auf, sich bis zum 21. März 2014 bei seinem Arzt vorzustellen, um eine stationäre Behandlung einzuleiten und drohte die Erteilung
eines Bescheides wegen fehlender Mitwirkung sowie die Versagung von Krankengeld an. Nach Rücksprache mit seinem behandelnden
Arzt und Zusendung der entsprechenden Formulare durch die Krankenkasse stellte der Kläger am 18. März 2014 bei der Beklagten
einen Rehabilitationsantrag. Mit Bescheid vom 9. Mai 2014 gewährte die Beklagte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation.
Mit Bescheid vom 27. Mai 2014 beschränkte die Krankenkasse das Dispositionsrecht des Klägers hinsichtlich des gestellten Rehabilitationsantrags
und drohte für den Fall u. a. einer Antragsrücknahme ohne ihre Zustimmung nach § 51 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch die
Versagung von Krankengeld ab Beginn der elften Woche nach Zugang des Bescheides (also ab 8. August 2014) an. Hiergegen legte
der Kläger Widerspruch ein. Gleichzeitig erhob er Widerspruch gegen die Bewilligung der Rehabilitationsmaßnahme, nachdem er
zuvor versucht hatte, die Beklagte zur Aufhebung des Bescheides durch Rücknahme seines Antrages auf Rehabilitation zu veranlassen
(diese sah sich durch die Beschränkung des Dispositionsrechts durch die Krankenkasse, von der sie in Kenntnis gesetzt worden
war, hieran gehindert). Auch in einstweiligen Anordnungsverfahren auf Feststellung, der er das Recht habe, den Antrag auf
medizinische Rehabilitation zurück zu nehmen, hatte der Kläger keinen Erfolg (S 57 R 623/14 ER = L 3 R 57/14 B ER und S 10 R 648/14 ER = L 3 R 96/14 B ER). In der mündlichen Verhandlung im dem folgenden Klageverfahren (S 33 R 1196/14) gegen die Bewilligung einer medizinischen Rehabilitation am 7. November 2017 hatte die Beklagte den angegriffenen Bewilligungsbescheid
aufgehoben, nachdem die Krankenkasse mitgeteilt hatte, sie halte an der Einschränkung des Dispositionsrecht nun nicht mehr
fest. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger die Sitzung verlassen, weil er der Auffassung war, das Gericht dürfe wegen der
Stellung eines Befangenheitsantrages entgegen seiner geäußerten Absicht die Verhandlung nicht weiterführen. Wie angekündigt
hatte das Sozialgericht die Verhandlung fortgesetzt und letztlich mit Urteil vom 7. November 2017 die Klage gegen den Bewilligungsbescheid
aufgrund der Bescheidaufhebung als erledigt, eine Fortsetzungsfeststellungsklage als unzulässig abgewiesen. Die dagegen gerichtete
Berufung (L 3 R 121/17) blieb ohne Erfolg. Ebenso die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision (B 13 R 186/18 B).
Die erneute Feststellungklage (S 4 R 1222/17) hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 24. April 2020 abgewiesen. Es fehle an einem berechtigten Feststellungsinteresse.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt. Er müsse auch ein Recht auf die eingeklagte Feststellung haben, ohne dass er
einen materiell-rechtlichen oder wirtschaftlichen Schaden habe, denn erst habe die eigentliche Feststellung zu erfolgen und
anschließend dürfe bewertet werden, ob ein berechtigtes Interesse hierfür bestünde. Er (der Kläger) habe seinen Rehabilitationsantrag
schon zurückgenommen bevor die Krankenkasse das Dispositionsrecht eingeschränkt habe. Durch die Nichtbeachtung dieses Umstandes
sei sein Rücknahmerecht und sein Recht, ggfs. einen neuen Antrag zu stellen, vereitelt worden. Er (der Kläger) habe ein grundsätzliches
Recht auf diese Feststellung. Außerdem hätte die Krankenversicherung die Rücknahme der Einschränkung des Dispositionsrechts
nicht gegenüber anderen erklären dürfen, ohne ihn (den Kläger) zuvor davon zu verständigen. Folge des Verstoßes dagegen sei,
dass die Rücknahme vom Gericht im Urteil nicht verwertet werden dürfe, denn auch das Gericht dürfe nur Umstände verwerten,
über die es die Beteiligten in Kenntnis gesetzt habe.
