Durchführung der freiwilligen Krankenversicherung als schwerbehinderter Mensch in der gesetzlichen Krankenversicherung
Verfassungsmäßigkeit des Ausschlusskriteriums Alter
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Kläger freiwillig versichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse ist.
Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte das zuständige Versorgungsamt die Schwerbehinderung i.S.d. §
2 Abs.
2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IX) fest; seit 9. Mai 2017 betrage der Grad der Behinderung 90 (Bescheid vom 12. Juli 2017).
Am 1. August 2017 erklärte der Kläger über das Online-Aufnahmeportal der Beklagten den Beitritt und die Mitgliedschaft bei
der Beklagten ab 1. Oktober 2017. Er sei hauptberuflich selbständig erwerbstätig und privat krankenversichert.
Mit E-Mail vom 1. August 2017 teilte ihm die Beklagte mit, seine Aufnahme als Mitglied sei nicht möglich. Eine freiwillige
Versicherung als Selbständiger sei nicht möglich, da die gesetzlichen Vorversicherungszeiten bei einer gesetzlichen Krankenkasse
direkt vor dem gewünschten Mitgliedschaftsbeginn fehlten. Der Kläger hielt mit E-Mail vom 1. August 2017 sowie Schreiben vom
selben Tag unter Beifügung des Bescheides des Versorgungsamtes an seinem Antrag fest. Er erfülle mit Ausnahme der Altersgrenze
alle Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung als schwerbehinderter Mensch. Seine Ehefrau sei seit über 30 Jahren
Mitglied der Beklagten. Die Altersbegrenzung verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere enthalte
die Satzungsregelung wie auch die gesetzliche Regelung eine nicht akzeptable Diskriminierung älterer Menschen. Er bat um Korrespondenz
über die angegebene E-Mail-Adresse sowie den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides.
Mit E-Mail vom 2. August 2017 lehnte eine namentlich genannte Mitarbeiterin des Fachzentrums Vertrieb der Beklagten die Mitgliedschaft
ab. Der Kläger habe das nach ihrer Satzung bestehende Höchstalter für den Beitritt als Schwerbehinderter - das vollendete
45. Lebensjahr - bereits überschritten.
Am 11. September 2017 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) mit dem Begehren auf Mitgliedschaft bei der Beklagten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den sinngemäßen Widerspruch des
Klägers gegen die Ablehnung des Beitritts wegen des Überschreitens der Altersgrenze als unbegründet zurück.
Zur Begründung der Klage führte der Kläger aus, soweit §
9 Abs.
1 Nr.
4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) eine satzungsrechtlich bestimmte Altersgrenze für den Beitritt schwerbehinderter Menschen erlaube, sei dies wegen Intransparenz
verfassungswidrig. Damit werde der Willkür Tür und Tor geöffnet, wie sich an den höchst unterschiedlichen Altersgrenzen der
verschiedenen Krankenkassen zeige. Die Regelung räume den Krankenkassen in unüberschaubarer Weise Rechte ein, die den gesetzlich
intendierten Zugang für Schwerbehinderte zur gesetzlichen Krankenversicherung vollständig unmöglich machen könnten bzw. für
einen Großteil der Bevölkerung den Zugang auch tatsächlich unmöglich machten. Der Gesetzgeber gebe keinen Rahmen vor, innerhalb
dessen die Krankenkasse eine gesetzeskonforme Ausschlussregelung aufnehmen könne. Theoretisch wäre es möglich, die Altersgrenze
so weit herabzusetzen, dass nur noch Sonderfälle wie unfallbedingte Schwerbehinderungen Jugendlicher oder ärztliche Fehler
bei der Geburt einen Beitritt zur freiwilligen Versicherung erlaubten. Drei Viertel aller Schwerbehinderten seien aber 55
Jahre oder älter. Behinderungen seien ganz überwiegend (86,4 %) durch Krankheit bedingt, nur zu 3,8 % angeboren oder zu 1,7
% durch Unfall oder Berufskrankheit verursacht. Bei ebenfalls 86,4 % der behinderten Menschen sei die Behinderung erst in
einem Alter von über 50 Jahren eingetreten. Zwar stehe außer Frage, dass der Gesetzgeber den Kreis der Mitglieder der gesetzlichen
Krankenversicherungen abgrenzen könne, um so die Solidargemeinschaft leistungsfähig zu erhalten. Andererseits aber bilde das
Willkürverbot eine Grenze, die hier ganz offensichtlich überschritten sei. Für die hier vorliegende altersbedingte Ungleichbehandlung
lasse sich alleine schon wegen der statistisch nachgewiesenen Verhältnisse kein Rechtfertigungsgrund finden. Auch unter Berücksichtigung
von § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 6 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) sei der Klage stattzugeben. Zur Untermauerung seines Vorbringens legte der Kläger Statistiken des Statistischen Bundesamtes
vor.
