Anerkennung eines Impfschadens im sozialen Entschädigungsrecht nach einer Impfung mit "Infanrix hexa"
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über Ansprüche des Klägers nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG).
Der am ... 2002 geborene Kläger beantragte am 30. Juli 2002 durch seine gesetzlichen Vertreter beim Versorgungsamt eine Beschädigtenversorgung
nach dem IfSG und gab an: Der Kläger habe bei der Impfung am 30. April 2002 sehr laut und schrill geschrien und ca. 2 Stunden nach der
Impfung Krampfsymptome gehabt. Nach einer kurzen Ruhephase habe sich im Mai 2002 das Erscheinungsbild der Krämpfe deutlich
verschlechtert. Die genaue Krankheitsursache habe nicht ermittelt werden können.
Nach den Eintragungen im Impfausweis wurde der Kläger am 30. April 2002, am 2. Oktober 2002 und am 6. November 2012 von der
Fachärztin für Kinderheilkunde Dr. Z. mit Infanrix hexa geimpft. In einem vom Beklagten beigezogenen Befundschein gab Dr.
Z. unter dem 10. Dezember 2002 an, der Kläger sei am 13. Mai 2002 wegen Krampfanfällen stationär aufgenommen worden. In einem
beigefügten Arztbrief der P.-G. Stiftung vom 16. Juli 2002 berichtete der Chefarzt der Abteilung für Kinder- und Jugendmedizin
Dr. K. über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 13. Mai bis 18. Mai sowie vom 23. Mai bis 6. Juli 2002. Als Diagnosen
sei von einem frühkindlichen Anfallsleiden (nicht klassifiziert mit unterschiedlichen Anfallsformen), einer statomotorischen
Entwicklungsverzögerung sowie einer unklaren Transaminasenerhöhung auszugehen. Nach der Familienanamnese hätten der Vater
des Klägers sowie ein Bruder des Vaters im Alter von sechs Monaten Krampfanfälle gehabt. Der Sohn des Bruders leide zudem
an Fieberkrämpfen. Am Abend des 30. April 2002 habe die Kindesmutter bemerkt, wie der Kläger ca. 30 Sekunden lang starr blickte
und in den Bewegungen innehielt. Diese Symptomatik habe sich zwei bis drei Mal hintereinander wiederholt und sei dann wieder
verschwunden. Am 13. Mai 2002 sei eine krampfähnliche Symptomatik aufgetreten (keine Schläfrigkeit; kein Erbrechen; kein Durchfall).
In einem vom Beklagten eingeholten Befundschein erklärte die Fachärztin für Kinderheilkunde Dipl.-Med. K.-P. am 9. Dezember
2002: Seit Mai 2002 leide der Kläger an rezidivierenden Krampfanfällen, die sich trotz eingeleiteter Therapie nicht gebessert
hätten. Das Anfallsgeschehen wiederhole sich ca. alle 10 Tage. Die Entwicklung stagniere auf dem Niveau des Alters von vier
bis sechs Wochen, wobei der Kläger seit Beginn der Erkrankung sämtliche motorischen Fähigkeiten verloren habe. In einem Befundbericht
vom 16. Dezember 2002 gab Chefarzt Dr. K. an: Der Kläger sei antiepileptisch mit Valproat eingestellt. Die Anfälle träten
wochenweise, zeitweise auch häufiger auf. In den EEG-Untersuchungen seien keine sicheren Hinweise auf Potentialschwankungen des Gehirns (spike-slowe-waves; Hypsarhythmie) gefunden
worden. Es bestehe eine ausgeprägte Entwicklungsverzögerung.
Der Beklagte beauftragte ferner den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. G., der im Gutachten vom 27. Februar 2003
ausführte: Der Kläger habe am 30. April 2002 eine erste Sechsfachimpfung gegen Tetanus, Diphtherie, Pertussis (Keuchhusten),
Hämophilus Influenzae, Hepatitis-B und Poliomyeltitis erhalten. Bei den beiden weiteren Sechsfachimpfungen hätten sich keine
Auffälligkeiten gezeigt. Von den sechs Komponenten könne allein der Pertussis-Anteil als mögliche Impfschadensursache in Betracht
kommen. Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 2001 und dem 19. Oktober 2001 habe es bundesweit insgesamt 236 Impfverdachtsmeldungen
gegeben. Bei einem sechs Monate alten Säugling sei ca. einen Monat nach einer Sechsfachimpfung ein sog. West-Syndrom diagnostiziert
worden. Ein weiterer Fall eines West-Syndroms sei nach einer dritten DTPa-IPV+HIB-Impfung im April 2000 aufgetreten. Das West-Syndrom
trete beim Kleinkind als genuine Erkrankung oder als Komplikation nach einer geburtstraumatischen oder vorgeburtlichen Hirnschädigung
auf. Der Zusammenhang zur Impfung sei daher unwahrscheinlich. Wissenschaftlich unbelegt seien Krampfanfälle nach Schutzimpfungen.
