Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Geldleistungen nach ihrem verstorbenen Ehemann (im Weiteren: der Versicherte).
Die Klägerin und der Versicherte waren bis zu dessen Tod verheiratet und lebten in einem gemeinsamen Haushalt mit ihren drei
minderjährigen Kindern (Jahrgang 2003, 2005 und 2008). Der am xx. xx 1964 geborene Versicherte war von Beruf Architekt. Bereits
als Schüler und später als Student arbeitete er mehrere Wochen im Jahr ab 1980 bei den bei der B.B., bzw. deren Rechtsvorgängerinnen,
veranlagten Unternehmen G. Zimmerei und G. Fertighaus. Hierbei führte er Arbeiten aus, in deren Zuge auch Asbestzement- und
Eternitplatten entfernt, zerstört, zugeschnitten und neu angebracht wurden. Nach Tätigkeiten für bzw. in Architekturbüros
von 1992 bis 1994 ohne bekannten Asbestkontakt war der Kläger als Entwurfsarchitekt für die Firma IFB Dr. Braschel AG von
1994 bis 1999 tätig. Dieses Beratungs- und Managementunternehmen ist Mitglied der Beklagten. Die Aufgabe des Versicherten
bestand überwiegend in der Planung von Bauvorhaben in den neuen Bundesländern. Hierbei war er auch für die Vorplanung der
Sanierungsmaßnahmen am sogenannten Robotron-Gebäude in L. zuständig. Dort wurden verschiedentlich Probeöffnungen in den Wänden
angebracht, um die Asbestbelastung feststellen zu können. Der Versicherte hatte dabei u. a. die Aufgabe, offengelegte asbestbelastete
Stellen zu begutachten. Von 1999 an war der Kläger selbstständig als Architekt tätig, hierbei war er nicht freiwillig gesetzlich
unfallversichert. Zuletzt lagen seine Einkünfte aus der selbständigen Architektentätigkeit vor Steuern und Abgaben bei 236.927
Euro im Jahr 2012, 158.668 Euro im Jahr 2013, 90.046 Euro im Jahr 2014 und 437.260 Euro im Jahr 2015.
Im September 2013 wurde beim Kläger im Bereich der Hoden ein Tumor festgestellt, welcher zunächst als ein Karzinom der Rete
testis mit Infiltration des Nebenhodens und des Samenstranges interpretiert wurde (Bericht des Dr. O. vom 2. Oktober 2013).
Der Pathologe Prof. Dr. B. bewertete den Tumor als ein epitheloides Mesotheliom mit Infiltration der Lymphgefäße (ICD 10:
C45.9, Stadium initial: pT3 L1 R1 G3 R1) bewertete (Bericht vom 7. Oktober 2013). Prof. B. wandte sich zur weiteren Abklärung
unter Übersendung histologischer Präparate an die Prof. Dr. T. des Deutschen Mesotheliomregisters beim Institut für Pathologie
der R.-Universität B ... Prof. B. führte dabei aus, er favorisiere bei der bisherigen Befundkonstellation eine seltene Manifestation
eines malignen Mesothelioms der Tunica vaginalis. Nach der Bildgebung lägen bereits paraaortale abdominelle Lymphknoten und
auch Mikrometastasen in der Lunge vor. Bemerkenswert sei, dass der Versicherte als Architekt beruflich tätig sei, möglicherweise
bestehe eine Asbeststoff-Exposition. Diesen Sachverhalt habe er noch nicht abklären können. Er sei für die konsiliarische
Mitbeurteilung auch vor dem Hintergrund einer möglichen Berufskrankheit dankbar.
Prof. T. stimmte der Bewertung des Prof. B. zu und fragte, ob eventuell während des Studiums eine Asbestexposition vorgelegen
habe. In jedem Fall solle Prof. B. sich in üblicher Form um die Meldung über eine BK nach Ziff. 4105 (Berufskrankheit Nr.
4105 der Anlage 1 zur
Berufskrankheitenverordnung (
BKV) - durch Asbest verursachtes Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards - im Weiteren: BK 4105) kümmern;
sofern ihm diesbezüglich noch weitere Informationen verfügbar seien, sei sie zur Ergänzung im Mesotheliomregister dankbar.
Nach einer Bescheinigung der Prof. Dr. E. zur Vorlage beim Architektenwerk vom 25. November 2013 werde der Versicherte chemotherapeutisch
behandelt, zwei Zyklen seien bisher erfolgt. Er leide an einer akuten schweren Belastungsreaktion mit mittelschwerer Depression
und Angstsymptomen. Er sei mindestens für die nächsten zwölf Monate berufsunfähig. Nach einer Bescheinigung vom 22. November
2013 des Prof. Dr. I. erfolge nach der Diagnose eines Mesothelioms des Hodens Anfang Oktober 2013 aufgrund einer abdominellen
und pulmonalen Metastasierung eine Polychemotherapie. Diese werde mit Sicherheit über sechs Monate durchgeführt. Insofern
bestehe aus medizinischer Sicht eine Arbeitsunfähigkeit für mindestens 6 Monate. Dieser Stellungnahme war eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
für den Zeitraum 7. Oktober 2013 bis voraussichtlich 8. April 2014 an die private Krankenversicherung des Versicherten, die
A. Private-Krankenversicherungs AG (A. PKV), beigefügt. Krankentagegeldleistungen erhielt der Versicherte nicht (Bescheinigung
der A. PKV vom 3. November 2016).
Der Versicherte wurde im Weiteren bis in den Dezember 2015 chemotherapeutisch behandelt. Im Krankheitsverlauf wurde am 17.
Juli 2014 bei einem beidseitigen pleuralen Progress der Erkrankung ein großer Pleuraerguss links mit Unterlappenteiltelektase
festgestellt. Am 22. Juli 2014 erfolgte eine Pleurapunktion und im Dezember 2014 eine basalatypische Unterllappenresektion
nach Pleurolyse. Im Oktober 2015 zeigte sich ein deutlicher Progress der pleuralen und pulmonalen Metastasen, der Versicherte
litt zunehmend unter Dyspnoe und Orthopnoe. Eine Palliativbehandlung wurde begonnen. Nach einem Infekt im Januar 2016 wurde
der Versicherte bis zum 15. Januar 2016 im Rahmen eines stationären Aufenthalts antibiotisch behandelt. Aufgrund einer Verschlechterung
der Atemsituation bestand schließlich fast rund um die Uhr Sauerstoffpflichtigkeit und es kam zu einer symptomatischen Rechtsherzbelastung
mit Verschlechterung des Gesamtzustandes. Am 24. Januar 2016 verstarb der Versicherte an Herz-Kreislaufversagen aufgrund der
Folgen seiner Grunderkrankung (Bericht des Prof. I. vom 12. Februar 2016).