Die Beklagte trat der Klage unter Verweis auf die Gründe des Widerspruchsbescheides entgegen.
Mit Gerichtsbescheid vom 18. Mai 2018 wies das SG die Klage ab. Die Beklagte habe zulässig von der gesetzlichen Ermächtigung zur Bestimmung einer Altersgrenze Gebrauch gemacht
und ihr Regelungsermessen in zutreffender Weise ausgeübt. Die Regelung sei nicht willkürlich. Nach Vollendung des 30. bis
45. Lebensjahres könne bei - im Rahmen der Normgebung zulässiger - pauschalierender Betrachtung typischerweise von einer Festigung
der wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen und damit auch Klärung der sozialen Absicherung
durch gesetzliche Sozialversicherung oder private Versicherung ausgegangen werden. Ein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip
liege darin nicht. Die freiwillige Krankenversicherung erfasse Mitglieder, die originär nicht zu dem Personenkreis zählten,
die der Gesetzgeber als so sozial schützenswert angesehen habe, dass eine Pflichtversicherung notwendigerweise durchzuführen
wäre.
Gegen diesen ihm am 24. Mai 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Juni 2018 Berufung beim Landessozialgericht
(LSG) Baden-Württemberg eingelegt, zu deren Begründung er über sein bisherigen Vorbringen hinaus ausgeführt hat, bei der Annahme
einer beruflichen Verfestigung nach Vollendung des 30. bis 45. Lebensjahres verkenne das SG, dass der Eintritt der Schwerbehinderung auf verschiedene Art und Weise erfolgen könne (Unfall, Krankheit oder andere Umstände)
und der Betroffene in der Folge die Kosten seiner Existenz kaum noch finanzieren könne, mithin nun auf die Solidargemeinschaft
angewiesen sei. Entscheidend sei nicht, in welchen wirtschaftlichen oder sonstigen sozialen Umstände der ältere Mensch vor
Eintritt der Schwerbehinderung gelebt habe, sondern die Umstände bei und ab Eintritt der Schwerbehinderung. Der zum 1. Januar
2004 eingefügte §
2a SGB V, wonach den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen sei, gehe als "jüngere" Vorschrift
der Regelung über die Altersgrenze vor. Ein solcher Belang sei auch die Möglichkeit, mit Eintritt der Behinderung einer gesetzlichen
Krankenkasse beizutreten.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 18. Mai 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2017 aufzuheben und festzustellen, dass er seit dem 1. Oktober 2017 bei
der Beklagten freiwillig krankenversichert ist.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
1. Die gemäß §
143 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) statthafte und gemäß §
151 Abs.
1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der
Zulassung nach §
144 Abs.
1 Satz 1
SGG; denn die Klage betrifft weder eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung noch einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt. Der Senat
entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten nach §
124 Abs.
2 SGG ohne mündliche Verhandlung.
2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Durchführung der freiwilligen Krankenversicherung als schwerbehinderter
Mensch in der gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied der Beklagten. Streitbefangen ist der Bescheid der Beklagten vom
2. August 2017. Mit diesem lehnte die Beklagte das durch die zweite E-Mail des Klägers vom 1. August 2017 sowie das Schreiben
vom selben Tag auf die freiwillige Versicherung als schwerbehinderter Mensch konkretisierte Begehren endgültig ab. Der nach
Klageerhebung ergangene Widerspruchsbescheid vom 16. November 2017 wurde nach §
96 Abs.
1 SGG kraft Gesetzes Gegenstand des Klageverfahrens.
Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Mitgliedschaft des Klägers in der sozialen Pflegeversicherung bei der bei der Beklagten
eingerichteten Pflegekasse. Weder im Ausgangs- noch im Widerspruchsbescheid wurde eine Entscheidung hierzu getroffen. Die
Bescheide ergingen nicht auch im Namen der Pflegekasse. Die Klage richtete sich ausdrücklich (nur) gegen die beklagte Krankenkasse.
