Zulässigkeit der Rückforderung gezahlter Aufwandspauschalen gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit Abs. 1c S. 3 SGB V
Anwendbarkeit nur bei Auffälligkeitsprüfungen auch für vor dem 01.07.2014 abgewickelte Prüffälle
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Erstattung der von ihr gezahlten Aufwandspauschalen nach §
275 Abs
1c Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) in Höhe von insgesamt 1.800 EUR.
Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, die Beklagte ein als anerkannte Hochschulklinik nach §
108 Nr 1
SGB V zugelassenes Krankenhaus.
Der Erstattungsforderung liegen sechs stationäre Behandlungsfälle bei der Beklagten in den Jahren 2009 bis 2012 von bei der
Klägerin krankenversicherten Personen zugrunde. Die Klägerin beglich die hierfür gestellten Rechnungen und gab beim Medizinischen
Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MDK) eine Überprüfung der Abrechnungen in Auftrag. Die von der Beklagten vorgenommene
Kodierung erwies sich als korrekt. Es kam zu keiner Minderung der Abrechnungsbeträge. Die im Jahr 2012 für diese Fälle von
der Beklagten in Rechnung gestellte Aufwandspauschale iHv jeweils 300 EUR wurde von der Klägerin bezahlt.
Mit Schreiben vom 30.11.2016 forderte die Klägerin von der Beklagten die gezahlten Aufwandspauschalen unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 25.10.2016 zurück. Nach den Entscheidungen des BSG sei bei Kodierungsprüfungen als sachlich-rechnerische Tatbestände keine Aufwandspauschale zu zahlen. Die ab dem 01.01.2016
geltende Neuregelung des §
275 Abs
1c Satz 4
SGB V entfalte keine Rückwirkung.
Nachdem die Beklagte dieser Zahlungsaufforderung keine Folge leistete, hat die Klägerin am 27.12.2016 Klage beim Sozialgericht
Reutlingen (SG) mit dem Begehren erhoben, die Beklagte zur Zahlung von 1.800 EUR zu verurteilen. Zur Begründung hat die Klägerin erneut
unter Hinweis auf die Rechtsprechung des BSG in seinen Urteilen vom 25.10.2016 ausgeführt, dass für die Beklagte kein Anspruch auf Erhalt einer Aufwandspauschale bestanden
habe, da eine sachlich-rechnerische Abrechnungsprüfung erfolgt sei. Das BSG habe ausdrücklich klargestellt, dass Kodierungsprüfungen sachlich-rechnerische Tatbestände darstellten, bei denen keine Aufwandspauschale
zu zahlen sei, auch wenn sich der Rechnungsbetrag nicht mindere. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Krankenkasse im Prüfauftrag
an den MDK oder der MDK in der Anforderung von Unterlagen beim Krankenhaus Bezug auf §
275 Abs
1 oder Abs
1c SGB V genommen habe. Ferner handele es sich bei §
275 Abs
1c Satz 4
SGB V um eine ab dem 01.01.2016 geltende gesetzliche Neuregelung, die keinerlei Rückwirkung entfalte. Die Zahlung sei rechtsgrundlos
erfolgt und deshalb zurückzuerstatten. Der Rückzahlungsanspruch sei weder verwirkt noch verjährt.
Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe in keinem der eingeklagten Fälle den Prüfauftrag an den MDK als sachlich-rechnerische
Überprüfung tituliert. Dieser habe die Prüfaufträge auch nicht als sachlich-rechnerische Überprüfung angesehen, sondern sich
auf §
275 Abs
1 Nr
1, Abs
1c SGB V berufen. Auch die Klägerin selbst sei davon ausgegangen, dass es sich um Überprüfungen gemäß §
275 Abs
1c SGB V gehandelt habe. Bei den Überprüfungen habe es sich aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers um Auffälligkeitsprüfungen
nach dem übereinstimmenden Willen aller Verfahrensbeteiligten gehandelt. Der Anwendung der Rechtsprechung des BSG zur sachlich-rechnerischen Überprüfung auf Fälle vor dem 01.07.2014 stehe das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot entgegen.