Bei Pertussis würden in 0,6% bis 8% der Erkrankungsfälle Krampfanfälle beobachtet. In der Regel handele es sich dabei aber
um Fieberkrämpfe und nicht um neurologische Defizite. Nach der Literaturauffassung müsse der Erreger im ZNS erscheinen oder
eine schwere Hypoxie, Hypoglykämie, bzw. Blutung vorliegen und ein hirnorganischer Schaden dokumentiert sein. Die Schwierigkeit
im vorliegenden Fall liege im fehlenden epileptiformen Muster im Intervall-EEG. Gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Gesundheitsschaden spreche daher das Fehlen einer vakzinationsbedingten
Enzephalopathie/Enzephalitis. Die Tatsache der niedrigen initialen Anfallsfrequenz und der schweren motorischen Entwicklungsstörung
seit Mai 2002 ohne nachgewiesene florierende Erkrankung deute eher auf eine bislang unbekannte Basiserkrankung ohne Bezug
zur Impfung hin.
Der Prüfarzt MR Dr. H. schloss sich in seiner Stellungnahme vom 25. März 2003 den Ausführungen des Gutachters an und machte
ergänzend geltend: Impfkomplikationen seien nach der Literatur und den Anhaltspunkten (AHP) selten. Infektiologische Ursachen
seien beim Kläger trotz umfangreicher Diagnostik und Therapie nicht gefunden worden. So sei der Liquor unauffällig geblieben
und auch das Intervall zwischen der Impfung und dem Auftreten der krampfähnlichen Symptome zu kurz, um einen Ursachenzusammenhang
annehmen zu können.
Mit Bescheid vom 27. März 2003 lehnte der Beklagte einen Versorgungsanspruch ab und schloss sich den Ausführungen des Gutachters
Dr. G. an. Hiergegen richtete sich der Widerspruch des Klägers vom 24. April 2003, in dem dieser geltend machte: Beim ersten
Besuch bei der Kinderärztin Dr. Z. am 12. März 2002 habe der Kläger sehr viele Pickel im Gesicht und am Oberkörper gehabt,
was auf eine Entzündung hingedeutet habe. Dr. Z. habe eine Salbe aufgeschrieben und ihre Absicht mitgeteilt, den Kläger am
30. April 2002 impfen zu wollen. Eine Aufklärung über die Sechsfachimpfung sei dabei nicht erfolgt. Am Tag der Impfung habe
die Ärztin lediglich gefragt, ob der Kläger gesund sei. Die Kindesmutter habe daraufhin auf die noch vorhandenen Pickel sowie
den Milchschorf hingewiesen und überdies über eine Erkältung des Bruders mit hohem Fieber berichtet. Bei der Impfung in den
Oberschenkel habe der Kläger extrem laut und schrill aufgeschrien. Auf Nachfrage, was passiert sei, habe die Ärztin erklärt,
sie habe wohl einen Schmerzpunkt getroffen. Vor der Impfung sei der Kläger überhaupt nicht untersucht worden. Die Impfung
sei gegen 12.30 Uhr vorgenommen worden, gegen 14.45 Uhr habe das Bein des Klägers gezuckt, in das die Injektion erfolgt sei.
Der übrige Körper sei unauffällig geblieben. Am Nachmittag des nächsten Tages sei es erneut zu Zuckungen beider Beine gekommen,
was sich bis zum 14. Mai 2002 fortgesetzt habe. Die Behauptung, es gebe einen familiär-genetischen Zusammenhang der Krampfanfälle,
sei unrichtig.
In einer weiteren prüfärztlichen Stellungnahme vom 3. Juni 2003 führte MR Dr. H. aus: Für den Impfschaden sei es nicht bedeutsam,
ob eine Impfung nach den Regeln der ärztlichen Kunst vorgenommen worden sei. Maßgebend sei nur, ob ein Ursachenzusammenhang
zwischen dem schädigenden Ereignis (Impfung) und dem Gesundheitsschaden bestehe (Anfallsleiden und Entwicklungsrückstand).
Eine Impfkomplikation setzte eine entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems voraus, die hier nicht gesichert werden
könne.
Nach einer erneuten prüfärztlichen Stellungnahme von der Versorgungsärztin Dr. W., die an der bisherigen Bewertung festhielt,
wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 26. November 2004 zurück. Die Frage, ob beim Kläger genetische
Anlageschädigungen vorlägen, könne offenbleiben, da es an einer notwendigen Entzündung im Gehirn fehle.
Hiergegen hat der Kläger am 27. Dezember 2004 Klage beim Sozialgericht Dessau (SG) erhoben und sein Begehren weiterverfolgt. Nach den AHP könne eine Pertussisimpfung als Impfschaden eine Enzephalopathie
verursachen. Hierbei handele es sich nicht um eine entzündliche Gehirnerkrankung. Vor der Impfung sei der Kläger gesund und
altersgemäß entwickelt gewesen. Der Sachverhalt müsse weiter aufgeklärt werden.