Auch das SG entschied nur zur Mitgliedschaft in der Krankenversicherung. Ohnehin folgt die Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung
nach §
20 Abs.
3 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB XI) kraft Gesetzes aus der freiwilligen Krankenversicherung.
3. Die Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die zulässige (dazu a) Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung der freiwilligen Mitgliedschaft
als schwerbehinderter Mensch (dazu b). Der Bescheid der Beklagten vom 2. August 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16. November 2017 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
a) Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage zulässig.
aa) Das nach §
78 Abs.
1 Satz 1
SGG für die Anfechtungsklage erforderliche Vorverfahren ist durch den während des Klageverfahrens ergangenen Widerspruchsbescheid
vom 16. November 2017 abgeschlossen, was ausreicht. In der Klage lag (auch) ein formgerechter Widerspruch gegen den Bescheid
vom 2. August 2017, der schon wegen fehlender Rechtsbehelfsbelehrung im genannten Bescheid fristgerecht erhoben wurde (vgl.
§
66 SGG).
bb) Die Klage ist als Feststellungsklage nach §
55 Abs.
1 Nr.
1 SGG statthaft. Bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des §
9 Abs.
1 SGB V wird der Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung schon allein durch die Anzeige wirksam. Die Beitrittserklärung nach
§
9 Abs.
2 SGB V ("Anzeige des Beitritts") ist eine empfangsbedürftige öffentlich-rechtliche Willenserklärung mit Gestaltungswirkung (Bundessozialgericht
[BSG], Urteil vom 19. Dezember 1991 - 12 RK 24/90 - juris, Rn. 32 f.). Es bedarf keines Aufnahmeaktes der Krankenkasse (Peters in Kasseler Kommentar,
SGB V, Juni 2014, §
9 Rn. 49, 65; Baier in Krauskopf,
SGB V, April 2017, §
9 Rn. 28). Für eine vorrangige Leistungs- oder Verpflichtungsklage ist damit kein Raum. Bei Feststellung der freiwilligen Versicherung
ist dem Begehren des Klägers in vollem Umfange genügt.
b) Die Klage ist nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht wegen formeller Mängel aufzuheben (dazu unter aa).
Der Kläger erfüllt nicht die normierten Voraussetzungen einer freiwilligen Krankenversicherung (dazu unter bb). Die maßgeblichen
Regelungen verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht (dazu unter cc).
aa) Der Bescheid vom 2. August 2017 ist nicht schon wegen Verstoßes gegen Formvorschriften aufzuheben.
Nach § 33 Abs. 2 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. Danach kann ein Bescheid
grundsätzlich auch durch E-Mail ergehen.
Ein elektronischer Verwaltungsakt muss die erlassende Behörde erkennen lassen und die Unterschrift oder die Namenswiedergabe
des Behördenleiters, seines Vertreters oder seines Beauftragten enthalten (§ 33 Abs. 3 Satz 1 SGB X). Nur wenn - wie hier nicht - durch Rechtsvorschrift die Schriftform angeordnet ist, sind nach Satz 2 und 3 zusätzliche Anforderungen
zu wahren. In der E-Mail vom 2. August 2017 wurde die erlassende Behörde (Beklagte, konkret deren Fachzentrum Vertrieb) bezeichnet.
Die Namenswiedergabe der handelnden Mitarbeiterin war enthalten. Nach den Gesamtumständen des Ablaufs geht der Senat davon
aus, dass es sich dabei um die Beauftragte des Behördenleiters handelte. Der Kläger stellt dies nicht in Abrede. Anderes führte
jedenfalls nicht zur Aufhebung des Bescheides. Da die erlassende Behörde angegeben wurde, ist der Verwaltungsakt nicht nichtig
(vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB X). Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren,
die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung
in der Sache nicht beeinflusst hat (§ 42 Satz 1 SGB X). Letzteres ist bei gebundenen Entscheidungen ohne Ermessensspielraum der Behörde - wie vorliegend - erfüllt (Leopold in
Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 42 Rn. 53 m.w.N.).