Der Erste Senat des BSG habe das neue Prüfinstitut der sachlich-rechnerischen Überprüfung erstmals in seiner Entscheidung vom 01.07.2014 propagiert,
obwohl er wie auch der Dritte Senat des BSG zuvor über Jahre hinweg alle MDK-Überprüfungen ausnahmslos von §
275 Abs
1 Nr
1, Abs
1c SGB V erfasst angesehen habe. Würde man die Rechtsprechung des BSG vom 01.07.2014 auf Sachverhalte vor diesem Zeitpunkt erstrecken, würde man abgeschlossene Sachverhalte aus der Vergangenheit
rückwirkend abweichend der Gesetzeslage und zur bis dahin gefestigten Rechtsprechung bewerten. Ein solcher Fall der echten
Rückwirkung sei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch bei Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
mit verfassungsrechtlichen Vorgaben bei gefestigter und langjähriger Rechtsprechung unvereinbar. Schließlich stehe der Rückforderung
der Klägerin jeweils der Grundsatz von Treu und Glauben entgegen. Die Parteien hätten über Jahre hinweg sämtliche MDK-Überprüfungen
den gesetzlichen Regelungen in §§
275,
276 SGB V unterworfen. Zwischen den Parteien sei bis zur Entscheidung des BSG vom 01.07.2014 nie streitig gewesen, dass sämtliche Fälle der Abrechnungsprüfung unter das Regime der §§
275,
276 SGB V fielen. Ferner verletze die Rechtsprechung des BSG in eklatanter Weise den Gewaltenteilungsgrundsatz. Es werde daher davon ausgegangen, dass entsprechenden Verfassungsbeschwerden
stattgegeben werde.
Mit Urteil vom 14.03.2018 hat das SG die Klage abgewiesen. Dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch der Klägerin stehe das Rückwirkungsverbot und das auf
den Grundsatz von Treu und Glauben gestützte Verbot treuwidrigen Verhaltens entgegen.
Gegen das ihr am 27.03.2018 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 16.04.2018 Berufung erhoben. Zur Begründung führt sie aus,
dass die vorbehaltlose Zahlung der Aufwandspauschale einem Erstattung- oder Rückzahlungsanspruch nicht erkennbar entgegenstehe.
Allein die Zahlung ohne ausdrücklichen Vorbehalt begründe noch keine Kondiktionssperre, im Jahr 2012 habe die Klägerin keine
positive Kenntnis gehabt, dass sie die Aufwandspauschale nicht hätte zahlen müssen. §
275 Abs
1c SGB V begründe für Zeiträume vor dem 01.01.2016 kein Vertrauen des Krankenhauses auf das Behaltendürfen der Aufwandspauschale.
Der Erstattungsanspruch sei nicht verwirkt. Das Rechtsinstitut der Verwirkung passe als ergänzende Regelung innerhalb der
kurzen vierjährigen Verjährungsfrist grundsätzlich nicht. Es lägen auch keine die Verwirkung auslösenden besonderen Umstände
vor. Es entspreche ständiger und gefestigter Rechtsprechung der Bundesgerichte und des Bundesverfassungsgerichts, dass Änderungen
höchstrichterlicher Entscheidungen weitergehende Rückwirkung entfalten könnten als dies bei Gesetzen im Falle der echten Rückwirkung
der Fall sein könne. Das Prüfbegehren der Klägerin habe in der richtlinienkonformen Anwendung von Abrechnungsvorschriften
durch die Beklagte gedient. Das medizinische Erfordernis der durch die Klägerin erbrachten Leistungen habe zu keinem Zeitpunkt
in Frage gestanden. Die Voraussetzungen des §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V seien nicht erfüllt gewesen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil vom 14.03.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.800 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Sie beantragt hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Es liege keine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter
Rückwirkung vor. Die Rückforderung würde gegen das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben folgende Verbot treuwidrigen Verhaltens
verstoßen. Aufgrund der professionellen Zusammenarbeit der Beteiligten mit gegenseitiger Rücksichtnahme sei eine Rückforderung
von Zahlungen aus dem Jahr 2012 auch vor Verjährungseintritt verwirkt. Im streitgegenständlichen Zeitpunkt habe für die geleistete
Zahlung ein Rechtsgrund bestanden.
Die Beteiligten haben jeweils mit Schreiben vom 03.04.2019 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und
zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakte der Klägerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche
Verhandlung entscheidet, ist unbegründet.
Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Zahlungsanspruch auf Rückerstattung der Aufwandspauschalen iHv
insgesamt 1.800 EUR.