Mit einem am 2. Februar 2016 zugegangenen Schreiben beantragte die Klägerin bei der B.B. Hinterbliebenenrente für sich und
ihre drei Kinder. Ihr Mann sei an den Folgen eines Mesothelioms der Pleura verstorben. Als Schüler und Student habe er auf
dem Bau gearbeitet, dabei sei die Erkrankung entstanden.
Am 10. Februar 2016 ging dann bei der B.B. eine ärztliche Verdachtsanzeige auf eine Berufskrankheit des Prof. Dr. I. vom 5.
Februar 2016 ein. Hierzu teilte Prof. I. mit, der Verdacht auf eine Berufserkrankung habe sich erst im längeren Verlauf ergeben.
Der Versicherte habe aus persönlichen Gründen gebeten, seine Erkrankung nicht bei der B. zu melden. Es werde um Entschuldigung
für die verspätete Meldung gebeten.
Nach einer Stellungnahme des Präventionsdienstes der B.B. zur Arbeitsplatzexposition im Hinblick auf die BK 4105 vom 14. Juni
2016 sei der Versicherte im Zeitraum von ca. 1980 bis 1992 immer wieder bei seiner Tätigkeit als Bauhelfer in den Semesterferien
gegenüber Asbeststaub exponiert gewesen. Im Zeitraum von 1994 bis 1999 habe eine geringe Exposition gegenüber Asbeststaub
an mehreren Tagen bestanden. Da innerhalb der Räume asbestenthaltendes Material bearbeitet worden sei, wenn auch in geringem
Maße, habe eine Exposition oberhalb der ubiquitären Belastung bestanden. Somit sei die Exposition gegenüber Asbeststaub in
diesem Beschäftigungszeitraum relevant im Sinne der BK 4105. Am 19. August übernahm die Beklagte zuständigkeitshalber die
weitere Bearbeitung des Vorgangs. Mit Bescheiden vom 14. September 2016 bewilligte die Beklagte den Kindern des Versicherten
Waisenrente sowie der Klägerin Witwenrente und Sterbegeld.
Die Beklagte ließ im Weiteren durch Prof. I. ein Gutachten über die Erkrankung des Versicherten erstellen. In diesem Gutachten
vom 13. Oktober 2016 führte Prof. I. aus, beim Versicherten sei ein Mesotheliom des Hodens diagnostiziert worden. Zeitgleich
sei eine Diagnose von Lungen- und Pleuratumoren erfolgt. Es bleibe offen, ob der Primarius im Bereich der Lunge und Pleura
oder im Bereich der Hoden zu sehen sei. Bei Mesotheliomen jedweder Art sei von einem Bezug zu einer möglichen Asbestexposition
auszugehen. Die Krankheit sei im Verlauf rasch progredient gewesen. Die Folgen seien ab Beginn der Erstdiagnose erwerbsmindernd
gewesen. Die Chemotherapie sei sehr gut vertragen worden, eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von über 50% könne bis ca. Frühjahr
2014 attestiert werden. Im Anschluss daran sei es schließlich zu einem deutlichen Progress mit Pleurapunktion gekommen, sodass
ab Mitte 2014 von einer vollen Erwerbsminderung ausgegangen werden könne. Die Behandlungsbedürftigkeit habe sich mit der Erstdiagnose
im Sinne einer zunächst ambulanten Chemotherapie ergeben. Aufgrund des schlechten Allgemeinzustandes seien dann ab 7. Januar
2015 stationäre Aufenthalte erfolgt. Streng genommen könne Arbeitsunfähigkeit ab der Erstdiagnose attestiert werden. Nach
einer internen Stellungnahme der Beklagten vom 17. November 2016 könne von Arbeitsunfähigkeit wegen der Berufskrankheit ab
dem 7. Oktober 2013 bis zum 8. April 2014. Danach sei von einer MdE von mindestens 50% auszugehen, ab Mitte 2014 von 100%.
Als Tag des Versicherungsfalls könne der 26. September 2013 belassen werden. Die Arbeitsunfähigkeit sei erst am 7. Oktober
2013 hinzugetreten. Der Beginn der rentenberechtigenden MdE könne auch mit diesem Tag angenommen werden. Dies sei aber ohne
Bedeutung, da bereits Arbeitsunfähigkeit bestanden habe und sich keine für den Versicherten günstigere Berechnung ergebe.
Die Zahlung von Geldleistungen (Verletztenrente, Verletztengeld) im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge komme nicht in Betracht,
da das Verwaltungsverfahren erst nach dem Tod des Versicherten in Gang gekommen sei.
Mit Bescheid vom 23. November 2016 lehnte die Beklagte die Gewährung von Geldleistungen im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge
gegenüber der Klägerin ab. Sonderrechtsnachfolgern stünden die Leistungen zu, die dem Versicherten noch zu Lebzeiten zugestanden
hätten. Der Anspruch auf Leistungen müsse zum Zeitpunkt des Todes bereits festgestellt sein oder es müsse ein Verwaltungsverfahren
über sie anhängig gewesen sein. Da eine entsprechende Leistungsfeststellung nicht vorliege, setze ein Anspruch voraus, dass
die Behörde zum Zeitpunkt des Todes tätig geworden sei. Die Behörde müsse entweder von Amts wegen intern tätig geworden sein
oder ein Antrag beim Leistungsträger eingegangen. Beides sei nicht der Fall. Die erste Meldung über das Vorliegen einer möglichen
Berufskrankheit sei erst mit ihrem Schreiben vom 1. Februar 2016 erfolgt. Ein Anspruch auf Geldleistungen im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge
sei somit nicht gegeben.