Im Anschluss an eine nichtöffentlichen Sitzung vom 2. August 2005 hat das SG Prof. Dr. R. (Klinikum St. G., L.) mit der Erstellung eines internistischen Gutachtens beauftragt. In dem Sachverständigengutachten
vom 21. Dezember 2005 hat der Sachverständige nach Darstellung der aktuellen wissenschaftlichen Literatur ausgeführt: Nach
derartigen Impfungen sei ein chronisch neurologischer Schaden extrem selten. Insbesondere nach Einführung der azellulären
Pertussiskomponente seien die zuvor aufgetretenen benignen Fieberkrämpfe und hypotensiv-hyporesponsiven Episoden selten geworden.
Im vorliegenden Fall müsse eine Kausalität zwischen Krampfanfallsleiden mit Retardierung und stattgehabter Impfung abgelehnt
werden. Dagegen spreche auch der Zeitfaktor, von mindestens 48 Stunden bis ca. sieben Tagen, der bis zum Auftreten erster
Symptome verstrichen sein muss. Bei einem ersten Ereignis schon zwei Stunden nach der Impfung sei ein ursächlicher Zusammenhang
praktisch ausgeschlossen. Gegen einen Ursachenzusammenhang spreche auch die Tatsache, dass der Kläger die Folgeimpfungen toleriert
habe. So werde in einem Fall bei Mancini, bei dem ein siebenjähriger Junge eine Diphtherie/Tetanus/Poliomyelitis-Impfung erhalten
habe, berichtet, dass bei der erneuten Impfung wiederum eine Enzephalitis aufgetreten sei. Trotz umfangreicher Untersuchungen
habe das Anfallsleiden beim Kläger nicht klassifiziert werden können. Eine enzephalitistypische Konstellation oder Enzephalopathie
habe nicht gesichert werden können. Der Kausalzusammenhang zwischen Impfung und dem vorliegenden Schadensbild sei daher unwahrscheinlich.
Nach der Beauftragung eines Rechtsanwaltes hat der Kläger einen Antrag gemäß §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) gestellt und den Sachverständigen Dr. H. (W.) benannt. In dessen vom SG eingeholten Gutachten vom 30. November 2006 hat der Sachverständige ausgeführt: Jeder epileptische Anfall sei Ausdruck einer
neuronalen Funktionsstörung, bei der sich Erregungen zwischen den Nervenzellen im gesamten Gehirn (generalisierte Anfälle)
oder in bestimmten Teilen (fokale Anfälle) "ungebremst" ausbreiten und klinisch auffällig würden. Meist fänden sich fokale
EEG-Veränderungen mit epilepsietypischen Potentialen. Einschränkend sei auszuführen, dass das EEG lediglich die elektrische Aktivität der obersten Rindenschichten ableiten könne. Generalisierte Anfälle und Epilepsien träten
synchron in beiden Hirnhälften (Hemisphären) auf und seien mit klassischen "Grand-Mal-Anfällen" verbunden. Die Entstehung
einer gesteigerten Krampfbereitschaft könne auf mehrere Faktoren zurückgeführt werden. Nur selten seien rein molekulargenetische
oder läsionale Ursachen der Grund. Hexavalente Kombinationsimpfstoffe zur Grundimmunisierung im ersten und zweiten Lebensjahr
seien seit dem Jahr 2000 zugelassen und von der Ständigen Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO) empfohlen worden.
Von den zunächst zwei zugelassenen Produkten sei derzeit nur noch "Infanrix hexa" des Herstellers Glaxo Smithline verfügbar.
Dieses sei auch beim Kläger verwendet worden. Der hexavalente Kombinationsimpfstoff Infanrix enthalte Impfantigene sowie Aluminiumhydroxid
und Aluminiumphosphat als Verstärker. Derartige Adjuvantien seien vermutlich wichtig bei der Auslösung von seltenen Autoimmunreaktionen
nach Impfungen. Im Fall des Klägers entspreche der klinische Verlauf der neurologischen Störung nicht dem bekannten Muster
der postvakzinalen Enzephalopathie. Bei dieser nach Impfungen auftretenden Komplikation handele es sich um eine hyperergische
Reaktion von zerebralen Gefäßwänden und dem umgebenden Nervengewebe mit Übertritt von Flüssigkeit und Immunzellen ins Gehirn
und einer damit verbundenen Entzündung. Klinisch sei also ein eher diffuses Hirnödem mit Steigerung des Hirndrucks (im MRT
erkennbar) das entscheidende pathophysiologische Merkmal dieser Impfkomplikation. Die dadurch bedingten Krampfanfälle seien
regelmäßig tonisch-klonische Krämpfe. Eine "atypische" postvakzinale Enzephalopathie mit zu Beginn der Erkrankung auftretenden
Absencen und ohne wesentliche Beeinträchtigung zwischen den Anfällen sei nicht bekannt. Vor diesem Hintergrund könne im vorliegenden
Fall eine Enzephalopathie nicht wahrscheinlich gemacht werden, da sie einen anderen klinischen Verlauf aufweise. Die Ursache
der frühkindlichen Epilepsien des Klägers sei unbekannt. Zu vermuten sei ein genetischer Faktor mit anderen exogenen Faktoren.