Die Klägerin hat mit der erhobenen (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG die richtige Klageart gewählt (dazu nur BSG 14.10.2014, B 1 KR 25/13, juris; BSG 14.10.2014, B 1 KR 26/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 3). Es handelt sich um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt
nicht in Betracht kommt, kein Vorverfahren durchzuführen und eine Klagefrist nicht zu beachten ist (BSG 28.11.2013, B 3 KR 33/12 R, SozR 4-5562 § 9 Nr 5).
Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Zahlungsanspruch ist der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch
(zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch im Verhältnis von Krankenversicherung und Krankenhaus grundlegend BSG 08.11.2011, B 1 KR 8/11 R, BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2 = juris Rn 11 ff; zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bei Überzahlung von Krankenhausentgelten
vgl eingehend BSG 25.10.2016, B 1 KR 9/16 R, SozR 4-5562 § 11 Nr 2; 01.07.2014, B 1 KR 24/13 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 2). Dieser setzt voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses eine
Leistung ohne rechtlichen Grund erbracht hat (vgl BSG 21. 04.2015, B 1 KR 7/15 R, SozR 4-7610 § 242 Nr 8 = juris Rn 8 mwN).
Zwar hat die Klägerin die Aufwandspauschale ohne Rechtsgrund erbracht, die Rückforderung ist jedoch aus Vertrauensschutzgründen
ausgeschlossen.
Als Rechtsgrundlage für die Zahlung der Aufwandspauschale kommt allein §
275 Abs
1 Nr
1 iVm Abs
1c Satz 3
SGB V in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung in Betracht. Da es sich hier um eine Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit
der Abrechnung handelt, sind die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlage nicht erfüllt.
Bei Krankenhausbehandlungen nach §
39 SGB V ist eine Prüfung nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V zeitnah durchzuführen. Diese Prüfung ist spätestens sechs Wochen nach Eingang der Abrechnung bei der Krankenkasse einzuleiten
und durch den MDK anzuzeigen. Falls die Prüfung nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrags führt, hat die Krankenkasse
dem Krankenhaus eine Aufwandspauschale iHv 300 EUR zu entrichten. Nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V sind die Krankenkassen in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung
oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, bei Erbringung von Leistungen, insbesondere zur Prüfung von
Voraussetzungen, Art und Umfang der Leistung, sowie bei Auffälligkeiten zur Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eine gutachtliche
Stellungnahme des MDK einzuholen.
Nach der Rechtsprechung des BSG ist zwischen Auffälligkeitsprüfung und Prüfungen der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Krankenhausrechnung zu unterscheiden
(01.07.2014, B 1 KR 29/13 R, BSGE 116, 165 = SozR 4-2500 § 301 Nr 4; B 1 KR 48/12, BSGE 116, 130-138 = SozR 4-2500 § 276 Nr 6; B 1 KR 1/13, BSGE 116, 146-153 = SozR 4-2500 § 115b Nr 5). Die sachlich-rechnerische Richtigkeit einer Abrechnung unterfällt einem eigenen Prüfregime.
Die Auffälligkeitsprüfung betrifft regelmäßig Fälle, in denen die Krankenkasse Zweifel daran haben kann, dass das Krankenhaus
seine Leistung unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots erbracht hat. Sie begründet in den Fällen, in denen es zu keiner
Abrechnungsminderung kommt, einen Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung einer Aufwandspauschale (vgl §
275 Abs
1c Satz 3
SGB V). Soweit das Krankenhaus dagegen dem MDK lediglich im Rahmen der Abklärung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung
entsprechend seinen bestehenden Mitwirkungsobliegenheiten oder -pflichten die Möglichkeit eröffnet, die Behandlungsunterlagen
einzusehen und/oder eine Krankenhausbegehung durchzuführen, findet §
275 Abs
1c Satz 3
SGB V keine Anwendung. Das Krankenhaus hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Aufwandspauschale, wenn der sachlich-rechnerische
Prüfvorgang nicht zu einer Rechnungsminderung führt. Denn es handelt sich nicht um eine Auffälligkeitsprüfung, sondern um
eine Mitwirkung des MDK zugunsten des beweisbelasteten Krankenhauses, um diesem die Möglichkeit zu eröffnen, seinen aus §
301 SGB V abzuleitenden Informationsobliegenheiten bzw eventuellen Auskunfts- und Mitteilungspflichten zu entsprechen. Etwas anderes
gilt nur dann, wenn die Krankenkasse sachlich-rechnerische Auffälligkeiten zum Anlass nimmt, von sich aus gezielt eine Auffälligkeitsprüfung
einzuleiten (BSG 01.07.2014, B 1 KR 29/13 R, BSGE 116, 165-172 = SozR 4-2500 § 301 Nr 4 = juris Rn 22 f). Diese Rechtsprechung des BSG überschreitet die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung nicht (BVerfG 26.11.2018, 1 BvR 318/17, 1 BvR 1474/17, 1 BvR 2207/17).