Gegen diese Entscheidung legte die Klägerin zunächst am 24. November 2016 mittels E-Mail und am 25. November 2016 per Fax
Widerspruch ein. Die Ablehnung von Geldleistungen im Rahmen der Sonderrechtsnachfolge sei rechtswidrig, wenn man bedenke,
dass die Diagnose des Mesothelioms bereits im Oktober 2013 festgestanden habe. Da die Ärzte in der Sphäre der Beklagten handelten,
wenn eine Berufskrankheitenanzeige erstellt werde, könne sich die Beklagte nicht darauf berufen, dass die Berufskrankheitenmeldung
zu spät bzw. nicht zu Lebzeiten erstattet worden sei. Sie müsse sich so behandeln lassen, als wäre die Meldepflicht rechtzeitig
erfüllt worden, etwa durch Prof. T ... Vorliegend gehe es insbesondere um die Lebzeitenleistungen Verletztengeld, Verletztenrente,
Pflegegeld etc.
Mit Widerspruchsbescheid vom 19. Dezember 2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Durch den behandelnden Arzt des Versicherten
sei die Anzeige über den Verdacht einer Berufskrankheit mit Schreiben vom 5. Februar 2016 erstellt worden. Prof. I. habe in
seinem Anschreiben gleichen Datums mitgeteilt, dass eine frühere Meldung an die Berufsgenossenschaft nicht erfolgt sei, da
der Versicherte dies aus persönlichen Gründen nicht gewünscht habe. Eine Rechtsvermutung dahingehend, dass für eine Meldung
an die Berufsgenossenschaft die Beurteilung über eine berufliche Ursache für die Erkrankung ausreichen würde und ein Schriftverkehr
zwischen behandelndem Arzt und Gutachter einer Berufskrankheitenanzeige gleichzusetzen sei, existiere nicht. Die versäumte
Meldung könne nicht den behandelnden Ärzten des Versicherten angelastet werden, da diese seinem ausdrücklichen Wunsch entsprochen
hätten.
Hierauf hat die Klägerin am 23. Januar 2017 Klage beim Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben und vorgetragen, es hätte sich den Ärzten aufdrängen müssen, dass es nicht dem Belieben unterliege, ob nun eine
BK 4105 gemeldet werde oder nicht.
Das SG hat Prof. I. schriftlich als Zeugen vernommen. Dieser hat mit Schreiben vom 28. Juni 2017 berichtet, der Versicherte sei
im Oktober 2013 erstmals in seiner Sprechstunde vorstellig geworden, nachdem Ende September 2013 ein malignes Mesotheliom
in der Tunica vaginalis testis festgestellt worden sei. Im Zusammenhang mit der Erstvorstellung sei der Fall auch interdisziplinär
im Hinblick auf eine vorliegende Berufserkrankung diskutiert worden. Es hätten sich allerdings allenfalls geringfügige Hinweise
für eine pleuropulmonale Beteiligung zum Zeitpunkt der Erstdiagnose gefunden. Mit der Erstmanifestation im Hoden und dem vorwiegend
im Bauchraum lokalisierten Metastasierungsmuster sei das Tumorgeschehen nicht unmittelbar einer asbest-induzierten Berufserkrankung
zuzuordnen gewesen. Zudem habe der Versicherte angegeben, trotz seiner Ausbildung und Tätigkeit als Architekt keine Asbestexposition
gehabt zu haben. Hierzu hat Prof. I. auf einen Akteneintrag vom 10. November 2013 Bezug genommen ("keine Exposition toxischer
Substanzen"). Somit sei zu diesem Zeitpunkt die Frage nach dem Vorliegen einer Berufskrankheit nicht weiterverfolgt worden,
zumal der Versicherte bereits zu diesem Zeitpunkt eine solche Meldung nicht gewünscht habe. Erst als sich im weiteren Verlauf
eine zunehmende und schließlich vorwiegend pleuropulmonale Beteiligung gezeigt habe, sei die Frage nach dem Vorliegen einer
Berufskrankheit nochmals aufgegriffen worden. Der Versicherte sei im Rahmen der interdisziplinären Behandlung u.a. auch zur
Mitbeurteilung dieser Frage bei den Kollegen in der Pneumologie vorgestellt worden. Der Oberarzt Dr. K. schreibe in seinem
Arztbericht vom 17. März 2015, dass der Verdacht auf das Vorliegen einer Berufserkrankung bestehe. Insgesamt sei das mögliche
Vorliegen einer Berufserkrankung mit dem Versicherten durch ihn selbst, sowie durch Dr. H. und Dr. K. besprochen worden. Durch
Dr. K. sei der Versicherte außerdem über das Prozedere einer Meldung (TAD-Gutachten, Gutachten) informiert worden und es sei
ihm angeboten worden, diese Meldung zu veranlassen. Eine Meldung habe der Versicherte zu Lebzeiten gegenüber allen behandelnden
Ärzten entschieden abgelehnt und auch keinerlei Dokumentation darüber gewünscht. Da es einige Personen aus seinem privaten
Umfeld gebe, die im K. arbeiteten, habe er Sorge gehabt, dass trotz aller Datenschutzmaßnahmen Informationen nach außen dringen
könnten. Der Versicherte habe eine Meldung bei der B. immer wieder konsequent und entschieden abgelehnt und darüber hinaus
immer wieder betont, er selbst sei überzeugt, dass es sich nicht um eine Berufskrankheit handele und es auch keine relevante
Asbest-Exposition gegeben haben könne. Um die ansonsten recht vertrauensvolle Arzt-Patient-Beziehung nicht zu belasten und
die medizinische Versorgung in der immer schwieriger werdenden Behandlung optimal zu gewährleisten, sei der Wunsch des Patienten
zu Lebzeiten respektiert worden. Aus ärztlicher Sicht bestehe allerdings rückblickend weiterhin der dringende Verdacht auf
das Vorliegen einer Berufserkrankung, wie bereits im Oktober 2013 im pathologischen Gutachten von Prof. B. erwähnt und durch
Dr. K. ein Jahr später ebenfalls vermutet. Hierzu legte Prof. I. eine E-Mail des Dr. K. vom 12. Mai 2017 an Dr. H. vor, in
welcher dieser ausführt, sich explizit an eine Diskussion des Themas Berufskrankheit ja/nein mit dem Versicherten zu erinnern.