Die Bescheiderteilung durfte elektronisch erfolgen. Nach §
36a Abs.
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) ist die Übermittlung elektronischer Dokumente zulässig, soweit der Empfänger hierfür einen Zugang eröffnet. Erforderlich
ist hierfür, dass der Empfänger seine Bereitschaft, elektronische Mitteilungen entgegenzunehmen, hinreichend zum Ausdruck
bringt (Pflüger in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB I, 3. Aufl. 2018, §
36a Rn. 36). Dies hat der Kläger vorliegend getan. Ausdrücklich bat er in seiner zweiten E-Mail vom 1. August 2017 um Korrespondenz
über die angegebene E-Mail-Adresse sowie den Erlass eines rechtsbehelfsfähigen Bescheides.
bb) Der Kläger erfüllt nicht die normierten Voraussetzungen einer freiwilligen Krankenversicherung.
(1) Nach §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V (in der ab 1. Juli 2001 geltenden Fassung des Art. 5 Nr. 4 Buchst. a nach Maßgabe des Art. 67 Gesetz zur Einführung des Neunten Buchs Sozialgesetzbuch [SGB IX] vom 19. Juni 2001,
BGBl. I S. 1046) können der Versicherung beitreten schwerbehinderte Menschen im Sinne des
SGB IX, wenn sie, ein Elternteil, ihr Ehegatte oder ihr Lebenspartner in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei
Jahre versichert waren, es sei denn, sie konnten wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen; die Satzung kann
das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Die Beklagte hat hiervon in ihrer - aufsichtsrechtlich genehmigten
- Satzung in der hier maßgeblichen Fassung vom 1. Juli 2016 in der Fassung des 4. Nachtrages (Stand 8. Mai 2017) Gebrauch
gemacht. Nach §
8 Abs.
1 Buchst. d der Satzung können schwerbehinderte Menschen im Sinne des
SGB IX unter den in §
9 Abs.
1 Nr.
4 SGB V genannten Bedingungen Mitglied werden, wenn sie das 45. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Der 1947 geborene Kläger hatte zum Zeitpunkt der Beitrittserklärung am 1. August 2017 und des gewünschten Beitrittstermins
am 1. Oktober 2017 das 45. Lebensjahr vollendet. Er gehört daher nicht zu dem normierten beitrittsberechtigten Personenkreis.
(2) Entgegen der Auffassung des Klägers werden diese Regelungen nicht durch §
2a SGB V und § 2 AGG verdrängt.
(a) Nach §
2a SGB V ist den besonderen Belangen behinderter und chronisch kranker Menschen Rechnung zu tragen. Bei der Vorschrift handelt es
sich um einen "programmatischen Auftrag" (Plagemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 3. Aufl. 2016, §
2a Rn. 12). Sie dient als Auslegungshilfe, um das Benachteiligungsverbot aus Art.
3 Abs.
3 Satz 2
Grundgesetz (
GG) umzusetzen. Sie vermag aber nicht, einen gesetzlichen Leistungsausschluss zu überwinden (BSG, Urteil vom 6. März 2012 - B 1 KR 10/11 R - juris, Rn. 15 m.w.N.). Dies gilt in gleicher Weise für die Eröffnung des Zugangs zur gesetzlichen Krankenversicherung.
Des Weiteren wurde §
2a SGB V durch Art. 1 Nr. 1 GKV-Modernisierungsgesetz (GMG; BGBl. I S. 2190) mit Wirkung vom 1. Januar 2004 eingeführt, ohne dass der Gesetzgeber
Veranlassung gesehen hätte, die bereits bestehende Regelung des §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V anzupassen. Auch bei den nach Einführung des §
2a SGB V erfolgten Änderungen der Zugangsvoraussetzungen zur freiwilligen Krankenversicherung in §
9 Abs.
1 SGB V wurde die Ermächtigung zur Festlegung einer Altersgrenze nicht geändert. Eine "Verdrängung" durch das - vermeintlich - jüngere
Gesetz, wie der Kläger meint, erfolgte daher nicht.