Der Kläger hat gegen das Gutachten eingewandt, es sei nicht geklärt worden, welche genetische Disposition beim Kläger vorgelegen
haben solle. Im Rahmen des Ursachenzusammenhangs könne nur auf Ursachen zurückgegriffen werden, die auch nachweisbar seien.
Ein ärztlicher Behandlungsfehler sei vom Gutachter nicht problematisiert worden. Ggf. habe das Setzen der Spritze als "endogener"
Faktor das Krampfgeschehen ausgelöst. Es sei weiter aufzuklären, dass bei der durchgeführten MRT eine tatsächlich vorhandene
Enzephalopathie habe festgestellt werden können.
Mit Urteil vom 22. August 2007 hat das SG die Klage abgewiesen und sich dabei im Wesentlichen auf die Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen gestützt.
Der Kläger hat gegen das ihm am 18. September 2007 zugestellte Urteil am 15. Oktober 2007 Berufung beim Landessozialgericht
Sachsen Anhalt eingelegt und ergänzend vorgetragen: Es sei bislang nicht geklärt, wie lange nach Auftreten einer Entzündung
diese im MRT noch nachweisbar sei. Dies sei auch vor dem Hintergrund der Einweisung des Klägers erst nach geraumer Zeit nach
Auftreten der ersten Krampfanfälle bedeutsam. Wenn beim MRT am 13. Juni 2002 kleinere Entzündungsherde nicht sicher ausgeschlossen
worden seien, bleibe deren Existenz zumindest möglich. Prof. Dr. R. habe die Aussage in den AHP, ein Krampfanfallsleiden sei
als seltene Nebenfolge einer Sechsfachimpfung ausdrücklich genannt, nicht beachtet. Dies gelte auch für die Stellungnahme
der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder und Jugendmedizin e.V., die das
plausible zeitliche Intervall zwischen Impfung und unüblichen Impfreaktionen auf eine Stunde bis zu einem Monat festgelegt
hat. Auch Dr. H. könne nicht gefolgt werden. Wenn die Ursache der frühkindlichen Epilepsien nicht bekannt sei, schließe dies
einen Ursachenzusammenhang zur Impfung nicht aus. Auch einen Nachweis für genetische oder unbenannte endogene Faktoren habe
der Sachverständige nicht führen können.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Dessau vom 22. August 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 27. März 2003 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 26. November 2004 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die schwere kognitive und motorische
Entwicklungsstörung, die mangelnde visuelle Kontaktaufnahme, die muskuläre Hypotonie mit choreo-athetotischen stereotypen
Bewegungen, ein auffälliges Atemmuster mit episodischer Hyperventilation sowie eine symptomatische Epilepsie mit polymorphen,
vorwiegend generalisiert-tonischen Anfällen als Impfschaden sowie eine Hirnatrophie als Folge der Impfung vom 30. April 2002
anzuerkennen und ihm eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigung von mindestens 25 vom Hundert ab dem 30. April
2002 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält seine Bescheide sowie die Entscheidung der Vorinstanz für rechtmäßig.
In einer prüfärztlichen Stellungnahme vom 23. April 2008 hat die Versorgungsärztin Dr. W. die bisherige Bewertung verteidigt
und ergänzend ausgeführt: Das von der Kindesmutter angegebene schrille Schreien sei kein medizinisches Symptom und könne keinen
Impfschaden beweisen. Nach den älteren AHP sei zusätzlich zu dem Schreien eine Enzephalopathie notwendig, die hier eindeutig
ausgeschlossen werden könne. Eine zentrale neurologische Symptomatik in den ersten Stunden sei aus pathophysiologischen Gründen
zu verneinen. Für den Nachweis bzw. Ausschluss einer akuten Enzephalitis seien die spezifischen Untersuchungsmethoden (klinische
Befunde, Blut- und Liquoruntersuchungen, EEG) wesentliche aussagekräftiger als unspezifische bildgebende Verfahren (MRT). Die lediglich subjektive Annahme, eine Veränderung
sei nicht sicher auszuschließen, genüge nicht, derartige Veränderungen zu bestätigen.
