Festsetzung von Kosten im sozialgerichtlichen Verfahren; Auferlegung von Kosten bei missbräuchlicher Rechtsverfolgung im Klageverfahren
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Kostenerstattung von 21.960,67 € für Implantatversorgungen im Ober- und Unterkiefer.
Die Klägerin ist 1960 geboren und bei der Beklagten im Rahmen der Familienversicherung gesetzlich krankenversichert. Bei ihr
wurde 1996 durch den Hautarzt Dr. M. eine Amalgamallergie festgestellt. Der Umweltarzt Dr. D. diagnostizierte ebenfalls 1996
eine Autoimmunerkrankung durch Metalle und Zahnherde, Nerven- und Immunschäden durch Zahngifte, Knochenauflösung im Kiefer,
eitrige Osteomyelitis im Kiefer und Riesen-Oberkiefer-Zysten mit Nebenhöhlenbeteiligung. Er empfahl eine Entfernung der Amalgam-Füllungen.
2005 wurden der Klägerin schließlich sämtliche Zähne entfernt.
Am 23.09.2009 legte die Klägerin der Beklagten Kostenvoranschläge des Zahnarztes Dr. Z. vom 20.08.2009 betreffend eine Implantatversorgung
im Ober- und Unterkiefer zur Kostenübernahme vor. Die Eingliederung erfolgte bereits in der Zeit vom 30.07. bis 19.10.2009.
Dr. Z. hatte die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Implantatversorgung und Suprakonstruktionen keine Leistungen der gesetzlichen
Krankenversicherung seien. Die Beklagte ließ zur Prüfung einer Ausnahmeindikation ein Gutachten des Medizinischen Dienstes
der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) erstellen. Aufgrund persönlicher Untersuchung am 28.10.2009 führte Dr. A.
mit Gutachten vom 20.01.2010 aus, Ober- und Unterkiefer seien bereits mit Implantaten und Kunststoffbrücken versorgt gewesen,
die Klägerin sei hiermit relativ gut zurechtgekommen. Der Speichelfluss sei normal gewesen. Die Kriterien einer Ausnahmeindikation
seien nicht erfüllt. Telefonisch lehnte die Beklagte daraufhin am 02.02.2010 die Kostenübernahme ab. Eine Kontrolluntersuchung
bei Dr. Z. im Juni 2010 ergab, dass Implantate im Oberkiefer nicht richtig eingewachsen waren.
Mit Heil- und Kostenplan (HKP) vom 27.07.2010 (Eingang bei der Beklagten am 30.07.2010) veranschlagte Dr. Z. für die weitere
prothetische Versorgung des Unterkiefers Gesamtkosten von 7.748 €. Die Eingliederung war bereits am 15.06.2010 erfolgt. Die
Beklagte wandte sich mehrfach an Dr. Z. mit der Bitte um Einreichung eines korrigierten HKP, da der vorgelegte nicht den vertragsrechtlichen
Bestimmungen entspreche. Dies erfolgte zunächst nicht. Die Klägerin wandte sich am 29.07.2010 telefonisch an die Beklagte
und machte geltend, eine Prothese sei bei ihr wegen Mundtrockenheit nicht möglich. Hierzu reichte sie ein Attest der praktischen
Ärztin Dr. K. vom 30.07.2010 nach, wonach die Klägerin unter starker Mundtrockenheit leide verbunden mit häufigen Zahnfleischentzündungen,
weshalb ihr das Tragen einer Zahnprothese nicht möglich sei.
Die Beklagte ließ ein weiteres MDK-Gutachten durch Dr. M. erstellen, der unter dem 25.10.2010 ausführte, allgemeine Mundtrockenheit
ohne Radiatio oä sei für eine Ausnahmeindikation nicht ausreichend. Nach vorliegender OPG-Aufnahme seien die geplanten Maßnahmen
bereits vor dem 21.06.2010 durchgeführt worden.
Mit Bescheid vom 22.11.2010 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenbeteiligung für die Implantate im Ober- und Unterkiefer
ab, da keine Ausnahmeindikation vorliege. Hiergegen legte die Klägerin am 14.12.2010 Widerspruch ein.
Am 30.12.2010 ging bei der Beklagten ein weiterer HKP von Dr. Z. vom 27.12.2010 über die prothetische Versorgung des Oberkiefers
ein mit voraussichtlichen Gesamtbehandlungskosten von 4.121,12 €. Mit Bescheid vom 03.01.2011 bewilligte die Beklagte einen
Festzuschuss iHv 347,48 € unter Berücksichtigung eines Bonus von 30% für Zahnvorsorge. Die Eingliederung erfolgte am 17.05.2011.
Mit Widerspruchsbescheid vom 17.03.2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und bezog sich hierbei auf
alle drei beantragten Behandlungsmaßnahmen. Es liege keine Ausnahmeindikation nach §
28 Abs
2 Satz 9 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) vor, Kieferatrophien gehörten nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht zu den vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) festgelegten seltenen Ausnahmeindikationen.
Hiergegen richtet sich die am 23.03.2011 zum Sozialgericht Ulm (SG) erhobene Klage. Es liege eine Ausnahmeindikation vor, Dr. K. habe ihr Mundtrockenheit attestiert. Die Klägerin hat Rechnungen
über die durchgeführten Behandlungen vorgelegt und die Erstattung von 22.679,29 € geltend gemacht, die sie an Dr. Z. bezahlt
hat.