Er habe daher "V. a. Berufskrankheit" und die Begründung in die Diagnoseliste seines Briefes aufgenommen. Der Versicherte
habe damals gesagt, er habe die Frage auch zuvor mit den ihn behandelnden Kollegen diskutiert. Wegen des primären Befalls
der Tunica vesekalis sei man aber davon ausgegangen, dass es kein Pleuramesotheliom sei. Er selbst, Dr. K., habe dem Versicherten
eine Meldung angeboten, dieser habe eine Meldung aber in seiner Erinnerung - er sei sich da sehr sicher - klar abgelehnt.
Nach Einverständniserklärungen der Beteiligten zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat das SG die Klage mit Urteil vom 28. März 2018, der Klägerin am 23. April 2018 zugestellt, abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch
auf Verletztenrente, Verletztengeld und Pflegegeld als Sonderrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns. Eine Entscheidung
über eine Verletztenrente, Verletztengeld und Pflegegeld dem Grunde nach sei bis zum 26. Januar 2016 nicht ergangen. Auch
ein Verwaltungsverfahren sei bis zum Tod des Versicherten nicht anhängig gewesen. Die Klägerin sei nicht so zu stellen, als
wenn im Zeitpunkt des Todes des Versicherten ein Verwaltungsverfahren anhängig gewesen sei. Als Pflichtverletzung im Rahmen
des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs komme nur das Unterlassen einer Anzeige des begründeten Verdachts einer BK in
Betracht. Es sei fraglich, ob sich die Beklagte die in erster Linie den Ärzten des K. vorzuwerfende Pflichtverletzung zurechnen
lassen müsse. Selbst wenn eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung gegenüber der Klägerin unterstellt werde, fehle
es vorliegend an einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Nachteil. Der Versicherte
habe sich einer Meldung nachdrücklich widersetzt und einen Asbestkontakt in Abrede gestellt. Damit habe er eine wesentliche
Mitursache für seinen Rechtsverlust gesetzt.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin am 18. Mai 2018 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
Zur Begründung hat sie im Wesentlichen ihre Ausführungen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren wiederholt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 28. März 2018 und der Bescheid der Beklagten vom 23. November 2016 in Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 19. Dezember 2016 werden aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin
des C. G. Verletztengeld, Verletztenrente und Pflegegeld zu gewähren, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, ein Berufskrankheitenverfahren sei zu Lebzeiten des Versicherten nicht in Gang gesetzt worden.
Auch habe über etwaige Leistungsansprüche nicht entschieden werden können. Eine Sonderrechtsnachfolge komme daher nicht in
Betracht.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts nimmt der Senat auf die beigezogene Verfahrensakte der Beklagten (vier
Bände) sowie die Prozessakten beider Instanzen Bezug.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Klägerin ist statthaft und bedarf nicht der Zulassung, da sie auf laufende Geldleistungen für mehr als ein
Jahr, bzw. deren Wert 750 Euro übersteigt, gerichtet ist, §§
143,
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1, Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt (§
151 Abs.
1 SGG).
Obgleich für die Klägerin zur mündlichen Verhandlung niemand erschienen ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden,
denn die Beteiligten sind - mit Hinweis auf diese Möglichkeit - ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung am 21. März 2019
geladen worden (§
153 Abs.
1 i.V.m. §
110 Abs.
1 Satz 2
SGG; vgl. BSG, Beschluss vom 30. Mai 1958 - 2 RU 159/57 -, SozR Nr. 5 zu §
110 SGG, Rz. 6).
Die Berufung ist jedoch mangels Begründetheit der als kombinierter Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs.
1, 4
SGG) zulässigen Klage unbegründet. Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass die Beklagte in ihrer angefochtenen
Entscheidung keine einzelnen Geldleistungen, etwa Verletztenrente (§
56 Abs.
1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch -
SGB VII) benannt, sondern laufende Geldleistungen i. S. d. §
56 Abs.
1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB I) allgemein abgelehnt hat. Im Hinblick auf die besondere Konstellation des Anspruchsübergangs im Wege der Sonderrechtsnachfolge
nach §
56 Abs.
1 SGB I, in welcher sämtlichen laufenden Geldleistungen zugunsten eines verstorbenen Versicherten zusätzliche Anspruchsvoraussetzungen
vorangestellt werden, stellt die Ablehnung der im Rahmen des §
56 Abs.
1 SGB I im Zuständigkeitsbereich des jeweiligen Sozialleistungsträgers in Betracht kommenden laufenden Geldleistungen eine ausreichende
Konkretisierung dar. Damit ist die Klägerin hinsichtlich der von ihr geltend gemachten, dem Anwendungsbereich des §
56 Abs.
1 SGB I unterfallenden Geldleistungen Verletztenrente, Verletztengeld (§
45 Abs.
1 SGB VII) und Pflegegeld (§
44 SGB VII) klagebefugt, da bezüglich des Klagebegehrens eine gerichtlich überprüfbare Verwaltungsentscheidung vorliegt (Bundessozialgericht
- BSG, Urteil vom 21. September 2010 - B 2 U 25/09 R -, juris, Rz. 12, Urteil des Senats vom 6. April 2018 - L 6 U 418/18 -, juris, Rz. 16).
Das SG hat die Klage zurecht abgewiesen, denn die angefochtene Entscheidung der Beklagten ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin
nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Gewährung von Verletztenrente, Verletztengeld und Pflegegeld
im Wege der Sonderrechtsnachfolge nach ihrem am 24. Januar 2016 verstorbenen Ehemann, dem Versicherten, denn dessen etwaige
Ansprüche sind jedenfalls mit seinem Tod erloschen. Dabei kann offenbleiben, ob das Pflegegeld, welches anders als die Verletztenrente
und das Verletztengeld keine Lohnersatzleistung ist und auf die Befähigung zur Beschaffung der erforderlichen Pflege abzielt
(Urteil des Senats vom 22. November 2012 - L 6 U 3563/10 -, juris Rz. 24), überhaupt übergangsfähig ist (Fischer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB VII, 2. Aufl. 2014, §
44 SGB VII, Rz. 67).
Nach §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten nacheinander (1.) dem Ehegatten, (1a.) dem
Lebenspartner, (2.) den Kindern, (3.) den Eltern, (4.) dem Haushaltsführer zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines
Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind. Diese Ansprüche erlöschen
jedoch, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig
ist (§
59 Satz 2
SGB I). Ein Verwaltungsverfahren ist dabei die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen,
die Vorbereitung und den Erlass eines Verwaltungsaktes oder auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet
ist (§ 8 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X). Die Behörde entscheidet nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt; dies gilt nicht,
wenn die Behörde auf Grund von Rechtsvorschriften von Amts wegen oder auf Antrag tätig werden muss, oder nur auf Antrag tätig
werden darf und ein Antrag nicht vorliegt (§ 18 SGB X).