Die Klägerin hat lediglich die Prüfung einer sachlich-rechnerischen Richtigkeit durch den MDK veranlasst. Die gutachtlichen
Stellungnahmen des MDK in den streitgegenständlichen sechs Behandlungsfällen haben nicht zu einer Minderung des Abrechnungsbetrages
geführt. Ob eine Krankenkasse einen Prüfauftrag mit dem Ziel der Abrechnungsminderung iS des §
275 Abs
1c Satz 3
SGB V oder der sachlich-rechnerischen Richtigkeitsprüfung erteilt, bestimmt sich nach den Grundsätzen über die Auslegung von Willenserklärungen
(§
69 Abs
1 Satz 3
SGB V; BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 7). Der für die Auslegung des Auftrags maßgebliche wirkliche Wille (§
69 Abs
1 Satz 3
SGB V iVm §
133 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB)) ergibt sich aus den für alle Behandlungsfälle in den Verwaltungsakten der Klägerin vorliegenden Prüfaufträgen an den MDK.
Nach dem Inhalt der Prüfaufträge wurde eine Prüfung der Kodierung der Prozeduren und Nebendiagnosen angestrebt, die nach der
neueren Rechtsprechung des BSG dem Prüfregime der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung unterfällt. Daran ändert nichts, dass der MDK in seinen
Prüfmitteilungen die im Ergebnis nicht zutreffende Rechtsansicht äußerte, Rechtsgrundlage sei §
275 Abs
1 Nr
1, Abs
1c SGB V, denn die konkrete Zielrichtung des Prüfauftrags war klar (BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, SozR 4-2500 § 301 Nr 7, Rn 37).
Obwohl die Leistung daher ohne Rechtsgrund erfolgt ist, kommt eine Rückforderung der gezahlten Aufwandspauschale nicht in
Betracht. Die Beklagte kann sich zwar nicht mit Erfolg auf das sich aus Art
20 Abs
3 GG ergebende verfassungsrechtliche Rückwirkungsgebot berufen. Der Rückforderung steht jedoch in der hier vorliegenden besonderen
Konstellation das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben resultierende Vertrauen der Beteiligten in ihre jahrelang geübte
Verwaltungspraxis entgegen.
Der im Rechtsstaatsprinzip aus Art
20 Abs
3 GG verankerte Grundsatz des Vertrauensschutzes in der Ausprägung als Rückwirkungsverbot steht einer echten Rückwirkung von Gesetzen
entgegen. Eine solche liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände
eingreift. Die im Rechtsstaatsprinzip in der Verfassung verankerten Gebote der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes
gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für
die Selbstbestimmung. Die Rechtssicherheit soll verhindern, dass die Rechtsunterworfenen durch die rückwirkende Beseitigung
erworbener Rechte über die Verlässlichkeit der Rechtsordnung getäuscht werden (BVerfG 25.04.2015, 1 BvR 2314/12, juris Rn 13).
Das Bundesverfassungsgericht hat für die höchstrichterliche Rechtsprechung ausgeführt, dass diese nicht ohne weiteres schutzwürdiges
Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage begründen könne. Die über den Einzelfall hinausreichende Geltung fachgerichtlicher
Gesetzesauslegung beruhe allein auf der Überzeugungskraft ihrer Gründe sowie der Autorität und den Kompetenzen des Gerichts.
Es bedürfe nicht des Nachweises wesentlicher Änderungen der Verhältnisse oder der allgemeinen Anschauungen, damit ein Gericht
ohne Verstoß gegen Art
20 Abs
3 GG von seiner früheren Rechtsprechung abweichen könne. Die Änderung einer ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sei unter
dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes grundsätzlich dann unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet sei und sich im Rahmen
einer vorhersehbaren Entwicklung halte. Schutzwürdiges Vertrauen in eine bestimmte Rechtslage aufgrund höchstrichterlicher
Rechtsprechung könne daher in der Regel nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, insbesondere bei einer gefestigten und langjährigen
Rechtsprechung entstehen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 25.04.2015, 1 BvR 2314/12, juris Rn 12, 13)
Solche, ein schutzwürdiges Vertrauen begründende Umstände liegen jedoch nicht vor. Es bestand keine gefestigte und langjährige
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, die einer Anwendbarkeit der Rechtsprechung des Ersten Senats vom 01.07.2014 auch
für vorherige Zeiten entgegenstünde.
