Rente wegen Erwerbsminderung
Tätigkeit nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen bei Taubstummheit
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der 1957 geborene Kläger ist aufgrund einer im Alter von neun Monaten durchgemachten Meningitis ertaubt und besitzt eine Sprachkompetenz
eines vor Spracherwerb Ertaubten. Ihm ist deshalb ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 anerkannt worden (Bescheid des Versorgungsamtes
Freiburg vom 1. April 1980). Der Kläger absolvierte von September 1973 bis Januar 1978 eine Ausbildung zum Fliesenleger und
besuchte daneben die Sonderberufsschule für hörgeschädigte Jugendliche. Er war anschließend bei der Ausbildungsfirma als Fliesenleger
beschäftigt. Am 6. September 2011 erlitt er bei einem Arbeitsunfall Verletzungen insbesondere am Brustkorb und an der rechten
Schulter. In der Folge bezog er bis 4. März 2013 Verletztengeld sowie bis 31. August 2014 eine Verletztenrente nach einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H.
Der Kläger beantragte am 25. September 2012 Rente wegen Erwerbsminderung und wies dabei auf Gehörlosigkeit und schwere Sprachstörungen
hin. Die Beklagte ließ den Kläger durch den Facharzt für Orthopädie Dr. N. untersuchen und begutachten. Aufgrund einer Untersuchung
am 20. November 2012 diagnostizierte Dr. N. eine Schultereckgelenksarthrose bei Zustand nach ACG-Sprengung und Zügelungs-OP
rechts, ein chronisches Thoraxsyndrom bei Zustand nach Rippenserienfraktur und Plattenosteosynthese bei Zustand nach Pseudoarthrose
der vierten Rippe links, ferner BWS-Schmerzen, eine beginnende Gonarthrose links und eine Gonalgie rechts. Eine Tätigkeit
als Fliesenleger sei nicht mehr zumutbar. Leichte bis mittelschwere Arbeiten mit qualitativen Leistungseinschränkungen seien
vollschichtig möglich. Die Beratungsärztin der Beklagten Dr. T. nahm unter dem 30. November 2012 dahingehend Stellung, dass
dem Kläger Tätigkeiten mit Anforderungen an das Gehör nicht möglich seien, da er gehörlos sei. Leichte bis mittelschwere Tätigkeiten
seien unter Beachtung weiterer qualitativer Einschränkungen vollschichtig möglich. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Fliesenleger
sei nur unter dreistündig zu verrichten. Aufgrund der Einschränkung des Versicherten und der aufgrund der Gehörlosigkeit schwierigen
Einarbeitung in eine für den Versicherten ganz neue Tätigkeit schlug die Sachbearbeiterin vor, dem Kläger eine teilweise Erwerbsminderungsrente
wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren. Dem kam die Beklagte nach und bewilligte mit Rentenbescheid vom 21. Dezember 2012 eine
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. September 2012, die jedoch nicht auszuzahlen sei. Ein Anspruch auf Rente wegen
voller Erwerbsminderung bestehe nicht. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Seit dem Arbeitsunfall sei ihm eine körperlich
anstrengende Arbeit schmerzfrei nicht mehr möglich. Zudem sei es schon vor dem Unfall schwierig gewesen, aufgrund seines Handicaps
eine Arbeitsstelle zu finden, selbst wenn es um eine Stelle in derselben Branche gegangen sei. Zudem wies der Kläger darauf
hin, dass er ab dem 5. März 2013 kein Verletztengeld mehr erhalte. Mit Rentenbescheid vom 27. Februar 2013 berechnete die
Beklagte die Rente neu und zahlte sie aus. Die Beratungsärztin der Beklagten Dr. T. führte aus, dass die orthopädisch zu beurteilenden
Erkrankungen keine Erwerbsminderung begründeten. Bezüglich der Taubstummheit sei zu beachten, dass der Kläger jahrelang in
das Erwerbsleben voll integriert gewesen sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 2013 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Die Gehörlosigkeit alleine stelle keine schwere spezifische Leistungseinschränkung dar. Hierdurch seien lediglich
Tätigkeiten ausgeschlossen, die eine uneingeschränkte Kommunikationsfähigkeit erforderten. Außerdem bestehe ein Restleistungsvermögen
nicht nur für leichte, sondern auch für mittelschwere Tätigkeiten, sodass davon ausgegangen werden könne, dass eine ausreichende
Anzahl von Arbeitsplätzen vorhanden sei.