Nach einem Hinweis des Berichterstatters, dass das Verfahren als entscheidungsreif angesehen werde, hat der Kläger am 6. Mai
2009 erneut Anträge nach §
109 SGG gestellt und eine neuropädiatrische Begutachtung mit einem genetischen Zusatzgutachten sowie ein weiteres Gutachten zur Frage
einer etwaigen (Mit-)Verursachung der Erkrankung durch Trägerstoffe, Verstärker und sonstige Bestandteile des Impfstoffs verlangt.
Eine genetische Disposition des Klägers werde bestritten und behauptet, dass die Injektion selbst, einschließlich der auffälligen
Reaktion des Klägers als ursächlich für den Gesundheitsschaden angesehen werden könne.
In einer weiteren vom Beklagten vorgelegten Stellungnahme hat die Versorgungsärztin Sch.-S. am 10. Juni 2009 ausgeführt: Das
vom Kläger geforderte genetische Gutachten werde zur Klärung des Sachverhalts nicht beitragen können, da die genetischen Grundlagen
der Entwicklung der Epilepsie komplex und teilweise ungeklärt seien. Die Annahme des Klägers, es habe sich eine Encephalitis/Enzephalopathie,
was ein schwerwiegendes Krankheitsbild sei, quasi zunächst "im Geheimen" entwickelt, sei spekulativ und medizinisch unplausibel.
Auch die Behauptung, eine sehr schmerzhafte Irritation von Hautnerven könne ein schweres zentralnervöses Leiden auslösen,
sei medizinisch abwegig und gänzlich auszuschließen. Nach dem Epidemiologischen Bulletin des Robert-Kochs-Institutes (Stand:
Juni 2007) sei nach der Veränderung der Pertussis-Komponente in der Sechsfachimpfung eine zentralnervöse Schädigung als ausgeschlossen
zu werten.
Der Kläger hat hierzu ergänzend ausgeführt: Zu Unrecht hätten die Sachverständigen eine gute Verträglichkeit der beiden nachfolgenden
Impfungen behauptet. Vielmehr seien auch nach der zweiten Impfung Krampfanfälle aufgetreten. Aus der Familienanamnese ergäben
sich keinerlei Hinweise, die für eine genetische Veranlagung sprechen könnten. Die Kindesmutter habe keinerlei Probleme in
der Schwangerschaft gehabt. Prof. Dr. K.-M. verfüge über besondere Kenntnisse in der Neuropädiatrie und habe dort ihren Forschungsschwerpunkt.
Prof. Dr. R. habe seinen Forschungsschwerpunkt in der Diagnostik bei mentaler Retardierung. Aus Grippeimpfungen sei bekannt,
dass durch andere Bestandteile des eigentlichen Impfstoffs (sog. Verstärkerstoffe) Nebenwirkungen ausgelöst werden können.
Hierzu diene das beantragte Gutachten von Prof. Dr. K. In einem beigefügten Arztbrief vom 8. September 2008 teilte Oberärztin
H.-P. (B., Krankenhaus M. in B.) mit, der Kläger sei vom 14. April bis 7. Mai 2008 stationär aufgenommen worden. Diagnostisch
sei von einer Epilepsie mit generalisierten und fokalen Zeichen sowie schwersten globalen Entwicklungsstörungen auszugehen.
Der Kläger sei inkontinent und müsse gefüttert werden. Er neige zu Infekten und sei oft sehr unruhig und habe Schreiattacken.
Nach den bisherigen Untersuchungen sei lediglich eine Großhirnatrophie gesichert.
Der Beklagte hat den Anträgen auf weitere Begutachtungen widersprochen und geltend gemacht: Es fehle nachweislich an der entscheidenden
Feststellung einer Encephalitis/Enzephalopathie. Die Abklärung der genetischen Disposition führe daher nicht weiter, da es
um die Feststellung einer Impfkomplikation gehe. Der Hinweis des Klägers auf sog. Verstärkerstoffe sei nicht zielführend,
da diese Stoffe allenfalls Immunerkrankungen auslösen könnten (vgl. Gutachten Dr. H.). Insoweit sei auch auf das Bulletin
Nr. 25 vom 25. Juni 2007 der STIKO zu verweisen. Hiernach seien die Verstärkerstoffe toxikologisch ohne Risiko.
Der Kläger hat sich mit einer Mitarbeit von Oberarzt Dr. W. an der Erstellung des Gutachtens von Prof. Dr. K.-M. einverstanden
erklärt. In dem Gutachten vom 2. März 2011 (Untersuchung vom 20. Oktober 2010) haben die Sachverständigen Prof. Dr. K.-M./Dr.
W. ausgeführt: Diagnostisch sei beim Kläger von einer schweren globalen (kognitiven und motorischen) Entwicklungsstörung,
einer mangelnden visuellen Kontaktaufnahme, einer muskulären Hypotonie mit choreo-athetotischen stereotypen Bewegungen, einem
auffälligen Atemmuster mit episodischer Hyperventilation sowie einer symptomatische Epilepsie mit polymorphen, vorwiegend
generalisiert-tonischen Anfällen sowie eine MRT-gesicherten Hirnatrophie als Erkrankungen auszugehen.
