Feststellung des Grades der Behinderung im Schwerbehindertenrecht bei einem Schlaf-Apnoe-Syndrom
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.
Der am ... 1969 geborene Kläger beantragte am 16. Juli 2010 beim Beklagten die Feststellung von folgenden Behinderungen: generalisierte
Angststörung, phobische Störungen, Panikstörungen, Hypertonie, Stoffwechselstörungen, Schilddrüsenoperation. Der Beklagte
zog einen Befundschein der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie Dr. S. vom 18. August 2010 bei, die eine
generalisierte Angst- und Panikstörung diagnostizierte. Der Kläger habe Ängste beim Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel oder
bei Begegnungen in Menschenmengen. Er könne teilweise die Stadt H. nicht verlassen, um seiner beruflichen Tätigkeit nachzugehen.
Unter Psychopharmaka (Beruhigungsmedikation) könne er öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Auch das Autofahren sei nur unter
großen Anstrengungen möglich. Der Kläger habe eine Verhaltenstherapie begonnen, sodass prognostisch von einer Verbesserung
der Gesamtsituation auszugehen sei. Der Facharzt für Innere Medizin Prof. Dr. M. diagnostizierte mit Befundschein vom 28.
September 2010 einen Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie, eine Hypertonie, eine gemischtförmige Hyperlipidproteinämie,
eine Hyperurikämie, einen Zustand nach Thyreoidektomie und eine psychosomatische Störung (Panikattacken). Dadurch bestünden
eine signifikante Leistungsminderung und eine Störung der Befindlichkeit. In den Abendstunden bestünden Blutdruckwerte systolisch
über 145 mmHg. Die diastolischen Blutdruckwerte lägen im Laufe des Tages häufig über 95 mmHg. Derzeit erhalte der Kläger folgende
Medikamente: Blopress, L-Thyroxin, Testogel 20 bzw. 50 mg im täglichen Wechsel. In Anlage übersandte er eine Langzeitblutdruckmessung
vom 9. Februar 2010 (Tag: 127/80 mmHg, Nacht 122/67 mmHg) sowie folgende Laborwerte: TSH vom 2. November 2009: 2,1 (Richtwert
0,4 bis 4,0); Testosteron (Richtwert 262 bis 1593) vom 3. November 2009: 216, 10. Dezember 2009: 172, 8. Februar 2010: 248.
In Auswertung dieser Befunde schlug die ärztliche Gutachterin des Beklagten Dr. S. für die psychische Gesundheitsstörung einen
GdB von 30 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 30. November 2010 beim Kläger einen GdB von 30 fest.
Dagegen erhob der Kläger am 17. Dezember 2010 Widerspruch, weil schon die psychische Gesundheitsstörung mit einem GdB von
50 zu bewerten sei. Es sei von einer schweren Störung mit mindestens mittelgradig schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten
auszugehen. Er leide unter massiven Einschlaf- und Durchschlafstörungen, die wiederum erhebliche Konzentrationsstörungen bei
den privaten und dienstlichen Tätigkeiten verursachten. Er neige zum Grübeln und Sinnieren. Folgen der Angststörungen seien
auch Störungen bei der sinnlichen Wahrnehmung, die sich insbesondere durch eine Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Reizen
(z. B. Neonlicht in Kaufhäusern oder öffentlichen Einrichtungen) äußerten. Die Panikattacken beträfen öffentliche Verkehrsmittel
und auch spontane Begegnungen mit einer zufällig sich bildenden Menschenmenge. Durch die mangelnde Kontaktfähigkeit und die
ausgeprägte Neigung zum sozialen Rückzug habe er langfristige soziale Störungen. Die Gefahr einer totalen sozialen Isolierung
wachse. Autofahren sei ihm nur unter großen Anstrengungen möglich. Die Einnahme der Medikamente könne die Störungen nur mäßig
mildern. Fülle sich die Bahn mit Fahrgästen übermäßig, sei er kaum in der Lage, die Reststrecke mit dem Verkehrsmittel zurückzulegen.
Durch die Einnahme der Medikamente und die Angststörungen träten Störungen der Affekte und Gefühle auf. Er leide unter Verstimmungen
und es bestehe eine erhöhte Erregbarkeit, die ihrerseits die Neigung zum sozialen Rückzug begünstige. Dadurch verliere er
sein Selbstvertrauen. Außerdem sei die Hypertonie mit einem GdB von mindestens 10 zu bewerten, da trotz der Behandlung erhöhte
Werte aufträten. Auch die Stoffwechselstörung sei mit einem GdB von mindestens 10 zu bewerten. Außerdem müsse er eine lebenslange
Diät durch die Reduzierung einer energiereichen und lipidhaltigen Ernährung führen. So müsse er zuckerhaltige Lebensmittel
und Backwaren weitgehend vermeiden. Auch müsse er auf eine erhebliche Ballaststoffzufuhr achten. Die Lebenseinschränkung durch
das Einhalten einer Diät sei bei der Bemessung des GdB zu berücksichtigen. Auch die Folgen der Schilddrüsenoperation seien
mindestens mit einem GdB von 10 zu bewerten. Die Schilddrüse sei entfernt worden, um die phobische Störung zu lindern. Doch
hätten sich danach die Panikattacken sogar verstärkt. Daher sei von einer bedeutsamen Leistungsminderung auszugehen. Insgesamt
sei daher ein GdB von 60 festzustellen. Der Kläger übersandte einen Laborbericht der Praktischen Ärztin Dipl.-Med. S., wonach
am 21. April 2011 der TSH-Wert mit 2,66 und der Testosteronwert mit 2,02 (Norm 2,8 bis 8,00) festgestellt worden war. Aufgrund
des erniedrigten Testosteronwerts schlug die ärztliche Gutachterin des Beklagten S.-S. für den Hypogonadismus mit Hypotestosteronanämie
einen GdB von 20 ohne Erhöhung des Gesamt-GdB vor. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2011 wies der Beklagte den Widerspruch
des Klägers zurück und führte aus: Der Zustand nach der Schilddrüsenoperation mit Substitutionsbehandlung und die Fettstoffwechselstörung
bedingten keinen Einzel-GdB von mindestens 10. Der Hypogonadismus (GdB 20) und der Bluthochdruck (GdB 10) hätten keine Auswirkungen
auf den Gesamt-GdB.