(b) Die Regelungen des § 2 Abs. 1 Nr. 5 und 6 AGG, auf die sich der Kläger beruft, sind vorliegend wegen der Bereichsausnahme in § 2 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht anwendbar. Danach gelten für Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch §
33c SGB I und §
19a Viertes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB IV) als spezielle sozialrechtliche Benachteiligungsverbote. Nach diesen darf bei der Inanspruchnahme sozialer Rechte niemand
aus Gründen der Rasse, wegen der ethnischen Herkunft oder einer Behinderung benachteiligt werden. Ansprüche können nur insoweit
geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile
dieses Gesetzbuchs im Einzelnen bestimmt sind (jeweils Satz 2). Maßgeblich sind daher die speziellen gesetzlichen Regelungen
(hier §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V und die hierauf beruhende Satzungsvorschrift), die ihrerseits mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar sein
müssen (dazu nachstehend unter cc).
cc) Die Altersgrenze verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.
(1) § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung beruht auf der ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung in §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass diese gesetzliche Regelung verfassungswidrig ist.
(a) Die gesetzliche Vorschrift ist ausreichend bestimmt. Sie erlaubt entgegen der Ansicht des Klägers keine willkürlichen
Regelungen durch die gesetzlichen Krankenkassen.
Das maßgebliche Ausschlusskriterium (Alter) wird in §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V durch den Gesetzgeber selbst festgelegt. Nur hinsichtlich der genauen Höhe des relevanten Alters räumt das Gesetz den Krankenkassen
einen normgeberischen Ermessensspielraum ein. Bei Ausübung dieses Ermessens ist die Krankenkasse durch den Zweck der Regelung
des §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V gebunden und damit an einer willkürlichen Festlegung der Altersgrenze gehindert. Bereits aus dem Wortlaut der Norm ist deutlich
zu entnehmen, dass der Gesetzgeber zwar einerseits schwerbehinderten Menschen außerhalb des versicherungspflichtigen Personenkreises
den Zugang zur gesetzlichen Krankenversicherung über eine freiwillige Mitgliedschaft ermöglichen wollte, dies aber andererseits
gerade nicht uneingeschränkt. Dies kommt neben der Fristgebundenheit des Antrags nach §
9 Abs.
2 SGB V gerade auch in den weiteren Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 zum Ausdruck, der Vorversicherungszeit und
der - durch Satzung bestimmten - Altersgrenze. Unter Berufung auf die Begründung des Gesetzentwurfs zur inhaltsgleichen Vorgängerregelung
des § 176c
Reichsversicherungsordnung (
RVO; vgl. BT-Drucks. 9/845 S. 12) verwies das BSG auf das erkennbare Ziel der Missbrauchsabwehr sowie der Sicherung der Leistungsfähigkeit der Krankenkassen (BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 12 RK 37/84 - juris, Rn. 25 f.). Hierzu sollte die Zahl der Beitrittsberechtigten verringert werden. Zu diesem Zwecke wurde auch das
Beitrittsrecht derjenigen eingeschränkt, die als Behinderte ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung darstellen.
Dies ist aber nicht willkürlich geschehen, sondern aus beachtlichen Sachgründen. Das Beitrittsrecht nach § 176c
RVO (jetzt §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V) belastet nämlich die Krankenkassen nicht nur mit erheblichen Risiken, sondern betraf, solange der Beitritt keinerlei Vorversicherungszeit
erforderte, außerdem häufig versicherungsfremde Personen (BSG, a.a.O., Rn. 28). Diesen Zielen dient auch die Möglichkeit der Bestimmung einer Altersgrenze durch Satzung, zumal die Vorversicherungszeit
nach der gesetzlichen Regelung nicht nur durch die eigene Versicherung erfüllt werden kann, sondern auch durch die des Ehegatten.
Die Altersgrenze stellt daneben eine zusätzliche Einschränkung der Beitrittsmöglichkeit zur Entlastung der Krankenkassen von
der Übernahme "ungünstiger" Risiken versicherungsfremder Personen dar. Da der Gesetzgeber die Regelung des § 176c
RVO bei bereits bestehender höchstrichterlicher Rechtsprechung unverändert in §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V übernommen hat, muss davon ausgegangen werden, dass diese seinem Willen entsprach und daher weiterhin zugrunde zu legen ist.