Die ersten Symptome (hochfrequentes Zittern eines Beines) nach der Impfung seien vermutlich Reflexbewegungen gewesen. Sie
seien im weiteren Verlauf des Geschehens auch nicht mehr aufgetreten. Ab dem 13. Mai 2003 sei es zu einem dramatischen Verlauf
gekommen. Die zunächst unspezifischen EEG-Untersuchungen wiesen wegen der Symptomatik auf eine Epilepsie hin, die in der EEG-Untersuchung im Jahr 2008 eindeutig festgestellt worden sei. Beim Kläger liege in Zusammenschau aller Befunde vermutlich
eine neurogenetische Erkrankung von unklarer Zuordnung vor. Für diese Annahme spreche die bereits früh manifest und nicht
progredient verlaufende schwere Entwicklungsstörung sowie der spezifische klinische Befund mit episodischer Hyperventilation
und stereotypen Bewegungen. Dagegen seien keine fokalen neurologische Befunde oder Pyramidenbahnzeichen festzustellen, wie
sie bei einer exogenen Schädigung zu erwarten gewesen wären. Die Epilepsie mit bilateralen Anfallsmustern im EEG spreche auch gegen eine exogene Hirnschädigung, da dann eine Epilepsie mit fokalen Anfällen zu erwarten sei. Der MRT-Befund
zeige im längeren Verlauf eine sichtbar werdende Hirnatrophie, was für eine Microcephalie sprechen würde. Wachstumsstörungen
des Gehirns seien bei neurogenetischen Erkrankungen häufig. Auch das Fehlen auffälliger Laborbefunde, insbesondere des Liquors,
deute auf eine neurogenetische Erkrankung hin. Als denkbare genetische Erkrankung könne ein Pitt-Hopkins-Syndrom, eine ARX-Mutation
oder ein atypisches Rett-Syndrom vorliegen. Allein der zeitliche Zusammenhang zwischen Impfung und Auftreten von Anfällen
könne im Sinne eines Ursachenzusammenhangs gewertet werden. Denkbar sei es, dass exogene Faktoren (z.B. Impfung) einen Anfall
triggern. Dies sei bei genetisch bedingten Epilepsien nicht selten (z.B. Dravet-Syndrom). Die Manifestation einer chronischen
Epilepsie begründe sich damit aber nicht. Vielmehr sei die genetische Disposition dann als Ursache der Epilepsie anzusehen.
Wie nach den vorangegangenen Gutachten sei kein Ursachenzusammenhang zwischen Impfung und Erkrankung wahrscheinlich zu machen.
Der Kläger hat gegen das Gutachten eingewandt, es bleibe weiterhin unklar, ob bei ihm eine genetische Disposition vorliege
oder dies nur vermutet werden könne. Auch bei einer entsprechenden genetischen Disposition wäre er in diesem Zustand nach
dem sozialen Entschädigungsrecht geschützt. Auch die Frage des konkreten Zeitpunkts der Triggerung sei klärungsbedürftig und
entscheidungserheblich, da das Alter des Kindes für den Verlauf einer Erkrankung bedeutsam sei. Die Sachverständige habe sich
mit den unmittelbar festgestellten Symptomen unmittelbar nach der Impfung nicht beschäftigt.
Am 3. August 2011 hat der Sachverständige Dr. W. erklärt, er befürworte die Einholung eines humangenetischen Gutachtens. Von
der Beantwortung der Fragen werde daher zunächst Abstand genommen. Prof. Dr. R. hat in einem humangenetischen Gutachten vom
26. Juli 2013 zusammenfassend ausgeführt: Nach Laboruntersuchungen und den bioinformatischen Auswertungen habe sich keine
krankheitsverursachende Mutation beim Kläger nachweisen lassen. Bei Patienten mit Entwicklungsretardierung ließen sich ca.
50 % der Genveränderungen erfassen. Aktuell bestünden noch methodische Einschränkungen wie z.B. Genabschnittsverluste oder
Genabschnittsvervielfältigungen, die ebenfalls krankheitsverursachend sein können. Es lasse sich daher weder beweisen noch
ausschließen, ob es sich beim Kläger um ein genetisch verursachtes Krankheitsbild handele.
Der Beklagte sieht sich in seiner Auffassung bestätigt und hat zur Unterstützung seiner Position eine Stellungnahme der Versorgungsärztin
Dr. S. vom 20. September 2013 vorgelegt: Weder nach den Vorgaben der STIKO noch nach den Befundunterlagen, die gegen eine
exogene Schädigung sprächen, lasse sich ein Ursachenzusammenhang begründen. Damit scheide auch die Plausibilität der Möglichkeit
eines kausalen Ursachenzusammenhangs im Sinne der sog. Kann-Versorgung aus. Es sei daher von einer neurogenetischen Erkrankung
auszugehen. Die methodischen Probleme einer humangenetischen Untersuchung könnten an dieser Sachlage nichts ändern.