Am 4. August 2011 hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben. Er hat die Feststellung eines GdB von 50 beantragt und ergänzend vorgetragen: Die Störung des Hormonhaushaltes
sei mit einem GdB von 30 zu bewerten, weil der Hypogonadismus zur Abnahme der Libido bis hin zu deren Verlust und der Abnahme
der Vitalität führe. Auch habe dieser eine depressive Entwicklung zur Folge und verstärke die Symptome der bestehenden Angststörung.
Das SG hat zunächst von Dr. S. einen Befundbericht vom 12. Januar 2012 eingeholt, die eine generalisierte Angststörung mit Panikattacken
diagnostiziert hat. Sie hat im Einzelnen ausgeführt: Der Kläger habe wegen seiner beruflichen Situation nur wenige verhaltenstherapeutische
Sitzungen in Anspruch nehmen können. Dabei seien verhaltenstherapeutisch schützende Elemente besprochen und durch den Kläger
realisiert worden. Er könne auch wieder die Strecke zwischen H. und M. selbständig mit dem Auto bewältigen. Weitere Entfernungen
seien nach wie vor durch Ängste blockiert. Außerdem habe der Kläger teilweise Ängste bei Kontakten mit anderen Menschen und
bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel sowie teilweise Kontrollverlustängste, die unter Therapie deutlich reduziert
seien. Bei überdurchschnittlicher intellektueller Befähigung bestünden keine Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen.
Es liege eine ausreichende soziale Integration und eine ausreichende Tagesstrukturierung vor. Auch seien zu keinem Zeitpunkt
Kontaktschwächen nachweisbar gewesen. Derzeit liege auch keine depressive Störung vor. Prof. Dr. M. hat in seinem Befundbericht
vom 23. Februar 2012 auf die letzte Behandlung im Februar 2010 hingewiesen. Zu diesem Zeitpunkt habe unter Medikation eine
euthyreote Schilddrüsenfunktion ohne Organkomplikationen vorgelegen. Die Blutdruckwerte lägen unter Therapie etwa im Normbereich.
Die Belastungsergometrie (bis 125 Watt) habe unter antihypertensiver Therapie keinen pathologischen Blutdruckanstieg und keine
pathologische Herzfrequenzsteigerung gezeigt. Der Hypogonadismus sei subklinisch.
In Auswertung dieser Befundberichte hat der Beklagte auf die prüfärztliche Stellungnahme seiner Gutachterin S.-S. vom 15.
März 2012 verwiesen, wonach unter Behandlung bereits eine partielle Besserung der psychischen Störung eingetreten sei. Der
Kläger könne auch seinen beruflichen Verpflichtungen nachkommen. Die bestehenden Behandlungsoptionen seien bei Weitem noch
nicht ausgeschöpft (keine voll- oder teilstationäre psychiatrische Behandlung, keine Rehabilitation, ambulante Verhaltenstherapie
nur im Umfang von wenigen Stunden). Die geltend gemachten kognitiven Störungen habe die Nervenärztin nicht bestätigen können.
Es sei auch nicht erkennbar, ob bei den nur subklinischen (sehr diskreten) Auswirkungen der Hypotestosteronämie überhaupt
eine Substitutionsbehandlung für notwendig erachtet worden sei. Daher sei für den Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie weiterhin
ein GdB von 20 vorzuschlagen. Der Bluthochdruck ohne Folgeerkrankungen sei mit einem GdB von 10 zu bewerten. Für die Schilddrüsenerkrankung
sei kein GdB festzustellen, da unter der Substitutionsbehandlung eine euthyreote (normale) Stoffwechsellage bestehe. Die Fettstoffwechselstörung
ohne Folgeerkrankungen rechtfertige keinen GdB.
Der Kläger hat einen Laborbefund vom März 2012 (Testosteronwert vom 24. Februar 2012: 2,63) und den Entlassungsbericht der
Inselklinik H. vom 9. Juli 2010 über die Behandlung vom 25. Mai bis 15. Juni 2010 vorgelegt. In H. waren folgende Diagnosen
gestellt worden: Spezifische Phobien, situativer Typ mit Panikattacken, arterielle Hypertonie, Zustand nach Thyreoidektomie,
Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie, gemischte Hyperlipidämie. Weiter war im Bericht ausgeführt worden: Aufgrund der medikamentösen
Behandlung könne der Kläger wieder kurze Strecken bis 100 Kilometer mit dem Auto fahren. An circa zwei Tagen in der Woche
nehme er vor einer längeren Autofahrt jeweils eine halbe Tablette als Bedarfsmedikation. Er habe lange unter Schlafstörungen
gelitten, seitdem ihm Mirtazapin verordnet worden sei, könne er wieder gut schlafen. Bei dem ledigen und kinderlosen Kläger
bestünden gute soziale Kontakte. Hinweise auf Gedächtnis-, Wahrnehmungs-, Konzentrations-, Denk- oder Merkfähigkeitsstörungen
hätten nicht bestanden. Die psychologische Testdiagnostik habe keine aktuelle depressive Symptomatik gezeigt. Zeichen einer
kardiopulmonalen Dekompensation hätten nicht vorgelegen.