Das Bundessozialgericht hat sich mehrfach mit den Begriffen der Auffälligkeitsprüfung und der Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit befasst. In keiner der Entscheidungen hat das Bundessozialgericht ausdrücklich ausgeführt, dass auch die Prüfung
der sachlich-rechnerischen Richtigkeit einer Abrechnung zur Zahlung einer Aufwandspauschale führen muss (vgl hierzu LSG Nordrhein-Westfalen
13.12.2018, L 5 KR 738/16, juris Rn 82 ff).
Zwar hat der 1. Senat des BSG noch in den Entscheidungen vom 13.11.2012 (B 1 KR 24/11 R, BSGE 112, 141-156 = SozR 4-2500 § 275 Nr 8 = juris Rn 18) und vom 17.12.2013 (B 1 KR 52/12 R, BSGE 115, 87-95 = SozR 4-2500 § 109 Nr 36 = juris Rn 11) ausgeführt, dort insbesondere auch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des 3.
Senats vom 16.05.2013 (B 3 KR 32/12 R, SozR 4-2500 § 275 Nr 13 = juris Rn 15), dass Auffälligkeiten bestehen, die die Krankenkasse zur Einleitung einer Abrechnungsprüfung
unter Anforderung einer gutachtlichen Stellungnahme des MDK berechtigen und verpflichten, wenn die Abrechnung und/oder die
vom Krankenhaus zur ordnungsgemäßen Abrechnung vollständig mitgeteilten Behandlungsdaten und/oder weitere zulässig von der
Krankenkasse verwertbare Informationen Fragen nach der - insbesondere sachlich-rechnerischen - Richtigkeit der Abrechnung
und/oder nach der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebots aufwerfen, die die Krankenkasse aus sich heraus ohne weitere medizinische
Sachverhaltsermittlung und -bewertung durch den MDK nicht beantworten kann. Dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass beide
Arten demselben, zur Zahlung einer Aufwandspauschale führenden Regime unterfielen. Denn vielmehr können sich faktische Überschneidungen
zwischen beiden Prüfregimen daraus ergeben, dass sachlich-rechnerische Unrichtigkeiten "Auffälligkeiten" im Rechtssinne bewirken
können (so BSG 25.10.2016, B 1 KR 22/16 R, BSGE 122, 87-102 = SozR 4-2500 § 301 Nr 7, juris Rn 32).
Auch wenn die Rechtsprechung bis zum Jahr 2014 nicht geeignet ist, eine Grundlage für ein schutzwürdiges Vertrauen zu begründen,
das einer Anwendung der im Jahr 2014 erstmals in dieser Form vom BSG dargelegten Grundsätze für die Zeit davor entgegensteht, sind gleichwohl die hiesigen Beteiligten ebenso wie die übrige Praxis,
erst- und zweitinstanzliche Rechtsprechung und Literatur davon ausgegangen, dass auch die Prüfung der sachlich-rechnerischen
Richtigkeit die Zahlung einer Aufwandspauschale auslöst. Eine Differenzierung zwischen Auffälligkeitsprüfung und Prüfung der
sachlich-rechnerischen Richtigkeit fand praktisch nicht statt. Vielmehr wurden beide Arten §
275 Abs
1 Nr
1 iVm Abs
1c Satz 3
SGB V unterstellt.
Die Rückforderung der gezahlten Aufwandspauschale ist der Klägerin unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Rechtsausübung
wegen widersprüchlichen Verhaltens nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwehrt. Zwar sanktioniert die Rechtsordnung
widersprüchliches Verhalten einer Partei grundsätzlich nicht mit einem automatischen Rechtsverlust. Widersprüchliches Verhalten
ist aber dann rechtsmissbräuchlich, wenn für den anderen Teil ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden ist oder wenn andere
besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BSG 19.04.2016, B 1 KR 33/15 R, SozR 4-2500 § 109 Nr 57 mwN). Diese Voraussetzungen sind in der hiesigen Fallkonstellation erfüllt.