Mit Bescheid vom 27.04.2011 bewilligte die Beklagte für die Versorgung des Unterkiefers auf der Grundlage eines HKP von Dr.
Z. vom 09.04.2010 (voraussichtliche Gesamtkosten 5.056,55 €; Eingliederungsdatum 15.06.2010) einen Festzuschuss iHv 371,14
€ unter Berücksichtigung eines Bonus von 30%.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nach §
109 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) bei Prof. Dr. H. (Facharzt für Innere Medizin, Nephrologie, Umweltmedizin). Mit Gutachten vom 02.05.2013 berichtet Prof.
Dr. H. über folgende, zum Untersuchungszeitpunkt bestehende Diagnosen: ausgeprägte Parodontitis, Sensibilisierung gegen Amalgam,
Polyneuropathie, Autoimmunthyreoditis, Chronic fatigue Syndrom und Myopathie. Ausnahmeindikationen nach den Richtlinien des
GBA hätten sowohl zwischen den Behandlungen im Jahr 2009 als auch bei den Implantatversorgungen vom 15.06.2010 und 17.05.2011
vorgelegen. Eine notstandsähnliche Situation habe nicht vorgelegen, aber eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Gesundheit.
Vor der Implantatversorgung sei nur die Einnahme flüssiger oder passierter Nahrung möglich gewesen, was idR zu einer Atrophie
der Kaumuskulatur mit vermehrter Infektanfälligkeit führe. Abweichungen zu Vorgutachten bestünden in der Bewertung der Quecksilber-Allergie
und der rezidivierenden Depressionen.
Die Beklagte hat dazu eine ergänzende Stellungnahme des MDK durch Dr. Dr. K. (Facharzt MKG-Chirurgie, plastische Operationen, Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie) vom 28.05.2013 vorgelegt. Darin wird ausgeführt,
dass aus dem Zeitraum vor 2009 keinerlei zahnmedizinische Befunde vorlägen. Von Dr. Z. sei im Kostenvoranschlag vom 20.08.2009
ein zahnloser Ober- und Unterkiefer festgestellt. Die von Dr. D. 1996 genannten schwerwiegenden Diagnosen einer "eitrigen
Osteomyelitis" und "Riesenzysten im Oberkiefer" seien ohne die dafür notwendigen Befunde medizinisch nicht nachvollziehbar.
Prof. Dr. H. liefere keine fach- und sachgerechte Darstellung eines Zahnstatus. Eine Parodontitis könne nicht vorgelegen haben,
da kein natürlicher Zahnbestand und damit keine Parodontien mehr vorhanden seien. Es könne sich nur um eine Periimplantitis
handeln, die jenseits aller umweltmedizinischen Gesichtspunkte vielfache Ursachen im zahnmedizinischen Bereich haben könne
(unzureichende Mundhygiene, ungünstige Gestaltung der Suprakonstruktion, unzureichendes Knochenlager etc). Laut Aussage im
Gutachten bestehe eine Mundtrockenheit, was im Widerspruch zum Befund von Dr. A. stehe. Prof. Dr. H. schildere lediglich die
anamnestischen Angaben der Klägerin, dass sich alle Symptome nach der Zahnentfernung 2005 gebessert hätten und nach der Implantatversorgung
gar nicht mehr bestanden hätten. Zum Vorliegen einer Ausnahmeindikation sei die Äußerung von Prof. Dr. H. fachfremd und definitiv
falsch. Es liege zwar eine Atrophie des Alveolarfortsatzes vor, aber keineswegs die in der Ausnahmeindikation beschriebenen
großen Kieferdefekte. Eine Kieferatrophie zähle nicht zu den Ausnahmeindikationen. Zusätzlich habe zu jeder Zeit die Möglichkeit
einer Ober- und Unterkiefervollprothese bestanden, da keine nachweisbare Allergie auf Dentalkunststoffe vorliege. Bei fehlender
Bestrahlung mit der vollen Tumordosis sei die Mundschleimhaut als belastbar anzusehen, auch die Kriterien einer Xerostomie
träfen nicht zu.
Das SG hat ergänzend Dr. Z. als sachverständigen Zeugen schriftlich gehört. Dieser hat mit Schreiben vom 26.11.2013 mitgeteilt,
dass mit Hilfe von Knochenaufbauten im Ober- und Unterkiefer je 6 Keramikimplantate inseriert und nach Einheilung mit festsitzendem
keramischen Zahnersatz versorgt worden seien. Eine Ausnahmeindikation für Implantation liege bei der Klägerin nicht vor.