Schließlich hat das SG ein Gutachten durch den Diplom-Psychologen G. vom 26. August 2012 erstatten lassen. Dieser hat eine Agoraphobie mit Panikstörung
festgestellt und dafür einen GdB von 40 vorgeschlagen, weil die Teilhabe im beruflichen Bereich und im Freizeitbereich beeinträchtigt
sei. Der Kläger sei beim Autofahren wesentlich eingeschränkt. Die medikamentöse Behandlung vor Benutzen des PKWs sei keine
adäquate Therapie. Dadurch werde die Angst zwar reguliert und das Fahren mit dem Auto möglich, aber auch das Vermeidungsverhalten
verdeckt. Außerdem sei die gesellschaftliche Teilhabe aufgrund der Angsterkrankung betroffen (z. B. Kino, Theater, soziale
Kontakte). Die ebenfalls eingeschränkte Versorgung (keine großen Kaufhäuser, Meidung von Menschenansammlungen) werde teilweise
kompensiert (Internet, kleine Märkte). Durch die Schlafstörungen ergäben sich als Sekundärfolgen Konzentrationsstörungen,
die die Leistungsfähigkeit aber nicht wesentlich einschränkten. Insgesamt bestünden Störungen mit Einschränkungen der Erlebnis-
und Gestaltungsfähigkeit sowie leichte soziale Anpassungsschwierigkeiten. Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten
lägen nicht vor. Der Kläger habe Kompensationsmöglichkeiten und es bestehe nicht die Notwendigkeit umfassender Unterstützung
oder sonstiger Integrationshilfen. Es sei zu berücksichtigen, dass eine ausreichende Psychotherapie ihm berufsbedingt durch
wechselnde Arbeitsorte nicht möglich sei. Eine klinisch relevante Depression liege nicht vor.
In Auswertung des Gutachtens hat der Beklagte auf die Stellungnahme von Frau S.-S. vom 17. Oktober 2012 hingewiesen. Danach
sei ein GdB von 40 nicht gerechtfertigt. Trotz der nunmehr fünfjährigen Symptomatik sei keine intensive Behandlung erfolgt,
was als indirekter Hinweis auf einen sehr geringen bis fehlenden Leidensdruck zu werten sei. Mit der Berufstätigkeit vereinbare
Therapieoptionen seien nie in Anspruch genommen worden.
Schließlich hat das SG einen Befundbericht des Dr. S. (Oberarzt der Klinik für Innere Medizin II, Krankenhaus M.-M. H.-D.) vom 15. April 2013 eingeholt,
der über die erstmalige Behandlung des Klägers am 9. März 2013 wegen eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms mit der Notwendigkeit
einer nächtlichen Überdruckbeatmung (nasale Auto-CPAP) berichtet hat. Während der Behandlung habe sich eine sehr gute Einstellung
ergeben. Mit Bericht vom 8. April 2013 an die Krankenkasse des Klägers hatte Dr. S. um Übernahme der Kosten für das nCPAP-Gerät
gebeten.
In Auswertung dieses Befundes hat sich der Beklagte mit Schreiben vom 23. Mai 2013 aufgrund des Schlafapnoe-Syndroms vergleichsweise
bereit erklärt, ab April 2013 einen GdB von 40 festzustellen. Dieser Angebot hat der Kläger zunächst nicht angenommen und
vorgetragen: Für das Schlafapnoe-Syndrom sei ein höherer GdB als 20 festzustellen, weil er mindestens zwei- bis dreimal in
der Woche das Beatmungsgerät abnehmen müsse, da er andernfalls Panikattacken erleide. Ergänzend hat Dr. S. auf die gerichtliche
Nachfrage am 5. August 2013 mitgeteilt, eine Unmöglichkeit der nasalen Überdruckbeatmung sei ihm nicht bekannt. Schließlich
hat der Kläger eine ärztliche Bescheinigung der praktischen Ärztin Dipl.-Med. S. vom 5. September 2013 vorgelegt, wonach er
unter einem chronischen Erschöpfungszustand infolge eines Schlafapnoe-Syndroms leide. Das Tragen der Sauerstoffmaske sei wesentlich
unangenehmer und schwieriger als gedacht. Er habe am Morgen Druckstellen und Rötungen im Gesicht. Es träten vermehrt Rachenbeschwerden,
Mundtrockenheit, Halsschmerzen und Stimmprobleme auf. Das Gerät verstärke die bereits vorhandenen Ein- und Durchschlafstörungen.
Bis zu zweimal wöchentlich leide der Kläger unter psychischen Problemen wie Angstzuständen und/oder Panikattacken, so dass
er die Maske nachts nicht tragen könne. Daher sei eine kontinuierliche nasale Überdruckbeatmung bei ihm nicht jeden Tag möglich.
Diese Teilunverträglichkeit aufgrund der psychischen Erkrankung führe zur Müdigkeit und Leistungsminderung am Tag und sei
zu berücksichtigen.
In der mündlichen Verhandlung vom 26. September 2013 hat der Kläger das Teilanerkenntnis des Beklagten vom 23. Mai 2013 angenommen.
Mit Urteil vom gleichen Tag hat das SG die weitergehende Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Für die Agoraphobie mit Panikstörung sei ein GdB von 30
angemessen. Hinsichtlich der leichten sozialen Anpassungsschwierigkeiten bestünden Kompensationsmöglichkeiten. Der Kläger
pflege durchaus soziale Kontakte und gehe einer Vollzeitbeschäftigung nach. Eine psychotherapeutische Behandlung finde nicht
statt. Wegen des niedrigen Testosteronspiegels sei ein GdB von 20 angemessen, weil sich aus dem Laborbefund keine Angaben
zu einer dauerhaften Hormonsubstitution ergäben. Das Schlafapnoe-Syndrom sei mit einem GdB von 20 zu bewerten, da keine Unmöglichkeit
einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung vorliege. Der Kläger könne lediglich bis zu zweimal wöchentlich die Maske
nicht tragen. Für den gut eingestellten Blutdruck könne kein höherer GdB als 10 angenommen werden. Die einer Substitutionsbehandlung
zugängliche Schilddrüsenerkrankung bedinge bei einer normalen Stoffwechsellage keinen GdB. Gleiches gelte für die Fettstoffwechselstörung,
weil Folgeerkrankungen nicht beschrieben seien. Insgesamt sei ein GdB von 40 festzustellen. Die durch das psychische Leiden
bestehenden Ein- und Durchschlafstörungen könnten nicht noch einmal bei den Folgen des Schlafapnoe-Syndroms berücksichtigt
werden, da sich eine Doppelbewertung verbiete.