(b) Die Regelung ist mit dem Sozialstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
2 GG) vereinbar. Der Gesetzgeber hatte abzuwägen zwischen dem sozialen Schutzbedürfnis bestimmter Personen auf der einen Seite
sowie der Belastbarkeit der Krankenkassen und einer Missbrauchsabwehr auf der anderen Seite (BSG, Urteil vom 19. Februar 1987 - 12 RK 37/84 - juris, Rn. 32). Der Gedanke der Missbrauchsabwehr sprach für eine Möglichkeit, den Beitritt von einer Altersgrenze abhängig
zu machen. Andererseits ist die Schutzwürdigkeit von nicht der Versicherungspflicht unterliegenden Personen - typisierend
- nicht so ausgeprägt. Die Pflichtversicherung erfasst nach ihrer gesetzlichen Typisierung die Personengruppen, die wegen
ihrer niedrigen Einkünfte eines Schutzes für den Fall der Krankheit bedürfen, der durch Zwang zur Eigenvorsorge erreicht werden
soll. Demgegenüber verfolgen die Vorschriften über die freiwillige Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung das
Ziel, diese für solche Personen zu öffnen, bei denen ein ähnliches, aber eingeschränktes Schutzbedürfnis besteht. Von der
Versicherungspflicht nicht erfasste Personen können kraft eigener Willensentschließung freiwilliges Mitglied der gesetzlichen
Krankenversicherung werden oder sich privat gegen das Risiko der Krankheit versichern. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)
hat dementsprechend in der Differenzierung zwischen Pflichtversicherten und freiwillig versicherten Personen eine im Recht
der gesetzlichen Krankenversicherung langfristig bewährte Unterscheidung erkannt (vgl. z.B. BVerfG, Beschluss vom 15. März
2000 - 1 BvL 16/96 - juris, Rn. 79 ff.). Die Möglichkeit der privaten Versicherung gegen das Risiko der Krankheit besteht gerade in den Fällen,
in denen die Schwerbehinderung erst in einem späteren Lebensabschnitt eintritt, also zuvor mangels Versicherungspflicht in
der gesetzlichen eine private Krankenversicherung abgeschlossen wurde. Des Weiteren unterfallen nicht alle der vom Kläger
angeführten schwerbehinderten Menschen überhaupt dem Anwendungsbereich des §
9 SGB V. Dies gilt vor allem für den großen Teil der erwerbstätigen Bevölkerung, der bei Eintritt der Schwerbehinderung versicherungspflichtig
beschäftigt ist und bleibt oder bei Entfallen der versicherungspflichtigen Beschäftigung über die obligatorische Anschlussversicherung
nach §
188 Abs.
4 Satz 1
SGB V (eingefügt mit Wirkung ab 1. August 2013 durch Art. 1 Nr. 2b Buchst. b Gesetz zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15. Juli
2013, BGBl. I S. 2423) freiwillig versichert werden kann. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber insbesondere durch die Auffangversicherung in der
gesetzlichen Krankenversicherung nach §
5 Abs.
1 Nr.
13 SGB V, die Versicherungspflicht in der privaten Krankenversicherung nach § 193 Abs. 3 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) sowie die Tatbestände der Versicherungspflicht nach §
5 Abs.
1 Nr.
7 und
8 SGB V umfassende Krankenversicherungsmöglichkeiten auch bei Schwerbehinderung geschaffen.
(2) § 8 Abs. 1 Buchst. d der Satzung entspricht diesen Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Zutreffend hat das
SG dargelegt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse von Beschäftigten und selbständig Tätigen regelmäßig mit zunehmendem Alter
gefestigt sind und dabei auch die soziale Absicherung im Hinblick auf die gesetzliche Sozialversicherung oder eine private
Versicherung geklärt ist. Da es sich um eine Normgebung handelt, die einer Vielzahl von Fällen gerecht werden muss und nicht
auf den Einzelfall abstellen kann, muss die Entscheidung, wann mit einer derartigen Klärung gerechnet werden kann, im Wege
einer pauschalierenden Betrachtung vorgenommen werden. Geht man davon aus, dass regelmäßig bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres
die Beschäftigten und Selbständigen ihren Beruf aufgenommen haben, kann jedenfalls auch angenommen werden, dass mit der Vollendung
des 45. Lebensjahres eine berufliche Verfestigung erfolgt ist (LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 22. August 2000 - L 1 KR 37/99 - juris, Rn. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19. Dezember 2007 - L 9 KR 167/02 - juris, Rn. 32; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 27. Juni 2018 - L 6 KR 15/17 - juris, Rn. 22).