Nach Durchführung eines Erörterungstermins am 25.06.2014 und ausführlichem richterlichen Hinweis zur Rechtslage mit Schreiben
vom 30.06.2014 hat das SG mit Urteil vom 26.11.2014 die Klage abgewiesen und der Klägerin Verfahrenskosten iHv 1.000 € auferlegt. Die Klägerin habe
keinen Anspruch auf weitere Kostenerstattung. Hinsichtlich der im Jahr 2009 erfolgten Implantatversorgung sei nicht ersichtlich,
dass diese unaufschiebbar iSv §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 1
SGB V gewesen sei. Als Rechtsgrundlage komme daher nur Alt 2 der Vorschrift in Betracht. An dem erforderlichen Kausalzusammenhang
zwischen einer rechtswidrigen Ablehnung und der Kostenlast des Versicherten fehle es, wenn die Krankenkasse vor Inanspruchnahme
der Leistung vom Versicherten mit dem Leistungsbegehren gar nicht befasst gewesen sei. Die Versorgung sei hier zwischen dem
30.07. und 19.10.2009 erfolgt, die telefonische Ablehnung der Leistung sei erst am 02.02.2010 erfolgt. Aus denselben Gründen
bestehe auch kein Anspruch auf Kostenerstattung für die prothetische Behandlung des Unterkiefers am 15.06.2010, die Monate
vor der Ablehnung der Kostenübernahme mit Bescheid vom 22.11.2010 erfolgt sei. Hinsichtlich der im Jahr 2011 erfolgten Versorgung
im Oberkiefer sei zwar die Leistungsbeschaffung erst nach der Entscheidung der Beklagten vom 03.01.2011 erfolgt, die Ablehnung
sei aber nicht zu Unrecht erfolgt. Über den Festzuschuss nach §
55 SGB V hinaus bestehe kein Anspruch auf Beteiligung an den Kosten der Suprakonstruktionen im Oberkiefer. Implantologische Leistungen
einschließlich Suprakonstruktionen gehörten nicht zur zahnärztlichen Behandlung. Ausnahmen seien nur nach §
28 Abs
2 Satz 9
SGB V i.V.m. der Behandlungsrichtlinie des GBA zulässig. Hier sei schon die implantologische Leistung nicht im Rahmen einer medizinischen
Gesamtbehandlung erfolgt. Abgesehen davon liege auch keine Ausnahmeindikation vor, insbesondere bestehe keine "extreme Xerostomie,
insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung". Dem stehe nicht entgegen, dass Dr. K. starke Mundtrockenheit attestiert habe.
Der Zahnarzt Dr. Dr. K. habe in seinem Gutachten überzeugend ausgeführt, dass allein deswegen die Kriterien einer Xerostomie
nicht zuträfen. Dies habe auch Dr. M. in seinem Gutachten gemeint. Zudem bestünden erhebliche Zweifel, ob zum maßgeblichen
Zeitpunkt Mundtrockenheit vorgelegen habe, da der Zahnarzt Dr. A. bei der klinischen Untersuchung der Klägerin einen normalen
Speichelfluss beobachtet habe. Die fachfremde Beurteilung von Dr. K. dürfte daher grundsätzlich in Frage zu ziehen sein. Dies
gelte auch vor dem Hintergrund, dass Dr. S. in seinem Arztbericht vom 05.08.2011 zwar sämtliche Gesundheitsstörungen der Klägerin
aufgelistet, aber eine Mundtrockenheit nicht erwähnt habe. Die Klägerin hätte jedoch an einer lang andauernden und extremen
Xerostomie leiden müssen. Dergleichen sei nicht ersichtlich. Die Darlegungen im Gutachten von Prof. Dr. H. seien nicht geeignet,
den Klageantrag zu substantiieren. Das Gutachten sei schlechterdings ohne Rücksicht auf die maßgebliche Behandlungsrichtlinie
verfasst worden. Es enthalte nicht einmal den Versuch einer Begründung, warum eine Gesamtbehandlung oder eine Ausnahmeindikation
gegeben sei. Seine Begründung, von der Einschätzung von Dr. A. abweichen zu müssen, weil die Klägerin gegen Quecksilber allergisch
und depressiv sei, sei angesichts der potentiellen Ausnahmeindikationen geradezu unsinnig. Eine lebensbedrohliche, tödlich
verlaufende oder ähnlich schwere Erkrankung liege bei der Klägerin nicht vor, so dass auch aus diesem Grund keine andere Beurteilung
folge. Da die Fortführung des Rechtsstreits angesichts der dargelegten fehlenden Erfolgsaussichten der Klage rechtsmissbräuchlich
sei, würden der Klägerin Missbrauchskosten iHv 1.000 € auferlegt.
Gegen das ihrem Bevollmächtigten am 04.12.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.12.2014 eingelegte Berufung der Klägerin.
Die Behandlung sei unaufschiebbar iSv §
13 Abs
3 Satz 1 1. Alt
SGB V gewesen. Die Klägerin sei nach Komplettextraktion der Zähne seit 2005 ohne herkömmlichen Zahnersatz gewesen. Für ca vier
Jahre sei die Aufnahme fester Nahrung nicht möglich gewesen. Die gesundheitlichen Probleme seit 2005 seien so massiv gewesen,
dass nur eine vorsichtige und schnelle Versorgung mit Implantaten die Klägerin überhaupt in die Lage versetzen konnte, eine
einigermaßen normale Lebenssituation herbeizuführen. Nach vier Jahren ohne Zähne habe die Klägerin nicht mehr länger zuwarten
können, bis die Beklagte über den Antrag entschieden habe. Zudem habe die Beklagte einen Gutachter eingeschaltet, was zu einer
weiteren Verzögerung geführt habe. Dies habe die Klägerin nicht abwarten können. Grundsätzlich seien daher die Voraussetzungen
des Kostenerstattungsanspruchs nach §
13 Abs
3 SGB V gegeben. Es liege auch eine Ausnahmeindikation vor. Die gutachtlichen Äußerungen von Prof. Dr. H. könnten nicht in der Form
nicht berücksichtigt werden, wie das SG dies getan habe. Das Gutachten habe die gleiche Aussagekraft wie die MDK-Gutachten, zumal die fachfremde Beurteilung allein
eine fachübergreifende Sichtweise überhaupt in Betracht ziehe und die zahnärztlichen Gutachten ins Wanken bringe, da diese
gerade nicht auf die gesamte gesundheitliche Situation der Klägerin eingingen. Bei der Klägerin habe eine starke, mithin extreme
Mundtrockenheit vorgelegen. Nehme man hinzu, dass bereits 31/2 bis 4 Jahre ein Zustand ohne Zähne vorgelegen habe und multiple
Allergien bestünden, müsse man nicht unbedingt einen Gutachter bemühen, um zu erkennen, dass eine Ausnahmeindikation iSv §
28 Abs
2 Satz 9
SGB V vorgelegen habe. Unangemessen und falsch sei auch die Auferlegung von Missbrauchskosten. Soweit das SG Mutmaßungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen anstelle, sei darauf hinzuweisen, dass die Kosten für die zahnärztliche
Behandlung nur mit Hilfe des Ehemannes hätten aufgebracht werden können; den Kostenvorschuss für das Gutachten nach §
109 SGG habe die Rechtsschutzversicherung getragen. Auch im Hinblick darauf, dass das SG sich nicht die Mühe einer näheren Betrachtung des §
13 Abs
3 1. Alt
SGB V gemacht habe, seien Missbrauchskosten zurückzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.11.2014 und die Bescheide der Beklagten vom 22.11.2010 und 03.01.2011 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheids vom 17.03.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Versorgung mit Implantaten
und Suprakonstruktionen im Ober- und Unterkiefer in Höhe von 22.679,29 € abzüglich der im Mai 2015 gezahlten Festzuschüsse
iHv 347,48 € und 371,14 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie führt aus, dass die Klägerin nicht in Abrede stelle, dass mit der Leistung vor Antragstellung bei der Beklagten begonnen
worden sei. Aus der vorgetragenen Begründung für die Unaufschiebbarkeit ergebe sich deutlich, dass es keinen objektiven medizinischen
Grund dafür gegeben habe, dass die Antragstellung nicht vor Beginn der Leistung hätte erfolgen und die Entscheidung der Krankenkasse
nicht hätte abgewartet werden können. Den Ausführungen zum Vorliegen einer Ausnahmeindikation könne nicht gefolgt werden.
Zahnlosigkeit i.V.m. einer Kieferatrophie sei explizit als Ausnahme ausgeschlossen. Eine allgemeine Mundtrockenheit erfülle
die Festlegungen des GBA zur dauerhaft bestehenden Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumorbehandlung, nicht. Auf Nachfrage
hat die Beklagte den Bescheid vom 27.04.2011 vorgelegt sowie nach nochmaliger Überprüfung die bewilligten Festzuschüsse an
die Klägerin ausgezahlt, da eine Abrechnung über die Kassenzahnärztliche Vereinigung nicht erfolgt war.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge
und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten gemäß §§
153 Abs
1,
124 Abs
2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, hat in der Sache keinen Erfolg, lediglich die vom SG verhängten Missbrauchskosten hat der Senat aufgehoben.
Die nach den §§
143,
144,
151 Abs
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft, zulässig aber unbegründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren
Rechten.
Als Anspruchsgrundlage kommt allein §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V (idF vom 26.03.2007, BGBl I 378) in Betracht, da die Klägerin keine Kostenerstattung nach §
13 Abs
2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die
Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt
hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist,
sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen
Weges selbst zu beschaffen.
Die Klägerin kann die Erstattung der Kosten nicht nach §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 1
SGB V beanspruchen. Voraussetzung ist, dass die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte.
Unaufschiebbarkeit liegt vor, wenn ein Zuwarten dem Versicherten aus medizinischen Gründen unzumutbar ist, weil der angestrebte
Behandlungserfolg zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr eintreten kann oder aus anderen medizinischen Gründen - zB wegen
der Intensität der Schmerzen - ein auch nur vorübergehendes weiteres Zuwarten nicht mehr zumutbar ist (BSG 06.03.2012, B 1 KR 17/11 R, [...] - RdNr 18 mwN). Die Klägerin war bereits seit 2005 zahnlos. Damit sind, für den Senat ohne Weiteres nachvollziehbar,
erhebliche Einschränkungen verbunden. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, warum plötzlich im Jahr 2009 eine so dringliche
Behandlungsnotwendigkeit bestanden haben soll, dass der Klägerin eine Antragstellung rechtzeitig vor der bereits ab 30.07.2009
begonnenen Eingliederung von Implantaten im Ober- und Unterkiefer nicht möglich gewesen sein sollte. Hierzu lässt sich auch
dem Vortrag der Klägerin keine überzeugende Begründung entnehmen. Erst recht liegt kein Notfall im Sinne von §
76 Abs
1 Satz 2
SGB V vor. Eine Notfallbehandlung hätte im Übrigen als Sachleistung erbracht werden müssen, so dass sich der Vergütungsanspruch
nicht gegen die Klägerin, sondern allein gegen die Krankenkasse gerichtet hätte (BSG 19.10.2001, B 1 KR 6/01 R, SozR 3-2500 §
13 Nr
25). Damit scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 1
SGB V aus.
Schon wegen der Nichteinhaltung des gesetzlich vorgesehenen Beschaffungsweges hat die Klägerin - jedenfalls für die erste
Behandlung im Jahr 2009 - auch keinen Anspruch auf Kostenerstattung nach §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V. Voraussetzung für eine Kostenerstattung nach rechtswidriger Ablehnung der Leistung durch die Krankenkasse ist der notwendige
Kausalzusammenhang zwischen der Entscheidung der Krankenkasse und der Selbstbeschaffung (BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, [...]; BSG 30.06.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 ständige Rechtsprechung). Hieran fehlt es vorliegend, denn die Krankenkasse war vor Inanspruchnahme der Behandlung
mit dem Leistungsbegehren überhaupt nicht befasst, da die Klägerin den Kostenerstattungsantrag erst nach Beginn der Behandlung
eingereicht hat. Eine vorherige Entscheidung der Krankenkasse im Rahmen des §
13 Abs
3 Satz 1 Alt 2
SGB V ist selbst dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa aufgrund von Erfahrungen aus anderen
Fällen - von vornherein feststeht (BSG 01.04.2010, B 1 KR 114/09 B, [...]; BSG 30.06.2009, B 1 KR 5/09 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 15 ständige Rechtsprechung). Dies gilt auch, wenn es um Leistungen geht, die kraft Gesetzes oder durch untergesetzliche
Regelwerke (vermeintlich) ausgeschlossen sind (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, SozR 4-2500 § 13 Nr 12). Auch nach Sinn und Zweck der Regelung kann in Fällen, in denen mit der Ablehnung zu rechnen ist, nicht auf die vorherige
Entscheidung der Beklagten verzichtet werden (Senatsurteil vom 15.05.2012, L 11 KR 5586/10). §
13 Abs
3 SGB V will den Versicherten einerseits die Möglichkeit eröffnen, sich eine von der Krankenkasse geschuldete, aber als Sachleistung
nicht erhältliche Behandlung selbst zu beschaffen, andererseits jedoch die Befolgung des Sachleistungsgrundsatzes dadurch
absichern, dass eine Kostenerstattung nur erfolgt, wenn tatsächlich eine Versorgungslücke festgestellt wird. Diese Feststellung
zu treffen, ist nicht Sache des Versicherten, sondern der Krankenkasse (BSG 14.12.2006, B 1 KR 8/06 R, BSGE 98, 26 = SozR 4-2500 § 13 Nr 12). Die Krankenkasse hat den nötigen Überblick über die Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung
und kann beurteilen, ob und wie Leistungen im bestehenden Versorgungssystem realisiert werden können. Eine vorherige Prüfung
durch die Krankenkasse, verbunden mit der Möglichkeit einer Beratung des Versicherten, ist sachgerecht; sie liegt gerade auch
im eigenen Interesse des Versicherten, weil sie ihn von dem Risiko entlastet, die Behandlungskosten ggfs selbst tragen zu
müssen, wenn ein zur Erstattungspflicht führender Ausnahmetatbestand nicht vorliegt (BSG 14.12.2006, aaO).
Abgesehen davon sind (selbst soweit der Beschaffungsweg eingehalten wurde) die Leistungsvoraussetzungen nicht gegeben, denn
die Beklagte hat die Leistungen - über die bewilligten Festzuschüsse hinaus - jedenfalls nicht zu Unrecht abgelehnt.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Versorgung mit implantologischen Leistungen nach § 27 Abs 1 S 1 und S 2 Nr
2 und
2a, §
28 Abs
2 S 9
SGB V i.V.m. Teil B Abschn VII BehandlRL-ZÄ vom 04.06.2003/24.09.2003 (BAnz Nr 226, S 24 966, mWv 01.01.2004, zuletzt geändert
am 01.03.2006, BAnz Nr 111, S 4466, mWv 18.06.2006).
Versicherte - wie die Klägerin - haben nach §§
11 Abs
1 Nr
4,
27 Abs
1 S 1
SGB V Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit, wenn die Behandlung notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen,
zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst ua zahnärztliche
Behandlung (§
27 Abs
1 S 2 Nr
2 SGB V) und die Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (§
27 Abs
1 S 2 Nr
2a SGB V). Die zahnärztliche Behandlung ihrerseits umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung
von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst
auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen
und Suprakonstruktionen erbracht werden (§
28 Abs
2 S 1
SGB V). Welche Tätigkeiten des Zahnarztes iS des §
28 Abs
2 S 1
SGB V zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst
ausreichend und zweckmäßig sind, konkretisiert die BehandlRL-ZÄ auf der Grundlage des §
92 Abs
1 S 2 Nr
2 SGB V. Für Zahnersatzleistungen enthalten die §§
55,
56 SGB V spezielle Regelungen. Danach hat die Klägerin einen Anspruch gegen die Beklagte auf den (bewilligten) Festzuschuss, nicht
jedoch darüber hinaus.
Nach §
55 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte nach den Vorgaben in den Sätzen 2 bis 7 Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch
notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische
Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode
entspricht, die gemäß §
135 Abs
1 SGB V anerkannt ist. Die Festzuschüsse für die Versorgung des Ober- und Unterkiefers im Jahr 2010 (Bescheide vom 03.01.2011 und
27.04.2011) hat die Klägerin zwischenzeitlich erhalten.
Implantologische Leistungen schließt §
28 Abs
2 S 9
SGB V von der zahnärztlichen Behandlung grundsätzlich aus. Umgekehrt soll durch die Regelung aber auch sichergestellt werden, dass
Versicherte in zwingend notwendigen Ausnahmefällen mit Implantaten versorgt werden (BT-Drucks 13/7264, S 59). Versicherte
haben in seltenen, vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in Richtlinien nach §
92 Abs
1 SGB V festzulegenden Ausnahmeindikationen für besonders schwere Fälle Anspruch auf implantologische Leistungen, wenn sie einschließlich
der Suprakonstruktion im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung als Sachleistung zu erbringen sind.
Nach der auf dieser Grundlage erlassenen Richtlinie des GBA für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche
Versorgung (Behandlungsrichtlinie vom 04.06./24.09.2003, Bundesanzeiger Nr 226 vom 03.12.2003, Seite 24966, zuletzt geändert
durch Beschluss vom 01.03.2006, Bundesanzeiger Nr 111 vom 17.06.2006, Seite 4466) liegen gemäß B VII Nr 2 Satz 4 besonders
schwere Fälle vor:
a) bei größeren Kiefer- oder Gesichtsdefekten, die ihre Ursache
- in Tumoroperationen,
- in Entzündungen des Kiefers,
- in Operationen infolge von großen Zysten (zB große follikuläre Zysten oder Keratozysten),
- in Operationen infolge von Osteopathien, sofern keine Kontraindikation für eine Implantatversorgung vorliegt,
- in angeborenen Fehlbildungen des Kiefers (Lippen-, Kiefer-, Gaumenspalten, ektodermale Dysplasien) oder
- in Unfällen
haben,
b) bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer Tumor- behandlung
c) bei generalisierter genetischer Nichtanlage von Zähnen,
d) bei nicht willentlich beeinflussbaren muskulären Fehlfunktionen im Mund- und Gesichts- bereich (zB Spastiken).
Bei Vorliegen dieser Ausnahmeindikationen besteht Anspruch auf Implantate zur Abstützung von Zahnersatz als Sachleistung nur
dann (B VII Nr 2 Satz 2), wenn eine konventionelle prothetische Versorgung ohne Implantate nicht möglich ist. In den Fällen
von Satz 4 Buchstaben a) bis c) gilt dies nur dann, wenn das rekonstruierte Prothesenlager durch einen schleimhautgelagerten
Zahnersatz nicht belastbar ist (B VII Nr 2 Satz 3).
Implantologische Leistungen, die der Abstützung von Zahnersatz dienen sollen, sind "im Rahmen einer medizinischen Gesamtbehandlung"
als Sachleistung zu erbringen, wenn sie notwendiger Teil einer medizinischen Gesamtbehandlung sind. Eine solche medizinische
Gesamtbehandlung muss sich aus verschiedenen, nämlich aus human- und zahnmedizinisch notwendigen Bestandteilen zusammensetzen,
ohne sich in einem dieser Teile zu erschöpfen. Nicht die bloße Wiederherstellung der Kaufunktion im Rahmen eines zahnärztlichen
Konzepts, sondern ein darüber hinausgehendes medizinisches Gesamtziel muss der Behandlung ihr Gepräge geben. Das folgt aus
dem Wortlaut der Regelung des §
28 Abs
2 S 9 Halbs 2
SGB V (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6).
Zudem wird der Anspruch Versicherter auf Zahnersatzleistungen auch durch §
87 Abs
1a SGB V näher geregelt. §
87 Abs
1a S 2 ff
SGB V bestimmt, dass im Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) folgende Regelungen zu treffen sind: Der Vertragszahnarzt hat vor
Beginn der Behandlung einen kostenfreien HKP zu erstellen, der den Befund, die Regelversorgung und die tatsächlich geplante
Versorgung auch in den Fällen des §
55 Abs
4 und
5 SGB V nach Art, Umfang und Kosten beinhaltet (S 2). Im HKP sind Angaben zum Herstellungsort des Zahnersatzes zu machen (S 3). Der
HKP ist von der KK vor Beginn der Behandlung zu prüfen (S 4). Die KK kann den Befund, die Versorgungsnotwendigkeit und die
geplante Versorgung begutachten lassen (S 5). Bei bestehender Versorgungsnotwendigkeit bewilligt die KK die Festzuschüsse
gemäß §
55 Abs
1 oder 2
SGB V entsprechend dem im HKP ausgewiesenen Befund (S 6). Nach Abschluss der Behandlung rechnet der Vertragszahnarzt die von der
KK bewilligten Festzuschüsse mit Ausnahme der Fälle des §
55 Abs
5 SGB V mit der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ab (S 7). Die Festzuschüsse werden gezahlt, wenn der Zahnersatz in der bewilligten
Form innerhalb von sechs Monaten eingegliedert wird. Auch der Leistungsanspruch des Versicherten ist von der Genehmigung der
Behandlung und deren Befristung abhängig (BSG 07.05.2013, B 1 KR 5/12 R, SozR 4-2500 § 55 Nr 2). Jedem HKP ist immanent, dass er sich auf eine unmittelbar bevorstehende, nur durch das Genehmigungsverfahren hinausgeschobene
vertragszahnärztliche Behandlung bezieht. Die Befristung der Genehmigung soll insbesondere dafür Sorge tragen, dass die nach
dem HKP geplante vertragszahnärztliche Behandlung nicht durch einen nach der Genehmigung sich ändernden Zahnbefund ganz oder
teilweise gegenstandslos wird, aber gleichwohl durchgeführt werden kann.
Unter Beachtung dieser Maßstäbe hat die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrten implantologischen Versorgungsleistungen.
Es liegt schon kein medizinisches Gesamtbehandlungskonzept iS der neueren BSG-Rechtsprechung vor (BSG 07.05.2013, B 1 KR 19/12 R, SozR 4-2500 § 28 Nr 6). Davon abgesehen besteht auch keine Ausnahmeindikation, wie selbst der behandelnde Zahnarzt Dr. Z. in seiner schriftlichen
Aussage vom 26.11.2013 als sachverständiger Zeuge ausdrücklich bestätigt. Eine Kieferatrophie gehört nicht zu den besonders
schweren Fällen iSd Behandlungsrichtlinie (BSG 19.06.2001, B 1 KR 4/00 R, BSGE 88, 166 = SozR 3-2500 § 28 Nr 5). Auch die Voraussetzungen der somit hier allein in Betracht kommenden Ausnahmeindikation eines besonders
schweren Falles nach B VII Nr 2 Satz 4 Buchst b (bei dauerhaft bestehender extremer Xerostomie, insbesondere im Rahmen einer
Tumorbehandlung) der Behandlungsrichtlinie des GBA liegen nicht vor. Der Zahnarzt Dr. A. stellte bei seiner Untersuchung im
Oktober 2009 einen normalen Speichelfluss fest. In dem von der Klägerin zur Begutachtung bei Prof. Dr. H. mitgebrachten Befund
vom 05.08.2011 sind zahlreiche Diagnosen genannt, Mundtrockenheit wird jedoch nicht erwähnt. Die von der Rheumatologin Dr.
K. am 30.07.2010 attestierte "starke Mundtrockenheit" konnte damit nicht bestätigt werden. Auch in den MDK-Gutachten von Dr.
Dr. K. und Dr. M. wird insoweit nachvollziehbar ausgeführt, dass die Kriterien einer Xerostomie nicht erfüllt seien, schon
gar nicht bestehen Anhaltspunkte für eine dauerhaft bestehende und extreme Xerostomie, wie in der Behandlungsrichtlinie für
den besonders schweren Fall gefordert. Im Gutachten von Prof. Dr. H. wird auf Seite 16 ausgeführt, dass sich die Mundtrockenheit
nach Entfernung aller Zähne - also bereits im Jahr 2005 - gebessert habe. Hinzu kommt, dass die Möglichkeit einer Versorgung
mit herausnehmbaren konventionellen Zahnersatz (Ober- und Unterkiefervollprothese) zu jeder Zeit bestand, wie ausdrücklich
und überzeugend im MDK-Gutachten von Dr. Dr. K. ausgeführt wird.
Das Vorliegen von Ausnahmeindikationen kann auch nicht auf der Grundlage des nach §
109 SGG eingeholten Gutachtens von Prof. Dr. H. bejaht werden. Das Gutachten leidet an zahlreichen Mängeln und überzeugt den Senat
nicht. So hat Prof. Dr. H. - Facharzt für Innere Medizin und Nephrologie - schon den Zahnstatus nicht fachgerecht dargestellt,
worauf Dr. Dr. K. in seiner Stellungnahme vom 28.05.2013 zutreffend hinweist. Ebenso zutreffend ist der Hinweis, dass die
Diagnose einer hochgradigen Parodontose bzw Parodontitis bei fehlenden natürlichen Zähnen gar nicht vorliegen konnte. Eine
stattdessen möglicherweise vorliegende Periimplantitis kann, wie Dr. Dr. K. überzeugend ausführt, vielfache Ursachen haben
wie unzureichende Mundhygiene, ungünstige Gestaltung der Suprakonstruktion, unzureichendes Knochenlager etc. Soweit Prof.
Dr. H. in seiner abschließenden Beantwortung schließlich das Vorliegen von Ausnahmeindikationen bejaht, wird dies in keiner
Weise nachvollziehbar anhand erhobener oder dargestellter Befunde begründet. Es fehlt jede Schlüssigkeit. Auch die von Prof.
Dr. H. als Grund für die Abweichung von der gutachterlichen Stellungnahme von Dr. A. genannte andere Bewertung einer Quecksilber-Allergie
und rezidivierender Depressionen kann nicht überzeugen, denn diese Punkte spielen für das Vorliegen einer Ausnahmeindikation
im Rahmen der Behandlungsrichtlinie keine Rolle.
Auch aus §
2a SGB V folgt nichts anderes. Nach dieser Vorschrift ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung
zu tragen. Sie dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art
3 Abs
3 Satz 2
GG umzusetzen, vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss oder eine gesetzliche Leistungsbegrenzung zu überwinden
(BSG 06.03.2012, B 1 KR 10/11 R, BSGE 110, 194 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 69 zu §
34 SGB V).
Ein Leistungsanspruch über die vorgesehenen Ausnahmeindikationen im Bereich der implantologischen Leistungen kann auch nicht
unter Rückgriff auf die Entscheidung des BVerfG vom 06.12.2005 (1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5) geschlossen werden, weil eine dem vom BVerfG geforderten Schweregrad entsprechende lebensbedrohliche
oder tödlich verlaufende Erkrankung hier nicht vorliegt (vgl Landessozialgericht Baden-Württemberg 14.12.2011, L 5 KR 4862/09, [...]). Auch nach der vom BSG zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung zur Präzisierung, wann Krankheiten den vom BVerfG geforderten Schweregrad erfüllen
bzw ihm gleichstehen (BSG 04.04.2006, B 1 KR 7/05 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 4 - Tomudex; BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/05 R, SozR. 4-2500 § 27 Nr 8 - interstitielle Brachytherapie, BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, SozR 4-2500 § 27 Nr 7- D-Ribose; BSG 14.12.2006, B 1 KR 12/06 R, [...] - Idebenone) kann von einer vergleichbaren Schwere der Erkrankung im konkreten Fall keinesfalls ausgegangen werden.
Selbst Prof. Dr. H. bestätigt ausdrücklich, dass keine derartige notstandsähnliche Situation vorgelegen habe.
Eine über den um 30 vH erhöhten Festzuschuss hinausgehende Kostenübernahme für die hier streitige Versorgung mit implantologischen
Leistungen ist auch unter verfassungsrechtlichen Aspekten nicht geboten. Das
SGB V regelt in §§
27 Abs
1 Nr
2 und
2a,
28 Abs
2 in Verbindung mit §
55 SGB V einen Katalog von Leistungen einschließlich der damit verbundenen Leistungsausschlüsse. Es entspricht ständiger Rechtsprechung
des BSG, dass dieser beschränkte Leistungskatalog verfassungsrechtlichen Anforderungen auch den Fällen entspricht, in denen etwa
die gesetzlich ausgeschlossene Art der Zahnersatzversorgung (zB implantologische Leistungen) als einzig medizinisch sinnvolle
Leistung in Betracht kommt (BSG 23.05.2007, B 1 KR 27/07 B, [...]). Welche Behandlungsmaßnahmen in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung einbezogen und welche davon
ausgenommen und damit der Eigenverantwortung des Versicherten zugeordnet werden, unterliegt aus verfassungsrechtlicher Sicht
einem weiten gesetzgeberischen Ermessen, denn ein Gebot zu Sozialversicherungsleistungen in einem bestimmten sachlichen Umfang
lässt sich dem
Grundgesetz nicht entnehmen (BSG 08.03.1995, 1 RK 7/93, BSGE 76, 40, 42 = SozR 3-2500 § 30 Nr 5; BSG 28.03.2000, B 1 KR 11/98 R, BSGE 86, 54 = SozR 3-2500 § 135 Nr 14). Die gesetzlichen Krankenkassen sind nicht von Verfassungs wegen gehalten, alles zu leisten, was
an Mitteln zur Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit verfügbar ist (BVerfG 06.12.2005, 1 BvR 347/98, BVerfGE 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5).
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt; die vorhandenen MDK-Gutachten und Arztauskünfte bilden eine ausreichende Grundlage
für die Entscheidung des Senats. Sie haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen
vermittelt (§
118 Abs
1 Satz 1
SGG, §
412 Abs
1 ZPO); weitere Beweiserhebungen waren daher von Amts wegen nicht mehr notwendig. Dem nicht schlüssigen Gutachten von Prof. Dr.
H. konnte der Senat dagegen, wie oben dargestellt, nicht folgen.
Das Urteil des SG war jedoch insoweit aufzuheben, als die Klägerin zur Zahlung von Missbrauchskosten verurteilt worden ist. Nach §
192 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG kann das Gericht einem Beteiligten ganz oder teilweise die Kosten auferlegen, die dadurch verursacht werden, dass der Beteiligte
den Rechtsstreit fortführt, obwohl ihm vom Vorsitzenden die Missbräuchlichkeit der Rechtsverfolgung oder -verteidigung dargelegt
worden und er auf die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten bei Fortführung des Rechtsstreites hingewiesen worden ist. Diese
Voraussetzungen lagen im Falle der Klägerin nicht vor.
Anders als das SG hält der Senat die Rechtsverfolgung im Klageverfahren nicht für missbräuchlich. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs 14/5943
S 28) wird dem Gericht in §
192 Abs
1 Satz 1 Nr
2 SGG die Möglichkeit eröffnet, einem Beteiligten Kosten aufzuerlegen, wenn die Erhebung der Klage oder sonstige Verfahrenshandlungen
als Missbrauch des grundsätzlich kostenfreien sozialgerichtlichen Rechtsschutzes anzusehen sind. Insoweit genügt jedoch allein
die Aussichtslosigkeit der (weiteren) Rechtsverfolgung als solche nicht. Hinzu kommen müssen vielmehr weitere Umstände, die
die Rechtsverfolgung im Einzelfall missbräuchlich erscheinen lassen (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 11. Aufl, §
192 RdNr 9 ff; Wenner in SozSich 2001, 422, 427). Eine Missbräuchlichkeit kann so etwa dann angenommen werden, wenn das Klagebegehren offensichtlich unzulässig oder
unbegründet ist und seine (Weiter-) Verfolgung von jedem Einsichtigen als völlig aussichtslos angesehen werden muss (vgl BVerfG
19.12.2002, 2 BvR 1255/02, [...] RdNr 3; BVerfG 03.07.1995, 2 BvR 1379/95, [...] RdNr 10 zur entsprechenden Vorschrift des § 34 Abs 2 BVerfGG).
Dies war hier jedoch nicht der Fall. Zumindest hinsichtlich der streitigen Versorgung aufgrund des HKP vom 17.12.2010 hängt
die Entscheidung auch von einer Beweiswürdigung ab. Hier ist zu berücksichtigen, dass das nach §
109 SGG eingeholte Gutachten von Prof. Dr. H. für die Klägerin positiv war. Ein besonders hohes Maß an Uneinsichtigkeit zeigt sich
keinesfalls darin, dass die Klägerin bei dem für sie günstigen Ergebnis der Beweisaufnahme die vom SG vorab im Rahmen der Androhung von Missbrauchskosten mitgeteilte Beweiswürdigung nicht teilt.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
160 Abs
2 Nr
1 und
2 SGG).