Der Kläger hat am 9. August 2013 Klage zum Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, dass eine schwere spezifische Behinderung vorliege, die auch die Einarbeitung
in eine neue Tätigkeit derart erschwere, dass diese unrealistisch erscheine. Die bisherige Berufstätigkeit widerlege nicht,
dass die heutigen Bedingungen des Arbeitsmarktes es verunmöglichten, das Restleistungsvermögen zu verwerten. Er habe bislang
nur einen Arbeitgeber gehabt, bei dem er auch schon die Lehre absolviert habe. Er habe seit 2003 noch eine Tätigkeit als Zusteller.
Seine Ehefrau begleite ihn bei der Arbeit. Er könne sein Restleistungsvermögen nur mit Arbeitsassistenz einbringen. Er sei
darauf angewiesen, dass eine einfache Sprache gewählt und langsam gesprochen werde. Ein Mindestmaß an Kommunikationsfähigkeit
sei aber Voraussetzung für eine Vielzahl der Tätigkeitsfelder.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass der Kläger bis 2011 versicherungspflichtig und danach bis 2013 geringfügig beschäftigt
gewesen sei. Tätigkeiten, die auch bei Gehörlosigkeit ausgeübt werden könnten, gäbe es auf dem allgemeinem Arbeitsmarkt in
ausreichender Zahl. Die Beklagte hat sodann Verweisungstätigkeiten als Warenaufmacher, Versandfertigmacher, Warensortierer,
Montierer in der Metall- und Elektroindustrie, Arbeiter in der Verpackung, und als Reinigungskraft benannt, die mit den qualitativen
Leistungseinschränkungen und mit Gehörlosigkeit vereinbar seien. Von April 2003 bis März 2013 und im Februar 2015 seien von
der Jaumann Zustell GmbH und ab Dezember 2014 mit Unterbrechungen von der Zustellagentur Wünsche Zeiten der geringfügigen
Beschäftigung gemeldet worden. Die Gehörlosigkeit habe den dort verrichteten Tätigkeiten als Zusteller nicht entgegengestanden,
weshalb auch diese Tätigkeit benannt werde.
Das SG hat von der Hausärztin Dr. D. eine schriftliche sachverständige Zeugenaussage vom 30. Dezember 2013 und von Dr. E. ein orthopädisches
Gutachten vom 3. März 2015 eingeholt. Dr. D. hat über die Vorsprache des Klägers am 23. Mai 2013 und 20. Juni 2013 berichtet.
Die Schmerzen sollten orthopädisch abgeklärt werden. Die übrigen hier erhobenen Befunde sprächen nicht gegen eine leichte
Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Dr. E. hat eine posttraumatische Arthrose des rechten Schultereckgelenkes mit
Belastungsbeschwerden, Rippenserienfrakturen 1 bis 4, an der vierten Rippe operative Versorgung, gelegentliche ziehende Schmerzen
ohne funktionelle Beeinträchtigung sowie eine posttraumatische obere Sprunggelenksarthrose links nach früherer bimalleolärer
Fraktur, mit Beweglichkeitseinschränkung vor allem nach dorsal, überwiegend asymptomatisch diagnostiziert. Die Tätigkeit als
Fliesenleger sei auf Dauer ungeeignet. Mittelschwere oder leichtere Arbeiten seien ihm jedoch in vollem Umfang noch möglich;
schwere Lasten von mehr als zehn kg sollten jedoch nicht angehoben werden. Arbeit unter überwiegendem Stehen, Bücken und Einnahme
von Zwangshaltungen sowie Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, häufiges Treppensteigen, Arbeiten unter Hitze und Kälte, Zugluft
und Nässe, Arbeiten an gefährdenden Maschinen seien aufgrund der orthopädischen Gesundheitsstörungen zu vermeiden. Unter Beachtung
dieser qualitativen Einschränkungen sei der Kläger durchaus noch in der Lage, Tätigkeiten vollschichtig zu verrichten.