Gegen das ihm am 4. November 2013 zugestellte Urteil hat der Kläger am 7. November 2013 Berufung beim Landessozialgericht
(LSG) Sachsen-Anhalt eingelegt und ergänzend vorgetragen: Die Berichte von Dr. S. und Prof. Dr. M. sowie der Entlassungsbericht
der Inselklinik H. bestätigten mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des
Dipl.-Psychologen G. müsse mindestens ein GdB von 40 für die psychische Erkrankung angenommen werden. Im Übrigen lebe er deshalb
ungewollt allein und sei kinderlos, weil er die beschriebenen Behinderungen habe. Die mangelnde Ausgleichbarkeit des Hormonhaushaltes
durch Substitution sei mit einem GdB von mindestens 30 zu bewerten. Hinsichtlich des Schlafapnoe-Syndroms sei zu berücksichtigen,
dass die mit der Überdruckbeatmung auftretenden Beschwerden die seelische Beeinträchtigung weiter verstärkten.
Mit Ausführungsbescheid vom 8. November 2013 hat der Beklagte beim Kläger ab 1. April 2013 einen GdB von 40 festgestellt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 26. September 2013 aufzuheben, den Bescheid des Beklagten vom 30. November 2010 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2011 sowie den Ausführungsbescheid vom 8. November 2013 abzuändern und
den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab 16. Juli 2010 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Nach seiner Auffassung liegen auch nach den weiteren medizinischen Ermittlungen die Voraussetzungen für einen GdB von 50 nicht
vor.
Der Senat hat weitere Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers eingeholt. Dr. S. hat am 24. Juni 2014 ergänzend mitgeteilt:
Der Kläger zeige insbesondere ein Vermeidungsverhalten bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln, auch könne er mit
dem eigenen PKW keine größere Strecken (weitere Entfernungen als nach M. oder B.) bewältigen. Er könne zwar Auswärtstermine
in Kombination von Zugfahren oder Taxibenutzung wahrnehmen. An den Tagen zuvor sei er aber angespannt, leicht erregbar, schweißig
und innerlich unruhig, sodass sich eine weitere Medikation von Mirtazapin erforderlich gemacht habe. Der Kläger erhalte nunmehr
eine durchgehende antidepressive Medikation. Er sei hochmotiviert und besuche regelmäßig die psychotherapeutischen Konsultationen
bei Dr. J. Unter der medikamentösen und psychotherapeutischen Therapie habe das Vermeidungsverhalten deutlich reduziert werden
können. Dennoch sei nach wie vor eine Beeinträchtigung der Gestaltungs- und Freizeitaktivität und auch des beruflichen Alltages
durch die Angststörung vorhanden. Er habe immer wieder Umstellungsprobleme, sodass selbst kleine neue Aufgaben für ihn eine
Herausforderung darstellten. Er sei aber immer nur für sehr kurze Zeit arbeitsunfähig. Wenn der Arbeitsdruck sehr stark sei,
könne er Bahn- oder Autofahrten neben der bestehenden angespannten Angstsituation nicht bewältigen. Mit Befundbericht vom
22. Juni 2014 hat Prof. Dr. B., Direktor des Zentrums für Reproduktionsmedizin und Andrologie des Universitätsklinikums H.,
mitgeteilt: Bei der Untersuchung am 17. Dezember 2013 sei ein Testosteronserumspiegel von 7,1 nmol/l (Norm &8805; 12) gemessen
worden. Dem Kläger sei ein Rezept über Testogel verschrieben worden. Eine weitere Vorstellung des Klägers sei nicht erfolgt.
Mit Befundbericht vom 3. November 2014 hat Dipl.-Med. S. über eine im Vordergrund stehende Angst- und Panikstörung sowie über
muskuläre Verspannungen im Bereich der Wirbelsäule mit Bewegungseinschränkung der Halswirbelsäule (HWS) bei der Rotation und
endgradigen Bewegungsschmerzen berichtet.
Am 18. Dezember 2014 hat eine nichtöffentliche Sitzung des LSG stattgefunden, in der der Kläger erklärt hat: Seit ca. einem
Jahr befinde er sich in psychotherapeutischer Behandlung bei Dr. J. Er habe sich nach der Behandlung bei Prof. Dr. B. bei
seiner alten Hausärztin in M. vorgestellt. Diese habe festgestellt, dass sich der Testosteronwert trotz der eingeleiteten
Behandlung nicht weiter erhöht habe. Er habe auch keine Auswirkungen verspürt und sei dann der Sache nicht weiter nachgegangen.
Zurzeit nehme er auch keine Testosteronsubstitution. Wenn er einen auswärtigen Termin habe, den er nicht mit öffentlichen
Verkehrsmitteln wahrnehmen könne, melde er sich dienstunfähig. Das nehme er circa zweimal im Jahr in Anspruch. Bei Dr. S.
sei er nicht noch einmal in Behandlung gewesen.
Mit Befundbericht vom 27. Januar 2015 hat Dr. S. ergänzend mitgeteilt: Die Psychotherapie habe dazu beigetragen, dass er zwar
arbeitsfähig sei, dennoch seien weitere Einschränkungen vorhanden: Er könne selbständig einen PKW nur für 100 Kilometer führen.
Dabei müsse er ein- bis zweimal pausieren. Berufsbedingt fahre er ICE in einem Umkreis von 400 bis 450 Kilometer, so bis H.
oder bis M. Ohne eine Medikation sei er dazu aber nicht in der Lage. Aufgrund des Hypogonadismus zeige er ein vermindertes
Selbstwerterleben und eine etwas vermehrte Selbstunsicherheit. Doch sei keinesfalls aus dieser Erkrankung ein eigenständiges
psychisches Krankheitsbild abzuleiten. Jedoch werde die Angststörung, da der Kläger selbstunsicher und teilweise mit Selbstzweifeln
behaftet sei, hierdurch verstärkt. Zusammenfassend sei ein GdB von 40 aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht zu gewähren.