In einer ergänzenden Stellungnahme vom 9. Dezember 2013 haben die Sachverständigen Prof. Dr. K.-M./Dr. W. ausgeführt: Eine
genetische Ursache sei beim Kläger nicht nachweisbar, was sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. R. ergebe. Die Vermutung einer
neurogenetischen Erkrankung sei daher weder bewiesen noch ausgeschlossen. Es sei nicht feststellbar, ob der Kläger ohne die
Impfung eine völlig normale Entwicklung genommen hätte. Aus der Literatur sei bekannt, dass Impfungen einzelne Anfälle triggern
könnten. Aus einer großen Populationsstudie aus Dänemark (2012) sei bekannt, dass die Epilepsiewahrscheinlichkeit bei geimpften
Kindern kleiner gewesen sei als in der Vergleichsgruppe mit ungeimpften Kindern. Die Autoren hätten hieraus die Schlussfolgerung
gezogen, dass die Impfung kein erhöhtes Epilepsierisiko begründe. Dies decke sich mit einer Kohortenstudie aus den USA. Hinweise
für eine Korrelation zwischen Impfung und kindlicher Epilepsie seien nach einer amerikanischen Quelle aus dem Jahr 2007 nicht
gegeben. Der Hinweis "erste sichtbare Anfälle" trage dem Umstand Rechnung, dass Anfälle auch unbemerkt aufgetreten sein können
(z.B. im Schlaf). Schrilles Schreien sei ein unspezifisches Symptom und begründe keinen Anknüpfungspunkt für eine Impfkomplikation.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und
Beratung des Senats. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die nach §§
143,
144 Abs.
1 Satz 2
SGG statthafte und auch in der von §
151 Abs.
1 SGG vorgeschriebenen Form und Frist eingelegte Berufung des Klägers ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Anerkennung
von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem IfSG. Das Urteil des SG Dessau ist daher zu Recht ergangen.
Streitgegenstand ist das Begehren des Klägers, insbesondere die Folgen einer Epilepsie sowie von schwersten globalen Entwicklungsrückständen
als Impfschaden festzustellen und hieraus Versorgungsleistungen zu erlangen.
Der Anspruch des Klägers aufgrund der am 30. April 2003 durchgeführten Sechsfach-Impfung richtet sich nach dem IfSG. Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält derjenige, welcher durch eine empfohlene oder angeordnete Schutzimpfung eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat,
wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen des Impfschadens auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung
der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Ein Impfschaden ist ein über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehender Gesundheitsschaden. § 2 Nr. 11 IfSG definiert diesen als gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden
gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung. Die schädigende Einwirkung (die Impfung), die gesundheitliche Primärschädigung
in Form einer unüblichen Impfreaktion und die Schädigungsfolge (ein Dauerleiden) müssen nachgewiesen und nicht nur wahrscheinlich
sein (BSG, Urteil vom 19. März 1986, 9a RVi 2/84, juris). Dagegen genügt nach § 61 Satz 1 IfSG für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs.
Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung.
Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich,
die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat.
Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders
enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 7. April 2011, B 9 VI 1/10 R, juris).
Bei der jeweils vorzunehmenden Kausalitätsbeurteilung sind im sozialen Entschädigungsrecht die bis Ende 2008 in verschiedenen
Fassungen geltenden Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit (AHP) anzuwenden und zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG handelt es sich bei den schon seit Jahrzehnten von einem Sachverständigenbeirat beim zuständigen Bundesministerium (jetzt
beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) erarbeiteten und ständig weiterentwickelten AHP insbesondere um eine
Zusammenfassung medizinischen Erfahrungswissens und damit um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Die AHP sind in den Bereichen des sozialen Entschädigungsrechts und im Schwerbehindertenrecht
generell anzuwenden und wirken dadurch wie eine Rechtsnorm normähnlich (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Die AHP in der Fassung seit 2004 enthält unter den Nr. 53 bis 143 Hinweise zur Kausalitätsbeurteilung
bei einzelnen Krankheitszuständen, wobei die Nr. 56 Impfschäden im Allgemeinen und die Nr. 57 Schutzimpfungen im Einzelnen
zum Inhalt haben.
Die detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 AHP
2004 sind allerdings Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim
BMAS gestrichen und durch folgenden Text ersetzt worden (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 - IV.c.6-48064-3; vgl. auch
Nr. 57 AHP 2008): Die beim Robert-Koch-Institut eingerichtete STIKO entwickelt Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion
und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden). Die Arbeitsergebnisse
der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft
dar. Die Versorgungsmedizinische Begutachtung von Impfschäden (§ 2 Nr. 11 IfSG und Nr. 56 Abs. 1 AHP) bezüglich Kausalität, Wahrscheinlichkeit und Kannversorgung ist jedoch ausschließlich nach den Kriterien von §§ 60 f. IfSG durchzuführen. Dies ergibt sich auch aus Nr. 35 bis 52 (S. 145 bis 169) der AHP (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.).