Mit Urteil vom 4. Februar 2016 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger ab dem 1. September 2012 Rente wegen voller
Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren. Zwar sei der Kläger unter Beachtung qualitativer Einschränkungen vollschichtig leistungsfähig.
Der Arbeitsmarkt sei jedoch verschlossen, da in Form der Taubstummheit eine schwere spezifische Leistungsbehinderung bestehe.
Dem stehe ein Leistungsvermögen auch für mittelschwere Arbeiten nicht entgegen. Da der Kläger auch Lasten von mehr als zehn
kg nicht heben dürfe, könne er zudem nur leichte körperliche Arbeiten verrichten. Die von der Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten
seien dem Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar. Zudem könne der Kläger wegen seiner Gehörlosigkeit nicht ohne
Gewährung einer Arbeitsassistenz eingearbeitet werden. Diese Leistung sei vom Integrationsamt auszuführen, sodass dahingestellt
bleiben könne, ob die bislang in der Rechtsprechung des BSG nur für den Fall der Überwindung der fehlenden Wegefähigkeit erwogene Lösung (Hinweis auf BSG, Urteil vom 14. März 2002, B 13 RJ 25/01 R) auch hier angewendet werden könne. Denn diese setze jedenfalls die Bewilligung dieser Leistung, gegebenenfalls auch deren
Durchführung, voraus (Hinweis auf BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 21/10 R). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt. Die Rente wäre ausgehend von einem hier angenommenen Leistungsfall
am 1. Juli 2012 zwar bereits ab 1. August 2012 zu leisten, der Kläger hat jedoch diese Rente erst ab 1. September 2012 begehrt.
Wann das Urteil der Beklagten zugestellt worden ist, ist aus der Akte nicht ersichtlich.
Am 18. März 2016 hat die Beklagte Berufung eingelegt. Das Urteil sei ihr am 22. Februar 2016 zugestellt worden. Der Kläger
habe über seine Bildung und seinen beruflichen Werdegang Kompetenzen erlangt, welche es ihm ermöglichten, sich Fremden gegenüber
durch sprachliche Kommunikation verständlich zu machen und selbst eine einfache Sprache von den Lippen abzulesen oder entsprechende
Gebärden des Gegenübers zu deuten. Tätigkeiten, die keine besondere Anforderung an das Kommunikations- und Hörvermögen stellten,
seien daher möglich. Die benannten Verweisungstätigkeiten seien daher zumutbar, wie auch Zureich-, Abnehm-, Montier-, Klebe-,
Sortier-, Verpackungs- und/oder Etikettierarbeiten sowie Maschinenbedienen. Zudem hätte das SG folgerichtig die Rente ab 1. August 2012 zusprechen müssen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 4. Februar 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beeinträchtigungen des Klägers seien schwerwiegend und führten unter Berücksichtigung der heutigen Anforderungen zur vollständigen
Leistungsunfähigkeit. Die Möglichkeiten der Einweisung in ein neues Arbeitsfeld und die Möglichkeiten der Anleitung in einen
Arbeitsprozess seien erheblich beeinträchtigt. Selbst die geringfügig ausgeübte Beschäftigung als Zeitungszusteller könne
der Kläger nur erbringen, weil er hierbei Unterstützung erhalte.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Beiziehung der Verwaltungsakten der BG Bau und der Schwerbehindertenakten des Landratsamtes
Lörrach. Schließlich hat der Senat von der Leiterin der Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie der Universitäts-HNO-Klinik U.
das fachärztliche Gutachten vom 21. November 2016 eingeholt. Hiernach liege beim Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit
schon seit dem neunten Monat eine Ertaubung vor. Der Kläger besitze auch nur die Sprachkompetenz eines vor Spracherwerb Ertaubten.