Für die Annahme eines Verwaltungsverfahrens im Sinne von § 8 SGB X ist insofern nicht erforderlich, dass die Verwaltungstätigkeit eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen entfaltet und den
Rechtskreis eines Bürgers erweitert, einengt oder feststellend gestaltet Sie muss nicht schon notwendig eine Regelung enthalten
oder eine rechtlich geschützte Position eines Verfahrensbeteiligten oder sonstiger Personen unmittelbar berühren; die Verwaltungstätigkeit
einer Behörde muss vielmehr lediglich im tatsächlichen Sinne unmittelbar nach außen wirken. Eine Außenwirkung im Sinne von
§ 8 SGB X ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn im inhaltlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem Verwaltungsverfahren eine Tätigkeit
der Behörde erfolgt, die unmittelbar aus dem Bereich der Verwaltung heraus in die Sphäre des Bürgers hineinwirkt. Außenwirkung
im Sinne von § 8 SGB X haben insofern beispielsweise konkrete Ermittlungstätigkeiten im Einzelfall (z.B. zur Vorbereitung einer Leistungsgewährung
oder eines Leistungsentzugs) wie Anfragen bei behandelnden Ärzten oder die Anordnung der Untersuchung durch einen frei praktizierenden
Arzt. Nicht unmittelbar nach außen wirkende Tätigkeiten von Behörden sind rein interne Verwaltungsvorgänge. Hierunter fallen
beispielsweise Tätigkeiten, die allein im Zusammenhang mit der internen Willensbildung der Behörde stehen, wie etwa beispielsweise
das Aktenstudium des Sachbearbeiters oder das Einholen einer Stellungnahme eines beratenden Arztes eines Sozialversicherungsträgers
durch den Sachbearbeiter z.B. darüber, ob und ggf. welche Maßnahmen aus ärztlicher Sicht zur Überprüfung einer bewilligten
Rente angezeigt sind (K. Palsherm in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl. 2017, § 8 SGB X, juris Rz. 23ff.).
Zum Zeitpunkt des Todes des Versicherten hatte die Beklagte noch keine Entscheidung über die Gewährung von Geldleistungen
zu seinen Gunsten getroffen und es war auch noch kein Verwaltungsverfahren zur Prüfung entsprechender Ansprüche anhängig,
weder bei der Beklagten selbst noch der zuerst angegangenen B.B., denn diese haben als Träger der gesetzlichen Unfallversicherung
erst mit dem am 2. Februar 2016 bei der B.B. eingegangenen Schreiben der Klägerin vom Verdacht des Vorliegens einer Berufskrankheit
nach §
9 Abs.
1 SGB VII, hier der BK 4105, als einem für sämtliche der begehrten Leistungen zu fordernden Leistungsfall (§
7 Abs.
1 SGB VII) Kenntnis erlangt und ein Prüfungsverfahren eingeleitet.
Dabei ist es unerheblich, ob im Zeitpunkt des Todes des Versicherten bereits ein Verwaltungsverfahren hätte anhängig sein
müssen. §
59 Satz 2
SGB I stellt nicht darauf ab, welche Verfahrenslage im Zeitpunkt des Todes hätte bestehen können oder müssen; maßgebend ist nur
die in diesem Zeitpunkt tatsächlich bestandene Verfahrenslage. Der Gesetzgeber hat dabei einen Anspruchsübergang für den Fall,
dass Verfahrensmaßnahmen unterblieben waren, nicht vorgesehen. Anhaltspunkte dafür, dass das Gesetz eine Lücke enthalte, wenn
der Versicherungsträger für das Unterbleiben (allein oder mit-) verantwortlich ist, sind nicht erkennbar (BSG, Urteil vom 25. Oktober 1984 - 11 RA 18/84 -, BSGE 57, 215-217, SozR 1200 § 59 Nr 6, juris Rz. 9).
Soweit der 8. Senat des BSG mit Urteil vom 8. Oktober 1998 (Urteil vom 8. Oktober 1998, B 8 KN 1/97 U R, juris Rz. 24ff.) dagegen - ohne Begründung und
ohne Auseinandersetzung mit dem vorgenannten Urteil des 11. Senats - bei einer unterbliebenen rechtzeitigen ärztlichen Meldung
eines Berufskrankheitenverdachts unter Heranziehung des von der Rechtsprechung entwickelten sog. sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
die Möglichkeit bejaht, die nach §
56 Abs.
1 Satz 1
SGB I als Sonderrechtsnachfolger in Betracht kommenden Personen so zu stellen, als wäre die Meldung rechtzeitig erfolgt und ein
Verfahren anhängig geworden, überzeugt dies nicht.
Der 9. Senat des LSG hat bereits mit Urteil vom 19. März 2013 hervorgehoben, dass gerade die Fiktion eines solchen Verwaltungsverfahrens
über ein richterrechtliches Rechtsinstitut der eindeutigen Grundaussage der gesetzlichen Regelung widerspricht. Insoweit darf
nicht außer Acht gelassen werden, dass über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Folgenbeseitigungsanspruch einer
Nebenpflichtverletzung nicht dem Versicherten und ursprünglich Berechtigten zugutekommen soll, sondern seinen Rechtsnachfolgern
im Sinne des §
56 SGB I. Hierfür bedarf es angesichts des Wortlauts der Vorschrift und der sich aus der BT-Drucksache (7/868, S. 33) ergebenden Begründung
zur Einführung der §§
56 bis
59 SGB I einer besonderen Rechtfertigung, die sich dem Gesetz für die vorliegende Fallgestaltung nicht entnehmen lässt und die auch
nicht über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches fingiert werden kann. Die Gesetzesbegründung (a.a.O.)