Ergänzend hat der Kläger den Testosteronwert (4,17) vom 14. Mai 2014 (Norm 2,49 bis 8,63) übersandt und dazu vorgetragen:
Die Messungen seien jeweils in den Morgenstunden erfolgt, also zu einem Zeitpunkt, zu dem der Testosteronwert bei Männern
ohnehin am höchsten sei. Selbst unter Medikamenten bestehe ein sehr niedriger Testosteronwert.
Schließlich hat Dr. J. mit Befundbericht vom 27. Februar 2015 mitgeteilt: Der Kläger befinde sich seit November 2012 in seiner
Behandlung. Hintergrund seien berufliche Belastungssituationen mit psychophysischer Überforderung gewesen. Derzeit lägen eine
ängstlich-depressive Störung von mittelgradiger Ausprägung sowie eine Panikstörung mit spezifischer Phobie vor. Der Antrieb
und die Psychomotorik seien gemindert, der Schlaf aufgrund von Durchschlafstörungen schlecht. Es bestünden ausgeprägte Ängste
mit vegetativen Begleitbeschwerden und starker phobischer Komponente sowie depressiv bedingte kognitive Beeinträchtigungen
in allen Vorfeldfunktionen vor. Als Folge der seelischen Erkrankung sei der Kläger nur unter extremer Willensanstrengung in
der Lage, seinen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Er ziehe sich zurück und sei nicht in der Lage, Dinge außerhalb
der beruflichen Anforderungen zu leisten. Er wirke leer und ausgebrannt.
In Auswertung der Unterlagen hat der Beklagte auf eine Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin S.-S. vom 25. März 2015
verwiesen. Die Prüfärztin hatte vorgeschlagen, die psychische Erkrankung unverändert mit einem GdB von 30 zu beurteilen. Trotz
des nunmehr achtjährigen Krankheitsverlaufs sei eine (teil-)stationäre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung nicht
erforderlich bzw. angestrebt. Ein GdB aufgrund des Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie sei spätestens ab Mai 2014 nicht
mehr vorzuschlagen. Nach dem Laborbefund vom Mai 2014 befinde sich der Testosteronbefund im Normalbereich. Zwar habe der Kläger
über eine Beendigung der Substitutionsbehandlung berichtet. Da nunmehr die grundsätzliche Behandelbarkeit des Problems bewiesen
sei, könne kein GdB mehr angenommen werden.
Der Kläger hat mit Schreiben vom 18. April 2015 ergänzend ausgeführt: Da Dr. J. die Diagnose einer depressiven Störung gestellt
habe, sei hierfür auch ein GdB anzunehmen. Weiterhin sei ein GdB von 20 aufgrund des Hypogonadismus und zumindest auch für
das Schlafapnoe-Syndrom zu berücksichtigen, sodass in der Gesamtschau ein GdB von 50 festzustellen sei.
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakte des Beklagten, die Gegenstand
der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß §
143 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG) auch statthafte Berufung des Klägers ist unbegründet.
Die Klage gegen den Bescheid des Beklagten vom 30. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2011 und
den Ausführungsbescheid des Beklagten vom 8. November 2013 ist als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach §
54 Abs.
1 SGG statthaft. Für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Gesundheitszustand des Klägers im Zeitraum von der Antragstellung
bis zur mündlichen Verhandlung des Senats maßgeblich. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Feststellung eines höheren GdB.
Für den streitgegenständlichen Zeitraum gilt das am 1. Juli 2001 in Kraft getretene Neunte Buch des Sozialgesetzbuchs (
SGB IX) über die Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen vom 19. Juni 2001 (BGBl. I S. 1046). Rechtsgrundlage für den vom Kläger erhobenen Anspruch auf Feststellung eines GdB ist §
69 Abs.
1 und
3 SGB IX. Nach §
69 Abs.
1 Satz 1
SGB IX stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest. Diese Vorschrift
knüpft materiell-rechtlich an den in §
2 Abs.
1 Satz 1
SGB IX bestimmten Begriff der Behinderung an. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit
oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand
abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Nach §
69 Abs.
1 Satz 4
SGB IX sind die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben der Gesellschaft als GdB nach Zehnergraden abgestuft festzustellen. Wenn
mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben der Gesellschaft vorliegen, wird nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen
festgestellt.
§
69 Abs.
1 Satz 5
SGB IX ist durch das insoweit am 21. Dezember 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 13. Dezember 2007 (aaO.) geändert worden. Nach
der Neufassung gelten für den GdB die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der aufgrund des § 30 Abs. 17 BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Nach der damit in Bezug genommenen neuen Fassung des § 30 Abs. 1 BVG richtet sich die Beurteilung des Schweregrades - dort des "Grades der Schädigungsfolgen" (GdS) - nach den allgemeinen Auswirkungen
der Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Die hierfür maßgebenden Grundsätze sind in der am 1. Januar 2009
in Kraft getretenen Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2412) aufgestellt worden. Nach § 2 VersMedV sind die auch für die Beurteilung des Schweregrades nach § 30 Abs. 1 BVG maßgebenden Grundsätze in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VMG, Anlageband zu BGBl. I Nr. 57 vom 15. Dezember
2008, G 5702) als deren Bestandteil festgelegt und der Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte mit der rechtlichen
Verbindlichkeit einer Rechtsverordnung zugrunde zu legen.
Der hier streitigen Bemessung des GdB ist die GdS-Tabelle der VMG (Teil B) anzuwenden. Nach den allgemeinen Hinweisen zu der
Tabelle (Teil B Nr. 1 a) sind die dort genannten GdS-Sätze Anhaltswerte. In jedem Einzelfall sind alle die Teilhabe beeinträchtigenden
Störungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet zu berücksichtigen und in der Regel innerhalb der in Teil A Nr.
2 e genannten Funktionssysteme (Gehirn einschließlich Psyche; Augen; Ohren; Atmung; Herz-Kreislauf; Verdauung; Harnorgane;
Geschlechtsapparat; Haut; Blut und Immunsystem; innere Sektion und Stoffwechsel; Arme; Beine; Rumpf) zusammenfassend zu beurteilen.
Die Beurteilungsspannen tragen den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung (Teil B Nr. 1 a).
a)
Für die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers, die dem Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" zuzuordnen sind,
ist bis April 2013 ein GdB von 30 und ab April 2013 ein GdB von 40 festzustellen.
Nach Teil B Nr. 3.7 VMG werden leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 bis 20 bewertet. Für
stärker behindernde Störungen mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere
depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen)
ist ein Bewertungsrahmen von 30 bis 40 vorgesehen. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen
Anpassungsschwierigkeiten werden mit einem GdB von 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten mit 80 bis
100 bewertet. Psychische Anpassungsschwierigkeiten, die einen Behinderungsgrad von 30 bis 40 rechtfertigen, sind nach dem
Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirates (BMA am 18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, Teil B: GdS-Tabelle-19,
96. Lfg. - Stand Dezember 2011) durch Kontaktschwäche und/oder Vitalitätseinbuße gekennzeichnet. Dieses Kriterium ist zur
differenzierenden Einschätzung von Anpassungsschwierigkeiten analog auch dann heranzuziehen, wenn die Symptomatik der psychischen
Störungen ganz unterschiedlich ist (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am 8./9.11.2000, Rohr/Sträßer, aaO.,
GdS-Tabelle-18). Mittelgradige soziale Anpassungsschwierigkeiten setzen neben den Auswirkungen im Berufsleben erhebliche familiäre
Probleme durch Kontaktverlust und affektive Nivellierung voraus (Beschluss des Ärztlichen Sachverständigenbeirats, BMA am
18./19.03.1998 - zitiert nach Rohr/Sträßer, aaO., GdS-Tabelle-19).
Der Kläger leidet an einer Angst- und Panikstörung. Darüber hinaus liegt eine depressive Symptomatik vor. Diese Diagnosen
werden vom Sachverständigen Dipl.-Psychologen G., den behandelnden Ärzten Dr. S. und Dr. J. sowie durch den Entlassungsbericht
der Inselklinik H. bestätigt. Die mit den Erkrankungen verbundenen Auswirkungen führen insgesamt zu einer stärker behindernden
Störung mit einer wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, für die ein Bewertungsrahmen von 30 bis
40 eröffnet ist.
Ab Antragstellung ist für die Zeit von Juli 2010 bis April 2013 zunächst von einem GdB von 30 für die psychische Erkrankung
auszugehen. Insoweit folgt Senat den prüfärztlichen Stellungnahmen des Beklagten. Der Kläger war durch die Angst- und Panikstörung
in seiner Lebens- und Freizeitgestaltung eingeschränkt. Er konnte nicht mehr als 100 km mit dem Auto fahren, musste sein Einkaufsverhalten
anpassen (keine großen Kaufhäuser) und war in seinen sozialen Kontakten eingeschränkt, weil er Menschenansammlungen mied.
Auch seine berufliche Tätigkeit war durch die Störung beeinträchtigt, weil er nur unter erheblichem Organisationsaufwand (Nutzung
von öffentlichen Verkehrsmitteln in Verbindung mit Taxifahrten bei weiteren Entfernungen bzw. vorherige Einnahme von Psychopharmaka)
dieser nachgehen konnte. Bis April 2013 konnte der Bewertungsrahmen aber noch nicht mit 40 ausgeschöpft werden. Diesem Vorschlag
des Dipl.-Psychologen G. steht entgegen, dass im Reha-Bericht H. und in den Berichten von Dr. S. bei dem in Vollzeit berufstätigen
Kläger Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen ausgeschlossen und über eine gute soziale Integration berichtet wurde.
Kontaktschwächen hätten zu keinem Zeitpunkt vorlegen. Auch Dipl.-Psychologe G. hat keine Folgen hinsichtlich der Konzentration
bei bestehenden Schlafstörungen feststellen können. Zudem wurde im Zeitraum bis April 2013 eine depressive Symptomatik mehrfach
(Reha-Bericht H. vom 9. Juli 2010, Bericht von Dr. S. vom 12. Januar 2012) und auch vom Dipl.-Psychologen G. verneint. Aufgrund
der Erkrankungen sind auch keine längeren beruflichen Ausfallzeiten eingetreten.
Seit April 2013 ist die psychische Erkrankung mit einem GdB von 40 zu bewerten. Im April 2013 wurde dem Kläger dauerhaft aufgrund
des Schlafapnoe-Syndroms eine nächtliche Überdruckbeatmung verordnet, die seine bereits vorhandenen Ein- und Durchschlafstörungen
verstärkt und zu weiteren Angst- und Panikattacken führt. Das mit der Angst- und Panikstörung verbundene Vermeidungsverhalten
konnte zwar nach dem Befundbericht von Dr. S. vom Juni 2014 durch Medikamente und die Therapie bei Dr. J. reduziert werden,
doch sind weiterhin die oben dargestellten Einschränkungen vorhanden. Darüber hinaus ist die Verschlechterung des psychischen
Gesundheitszustandes zu berücksichtigen, die sich aus dem Befundbericht von Dr. J. ergibt und auch durch die Befundberichte
von Dr. S. deutlich wird. So befindet sich der Kläger seit November 2012 neben der Behandlung bei Dr. S. bei Dr. J. in Behandlung.
Seit ca. Ende des Jahres 2013 führt er bei ihm eine Psychotherapie durch. Dieser Arzt hat in seinem Befundbericht vom 27.
Februar 2015 über weitere, zuvor nicht geschilderte psychische Beeinträchtigungen (insbesondere Depressionen) berichtet. Danach
seien der Antrieb und die Psychomotorik gemindert und der Schlaf aufgrund von Durchschlafstörungen schlecht. Außerdem liege
eine depressiv bedingte kognitive Beeinträchtigung in allen Vorfeldfunktionen vor. Als Folge der seelischen Erkrankung sei
der Kläger nur unter extremer Willensanstrengung in der Lage, seinen beruflichen Anforderungen gerecht zu werden. Er ziehe
sich zurück und sei nicht in der Lage, Dinge außerhalb der beruflichen Anforderungen zu leisten. Er wirke leer und ausgebrannt.
Zudem hat er nach dem Befundbericht der Dr. S. vom Juni 2014 Umstellungsprobleme, sodass selbst kleinere Aufgaben eine Herausforderung
darstellten. Unter Berücksichtigung der Gesamtheit der psychischen Beeinträchtigungen erscheint es nach alledem angemessen,
den Bewertungsrahmen für stärker behindernde psychische Störungen jedenfalls ab dem dauerhaften Einsatz der Schlafmaske, also
ab April 2013 (Bericht des Dr. S. vom 8. April 2013) mit einem GdB von 40 auszuschöpfen. Diese Feststellung stimmt auch mit
der Einschätzung der behandelnden Ärztin Dr. S. überein. Auch diese hat im Juni 2014 darüber berichtet, dass nunmehr eine
durchgehende Behandlung mit Antidepressiva erforderlich und ein GdB von 40 aus psychiatrisch-psychotherapeutischer Sicht zu
gewähren sei. Dafür spricht letztlich auch, dass durch die mit dem Hypogonadismus verbundene Selbstunsicherheit des Klägers
die Angststörung verstärkt wird.
Da keiner der behandelnden Ärzte eine schwere psychische Störung diagnostiziert hat und keine mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten
erkennbar sind, kann keine noch höhere Bewertung der psychischen Erkrankung erfolgen. Auch sind über die Behandlung mit Psychopharmaka
und der ambulanten Therapie hinaus keine zumindest teilstationären Behandlungen notwendig gewesen, die bei schweren Störungen
typischerweise erforderlich sind. Lediglich eine einmalige Reha-Maßnahme wurde in H. im Jahre 2010 durchgeführt. Auch die
jahrelange nahezu ununterbrochene Arbeitsfähigkeit spricht gegen eine schwere psychische Störung.
b)
Der Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie ist dem Funktionssystem Geschlechtsapparat zuzuordnen und bedingt maximal einen
GdB von 20. Nach Teil B Nr. 13.2 ist bei einer Unterentwicklung, einem Verlust des Hodens oder beim vollständigen Schwund
beider Hoden je nach Ausgleichbarkeit des Hormonhaushalts durch Substitution ein GdB von 20 bis 30 festzustellen. Der beim
Kläger vorliegende Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie entspricht in den Folgen diesen Erkrankungen, so dass eine entsprechende
Bewertung (unabhängig von der Ursache) zu erfolgen hat. Da beim Kläger mehrfach ein erniedrigter Testosteronwert nachgewiesen
wurde, allerdings bei Behandlung Normwerte erreicht werden (4,17 am 14. Mai 2014 - Norm 2,49 bis 8,63), kann allenfalls ein
GdB von 20 angenommen werden. Gegen eine höhere Bewertung sprechen auch die nur unregelmäßigen Behandlungsversuche und die
Einschätzung von Prof. Dr. M., wonach der Hypogonadismus subklinisch sei. Damit hat er klargestellt, dass keine relevanten
Funktionseinschränkungen damit verbunden sind. Auch die psychische Komponente dieser Erkrankung ist in dem GdB von 20 bereits
mit erfasst. Denn nach Teil A Nr. 2i VMG berücksichtigen die in der GdB-Tabelle niedergelegten Sätze bereits die üblichen
seelischen Begleiterscheinungen. Auch Dr. S. hat ausdrücklich mitgeteilt, dass keinesfalls aus dieser Erkrankung ein eigenständiges
psychisches Krankheitsbild abzuleiten sei. Zwar werde die Angststörung, da der Kläger selbstunsicher und teilweise mit Selbstzweifeln
behaftet sei, hierdurch verstärkt. In dem zusammenfassend von ihr vorgeschlagenen GdB von 40 aus psychiatrisch-psychotherapeutischer
Sicht ist auch diese Problematik mit eingeflossen, sodass auch der Senat diese Auswirkungen mit im Funktionssystem Gehirn
einschließlich Psyche berücksichtigt hat.
c)
Das Schlafapnoe-Syndrom des Klägers ist nach Teil B Nr. 8.7 VMG ab März 2013 mit einem GdB von 20 zu bewerten, da Dr. S. über
die erstmalige Behandlung des Klägers am 9. März 2013 wegen eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms mit der Notwendigkeit
einer nächtlichen Überdruckbeatmung (nasale Auto-CPAP) berichtet hat. Mit Bericht vom 8. April 2013 an die Krankenkasse des
Klägers hatte Dr. S. um Übernahme der Kosten für das nCPAP-Gerät gebeten. Eine höhere Bewertung, insbesondere wegen einer
vom Kläger vorgetragenen Unverträglichkeit kann nicht erfolgen. Dr. S. hat darüber berichtet, dass sich während der Behandlung
eine sehr gute Einstellung ergeben habe. Ergänzend hat Dr. S. auf die gerichtliche Nachfrage am 5. August 2013 mitgeteilt,
eine Unmöglichkeit der nasalen Überdruckbeatmung sei ihm nicht bekannt. Allein aufgrund der Berichtes der Hausärztin Dipl.-Med.
S., wonach das Tragen der Sauerstoffmaske wesentlich unangenehmer und schwieriger als gedacht sei, kann keine Erhöhung des
GdB erfolgen. Auch diese hat lediglich über eine Teilunverträglichkeit an bis zu zwei Tagen in der Woche aufgrund der psychischen
Erkrankung berichtet, sodass daraus keinesfalls eine nicht durchführbare nasale Überdruckbeatmung abgeleitet werden kann.
Die Druckstellen und Rötungen im Gesicht sowie die vermehrt auftretenden Rachenbeschwerden, die Mundtrockenheit, die Halsschmerzen
und die Stimmprobleme sind typischerweise mit einer nasalen Überdruckbeatmung verbunden und bereits im GdB mit erfasst. Gegen
eine zusätzliche Berücksichtigung wegen darüber hinausgehender Beeinträchtigungen spricht, dass der Kläger sich diesbezüglich
nicht erneut in Behandlung bei Dr. S. begeben hat, um ggf. alternative Behandlungsmöglichkeiten (z.B. durch das Ausprobieren
anderer Masken) zu finden. Die mit der Überdruckbeatmung verbundenen psychischen Probleme sind bereits im Funktionssystem
Gehirn einschließlich Psyche berücksichtigt worden und können nicht nochmals bei der GdB-Feststellung für das Schlaf-Apnoe-Syndrom
bewertet werden.
d)
Die Bluthochdruckerkrankung des Klägers ist dem Funktionssystem Herz-Kreislauf zuzuordnen. Dafür ist nach Teil B Nr. 9.3 VMG
als leichte Form der Hypertonie, bei der keine oder eine geringe Leistungsbeeinträchtigung und höchstens leichte Augenhintergrundsveränderungen
vorliegen, ein GdB von 0 bis zu 10 anzunehmen. Nach dem Befundbericht von Prof. Dr. M. liegen die Blutdruckwerte unter Therapie
etwa im Normbereich. Die Belastungsergometrie (bis 125 Watt) habe unter antihypertensiver Therapie keinen pathologischen Blutdruckanstieg
und keine pathologische Herzfrequenzsteigerung gezeigt. Auch im Reha-Bericht H. wurden Zeichen kardiopulmonalen Dekompensation
nicht festgestellt.
e)
Weitere Funktionseinschränkungen, für die ein GdB von mindestens 10 festgestellt werden kann, sind nicht nachgewiesen. Für
die Schilddrüsenerkrankung des Klägers kann kein Behinderungsgrad festgestellt werden, da nach Teil B Nr. 15.6 VMG nur anhaltende
Beeinträchtigungen trotz Behandlung Berücksichtigung finden können. Eine Schilddrüsenfunktionsstörung liegt bei dem Kläger
nicht vor, da die Stoffwechsellage unter Medikation ausgeglichen ist und keine Organkomplikationen vorliegen (Befundbericht
Prof. Dr. M.). Die Labordiagnosen Hyperlipidproteinanämie und Hyperurikämie sind nicht mit behinderungsgradrelevanten Funktionseinschränkungen
verbunden. Insbesondere kann die Notwendigkeit einer gesunden Ernährung (Reduzierung einer energiereichen und lipidhaltigen
Ernährung, weitgehende Vermeidung zuckerhaltiger Lebensmittel und Backwaren, erhebliche Ballaststoffzufuhr) nicht zur Feststellung
eines GdB führen. Schließlich lassen auch die mit Befundbericht vom 3. November 2014 von Dipl.-Med. S. beschriebenen muskulären
Verspannungen im Bereich der Wirbelsäule mit einer Bewegungseinschränkung der HWS bei Rotation und endgradigen Bewegungsschmerzen
noch keine Bewertung mit einem Einzel-GdB zu.
f)
Da bei dem Kläger Einzelbehinderungen aus verschiedenen Funktionssystemen mit einem messbaren GdB vorliegen, ist nach §
69 Abs.
3 Satz 1
SGB IX der Gesamtbehinderungsgrad zu ermitteln. Dafür sind die Grundsätze nach Teil A Nr. 3 der VMG anzuwenden. Nach Nr. 3c ist
in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Einzelgrad bedingt und dann zu prüfen, ob und
inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten
Zehnergrad ein oder mehr Zehnergrade hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden.
Danach kommt ausgehend von dem Einzel-GdB von 30 bzw. 40 für das Funktionssystem "Gehirn einschließlich Psyche" keine weitere
Erhöhung aufgrund der Funktionsstörungen wegen des Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie und des Schlafapnoe-Syndroms in
Betracht. Dabei ist zu beachten, dass nach Teil A Nr. 3 ee VMG auch Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 als leichte
Funktionsstörungen angesehen werden, die es vielfach nicht rechtfertigen, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung
zu schließen. Nach diesem Maßstab führt die Einschränkung aufgrund des Hypogonadismus mit Hypotestosteronämie und des Schlafapnoe-Syndroms,
die mit einem GdB von 20 zu bewerten sind, nicht zur Verstärkung des Gesamtausmaßes der Behinderung. Dabei ist zu berücksichtigen,
dass die psychischen Störungen, die mit einem GdB von 40 bewertet wurden, jeweils auch die psychischen Auswirkungen des Hypogonadismus
und des Schlafapnoe-Syndroms berücksichtigen. Die Auswirkungen der Erkrankungen betreffen den Schlaf, die Konzentration und
die sozialen Interaktionen. Eine Doppelbewertung dieser dadurch eingeschränkten Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit kann nicht
vorgenommen werden. Darüber hinausgehende organische Beeinträchtigungen, die eine Erhöhung des Gesamt-GdB rechtfertigen könnten,
liegen nicht vor. Die mit einem Einzel-GdB von 10 bewertete Bluthochdruckerkrankung erhöht nicht das Ausmaß der Gesamtbeeinträchtigung
(dazu VMG, Teil A Nr. 3 ee). Für einen Ausnahmefall sind aufgrund der fehlenden kardiopulmonalen Beeinträchtigung keine Anhaltspunkte
ersichtlich.
Im Übrigen widerspräche die Feststellung der begehrten Schwerbehinderteneigenschaft dem nach Teil A 3 VMG zu berücksichtigenden
Gesamtmaßstab. Die Schwerbehinderteneigenschaft kann nur angenommen werden kann, wenn die zu berücksichtigende Gesamtauswirkung
der verschiedenen Funktionsstörungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft so schwer wie etwa die vollständige Versteifung
großer Abschnitte der Wirbelsäule, der Verlust eines Beins im Unterschenkel oder eine Aphasie (Sprachstörung) mit deutlicher
Kommunikationsstörung beeinträchtigen. Derartig schwere Funktionsstörungen liegen bei dem Kläger nicht vor.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Der Beklagte hat ab April 2013 wegen der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers ein sachgerechtes Vergleichsangebot
unterbreitet. Daher waren ihm keine Verfahrenskosten aufzuerlegen.
Gründe für die Zulassung der Revision nach §
160 SGG liegen nicht vor.