Der Kläger könne mündliche Anweisungen, Äußerungen von den Lippen absehen, wenn die Sprechgeschwindigkeit extrem verlangsamt
werde. Die Sprechenden müssten antlitzgerichtet sprechen, mit verdecktem Mundbild verstehe der Kläger nichts. Die Kommunikationssituation
profitiere auch von ruhiger Umgebung und dem zusätzlichen Einsatz von lautsprachbegleitenden Gebärden. Der Kläger könne keine
verständlichen mündlichen Anweisungen erteilen. Er spreche eine klassische Gehörlosensprache, die sehr stark verwaschen sei.
Ein darin etwas Geübter könne einzelne Worte verstehen. Selbst die Gutachterin habe große Mühe gehabt, einen Sachverhalt rein
verbal zu verstehen, selbst im einfachen Sprachkontext. Hinzu sei eine gewisse Umständlichkeit der Formulierung gekommen.
Die Artikulation sei so verwaschen, dass eine Verständigung extrem schwierig gewesen sei. Damit gebe es große Schwierigkeiten
einer betrieblichen Kommunikation. Anweisungen könne der Kläger zwar entgegennehmen. Er brauche dazu jedoch eine konkrete
Bezugsperson. Unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen könne der Kläger nicht arbeiten. Er benötige hierfür eine ihm zur Seite
gestellte Integrationsperson, die das Arbeitsumfeld jeweils vorbereite, die Abläufe erkläre und entstehende Missverständnisse,
die sich zwangsläufig aus der eingeschränkten verbalen Kommunikationsfähigkeit ergäben, kommuniziere. Im Falle einer Gefahrenmeldung,
die rein akustisch vermittelt werde, komme es durch das fehlende Gehör zur Verzögerung im Rettungsablauf. Auch die mangelnde
Schriftsprachkompetenz, die Artikulationsweise und die Aktenlage spreche dafür, dass hier nicht von einer Aggravation auszugehen
sei, sondern die gemessene Hörstörung der tatsächlichen Hörfähigkeit des Klägers entspreche.
Die Beklagte hat hierauf vorgetragen, dass weiterhin davon auszugehen sei, dass ein offener Arbeitsmarkt für Gehörlose bundesweit
bestehe, so z.B. im Bereich der Warensortiererei. Um den Kläger jedoch bezüglich einer weiteren Eingliederung zu unterstützen,
erkläre sie sich bereit, ihm zur Aufnahme einer neuen Beschäftigung Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines
Eingliederungszuschusses zu gewähren sowie den Integrationsfachdienst mit der Arbeitsvermittlung zu beauftragen und bei Arbeitsaufnahme
die entsprechende Berufsbegleitung für die Einarbeitungszeit als Hilfe zur Erlangung eines Arbeitsplatzes zu bewilligen. Sollten
darüber hinaus während der Einarbeitungszeit Kosten für einen Sprachendolmetscher anfallen, würden diese ebenfalls übernommen.
Der Kläger solle noch verbindlich angeben, seit wann er seine geringfügige Beschäftigung nicht mehr ausübe. Die Beklagte beantrage,
bei der Firma J. Z. GmbH und bei der Firma M.-N. Wünsche Arbeitgeberauskünfte beizuziehen. Durch die vom Kläger im zurückliegenden
Zeitraum geleistete Arbeit habe der Kläger bewiesen, dass ihm zumindest für diese Tätigkeit der Arbeitsmarkt nicht verschlossen
sei. Ferner werde die Zulassung der Revision zu der Frage der Verschlossenheit des Arbeitsmarktes beantragt, wenn ein Kläger
aufgrund der Meldung zur Sozialversicherung tatsächlich einer Beschäftigung nachgehe.
Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte überschätze das Kommunikationsvermögen des Klägers. Weder lassen sich Arbeitsabläufe
und Arbeitsanweisungen durch Mimik und Gestik steuern, noch sei die Verschriftlichung von Arbeitsanweisungen und Arbeitsergebnissen
auf den von der Beklagten benannten Arbeitsplätzen vorauszusetzen oder zu erwarten.
Der Senat hat darauf hingewiesen, dass er beabsichtigt, nach §
153 Abs.
4 SGG zu entscheiden, da die Berufung unbegründet sein dürfte, da dem Kläger der Arbeitsmarkt verschlossen sein dürfte.
II.
Der Senat entscheidet über die Berufung durch Beschluss gem. §
153 Abs.
4 SGG, weil er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält; die Beteiligten wurden
hierzu angehört.
Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zugesprochen, weil der Kläger unter nicht betriebsüblichen
Arbeitsbedingungen arbeiten kann und eine zumutbare konkrete Verweisungstätigkeit nicht benannt worden ist. Der Senat verweist
auf das angefochtene Urteil und nimmt auf die überzeugenden Gründe Bezug (§
153 Abs.
2 SGG).
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist trotz vollschichtiger Erwerbsfähigkeit der Arbeitsmarkt verschlossen, wenn die Versicherten nicht unter in Betrieben
üblichen Bedingungen arbeiten können (z. B. BSGE 44, 39). Solche betriebsunüblichen Arbeitsbedingungen können z.B. bei ekelerregenden oder ansteckenden Krankheiten, bei häufig auftretenden
Fieberschüben, bei Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit, bei Einarmigkeit, bei Anfallsleiden vorliegen (vgl. Kasseler
Kommentar §
43 SGB VI Rdnr. 39 ff). Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass der Kläger aufgrund seiner Taubstummheit nur noch unter betriebsunüblichen Bedingungen arbeiten
kann. Die vom Senat bestellte gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. hat dies für den Senat überzeugend bestätigt. Hiernach
kann der Kläger mündliche Anweisungen, Äußerungen nur dann von den Lippen ablesen, wenn die Sprechgeschwindigkeit extrem verlangsamt
wird und die Sprechenden antlitzgerichtet sprechen. Die Kommunikationssituation profitiert auch noch von ruhiger Umgebung
und dem zusätzlichen Einsatz von lautsprachbegleitenden Gebärden. Prof. Dr. B. hat hierzu auch nachvollziehbar gefolgert,
dass der Kläger eine konkrete Bezugsperson braucht, die das Arbeitsumfeld jeweils vorbereitet, die Abläufe erklärt und entstehende
Missverständnisse, die sich zwangsläufig ergeben, ausräumt. Hinzu kommt, dass der Kläger keine verständlichen mündlichen Anweisungen/Äußerungen
abgeben kann. Der Kläger spricht eine klassische Gehörlosensprache, die sehr stark verwaschen ist, was Prof. Dr. B. schlüssig
und nachvollziehbar dargelegt hat. Selbst ihr, als besonders geschult im Umgang mit Gehörlosen, ist es nur mit großer Mühe
gelungen, einen Sachverhalt vom Kläger zu verstehen, selbst im einfachen Sprachkontext. Diese mangelnde Sprachkompetenz resultiert
aus der Ertaubung vor Spracherwerb. Prof. Dr. B. hat dies der - rechtlichen - Wertung zugeführt, dass der Kläger nicht unter
arbeitsmarktüblichen Bedingungen arbeiten kann. Dem kann sich der Senat nur anschließen. Es ist für den Senat offensichtlich,
dass diese Bedingungen in einem Betrieb nicht üblich sind, die Betriebe dies nicht in Kauf nehmen, weshalb der Kläger nicht
wettbewerbsfähig ist. Auch die von der Beklagten benannten Tätigkeiten bzw. Verrichtungen setzen ein Mindestmaß an Kommunikationsfähigkeit
voraus, sodass die Unüblichkeit auch für die eine solche Verrichtung anbietenden Betriebe gilt. Zudem ist es einem Betrieb
schon nicht zumutbar, die für jedwede Tätigkeit vorzunehmende Einweisung vorzunehmen, da der Kläger antlitzbezogen nur langsam
-mündlich- oder völlig unüblich schriftlich eingewiesen werden könnte, er selbst nur schriftlich -zudem auch nur mangelhaft
(s. Gutachten der Prof. Dr. B.)- erwidern könnte.