Ausweislich seiner Schreiben beantragt der Kläger sinngemäß,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Hamburg vom 24. April 2020 aufzuheben und festzustellen, dass er seinen Antrag auf
Rehabilitation bereits zurückgenommen hatte bevor die Krankenkasse das Dispositionsrecht eingeschränkt habe, sowie
dass das Sozialgericht in der mündlichen Verhandlung am 7. November 2017 nicht von der Rücknahme der Einschränkung des Dispositionsrechts
durch die Krankenkasse hätte ausgehen und die Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 9. Mai 2014 in dieser Verhandlung nicht
hätte zurücknehmen dürfen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass der Kläger kein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die in der Sitzungsniederschrift
vom 17. August 2021 aufgeführten Akten und Unterlagen verwiesen. Sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung des Senats
gewesen.
Entscheidungsgründe
Trotz des Nichterscheinens des Klägers in der mündlichen Verhandlung konnte der Senat den Rechtsstreit verhandeln und entscheiden,
denn ausweislich des Zustellnachweises ist der Kläger ordnungsgemäß vom Termin benachrichtigt und darauf hingewiesen worden,
dass auch im Falle seines Ausbleibens entschieden werden kann (§
110 Abs.
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz <SGG>).
Das Gericht konnte in der Besetzung mit der Berichterstatterin und zwei ehrenamtlichen Richtern verhandeln und entscheiden,
weil das Sozialgericht durch Gerichtsbescheid entschieden hat und der Senat durch Beschluss die Berufung der Berichterstatterin
übertragen hat, die nach §
153 Abs.
5 SGG zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern entscheidet. Der Übertragungsbeschluss ist den Beteiligten zugestellt worden.
Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung des Klägers (vgl. §§
143,
144,
151 SGG) ist nicht begründet.
Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Sozialgericht die Feststellungsklage abgewiesen. Zur Vermeidung von Wiederholungen
nimmt das Gericht insoweit Bezug auf die Begründung des sozialgerichtlichen Gerichtsbescheides (§
153 Abs.
2 SGG).
Ergänzend gilt Folgendes: Der Kläger irrt, wenn er meint, er habe stets einen Anspruch auf Feststellung, dass eine Handlung
oder ein Bescheid rechtswidrig seien. Ein solcher Anspruch besteht im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage oder einer
Feststellungsklage nur dann, wenn ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung vorliegt. Mit anderen Worten: Ohne dieses
berechtigte Interesse findet eine gerichtliche Überprüfung und erst recht eine förmliche Feststellung nicht statt. Unabhängig
davon ist dem Kläger eine rechtliche Einschätzung der Fragen zu seinem Recht auf Antragsrücknahme bereits im Beschluss vom
28. Juli 2014 (L 3 R 57/14 B ER) gegeben worden.
Der Kläger irrt auch, wenn er meint, die Krankenkasse hätte ihn von der Rücknahme der Einschränkung des Dispositionsrechts
erst in Kenntnis setzen müssen, ehe sie diese anderweitig erklärt, die Beklagte hätte nicht in seiner Abwesenheit die Bewilligungsentscheidung
aufheben und das Sozialgericht hätte nicht in seiner Abwesenheit diese Erklärung einer Entscheidung zugrunde legen dürfen.
Die Krankenkasse durfte der Beklagten mitteilen, dass sie an der Einschränkung des Dispositionsrechts des Klägers nicht mehr
festhalten will. Derartige Erklärungen dürfen auch u.a. in einer mündlichen Verhandlung ausgesprochen werden und dann gelten
sie in diesem Rechtsstreit für den betroffenen Beteiligten. Dieser Geltung kann sich jemand nicht dadurch entziehen, dass
er die Verhandlung verlässt, denn bei ordnungsgemäßer Ladung zum Termin kann auch in Abwesenheit verhandelt und entschieden
werden. Dementsprechend endet die mündliche Verhandlung nicht dadurch, dass ein Beteiligter geht, sondern wird fortgesetzt.
Es ist dann das Risiko des Beteiligten, der gegangen ist, nicht mehr mitzubekommen, was im Folgendes geschieht. Ein Verwertungsverbot
wird hierdurch nicht ausgelöst.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG und entspricht dem Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Ein Grund für die Zulassung der Revision gemäß §
160 Abs.
2 Nr.
1 oder Nr.
2 SGG ist nicht gegeben.