Eine differenzierende Betrachtungsweise nach Art der Prüfung, dh eine Unterscheidung in Auffälligkeitsprüfung und Prüfung
der sachlich-rechnerischen Richtigkeit im Hinblick auf den Anwendungsbereich der Norm war hierbei von den Beteiligten und
auch der erst- und zweitinstanzlichen Rechtsprechung ebenso wie in der Literatur nicht in Betracht gezogen worden.
Nach Einführung des §
275 Abs
1c SGB V hat das BSG ein dreistufiges Prüfverfahren mit unterschiedlichen Auskunfts- und Mitteilungspflichten entwickelt (vgl hierzu umfassend
BSG, 16.05.2012, B 3 KR 14/11 R, BSGE 111, 58-71 = SozR 4-2500 § 109 Nr 24, juris Rn 18 ff). Auf einer ersten Stufe prüfen die Krankenkassen die von den Krankenhäusern
auf der Grundlage des §
301 SGB V übermittelten Daten. Erschließen sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder die Richtigkeit der Abrechnung den
Mitarbeitern der Krankenkasse aufgrund dieser Angaben, daran anknüpfender Nachfragen oder eines Kurzberichts über die Behandlung
nicht, ist auf der zweiten Stufe ein Prüfverfahren unter Einschaltung des MDK einzuleiten. Die Krankenkasse hat dem MDK nach
§
276 Abs
1 Satz 1
SGB V die zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen, die ihr vom Krankenhaus zur Verfügung gestellt worden sind. Wenn
sich unter Auswertung der auf ersten und zweiten Stufe verfügbaren Sozialdaten kein abschließendes Ergebnis finden lässt,
hat das Krankenhaus auf einer dritten Stufe dem MDK alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall
zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse benötigt werden. Rechtsgrundlage hierfür ist §
276 Abs
2 Satz 1
SGB V. Dieses System haben die Beteiligten ohne weitere Differenzierung auf alle Prüfungen angewandt.
Übereinstimmend wurde das Prüfregime des §
275 Abs
1 Nr
1 iVm Abs
1c SGB V auch auf die Prüfung der sachlich-rechnerischen Richtigkeit angewandt. Insbesondere auch die Beteiligten des hiesigen Rechtsstreits
waren sich seinerzeit einig über die aus ihrer Sicht damals geltende, eine weitere Differenzierung nicht vorsehende Rechtslage.
Sie gingen im Konsens von einer anderen Rechtsanwendung aus. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin die Vorschrift
in ihren Schreiben an den MDK nannte und die Aufwandspauschale anstandslos gezahlt hat. Das übereinstimmende inhaltliche Verständnis
der Norm wurde von der Instanzen-Rechtsprechung geteilt. Der Irrtum der beteiligten Akteure über den Bedeutungsgehalt der
Norm wurde letztlich zu einer Regel, die allgemein auf Akzeptanz gestoßen und angewandt worden ist. Die Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts im Jahr 2014 kam daher für die Beteiligten überraschend. Auch wenn die bisherigen Ausführungen des BSG nicht geeignet waren, schutzwürdiges Vertrauen zu begründen, so wurden andererseits auch keine Zweifel an der Richtigkeit
des von den beteiligten Akteuren zugrunde gelegten Verständnisses der Norm geweckt. Insbesondere waren die sachkundigen Beteiligten
sich einig, dass auch bei Kodierungsprüfungen der den Krankenhäusern entstehende Aufwand pauschal abzugelten ist. Dies entspricht
auch der Vorstellung des Gesetzgebers, wie die ab 01.01.2016 geltende Fassung des §
275 Abs
1c Satz 4
SGB V belegt.
Vor dem Hintergrund dieses Konsenses der Beteiligten in Verbindung mit der damaligen Rechtsprechung erscheint es unbillig
und damit treuwidrig iSd §
242 BGB, in bereits abgeschlossenen Fällen, in denen die Aufwandspauschale ohne Vorbehalt gezahlt worden ist, und die weder durch
eine Klage noch einen sonstigen Vorbehalt offengehalten worden sind, nunmehr die gezahlten Aufwandspauschale zurückzufordern.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 197a Abs 1 Satz 1 Hs 3
SGG, 155 Abs 1 Satz 1 Var 2
VwGO, da weder Klägerin noch Beklagte zu den in §
183 SGG genannten Personen gehören.
IV.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 S 1 Hs 1
SGG iVm §§ 63, 52 Abs 1, 3, 47 GKG, wobei sich der geltend gemachte Zinsanspruch gemäß § 43 GKG nicht streitwerterhöhend auswirkt.
Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG).