Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II; Wirkung der Anfechtungsklage gegen einen Minderungsbescheid im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe
I.
Streitig ist die Minderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.03.2014 bis 31.05.2014 um weitere 35,30 EUR monatlich.
Zuletzt mit Änderungsbescheid vom 23.01.2014 bewilligte der Beklagte der unter Betreuung stehenden und ua infolge einer Lernbehinderung
schwerbehinderten Klägerin neben einer weiteren mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Person Alg II iHv 338,43 EUR unter
Berücksichtigung einer Minderung iHv 207,00 EUR für März 2014 und iHv 545,43 EUR für April und Mai 2014. Mit (bestandskräftigem)
Bescheid vom 11.02.2014 minderte der Beklagte wegen einer wiederholten Pflichtverletzung das Alg II um sechzig von Hundert
(211,80 EUR monatlich) für die Zeit vom 01.03.2014 bis 31.05.2014.
Auf eine Meldeaufforderung zum 31.01.2014 hin zur Prüfung der Bewerbungsaktivitäten (Einladung vom 16.01.2014) bat die Betreuerin
der Klägerin den Beklagten per E-Mail am 27.01.2014 um ein Absehen von einer Sanktion und um Urlaub für die Klägerin, da diese
zur Zeit umziehe. Dem Wunsch, vom Termin am 31.01.2014 abzusehen ("Urlaub"), entsprach der Beklagte - ohne nähere Begründung
- nicht; er minderte vielmehr mit Bescheid vom 11.02.2014 ohne Anhörung das Alg II um weitere 39,10 EUR monatlich für die
Zeit vom 01.03.2014 bis 31.05.2014. Die Klägerin sei ohne wichtigen Grund zum Meldetermin nicht erschienen. Den dagegen eingelegten
Widerspruch begründete die Klägerin damit, sie habe um Urlaub wegen des Umzugsstresses gebeten und das Einladungsschreiben
im Rahmen des Umzuges verlegt. Aufgrund ihrer geistigen Situation sei es ihr nicht möglich, in Drucksituationen adäquat zu
handeln. Sie habe den Termin vergessen. Mit Teilabhilfebescheid vom 25.02.2014 setzte der Beklagte den monatlichen Minderungsbetrag
auf 35,30 EUR herab und wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 04.03.2014 zurück. Ein wichtiger Grund für das Meldeversäumnis
habe nicht vorgelegen. Zumindest die Betreuerin hätte dafür sogen müssen, dass die Klägerin zum Termin erscheine. Von der
Einladung habe die Betreuerin Kenntnis gehabt.
Mit Bescheid vom 10.04.2014 hob der Beklagte die zuletzt mit Bescheid vom 23.01.2014 endgültig bewilligten Leistungen vollständig
auf und bewilligte wegen des Einkommen des Partners der Klägerin für die Zeit vom 01.04.2014 bis 30.04.2014 Leistungen vorläufig,
wobei er auch eine Minderung in Höhe von 218,80 EUR und 35,30 EUR berücksichtigte. Mit Bescheid vom 14.05.2014 bewilligte
der Beklagte vorläufig Alg II für die Zeit vom 01.05.2014 bis 31.05.2014 ebenfalls unter Berücksichtigung eines Minderungsbetrages
von insgesamt 247,10 EUR monatlich. Mit Bescheid vom 27.06.2014 bewilligte der Beklagte endgültig ua an die Klägerin Alg II
für die Zeit vom 01.03.2014 bis 31.05.2014 unter Berücksichtigung einer Minderung in Höhe von 247,10 EUR monatlich insgesamt.