Entgegen der Auffassung des Klägers führt diese Altersgrenze nicht zu widersprüchlichen Ergebnissen, indem sie den gesetzlich
intendierten Zugang für Schwerbehinderte zur gesetzlichen Krankenversicherung vollständig unmöglich machen könnte bzw. für
einen Großteil der Bevölkerung den Zugang auch tatsächlich unmöglich macht. Die gesetzliche Regelung des §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V hatte gerade nicht zum Ziel, schwerbehinderten Menschen eine umfassende Beitrittsmöglichkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung
zu eröffnen, wie der Kläger offenbar meint. Dies ergibt sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen unter (1). Ebenso wenig
trifft die Annahme des Klägers zu, entscheidend sei nicht, in welchen wirtschaftlichen oder sonstigen sozialen Umstände der
ältere Mensch vor Eintritt der Schwerbehinderung gelebt habe, sondern die Umstände bei und ab Eintritt der Schwerbehinderung.
Er verkennt dabei, dass die gesetzliche Regelung mit der Vorversicherungszeit und der Möglichkeit einer Altersgrenze gerade
ausschließen wollte, dass Betroffene in solchen Fällen das nunmehr erhöhte oder schon realisierte Risiko auf die Solidargemeinschaft
übertragen, nachdem sie zuvor das "günstigere" Risiko privat versichert hatten. Die Altersgrenze dient insoweit - typisierend
anknüpfend an die Verfestigung der wirtschaftlichen Verhältnisse des Betreffenden - der Abgrenzung der zwei Risikobereiche.
Die eingeschränkte Möglichkeit für diejenigen, die in jüngerem Lebensalter bewusst und gewollt für einen Krankenversicherungsschutz
in der privaten Krankenversicherung entschieden, gerade in höherem Lebensalter Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung
zu werden, entspricht auch der sonstigen Systematik des
SGB V. Deutlich wird dies durch §
6 Abs.
3a SGB V (eingefügt mit Wirkung vom 1. Juli 2000 durch Art. 1 Nr. 3 Gesetz zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahr 2000 vom 22. Dezember 1999, BGBl. I S. 2626), nach dem bei Eintritt eines Tatbestandes sogar der Versicherungspflicht nach der dort geregelten Altersgrenze gleichwohl
grundsätzlich Versicherungsfreiheit besteht.
(3) Die Altersgrenze verstößt auch nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art.
3 Abs.
1 GG.
Dieser enthält das Gebot, Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (BVerfG, Urteil
vom 10. Dezember 1985 - 2 BvL 18/83 - juris Rn. 51) und ist insbesondere dann verletzt, "wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten
anders und nachteilig behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht
bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten" (BVerfG, Urteil vom 3. April 2001 - 1 BvR 1681/94 - juris Rn. 61) und "sich für eine Ungleichbehandlung kein in angemessenem Verhältnis zu dem Grad der Ungleichbehandlung
stehender Rechtfertigungsgrund finden lässt" (BVerfG, Beschluss vom 15. März 2000 - 1 BvL 16/96 - juris Rn. 72).
Zwar werden nicht versicherungspflichtige schwerbehinderte Menschen über- und unterhalb der Altersgrenze ungleich behandelt,
indem nur letzteren die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung nach §
9 Abs.
1 Satz 1 Nr.
4 SGB V eingeräumt wird. Diese Ungleichbehandlung ist aber durch die oben genannten Sachgründe (Missbrauchsabwehr, Entlastung der
gesetzlichen Krankenkassen und Abgrenzung der Versicherungsbereiche) gerechtfertigt. Auch die Möglichkeit, dass durch die
Satzungsregelungen unterschiedliche Altersgrenzen je nach Krankenkasse gelten, verletzt nicht den Gleichheitsgrundsatz, sondern
ist zunächst nur Ausfluss der gesetzgeberischen Entscheidung, den Krankenkassen einen normgeberischen Gestaltungsspielraum
einzuräumen. Eine willkürliche Altersgrenze ist wegen der Bindung an die genannten Zwecke ausgeschlossen.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 Abs.
1 Satz 1, Abs.
4 SGG.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. §
160 Abs.
2 SGG) nicht vorliegen.