weist im Rahmen der Erläuterung zu den §§
56 bis
59 SGB I darauf hin, dass im Gegensatz zu Dienst- und Sachleistungen, deren Übergang auf den Rechtsnachfolger nicht sinnvoll sei,
bei Geldleistungen der Grundsatz des Rechtsanspruches seinen Ausdruck darin finden müsse, dass Leistungsansprüche des Berechtigten,
die im Zeitpunkt seines Todes bestehen und noch nicht erfüllt sind, bei seinem Tod nicht untergehen. Einschränkend wird weiter
ausgeführt, dass der Übergang von Geldleistungen aus "rechtssystematischen und verwaltungspraktischen Gründen nur insoweit
angebracht" ist, wenn die Leistungen entweder festgestellt, vom Berechtigten beantragt oder ein Feststellungsverfahren von
Amts wegen eingeleitet worden ist (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. März 2013 - L 9 R 4622/11 -, juris Rz. 19). Soweit der 8. Senat des BSG darüber hinaus nicht nur Nebenpflichtverletzungen gegenüber dem Berechtigten selbst als Anlass für einen Folgenbeseitigungsanspruch,
welcher dann auf den oder die Sonderrechtsnachfolger übergehen oder bei diesen im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten entstehen
kann, heranziehen will, sondern von eigenständigen Rechten der vor dem Tod des Berechtigten bloß potentiellen Sonderrechtsnachfolger
ausgeht (s. Urteil vom 8. Oktober 1998, a. a. O., Rz. 31), findet dies keine Stütze im Gesetz und geht über §
56 Abs.
1 SGB I hinaus, da die (Sonder-)Rechtsnachfolge gerade (nur) die Nachfolge in ein bereits bestehendes Recht ermöglicht.
Auch bei Annahme der prinzipiellen Möglichkeit des Rückgriffs auf das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs
liegen dessen Voraussetzungen hier nicht vor.
Der von der Rechtsprechung entwickelte sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herstellung
des Zustandes gerichtet, der bestehen würde, wenn der Leistungsträger die ihm aufgrund eines Gesetzes oder des konkreten Sozialrechtsverhältnisses
gegenüber dem Berechtigten obliegenden Haupt- oder Nebenpflichten, insbesondere zur Auskunft und Beratung (§§
14,
15 SGB I), ordnungsgemäß wahrgenommen hätte. Er setzt demnach eine dem Sozialleistungsträger zurechenbare behördliche Pflichtverletzung,
mithin ein rechtswidriges Handeln oder Unterlassen, voraus, die (als wesentliche Bedingung) kausal zu einem sozialrechtlichen
Nachteil des Berechtigten geworden ist. Außerdem ist erforderlich, dass durch Vornahme einer zulässigen Amtshandlung der Zustand
hergestellt werden kann, der bestehen würde, wenn die Behörde ihre Verpflichtungen gegenüber dem Berechtigten nicht verletzt
hätte (vgl. BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 V 6/15 R -, SozR 4-3100 § 60 Nr 7, juris Rz. 29, Urteil vom 30. September 2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, Rz. 41).
Eine Pflichtverletzung durch die Beklagte selbst oder zuvor die B.B. ist nicht ersichtlich. Insbesondere kommt eine Verletzung
des Auskunfts- und Beratungspflichten nach §§
14,
15 SGB I ebenso wenig in Betracht wie die Verletzung einer etwaigen Pflicht zur Eröffnung eines Verwaltungsverfahrens nach § 18 SGB X, da die beteiligten Träger der gesetzlichen Unfallversicherung erst nach dem Tod des Versicherten Kenntnis von dem Berufskrankheitsverdacht
erlangten. Eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 20 SGB X liegt ebenfalls nicht vor, da dieser erst Pflichten der Sozialleistungsträger innerhalb begonnener Verfahren begründet, nicht
jedoch die Frage, ob ein Verfahren durchzuführen ist (so auch BSG, Urteil vom 8. Oktober 1998 - B 8 KN 1/97 U R, juris Rz. 25).
Als einzig denkbare Pflichtverletzung, welche Ausgangspunkt für einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der Klägerin
zur Fiktion eines Verwaltungsverfahren vor dem Tod des Versicherten sein könnte, kommt hier eine Verletzung der ärztlichen
Anzeigepflicht bei Berufskrankheiten in Frage. Haben Ärzte oder Zahnärzte den begründeten Verdacht, dass bei Versicherten
eine Berufskrankheit besteht, haben sie dies dem Unfallversicherungsträger oder der für den medizinischen Arbeitsschutz zuständigen
Stelle in der für die Anzeige von Berufskrankheiten vorgeschriebenen Form (§
193 Abs.
8 SGB VII) unverzüglich anzuzeigen (§
202 Satz 1
SGB VII). Zur Annahme eines begründeten Verdachts sind ernsthafte, konkrete Anhaltspunkte erforderlich. Bloße Vermutungen sind nicht
ausreichend, völlige Gewissheit ist nicht notwendig. Es kommt allein darauf an, dass der Arzt den Verdacht hat, nicht jedoch
darauf, ob er ihn hätte haben müssen (BSG, Urteil vom 2. Mai 2001 - B 2 U 19/00 R -, juris Rz. 20). Die Ärzte bedürfen zur Erstattung der Anzeige nicht des Einverständnisses der Versicherten. Die Anzeige
erfolgt nicht nur im Interesse der einzelnen Versicherten, sondern auch im Interesse der Allgemeinheit, insbesondere im Interesse
einer wirksamen Prävention. Die Anzeige darf daher nicht deshalb unterlassen werden, weil der betroffene Versicherte nicht