Die seit dem 1. Januar 2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) ist eine allgemein verbindliche Rechtsverordnung (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Anders als die AHP 2004 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, sodass insoweit entweder auf die letzte
Fassung der AHP (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen
Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten genutzt werden müssen
(BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.). Dabei sind alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen,
auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 7. April 2011, aaO.).
Unter Beachtung dieser Grundsätze steht zunächst fest, dass der Kläger am 30. April 2002 mit dem Impfstoff Infanrix hexa geimpft
worden ist. Außerdem steht im Vollbeweis fest, dass der Kläger diagnostisch an einer schweren globalen (kognitiven und motorische)
Entwicklungsstörung, einer mangelnden visuellen Kontaktaufnahme, einer muskulären Hypotonie mit choreo-athetotischen stereotypen
Bewegungen, einem auffälligen Atemmuster mit episodischer Hyperventilation sowie einer symptomatische Epilepsie mit polymorphen,
vorwiegend generalisiert-tonischen Anfällen sowie an einer MRT-gesicherten Hirnatrophie erkrankt ist. Dies lässt sich nach
dem umfassend dokumentierten Krankheitsgeschehen sowie den zahlreichen Begutachtungen sicher belegen und ist zwischen den
Beteiligten auch nicht umstritten.
Das nach der Impfung aufgetretene Krankheitsgeschehen, insbesondere die Epilepsie und die schwere Entwicklungsstörung sowie
die damit verbundenen Schädigungsfolgen sind nach Ansicht des Senats unter Würdigung der Gesamtumstände nicht mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit durch die Impfung verursacht worden. Insoweit folgt der Senat den übereinstimmenden Gutachten von Dr. G.,
Prof. Dr. R., Dr. H. und den Sachverständigen Prof. Dr. K.-M./Dr. W. sowie den Einschätzungen der Versorgungsärzte des Beklagten.
Bereits der Sachverständige Dr. G. hat im vorliegenden Fall wegen des klinischen Verlaufs, des EEG-Anfallsmuster und den Ergebnissen der Blutuntersuchungen keinen Ursachenzusammenhang erkennen können. Gerade die nicht gesicherte
Enzephalopathie legt die Vermutung einer genetischen Ursache nahe (so Dr. H.). Dem haben sich die Gutachter Prof. Dr. K.-M./Dr.
W. angeschlossen und auf eine im Nachhinein festgestellte Hirnatrophie verwiesen, die ebenfalls gegen eine exogene Ursache
und für eine neurogenetische Erkrankung spricht. Auch Prof. Dr. R. hat sich dieser Gesamteinschätzung angeschlossen und zusätzlich
auf den eher atypischen Zeitablauf zwischen Impfung und Schadensbild sowie die fehlenden Reaktionen des Klägers bei Folgeimpfungen
verwiesen.
Die sog. Adjuvantien im Impfstoff selbst können das Schadensbild des Klägers nicht erklären. Diesen Nebenstoffen können allenfalls
Reaktionen im Autoimmunbereich, nicht aber das andersgelagerte schwere Erkrankungsbild des Klägers auslösen (so Dr. H.). Auch
das schrille Schreien des Klägers bei der eigentlichen Impfung ist kein medizinisches Symptom und genügt nicht, um den Ursachenzusammenhang
zwischen Impfung und Schadensbild wahrscheinlich zu machen (so Dr. W.). Mit dem Gutachten von Prof. Dr. R. konnte die von
anderen Sachverständigen geäußerte Vermutung, es habe eine genetische Erkrankung des Klägers vorgelegen, nicht widerlegt werden.
Gleiches gilt für die behauptete Annahme des Klägers, der Impfvorgang selbst habe den Schaden verursacht. Eine Impfung begründet
nach den Ausführungen von Prof. Dr. K.-M./Dr. W. kein erhöhtes Risiko, an Epilepsie zu erkranken. Selbst wenn die Injektion
das Schadensbild getriggert hätte, wäre die genetische Anlage dabei als wesentliche Ursache anzusehen (so Prof. Dr. K-M./Dr.
W.).
Auch für Voraussetzungen der sog. Kann-Versorgung liegen nicht vor. Dies würde voraussetzen, dass ein ursächlicher Zusammenhang
der im Einzelfall vorliegenden Umstände in den wissenschaftlichen Arbeitshypothesen als zumindest theoretisch begründet in
Erwägung gezogen werden kann. Im vorliegenden Verfahren hat keiner der herangezogenen Sachverständigen die Möglichkeit eines
Ursachenzusammenhangs zwischen Impfung und Schadensbild auch nur behauptet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Gründe nach §
160 Abs.
2 SGG nicht vorliegen.