Gegen den Bescheid vom 11.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2014 hat die Klägerin eine Anfechtungsklage
zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben. Sie sei lernbehindert, phlegmatisch und nicht belastbar, so dass nicht nachvollziehbar sei, weshalb sie sich so
oft beim Beklagten persönlich melden solle. Ein wichtiger Grund für das Meldeversäumnis sei im Umzug zu sehen, der sie mehr
beeinträchtigt habe als andere. Der Allgemeinheit sei kein Schaden erwachsen. Wenn es schon keinen Urlaub für Leistungsbezieher
gebe, so gebe es jedoch die Möglichkeit, sich für Termine entschuldigen zu lassen. Die Betreuerin habe zwar vom Termin gewusst,
es sei jedoch nicht deren Aufgabe, sich rund um die Uhr um die Betreute zu kümmern. Es hätte auch einer Aufhebung der ursprünglichen
Leistungsbewilligung bedurft. Der Sanktionsbescheid sei aus diesem Grund wirkungslos. Nach Hinweis des SG auf die seiner Auffassung nach nicht erforderliche Aufhebung der Leistungsbewilligung und ohne dass die Klägerin die erhobene
Anfechtungsklage durch eine reine Leistungsklage ergänzt bzw ersetzt hätte, hat das SG im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 27.06.2014 die Klage abgewiesen. Der Absenkungsbescheid
sei rechtmäßig, denn ein wichtiger Grund für das Meldeversäumnis habe nicht vorgelegen. Die Klägerin habe angegeben, den Termin
vergessen zu haben. Diese Nachlässigkeit sei ihr zuzurechnen; ggf. hätte sie von der Betreuerin unterstützt werden müssen.
"Umzugsstress" habe nicht bestanden, denn die Klägerin sei bereits Anfang Januar 2014 umgezogen. Eine zusätzliche Aufhebung
der vorangegangenen Leistungsbewilligung sei nicht erforderlich. Die Sanktion sei auch nicht unverhältnismäßig. Die Klägerin
habe die Möglichkeit gehabt, ergänzende Leistungen in Anspruch zu nehmen. Darauf sei sie hingewiesen worden. Eine besondere
Härte sei nicht zu erkennen. Die Berufung hat das SG nicht zugelassen.
Dagegen hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde zum Bayer. Landessozialgericht erhoben. Der Rechtsstreit habe grundsätzliche
Bedeutung hinsichtlich der Frage, ob es eines zusätzlichen Aufhebungsbescheides bedürfe.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die beigezogenen des Akten des Beklagten sowie die Gerichtsakten der ersten und zweiten
Instanz Bezug genommen.
II.
Die fristgerecht eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß §
145 Abs
1 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zulässig, sachlich aber nicht begründet. Es gibt keinen Grund, die gemäß §
144 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGG wegen des Wertes des Beschwerdegegenstandes ausgeschlossene Berufung zuzulassen. Der Beschwerdewert wird nicht erreicht.
Auch sind nicht wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen (§
144 Abs
1 Satz 2
SGG).
Nach §
144 Abs
2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil von einer Entscheidung
des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel
geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr 3).
Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist gegeben, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage abstrakter
Art aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des
Rechts zu fördern, wobei ein Individualinteresse nicht genügt (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 10.Aufl, §
144 RdNr 28). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, die sich nach der Gesetzeslage und dem Stand der Rechtsprechung und Literatur
nicht ohne Weiteres beantworten lässt. Nicht klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn die Antwort auf sie so gut wie unbestritten
ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17) oder praktisch von vornherein außer Zweifel steht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 4).
Vorliegend ist allein Streitgegenstand der Minderungsbescheid vom 11.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
04.03.2014. Die Klägerin hat allein eine Anfechtungsklage erhoben. Auch nachdem sie einen evtl. Anspruch aufgrund des zuletzt
die Leistung bewilligenden Bescheides vom 23.01.2014 erkannt hat, hat sie ihren Klageantrag nicht umgestellt, sondern sich
mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Nachdem die Klägerin eine reine Anfechtungsklage,
nicht aber (zusätzlich) eine allgemeine Leistungsklage erhoben hat, ist Klagegegenstand allein der Minderungsbescheid. Dieser
regelt die Feststellung der Pflichtverletzung, den Beginn der Minderung und den Umfang der Minderung. Es handelt sich somit