mit der Erstattung einverstanden ist (Kranig in: Hauck/Noftz, SGB, 01/18, §
202 SGB VII, Rz. 6).
Eine solche Verletzung dieser Anzeigepflicht ist hier eingetreten, da die behandelnden Ärzte, wie Prof. I. in seiner schriftlichen
Zeugenaussage vom 28. Juni 2016 überzeugend geschildert hat, jedenfalls nach dem Auftreten einer pleuropulmonalen Beteiligung
der Krebserkrankung und in Kenntnis der beruflichen Tätigkeit des Versicherten den begründeten Verdacht auf das Vorliegen
einer Berufskrankheit, mithin zumindest ab Beginn des Jahres 2014, hatten, die Meldung an die für zuständig erachtete Unfallversicherung
aber erst mit Schreiben vom 5. Februar 2016 und damit nach dem Ableben des Versicherten erfolgte. Der Senat schließt sich
der Bewertung des SG an, dass die Pflichtverletzung noch nicht darin zu sehen ist, dass seitens Prof. B. oder Prof. T. im Rahmen der pathologischen
Probenuntersuchung im September und Oktober 2013 keine Anzeige erfolgte. Prof. B. wies in seinem Anschreiben vom 4. Oktober
2013 zwar auf die Möglichkeit hin, dass eine Berufskrankheit vorliegen könne, stellte aber gleichzeitig klar, dass er noch
nicht über ausreichende Informationen über möglicherweise bestehende berufliche Asbestbelastungen verfüge und dies noch abzuklären
sei. Im Zusammenhang mit diesen Angaben ist auch die Antwort der Prof. T. zu sehen, welche Prof. B. befragt, ob "eventuell"
eine Asbestexposition im Studium vorlag. Auch wenn beide im Weiteren die Verdachtsmeldung einer BK 4105 empfahlen, vermuteten
sie in Anbetracht der offen geäußerten Unkenntnis darüber, ob überhaupt eine berufliche Asbestbelastung des Versicherten gegeben
war, lediglich das Vorliegen einer Berufskrankheit, verfügten aber noch nicht über einen begründeten Verdacht.
Die Verletzung der ärztlichen Anzeigepflicht nach §
202 Satz 1
SGB VII ist jedoch nicht der Beklagten zuzurechnen. Zwar kann sich nach ständiger Rechtsprechung des BSG ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auch aus einem fehlerhaften Verhalten anderer Behörden oder Dritter ergeben, welches
sich der zuständige Leistungsträger zurechnen lassen muss. Dies ist etwa dann der Fall, wenn die andere Stelle vom Gesetzgeber
im Sinne einer Funktionseinheit in das Verwaltungsverfahren "arbeitsteilig" eingeschaltet ist (BSG, Urteil vom 16. März 2016 - B 9 V 6/15 R -, SozR 4-3100 § 60 Nr 7, Rz. 30). Entscheidend für eine Zurechnung ist somit immer die konkrete Pflichtverletzung gegenüber
dem Leistungsberechtigten und das Verhältnis des im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Anspruch genommenen
Leistungsträgers zu dem Dritten, dem die Pflichtverletzung vorgeworfen wird. Dabei ist seitens des Leistungsberechtigten zu
beachten, dass ihm keine Nachteile daraus entstehen sollen, weil eine bestimmte Aufgabe auf mehrere Leistungsträger aufgeteilt
oder weitere Stellen, einschließlich ggf private Dritte, in die Leistungsabwicklung einbezogen werden, oder weil das gegliederte
Sozialsystem für Betroffene oftmals schwer zu überschauen ist. Aus Sicht des in Anspruch genommenen Leistungsträgers ist die
Zurechnung der Pflichtverletzung eines Dritten in den Fällen einer gesetzlich vorgesehenen Aufgabenteilung oder bewussten
Einbeziehung eines Dritten in die Aufgabenerfüllung sachgerecht (BSG, Urteil vom 17. Februar 2009 - B 2 U 34/07 R -, Rz. 31, juris).
Eine solche Funktionseinheit ist jedoch zwischen den Ärzten und der Beklagten nicht gegeben. Soweit der 8. Senat des BSG davon ausgeht, dass die Ärzte hinsichtlich ihrer Meldepflicht aus §
202 Satz 1
SGB VII "geradezu exemplarisch" in das Verwaltungsverfahren einbezogen seien, da die die Gewährung der von Amts wegen zu gewährenden
Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung entscheidend davon abhängt, dass der zuständige Träger von möglichen Leistungsfällen
erfährt (BSG, Urteil vom 8. Oktober 1998, a. a. O., Rz. 29), ist zunächst zu berücksichtigen, dass diese Gewährung nicht von einer Meldung
des Verdachtes gerade durch Ärzte abhängt. Ein Verdacht auf eine Berufskrankheit kann vielmehr auch etwa durch die Betroffenen
selbst, Hinterbliebene und Unternehmer als Arbeitgeber werden. Ebenso hat die Beklagte Verdachtsfällen auf Berufskrankheiten
nachzugehen, von denen sie anderweitig Kenntnis erlangt, wie bspw. bei einer Betriebsbegehung durch ihren Präventionsdienst.
Aus diesem weitgefassten Kreis sind durch die Auferlegung einer Meldepflicht lediglich diejenigen herausgegriffen, die durch
eine besondere Verantwortung gegen über dem Versicherten (Arbeitgeber) oder besondere Kenntnisnähe (Ärzte) primär geeignet
oder berufen zur Meldung sind. Dabei ist der Meldepflicht des Arbeitgebers nach §
193 SGB VII ein deutlich höheres Gewicht beizumessen, da die gesetzliche Unfallversicherung zunächst dem Unternehmer zukommende Haftungspflichten
übernimmt, insofern eine größere strukturelle Nähe besteht, und die Meldeflicht der Unternehmer bußgeldbewehrt ist (§
209 Abs.
1 Satz 1 Nr.
9 SGB VII). Dies stellt jedoch noch keine Aufgabenteilung im vorgenannten Sinne dar, wie sie etwa angenommen werden kann, wenn Behörden
zur Entgegennahme von in die Zuständigkeit anderer Behörden fallenden Anträgen berechtigt bzw. verpflichtet sind (s. §