Im Übrigen werden Versicherte mit allen Krankheiten und Behinderungen in die Rentenversicherung aufgenommen und es gibt keinen
Ausschluss aus der Versicherung wegen sogenannter "eingebrachter Leiden; allein durch das Erfordernis der Mindestbeitragszeit
von fünf Jahren erfolgt eine vom Gesetz vorgesehene faktische "Erprobung" bzw. Wartezeit (BSG, SozR 4-2600 § 44 Nr. 1).
Die bloße Bereiterklärung der Beklagten im Schriftsatz vom 13. Februar 2017, den Kläger zu unterstützen, ändert nichts daran,
dass der Kläger -bis zur Entscheidung des Senates- nicht unter in Betrieben üblichen Bedingungen arbeiten kann. Das SG hat auch zu Recht eine Rente auf Dauer zugesprochen, da es sich um einen Dauerzustand handelt (vgl. LSG Baden-Württemberg,
Urteil vom 26. März 2010, L 4 R 3765/08, [...]). Die Kommunikationsdefizite sind dauernder Natur, eine Besserung ist unwahrscheinlich. Da der Kläger mit seinem Klageantrag
Rente erst ab September 2012 begehrt hat, war auch erst ab September 2012 Rente wegen voller Erwerbsminderung zuzusprechen.
Den Beweisanträgen der Beklagten war nicht nachzukommen, da es nicht relevant ist, in welchem Zeitraum sowie in welchem Umfang
der Kläger in den genannten Betrieben beschäftigt war, welche Tätigkeit der Kläger verrichtet hat und wie sich die Kommunikation
mit dem Kläger dargestellt hat. Denn es ist denklogisch, dass es auch betriebsunübliche Arbeitsbedingungen in Betrieben gibt,
die der Kläger dann auch verrichten kann. Die Beklagte hat demgemäß auch bislang selbst in ihrem Verwaltungsverfahren keinen
Anlass gesehen, entsprechende Auskünfte einzuholen. Die Beklagte greift im Ergebnis wohl das medizinische Beweisergebnis an
und möchte die Ausführungen der gerichtlichen Sachverständigen widerlegen. Die gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. B. hat
für den Senat aber überzeugend dargelegt, dass vom Kläger nur extrem verlangsamtes einfaches Sprechen antlitzgerichtet verstanden
werden kann, er selbst nur stark verwaschen sprechen kann, weshalb eine Integrationsperson erforderlich ist. Eine solche Integrationsperson
hat der Kläger im Übrigen auch bei seinen Begutachtungen benötigt. Auch Dr. N. gelang die Anamnese nur unter Hilfe der Schwiegermutter
als Dolmetscherin.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Im Rahmen des dem Senat nach §
193 SGG eingeräumten Ermessens war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung erfolgreich gewesen ist und
die Beklagte Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es auch im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels für
erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden
Instanz (so Lüdtke, Kommentar zum
SGG, 4. Aufl., §
193 SGG Rdnr. 8; erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, veröffentlicht in [...]; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum
SGG, 12. Auflage, §
193 SGG Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum
SGG, §
193 SGG Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum
SGG, 4. Auflage, §
193 SGG Rdnr. 4).
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Senat kann eine grundsätzliche Rechtsfrage nicht darin erkennen,
ob die Fallgruppe der betriebsunüblichen Bedingungen nur dann angenommen werden kann, wenn ein Kläger keiner Beschäftigung
nachgeht (s. o.).