um einen Feststellungsbescheid, der jedoch gemäß §
144 Abs.
1 Satz 1 Nr.
1 SGG auf eine Geldleistung gerichtet ist. Dies ist zum einen dann der Fall, wenn - wie das SG - die Auffassung vertreten wird, dass eine Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung nicht zusätzlich erforderlich
ist. Dies ist aber auch dann der Fall, wenn man der Auffassung des Senats folgt, dass zusätzlich eine (teilweise) Aufhebung
der Leistungsbewilligung erfolgen muss (vgl. u.a. Beschluss vom 17.06.2013 - L 11 AS 306/13 B ER -; Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Auflage, § 31b RdNr. 5 ff sowie Fachliche Weisungen der BA zu §§ 31, 31a, 31b SGB II in der Fassung vom 22.04.2014, Randzeichen 31.28), denn auch dann führt dieser reine Feststellungsbescheid zu einer Geldleistung
(vgl. Leitherer aaO. RdNr. 10a). Nachdem vorliegend die Geldleistung, die von der Klägerin beansprucht wird, den Wert von
750,00 EUR nicht übersteigt, bedarf die Berufung der Zulassung.
Eine grundsätzliche Bedeutung des vorliegenden Rechtsstreites ist nicht anzunehmen. Weil eine reine Anfechtungsklage erhoben
worden ist, ist allein streitig der Bescheid vom 11.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04.03.2014.Das SG hatte daher nach dem Klageantrag allein über die Rechtmäßigkeit der Sanktion zu entscheiden, denn es war nur die Aufhebung
der angegriffenen Bescheide begehrt, nicht aber ein Leistungsantrag aus dem Bescheid vom 23.01.2014 gestellt worden. Eine
solche allgemeine Leistungsklage gestützt auf dem Bewilligungsbescheid vom 23.01.2014 hätte ggfs durch Klageerweiterung in
des sozialgerichtliche Verfahren aufgenommen oder durch eine gesonderte Klage geltend gemacht werden können (vgl dazu Urteile
des Senates vom 21.04.2014 - L 11 AS 410/13 und L 11 AS 512/13). Dabei ist jedoch vorliegend zu berücksichtigen, dass ua der Bescheid vom 23.01.2014 durch den Bescheid vom 27.06.2014 bestandskräftig
aufgehoben worden ist; eine Anfechtung findet sich in den Akten des Beklagten nicht. Offen gelassen werden kann daher, ob
der Bescheid vom 23.01.2014 bereits durch den Bescheid vom 10.04.2014 rechtmäßig aufgehoben worden ist, der die bislang endgültig
bewilligten Leistungen durch eine vorläufige Leistungserbringung ersetzt. Somit ist über die grundsätzliche Frage, ob neben
der Feststellung des Eintritts der Sanktion noch eine Aufhebung der ursprünglichen Leistungsbewilligung erforderlich ist (vgl
dazu Beschluss des Senates vom 17.06.2013, mit dem sich das SG nicht auseinandersetzt), im vorliegenden Rechtsstreit nicht zu entscheiden.
Das SG weicht auch nicht von der oben genannten Rechtssprechung des Senats ab (vgl. ua. Beschluss vom 17.06.2013 - L 11 AS 306/13 B ER), denn die Klägerin hat lediglich eine reine Anfechtungsklage erhoben. Streitgegenständlich ist damit nicht die allgemeine
Leistungsklage aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 23.01.2014. Das SG hatte daher allein das Vorliegen der Pflichtverletzung den Umfang und den Zeitraum der Minderung zu prüfen.
Verfahrensfehler werden von der Klägerin nicht geltend gemacht und sind für den Senat auch nicht ersichtlich.
Nach alledem war die Nichtzulassungsbeschwerde mit der Folge zurückzuweisen, dass das Urteil des SG rechtskräftig ist (§
145 Abs.
4 Satz 4
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§
177 SGG).