16 Abs.
1 SGB I).
Insbesondere genügt die isolierte gesetzliche Verpflichtung des §
202 Satz 1
SGB VII allein nicht, um zwischen beliebigen Ärzten - §
202 Satz 1
SGB VII stellt ganz allgemein auf "Ärzte und Zahnärzte" ab - und den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung eine Funktionseinheit
(grundsätzlich hierzu BSG, Urteil vom 29. Oktober 1992, - 10 RKg 24/91 -, BSGE 71, 217; BSG, 25. August 1993, - 13 RJ 27/92 -, SozR 3-1200 § 14 Nr. 9) anzunehmen, die es rechtfertigen würde, den Unfallversicherungsträgern ein Fehlverhalten des Arztes zuzurechnen. Die
Meldepflicht stellt eine funktionsunabhängige und damit persönliche Verpflichtung der Ärzte dar, sie handeln nicht im Zusammenwirken
mit den Unfallversicherungsträgern im Sinne einer behördlichen Funktionseinheit (Ricke in: Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht,
Werkstand: 102. EL Dezember 2018,
SGB VII §
202 Rz. 3, 7). Eine andere Bewertung ist etwa zwischen den Unfallversicherungsträgern und den Durchgangsärzten berechtigt, welche
zur Einleitung von Heilverfahren berechtigt sind und damit auch behördliche Aufgaben (§ 1 Abs. 2 SGB X) wahrnehmen. Es besteht auch keine vergleichbare Verbindung wie zwischen den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung
und den sog. Kassenärzten, welche in besondere Weise in die Aufgabenerfüllung der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden
sind (vgl. Zulassungsordnung für Vertragsärzte - Ärzte-ZV). Vielmehr bestehen zwischen den nach §
202 Satz 1
SGB VII meldepflichtigen Ärzten und Erkrankten vertragliche oder sonstige - im Einzelnen unterschiedliche - Rechtsbeziehungen; in
diese Rechtsbeziehungen sind die Unfallversicherungsträger in keiner Weise involviert. Diese Rechtsbeziehungen generieren
hingegen Sorgfaltspflichten der Ärzte gegenüber den Erkrankten, einschließlich von Pflichten zum Schadensersatz bei Verletzung
dieser Sorgfaltspflichten. Während die Erkrankten in der Lage sind, ihren Ärzten Hinweise zu geben, die diese zu einer BK-Anzeige
veranlassen können, haben die Unfallversicherungsträger gegenüber beliebigen, nicht mit ihnen vertraglich verbundenen Ärzten
keine Handhabe, auf die Erfüllung der gesetzlichen Pflicht aus §
202 Satz 1
SGB VII hinzuwirken (Kranig in: Hauck/Noftz, SGB, 01/18, §
202 SGB VII Rz. 14).
Wie das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (LSG NRW) bereits mit Urteil vom 3. Dezember 2008 herausgehoben
hat, entsteht eine enge, individuell-konkrete Betreuungs- und Beratungsbeziehung vor allem in einem schon bestehenden, auf
längere Dauer angelegten Mitgliedschafts- und Leistungsverhältnis oder nach einem Antrag auf Leistungen zur Begründung eines
solchen Verhältnisses und der Ausübung von Gestaltungsrechten im Rahmen eines solchen Verhältnisses und schließlich bei der
konkreten Nachfrage nach Betreuung und Beratung. Zwischen den zur Anzeige des begründeten Verdachtes einer BK verpflichteten
Ärzten einerseits und den Versicherten andererseits besteht aber grundsätzlich keine enge Betreuungs- und Beratungsbeziehung.
Allenfalls dann, wenn ein Arzt den Versicherten von einem eigenen Tätigwerden gegenüber dem Unfallversicherungsträger abhält,
weil er eine BK-Anzeige in Aussicht stellt - und damit in gewisser Weise eine Betreuungsbeziehung begründet -, dieser Ankündigung
später aber nicht nachkommt, läge eine beachtliche Pflichtverletzung vor (vgl. Brandenburg, SGb 2000, 36). Gerade eine solche Pflichtverletzung soll nach dem Urteil des 8. Senates des BSG jedoch - obwohl in einer solchen Konstellation ein Herstellungsanspruch schon näher läge - unbeachtlich sein. Liegt indes
- wie hier - die Pflichtverletzung allein in einem bloßen Unterlassen einer BK-Anzeige, erscheint es geboten, eine dem Unfallversicherungsträger
zuzurechnende Pflichtverletzung jedenfalls gegenüber einem Sonderrechtsnachfolger zu verneinen, soll nicht der Herstellungsanspruch
zerfasert und zu einem Allheilmittel bei Verwaltungsfehlern jeder Art werden (LSG NRW, Urteil vom 3. Dezember 2008 - L 17 U 46/08 -, juris Rz. 27ff).
Schließlich scheidet im konkreten Fall die Fiktion des Beginns eines Verwaltungsverfahrens vor dem Tod des Versicherten auch
deshalb aus, weil der Versicherte selbst eine Meldung des Verdachts einer Berufskrankheit durch seine behandelnden Ärzte abgelehnt
hat, wie sich aus den nachvollziehbaren und glaubhaften Angaben des Prof. I. in dessen Zeugenaussage, ergänzt durch die von
ihm vorgelegte E-Mail des Dr. K., ergibt. Zwar ist, wie dargestellt, die Meldepflicht nach §
202 Satz 2
SGB VII nicht von der Zustimmung des Betroffenen abhängig, dennoch ist zu berücksichtigen, dass der Versicherte selbst auf tatsächlicher
Ebene das entscheidende Moment für das Unterbleiben der Verdachtsmeldung gesetzt hat. Ohne seine Ablehnung wäre die Meldung
rechtzeitig erfolgt, wie Prof. I. dargestellt hat. Die Meldung ist zum Schutz des gerade bei einer lebensbedrohlichen Erkrankung
besonders bedeutenden vertrauensvollen Arzt-Patienten-Verhältnisses unterblieben. Dabei ist weiter in die Bewertung einzustellen,
dass die Meldepflicht nicht nur den etwaigen Leistungsinteressen des Berechtigten dient, sondern auch der Allgemeinheit, vorrangig
aus Präventionsgesichtspunkten. Gerade letzteres ist aber der Grund, weswegen die Verdachtsmeldung auch ohne Einverständnis
des Berechtigten vorzunehmen ist. Die potentielle Leistungsgewährung genügt für die Übergehung der Wünsche des Betroffenen
allein nicht, was sich auch daraus ergibt, dass auf Sozialleistungen (§
11 SGB I) grundsätzlich verzichtet werden kann (§
46 SGB I). Vor diesem Hintergrund ist es zu weitgehend, die auf Wunsch des Berechtigten unterbliebene Meldung in leistungsrechtlicher
Hinsicht im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs der Beklagten zuzurechnen. Vielmehr unterbricht die strikte
Ablehnung der Verdachtsmeldung durch den Versicherten den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der Pflichtverletzung der
behandelnden Ärzte und der nicht erfolgten Einleitung eines Verwaltungsverfahrens vor dem Tod des Versicherten.
Die Kostenentscheidung beruht auch im Berufungsverfahren auf §
193 SGG.
Die Revision wird zugelassen, da das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts abweicht (§
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG).